Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verbot des Mitführens eines Blindenführhundes
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18
Tenor
Der Beschluss des Kammergerichts vom 16. April 2018 – 20 U 160/16 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Zutritts- und Durchgangsrecht der Beschwerdeführerin mit ihrem Blindenführhund durch Praxisräume einer Orthopädischen Gemeinschaftspraxis.
I.
2
1. Die Beschwerdeführerin befand sich bis zum 29. September 2014 in Behandlung in einer Physiotherapiepraxis. Diese Praxis befindet sich im selben Gebäude wie die im Ausgangsverfahren beklagte Orthopädische Gemeinschaftspraxis. Die Physiotherapiepraxis ist über zwei Wege zu erreichen, zum einen ebenerdig durch die Räumlichkeiten der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis und zum anderen über den Hof über eine offene Stahlgittertreppe. Vor dem Eingang des Gebäudes befindet sich ein Schild, das die beiden Wege in die Physiotherapiepraxis ausweist. Innerhalb der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis führt ein Weg durch das Wartezimmer zu einer Notausgangstür, auf der ein Schild mit der Beschriftung „Physiotherapie“ angebracht ist. Die Beschwerdeführerin hatte diesen Durchgang durch deren Räumlichkeiten bereits mehrfach mit ihrer Blindenführhündin genutzt.
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2. Am 8. September 2014 untersagten die Ärzte der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis der Beschwerdeführerin, die Praxisräume mit ihrem Blindenführhund zu betreten. Sie forderten sie auf, den Weg über den Hof und die Treppe zu nehmen. Als die Beschwerdeführerin am 29. September 2014 erneut die Praxisräume durchqueren wollte, verweigerten sie ihr den Durchgang.
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3. Die Beschwerdeführerin beantragte vor dem Landgericht Berlin, die Ärzte der Gemeinschaftspraxis zu verurteilen, den Durch- und Zugang der Beschwerdeführerin zusammen mit ihrer Blindenführhündin zu der Physiotherapiepraxis durch die Praxis-Räumlichkeiten der Gemeinschaftspraxis, beschränkt auf die jeweiligen Öffnungszeiten beider Praxen, zu dulden. Sie trug vor, ihre Führhündin könne die Stahlgittertreppe nicht nutzen. Die Hündin scheue die Treppe, weil sie sich mit ihren Krallen im Gitter verfangen und verletzt habe. Der Durchgang durch die Orthopädiepraxis stehe den Patienten der Physiotherapiepraxis offen, auch sei die Praxis ungehindert für Nichtpatienten zugänglich.
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Der Führhund sei ein gesetzlich anerkanntes Hilfsmittel. Ein Assistenzhund diene der Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse wie dem Recht auf selbstbestimmte Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Werde ein für „gewöhnliche“ Hunde geltendes Zutrittsverbot auch auf Assistenzhunde erstreckt, so stelle dies eine rechtswidrige mittelbare Diskriminierung nach § 3 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dar. Hygienische Bedenken reichten grundsätzlich nicht zur Rechtfertigung eines solchen Verbots aus. Auf der Website der Deutschen Krankenhausgesellschaft werde das Robert Koch-Institut (RKI) am 8. Februar 2012 wie folgt zitiert:
„Dem RKI sind in den letzten 16 Jahren niemals Berichte übermittelt oder sonst bekannt geworden, wonach Blindenführ- oder andere Therapiehunde in Krankenhäusern auf Rehabilitanden oder Personal Krankheitserreger übertragen haben. Abschließend weist das RKI darauf hin, dass Übertragungen von Krankheitserregern vom Hund auf den Menschen zwar denkbar seien, es sich in Deutschland jedoch um ein theoretisches Risiko handelt, das im Rahmen der Wahrnehmung von Rechten und den Bedürfnissen behinderter Menschen, normiert in § 10 SGB I, durch geeignete betriebsinterne Vorgaben […] beherrschbar ist.“
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4. Die Ärzte der Gemeinschaftspraxis beantragten, die Klage abzuweisen. Sie würden nur Patienten, deren Begleitpersonen sowie ihren Mitarbeitern und Lieferanten den Zutritt gestatten. In Einzelfällen sei eigenen Patienten die Durchquerung zur Physiotherapiepraxis erlaubt worden.
