Gewaltschutzverfahren: Nachweis tätlicher Bedrohung und des Tatbestands des Nachstellens durch einen Stalker

AG Marl, Beschluss vom 02. Februar 2016 – 36 F 21/16

Gewaltschutzverfahren: Nachweis tätlicher Bedrohung und des Tatbestands des „Nachstellens“ durch einen Stalker

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird verboten:

1. sich der Antragstellerin auf eine Entfernung von weniger als 50 Meter zu nähern.

2. Kontakt zu der Antragstellerin aufzunehmen, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln.

3. sich der Wohnung der Antragstellerin …….in ….. auf eine Entfernung von weniger als 50 Meter zu nähern.

4. die Antragstellerin zu beleidigen oder zu bedrohen.

II. Sollte es zu einem zufälligen Zusammentreffen kommen, ist der gebührende Abstand sofort wieder herzustellen.

III. Die vorstehende Anordnung wird befristet bis zum 31.01.2017.

IV. Für jeden Fall des Zuwiderhandelns gegen die vorstehende Anordnungen wird dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise für den Fall das dieses nicht beizutreiben ist, Ordnunghaft von bis zu 6 Monaten angedroht. Außerdem kann sich nach § 4 GewSchG strafbar machen, wer das hier ausgesprochene Verbot nicht beachtet. Es droht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

V. Die sofortige Wirksamkeit und die Zulässigkeit der Vollstreckung vor der Zustellung an den Antragsgegner werden angeordnet.

VI. Die Beteiligten werden darauf hingewiesen, dass diese Anordnung der zuständigen Polizeibehörde mitgeteilt wird (§ 260a FamFG).

VII. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

VIII. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.000,00 EUR bestimmt.

Gründe
1
Die Antragstellerin beantragt Maßnahmen gegen den Antragsgegner nach § 1 GewSchG zu verhängen.

2
Sie behauptet hierzu der Antragsgegner habe sie täglich angerufen, beschimpft und beleidigt. Zuletzt habe er sie anlässlich eines Telefongesprächs über Umgangskontakte mit dem gemeinsamen Sohn ….. am 01.01.2016 mit den Worten bedroht „ich bringe dich um“. Am 18.12.2015 habe der Antragsgegner ihren Vater in der Grundschule von …. körperlich attackiert, so dass ihr Vater die Polizei gerufen habe. Am 15.01.2016 habe sie einen Zusammenstoß mit dem PKW des Antragsgegners nur knapp verhindern können. Sie sei an diesem Tag mit ihrem PKW die Stichstraße von ihrem Wohnhaus ….. zur Hauptstraße, dem dem ….. gefahren. Plötzlich sei ihr der Antragsgegner mit seinem PKW rückwärts mit hoher Geschwindigkeit entgegengekommen. Sie habe eine Vollbremsung machen müssen, um nicht mit dem Antragsgegner zusammenzustoßen. Sodann sei der Antragsgegner ausgestiegen, habe sich zu ihr umgedreht und in ihre Richtung eine Geste gemacht, als wolle er der Antragstellerin die Kehle durchschneiden.

3
Der Antragsgegner bestreitet den Vortrag der Antragstellerin behauptet, er sei in die Stichstraße eingefahren, weil er seinen Sohn …..habe sehen wollen. Er sei mindestens 10 m vor dem PKW der Antragsgegnerin zum stehen gekommen.

4
Mit Vergleich vom 03.06.2015 hatten sich die Beteiligten in einem bereits unter dem Aktenzeichen Amtsgericht … … von der Antragstellerin anhängig gemachten Verfahren nach dem Gewaltsschutzgesetz darauf geeinigt, keinerlei persönlichen Kontakt mehr miteinander aufzunehmen. Davon ausgenommen waren Absprachen zur Durchführung von Umgangskontakten. Des Weiteren verpflichteten sich die Beteiligten wechselseitig sich der Wohnung des jeweils anderen Beteiligten nicht auf eine Entfernung von weniger als 50 m zu nähern. Einen Antrag der Antragstellerin auf Verhängung eines Ordnungsgeldes wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.08.2015 zurück.

