Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 4 E 30/22
Kein Anspruch eines Dritten auf Einschreiten der Rechtsanwaltskammer gegen ein Kammermitglied
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 15.12.2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-verfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren 18 K 173/20 (VG Gelsenkirchen) mit dem Begehren, die Beklagte zum Vorgehen gegen den Beigeladenen zu verpflichten, hat keinen Erfolg.
2
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die gemäß den §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO erforderliche Aussicht auf Erfolg bietet. Es hat insbesondere die Rechtsverfolgung nicht in das summarische Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe verlagert, sondern ist der Sache nach zutreffend davon ausgegangen, dass sich die fehlenden Erfolgsaussichten auch ohne die Klärung schwieriger Rechts- und Tatsachenfragen ergeben. Die Klage ist danach mangels Klagebefugnis unzulässig. Die Klägerin kann aus den §§ 73 Abs. 2 Nr. 4, 74 BRAO keinen Anspruch auf Aufsichtsmaßnahmen oder eine ermessensfehlerfreie Entscheidung gegenüber der Beklagten herleiten. Die genannten Normen entfalten keine individualschützende Wirkung.
3
Auch dem Beschwerdevorbringen der Klägerin lassen sich weiterhin keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ihr der von ihr im Klageverfahren geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte auf ein Vorgehen gegen den Beigeladenen im Wege der Aufsicht zustehen kann. Für das Bestehen entsprechender subjektiver Rechte ist auch sonst nichts ersichtlich.
4
Subjektive Rechte vermitteln solche Normen, die nicht ausschließlich der Durchsetzung von Interessen der Allgemeinheit dienen, sondern zumindest auch dem Schutz individueller Rechte. In diesem Sinn drittschützend ist eine Norm, die das geschützte Recht sowie einen bestimmten und abgrenzbaren Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen lässt.
5
Vgl. BVerwG, Urteile vom 11.10.2016 – 2 C 11.15 –, BVerwGE 156, 180 = juris, Rn. 27, und vom 10.4.2008 – 7 C 39.07 –, BVerwGE 131, 129 = juris, Rn. 19; OVG NRW, Urteil vom 11.12.2019 – 4 A 738/18 –, juris, Rn. 45.
6
Vorliegend lässt sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus der allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO herleiten. Sie dient nicht dem Schutz individueller Rechte der Klägerin.
7
Gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO obliegt dem Vorstand einer Rechtsanwaltskammer, die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Hieraus erwächst der Klägerin als Dritter jedoch kein Anspruch gegen die Beklagte auf eine bestimmte Aufsichtsmaßnahme oder auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über ein etwaiges Einschreiten gegen ein Kammermitglied. Die standesrechtliche Aufsicht der Rechtsanwaltskammer über ihre Mitglieder dient nicht der Wahrung individueller Belange, sondern dem öffentlichen Interesse.
8
Vgl. BGH, Beschluss vom 7.7.2021 ‒ AnwZ 1/21 ‒, juris, Rn. 15, unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 20.10.1992 – 1 B 23.92 –, juris, Rn. 6.
9
An dieser Einschätzung ändert auch der Verweis der Klägerin auf die Verpflichtung der Beklagten zur Verhinderung bzw. Ahndung von Geldwäsche nichts. Weder dadurch, dass die Beklagte gemäß § 73b BRAO Verwaltungsbehörde für Ordnungswidrigkeiten nach § 56 Geldwäschegesetz (GwG) ist, noch aus der EU-Richtlinie 2015/849 ergeben sich Anhaltspunkte für das Bestehen subjektiver Rechte der Klägerin gegenüber der Beklagten auf ein Tätigwerden gegen den Beigeladenen. Von der Beklagten zu ahndende Ordnungswidrigkeiten des Beigeladenen nach § 56 GwG können sich aus der von der Klägerin beanstandeten Tätigkeit (Prozessvertretung des Ehemanns der Klägerin in einem Scheidungsprozess) nicht ergeben. Der Beigeladene ist insoweit schon nicht Verpflichteter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG (vgl. dazu auch Nr. 9 der Erwägungsgründe zu der Richtlinie (EU) 2015/849 vom 20.5.2015).
10
Da das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit nicht an die Zivil- oder Strafgerichtsbarkeit verwiesen, sondern ausschließlich einen Hinweis auf entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten erteilt hat, geht der Verweis der Klägerin auf eine „nachgewiesene, deutsche Rechtsstaatsfeindlichkeit“ schon deshalb ins Leere. Jedenfalls ergeben sich in der Rechtsordnung nicht vorgesehene subjektive Rechte der Klägerin gegenüber der Beklagten nicht schon daraus, dass der Europäische Gerichtshof Justizbehörden wie die deutschen Staatsanwaltschaften, die der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer von anderen Mitgliedstaaten zu vollstreckenden Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden, wegen ihrer fehlenden Unabhängigkeit nicht als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ansieht.
11
Vgl. EuGH, Urteil vom 27.5.2019 – C-508/18 und C-82/19 PPU –, ABl. EU 2019, Nr. C 263, 21 = juris, Rn. 44 ff., 88 ff.
12
Schließlich fehlt es an jedem Anhalt für einen möglichen subjektiven Anspruch der Klägerin auf „Auflösung der Beklagten und Überführung der dort angesiedelten Beträge des Versorgungswerks, sofern sie nicht geschädigten Mandanten aus anwaltlichen Straftaten zu überweisen sind, in die Kasse der gesetzlichen Rentenversicherung“, den sie erstmals im Beschwerdeverfahren hilfsweise geltend gemacht hat.
13
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
14
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.