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5. Mit angegriffenem Urteil vom 7. November 2016 wies das Landgericht Berlin die Klage ab. Die zulässige Klage sei unbegründet. Es bestünden weder vertragliche Ansprüche noch solche aus den §§ 21, 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG.
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6. Auf die Berufung der Beschwerdeführerin gegen dieses Urteil erklärte das Kammergericht mit Hinweisbeschluss vom 12. Februar 2018 die Absicht, die Berufung zurückzuweisen, weil sie offensichtlich unbegründet sei. Die zulässige Berufung zeige weder Rechtsfehler des angegriffenen Urteils auf, noch rechtfertigten die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
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Der geltend gemachte Duldungsanspruch stehe der Beschwerdeführerin nicht zu. Zwar könne sich eine Duldungspflicht aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative, § 21 Abs. 1 Satz 1 AGG herleiten lassen. Dieser Anspruch greife aber im Ergebnis nicht durch.
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Der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots des § 19 AGG dürfe grundsätzlich eröffnet sein. Die Beschwerdeführerin habe ihre Behandlung in der Physiotherapiepraxis entgegen ihrem Wunsch bisher nicht wiederaufgenommen, weil ihr der Zugang zu der Orthopädiepraxis versagt werde, wenn sie ihre Hündin mitnehme. Diese Einschränkung der Zugangsmöglichkeit zu der Praxis stelle eine Erschwernis hinsichtlich der Wiederaufnahme ihrer physiotherapeutischen Behandlung und damit eine Benachteiligung im Sinne des § 19 AGG dar. Die ihr jedenfalls erschwerte Wiederaufnahme betreffe einen einem „Massengeschäft“ im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative AGG ähnlichen Vertrag. Eine physiotherapeutische Behandlung werde, im Rahmen der Kapazitäten, grundsätzlich jedem Patienten ohne individuelle, vielfältige Kriterien berücksichtigende Auswahl zur Verfügung gestellt.
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Die in der Untersagung ihres Durchgangs durch die Praxisräume in Begleitung ihrer Blindenführhündin liegende Benachteiligung der Beschwerdeführerin sei jedoch nicht von § 19 Abs. 1 AGG erfasst, weil es sich weder um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG noch um eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG handele. Selbst wenn die Ärzte der Gemeinschaftspraxis Patienten der Physiotherapiepraxis generell den Durchgang durch ihre Praxisräume gewährten, stehe der Beschwerdeführerin der Duldungsanspruch nicht zu. Eine unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG scheide aus, weil die Beschwerdeführerin selbst nicht daran gehindert werde, die Praxisräume zu durchqueren, sondern sich wegen des Verbots der Mitführung ihrer Führhündin daran gehindert sehe. Für das Verbot seien „hygienische Gründe“ angegeben worden, die mit der Behinderung der Beschwerdeführerin nichts zu tun hätten und auch nicht „vorgeschoben“ seien.
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Eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG liege ebenfalls nicht vor. Sie sei dadurch gekennzeichnet, dass eine unterschiedliche Behandlung nicht aufgrund eines Merkmals gemäß § 1 AGG, beispielsweise wegen einer Behinderung, sondern als rein tatsächliche Folge der aus anderen Gründen getroffenen Entscheidung eintrete, ohne dass es einer Diskriminierungsabsicht bedürfe, es sei denn, die die Benachteiligung auslösenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren seien durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
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Gemessen an diesen Kriterien sei ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht feststellbar. Die Beschwerdeführerin werde – die Richtigkeit ihres Vortrags unterstellt – benachteiligt, weil sie sich im Gegensatz zu anderen Patienten der Physiotherapiepraxis an der Durchquerung der Praxisräume der Beklagten dadurch gehindert sehe, dass ihr untersagt worden sei, die Praxis mit ihrer Führhündin zu betreten, die sie für ihre Mobilität benötige. Grund für die unterschiedliche Behandlung sei also nicht ihre Blindheit, sondern die Vorgabe der Ärzte, sie dürfe ihren Hund nicht in die Praxis bringen. Diese Vorgabe sei sachlich gerechtfertigt im Sinne des § 3 Abs. 2 2. Halbsatz AGG. Dem Durchgangsverbot lägen „hygienische Gründe“ zugrunde. Die Wahrung einer möglichst umfassenden Hygiene in einer Arztpraxis entspreche einem berechtigten Ziel der Inhaber dieser Praxis. Diese Hygiene diene nicht nur der Vermeidung von Infektionen, sondern darüber hinaus dem wirtschaftlichen Interesse der beklagten Ärzte, dass die Praxis bei den Patienten einen möglichst sauberen, ja „sterilen“ Eindruck erwecke, der deren Vertrauen in einen einwandfreien Praxisbetrieb stärke.