5
Der Antrag der Antragstellerin auf Verhängung von Maßnahmen nach dem Gewaltsschutzgesetz ist gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 sowie Nr. 2 b Gewaltsschutzgesetz begründet. Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen, dass der Antragsgegner sie weiterhin unzumutbar belästigt und ihr gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt. Ebenso glaubhaft ist der Vortrag der Antragstellerin, der Antragsgegner habe sie am Telefon mit den Worten bedroht, er wolle sie bringen. Für ein derartiges Verhalten des Antragsgegners spricht der Vorfall vom 15.01.2015. Nach der glaubhaften Aussage des unbeteiligten Zeugen…. in der Sache Amtsgericht … … ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner mit hoher Geschwindigkeit rückwärts auf den ihm entgegenkommenden PKW der Antragsgegnerin zugefahren ist. Dabei musste der Antragsgegner mit einem Zusammenstoß der PKW rechnen. Dieser ist nach der überzeugenden Aussage des Zeugen …. nur knapp verhindert worden, in dem beide PKW nur wenige Zentimeter voneinander entfernt zum stehen gekommen sind. Darin liegt eine tätliche Bedrohung der Antragstellerin, deren Verletzung der Antragsgegner durch sein Verhalten billigend in Kauf genommen hat. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner behauptet hat, er sei mindestens 10 m vor der Antragstellerin zum stehen gekommen. Selbst wenn dies richtig wäre, hätte der Antragsgegner der Antragstellerin auf diese Weise im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 GewSchG nachgestellt. Darüber hinaus ist jedoch nach der Aussage des Zeugen …. davon auszugehen, dass der Antragsgegner die Antragstellerin durch sein Verhalten ernsthaft gefährdet hat. Denn das Fahrmanöver des Antragsgegners war immerhin so ungewöhnlich, dass der Zeuge … seine Wohnung verlassen und sich der Antragstellerin als Zeuge angeboten hat.

6
Dem Beweisantritt des Antragsgegners, die am … geborene gemeinsame Tochter der Beteiligten …. als weitere Zeugin für den Vorfall vom 15.01.2016 zu vernehmen, war nicht nachzugehen, weil die Antragstellerin dem widersprochen hat. Zwar ist davon auszugehen, dass die nunmehr zwölf Jahre alte …. die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 383 Nr. 3 ZPO versteht. Gleichwohl ist …. nicht in der Lage, die Bedeutung der Tragweite einer Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht zu erkennen, weil sie sich angesichts der massiven Sorge- und Umgangsstreitigkeiten der Beteiligten in einem erheblichen Loyalitätskonflikt befindet. So ist sie gegen den Willen der Antragstellerin in den Haushalt des Antragsgegners gewechselt und verweigert seit dieser Zeit den Kontakt mit der Antragstellerin. Eine Aussage in dem vorliegenden Rechtsstreit würde ….. in ihrer negativen Einstellung zu der Antragstellerin bestätigen und eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Mutter und Tochter zu einem späteren Zeitpunkt erschweren. Der Verzicht auf das Aussageverweigerungsrecht bedarf daher der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters, welche hier in der Person der mitsorgeberechtigten Antragstellerin nicht vorliegt.

7
Es war auch kein Ergänzungspfleger gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB zu bestellen, weil kein Interessengegensatz zwischen den Interessen von …. und der Antragstellerin besteht. Zwar hat Letztere ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Dieser wird jedoch nicht maßgeblich durch die Aussage der erheblich von dem Antragsgegner beeinflussten Tochter bestimmt, weil der von den Beteiligten unabhängige Zeuge …. den Vortrag der Antragstellerin bereits im Wesentlichen bestätigt hat. Die Antragstellerin hat sich vielmehr vorrangig im Interesse des Kindes gegen dessen Vernehmung gewandt. Diese widerspricht aus den vorgenannten Gründen objektiv dem Kindeswohl, weshalb von einer Pflegerbestellung abzusehen war.

8
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG. Es entspricht der Billigkeit dem Antragsgegner, der durch sein Verhalten Anlass zur Antragstellung gegeben hat, die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

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