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Die Untersagung, die Praxis unter Mitführung des Hundes zu durchqueren, sei eine Maßnahme, die zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen, mithin verhältnismäßig sei. Die Geeignetheit stehe außer Frage. Die Erforderlichkeit sei zu bejahen, weil selbst ein gepflegter Hund die Sauberkeit der Räume beeinträchtigen könne, sei es durch mitgetragenen Schmutz oder Feuchtigkeit, Haarverlust oder Parasitenbefall. Das Verbot sei auch angemessen. Es erweise sich nicht als so einschneidend für die Beschwerdeführerin, dass das mit ihm verfolgte Ziel hinter ihre berechtigten Interessen zurücktreten müsse. Der Beschwerdeführerin werde nicht die Option genommen, sich überhaupt in der von ihr bevorzugten physiotherapeutischen Praxis behandeln zu lassen. Zum einen bleibe ihr die Möglichkeit, den weiteren Eingang zu der Praxis über die Außentreppe zu nehmen. Zum anderen sei es ihr möglich, ihren Hund am Fuß der Treppe anzuketten und die sechs Stufen mit Hilfe des Geländers allein zu überwinden. Sie könne, wie von den beklagten Ärzten vorgeschlagen, den Hund auch vor der dortigen Praxis zurücklassen und sich von deren Mitarbeitern in die Physiotherapiepraxis begleiten lassen.
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7. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. April 2018, zugegangen am 27. April 2018, wies das Kammergericht die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin unter Verweis auf seinen Hinweisbeschluss zurück.
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Mit Blick auf die Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum Hinweisbeschluss sah sich das Gericht zu einigen Ergänzungen veranlasst: Die Beschwerdeführerin sehe ihren Vortrag nicht berücksichtigt, dass die Ärzte der Gemeinschaftspraxis selbst ihr als deren frühere Patientin die benachbarte Physiotherapiepraxis empfohlen und den Weg durch die Durchgangstür vorgeschlagen hätten, den sie dann mehrere Wochen lang regelmäßig mit ihrer Führhündin genommen habe. Hierdurch sei allerdings ein Vertrag zwischen ihr und den beklagten Ärzten nicht zustande gekommen. Selbst wenn der Wegweiser als Angebot zum Abschluss eines Vertrages über die Nutzung der Praxisräume als Zugang zur Nachbarpraxis aufzufassen wäre, so beinhalte diese Erklärung nicht, dass der Durchgang unter Mitführung von Tieren gestattet werde.
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Soweit die Beschwerdeführerin bemängele, die Ärzte hätten keine konkreten „hygienischen Gründe“ dargelegt, überspanne sie die Anforderungen. „Hygienische Gründe“ seien im Zusammenhang mit dem Verbringen eines Tieres in eine bestimmte Räumlichkeit nach allgemeinem Verständnis als Sammelbegriff für alle in Betracht zu ziehenden körperlich unangenehmen oder gesundheitlich beeinträchtigenden Auswirkungen des Tieres auf anwesende Menschen zu verstehen. Soweit die Beschwerdeführerin nachfolgend im Einzelnen – durchaus nachvollziehbar – darlege und begründe, dass unter dem Gesichtspunkt „hygienischer Gründe“ keine konkrete Gefahr von ihrer Hündin ausgehe, verkenne sie, dass ein berechtigtes Ziel der Praxis bereits darin bestehe, gegenüber ihren Patienten den Eindruck möglicherweise nicht uneingeschränkt reinlicher und auf deren körperliches Wohlbefinden ausgerichteter Zustände zu vermeiden. Es sei legitim, dass die Ärzte ihre Praxis keinem „Makel“ aussetzen wollten.
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Da die Beschwerdeführerin inzwischen für ihre Fortbewegung auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sei, sei es ihr nunmehr zwar nicht mehr möglich, die Praxis der Physiotherapeuten über die Außentreppe zu betreten. Es erweise sich aus den übrigen in dem Hinweisbeschluss ausgeführten Gründen dennoch nicht als unverhältnismäßig, dass die beklagten Ärzte von ihr verlangten, den Weg durch ihre Praxis ohne die Führhündin zurückzulegen. Hierbei sei das auf die Berufs- und die allgemeine Handlungsfreiheit zurückzuführende Recht der Ärzte zu berücksichtigen, ihre Praxis nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, des Wettbewerbs und der Privatautonomie entsprechend ihren Vorstellungen zu betreiben. Ihre grundsätzliche Freiheit der Entscheidung, welche Personen sie unter welchen Bedingungen ihre Praxis betreten lassen, erfahre insbesondere insofern keine Einschränkung, als die Beschwerdeführerin mit ihnen – wie gezeigt – in keinen Vertrags- oder Vorvertragsbeziehungen stehe. Auf Seiten der Beschwerdeführerin sei neben ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit und ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit das ihre Behinderung betreffende Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG zu beachten. Gemäß Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention (im Folgenden: BRK) habe sie zudem das Recht, sich gleichberechtigt in einer Praxis ihrer Wahl physiotherapeutisch behandeln zu lassen.
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Unter Abwägung dieser Rechtspositionen sei es als zumutbar zu betrachten, dass die Beschwerdeführerin die Hündin für die Dauer der Behandlung vor den Praxisräumen der Beklagten zurücklasse. Sie selbst könne in beiden Praxen auch ohne ihre Hündin Begleitung und Unterstützung erwarten. Soweit sie eine Diebstahls- oder Schädigungsgefahr betreffend den Hund befürchte, sei ihr zuzumuten, diesen in geeigneter Weise – etwa durch ein Geschirr mit Kette und einem Schloss oder die Herbeiführung einer Beaufsichtigung – zu schützen.
II.
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1. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. November 2016 und den Beschluss des Kammergerichts vom 16. April 2018. Sie rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.
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Die angegriffenen Entscheidungen verletzten sie in ihrem Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, weil sie durch das Verbot, ihre Blindenführhündin bei dem Durchqueren der Orthopädiepraxis mitzunehmen, daran gehindert werde, uneingeschränkt an Sozialleistungen teilzuhaben. Die Verweigerung des Durchgangs stelle zudem eine Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG dar. Die Begründung der Gemeinschaftspraxis sei sachlich nicht zutreffend. Das Kammergericht verkenne, dass ein Blindenführhund ein erforderliches Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V sei; ein solches müsse sie überall bei sich führen dürfen. Es müsse in die Betrachtung einbezogen werden, dass es sich um besonders gut ausgebildete und gepflegte Hunde mit besonderer Aufgabe handele. Der Ausschluss der Nutzung des Blindenführhundes in Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge wegen hygienischer Mängel sei überholt. Führhunde seien auch in Krankenhäusern zugelassen. Da es kein gesetzliches Verbot in Bezug auf die Mitnahme eines Führhundes gebe und laut einem Gutachten der Freien Universität Berlin auch keine medizinisch-hygienischen Bedenken dagegensprächen, dürfe einem Führhundgespann der Zutritt zu einer Arztpraxis nicht verweigert werden. Führhunde würden sehbehinderten Menschen helfen, den Alltag selbständig zu gestalten und unabhängig zu sein. Eine blinde Person sei nicht nur für ihre Bewegungsfreiheit auf den Führhund angewiesen, sondern stelle mit diesem eine Einheit dar, die die Voraussetzung dafür sei, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und einigermaßen sicher zu fühlen. Der Hund könne nicht ohne Aufsicht an fremden Orten in der Öffentlichkeit angebunden werden. Es erscheine unzumutbar, ihr die Gefahr des Verlustes oder der Verletzung ihrer Hündin zuzumuten. Durcheine grundrechtsorientierte Auslegung und Anwendung des Rechts müssten die Fachgerichte ihre Schutzpflichten gegenüber behinderten Menschen erfüllen. Das AGG verbiete Privaten Diskriminierungen. Bei seiner Auslegung seien die besonderen Gleichheitsrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Bedeutung heranzuziehen.
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2. Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in Berlin hat von einer Stellungnahme abgesehen.
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3. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2019 Stellung genommen.
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Im vorliegenden Fall könne von einer unmittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung ausgegangen werden. Eine solche sei anzunehmen, weil das Mitnahmeverbot von Führhunden aufs Engste mit den rechtlichen und biologischen Umständen der Behinderung verbunden sei und daher einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Behinderung besonders nahekomme (unter Bezug auf BVerfGE 132, 72).
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Die Tatbestandsvoraussetzungen einer mittelbaren Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 2 AGG beziehungsweise Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG seien ebenfalls erfüllt. Das neutral formulierte Mitnahmeverbot könne Menschen mit einer Sehbehinderung wegen der Angewiesenheit auf ihren Führhund gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen. Mit Rücksicht auf die Ausstrahlungswirkung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sei die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich nach Maßgabe der verfügbaren finanziellen, personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten zu gewährleisten. Das AGG sei zudem im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention auszulegen. Danach dürften nach dem AGG verpflichtete Personen Menschen mit Behinderungen eine Teilhabe aus sachlichen Gründen nicht verwehren, wenn sie die der Teilhabe entgegenstehenden Hindernisse durch zumutbare Anstrengungen beseitigen können (unter Verweis auf BAGE 147, 60 <77>).
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Das ausnahmslose Mitnahmeverbot sei weder erforderlich noch angemessen. Die befürchteten Infektionsrisiken könnten entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit geringem Aufwand weitestgehend ausgeschlossen werden. Gleiches gelte für potentielle negative Reaktionen auf einen Blindenführhund seitens der im Wartezimmeranwesenden Personen. Ein Aushang der Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft könne deren Vorurteile zu möglichen Ansteckungsgefahren ausräumen. Es erscheine überdies bedenklich, wenn derartige Vorurteile eines „Makels“ mit der ausnahmslosen Durchsetzung des Hundeverbots perpetuiert würden. Die vom Kammergericht anerkannten Vorbehalte der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis könnten dazu beitragen, dass die Akzeptanz der gleichberechtigten Teilhabe von sehbehinderten Menschen sinke. Das Teilhabeinteresse der auf einen Blindenführhund angewiesenen Personen überwiege das Interesse der Arztpraxis insbesondere unter Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Ziele der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Die Beschwerdeführerin werde rechtswidrig benachteiligt.
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4. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie sich gegen den Beschluss des Kammergerichts vom 16. April 2018 – 20 U 160/16 – richtet, gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise zulässig und – in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) – insoweit auch offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Kammergerichts richtet. Im Übrigen ist sie unzulässig und wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin wendet, ist die Verfassungsbeschwerde wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Kammergericht hat in vollem Umfang und unter Auswechslung der Begründung über den Streitgegenstandentschieden. Damit ist das vorhergehende Urteil des Landgerichts prozessual überholt (vgl. BVerfGE 139, 245 <263 Rn. 51 f.>; 149, 293 <317 Rn. 60>).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, auch offensichtlich begründet. Der Beschluss des Kammergerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Bei der Auslegung der einschlägigen Vorschiften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat das Kammergericht die Tragweite des besonderen Gleichheitsrechts und seine Ausstrahlungswirkung auf das bürgerliche Recht nicht hinreichend berücksichtigt und Bedeutung und Tragweite des Grundrechts verkannt. Die Entscheidung führt zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Beschwerdeführerin wegen ihrer Behinderung.
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a) aa) Beurteilungsmaßstab der Verfassungsbeschwerde sind die Grundrechte des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht prüft das innerstaatliche Recht und dessen Anwendung grundsätzlich jedenfalls dann am Maßstab der deutschen Grundrechte, wenn es im Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, durch dieses aber nicht vollständig determiniert ist (vgl. Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 42, 49).
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Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz dient der Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinien der Europäischen Union, wobei hier insbesondere die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (sog. Anti-Rassismusrichtlinie, ABl EU Nr. L 180 vom 19. Juli 2000, S. 22) und die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (sog. Rahmenrichtlinie, ABl EU Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000, S. 16) einschlägig sind. Lediglich die Anti-Rassismusrichtlinie sieht ein Verbot der Diskriminierung bei dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, vor (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchstabe h RL 2000/43/EG). Die Rahmenrichtlinie umfasst demgegenüber unter anderem das Merkmal der Behinderung, beschränkt sich aber auf das Verbot von Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf (vgl. Art. 1 und Art. 3 RL 2000/78/EG). Mit der Einbeziehung des Merkmals der Behinderung in das – nach dem Unionsrecht auf die Merkmale Rasse oder ethnische Herkunft beschränkte – zivilrechtliche Benachteiligungsverbot in § 19 AGG, den das Kammergericht hier zugrunde gelegt hat, ist der deutsche Gesetzgeber mithin über die unionsrechtlichen Vorgaben hinausgegangen und hat eine für die Betroffenen günstigere Regelung geschaffen (vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, GG, Stand August 2019, Art. 3 Abs. 3, Rn. 77 f.).
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bb) Entscheidungen der allgemein zuständigen Gerichte sind nicht schlechthin einer verfassungsgerichtlichen Prüfung zugänglich. Die Rüge der Beschwerdeführerin betrifft primär die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Diese sind in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das hier nicht gerügte Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>). In zivilrechtlichen Streitigkeiten haben die Grundrechte als objektive Grundsatznormen Ausstrahlungswirkung, die vor allem bei der Interpretation von Generalklauseln und anderen auslegungsfähigen und wertungsbedürftigen Normen zur Geltung zu bringen ist (vgl. BVerfGE 7, 198 <204 ff.>; 42, 143 <148>; 81, 40 <52>). Kollidierende Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 76 m.w.N.).
35
cc) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden; eine Schlechterstellung von Menschen mit Behinderungen ist nur zulässig, wenn dafür zwingende Gründe vorliegen (vgl. BVerfGE 99, 341 <357>). Untersagt sind auf die Behinderung bezogene Ungleichbehandlungen, die für den behinderten Menschen zu einem Nachteil führen. Eine nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbotene Benachteiligung liegt nicht nur bei Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen der Behinderung verschlechtern. Eine Benachteiligung kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein, wenn dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird (vgl. BVerfGE 96, 288 <302 f.>; 128, 138 <156>; Beschluss des Zweiten Senats vom 29. Januar 2019 – 2 BvC 62/14 -, Rn. 55). Untersagt sind alle Ungleichbehandlungen, die für Menschen mit Behinderungen zu einem Nachteil führen. Erfasst werden auch mittelbare Benachteiligungen, bei denen sich der Ausschluss von Betätigungsmöglichkeiten nicht als Ziel, sondern als Nebenfolge einer Maßnahme darstellt (vgl. Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Abs. 3, Rn. 537; Nußberger, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3, Rn. 311). Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beinhaltet außer einem Benachteiligungsverbot auch einen Förderauftrag. Er vermittelt einen Anspruch auf die Ermöglichung gleichberechtigter Teilhabe nach Maßgabe der verfügbaren finanziellen, personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten (vgl. BVerfGE 96, 288 <308>; Beschluss des Zweiten Senats vom 29. Januar 2019 – 2 BvC 62/14 -, Rn. 56 m.w.N.).
36
dd) In der Literatur wird Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ein Paradigmenwechsel entnommen: Der tradierte sozialstaatlich-rehabilitative Umgang mit behinderten Menschen durch Fürsorge, die das Risiko der Entmündigung und Bevormundung in sich trage, werde durch einen Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung ersetzt. Es werde nicht nur die benachteiligte Minderheit angesprochen, sondern auch die Mehrheitsgesellschaft in die Verantwortung genommen (vgl. Baer/Markard, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Abs. 3, Rn. 534, jeweils m.w.N.).
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ee) Das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist Grundrecht und zugleich objektive Wertentscheidung. Aus ihm folgt – über das sich aus dem Wortlaut unmittelbar ergebende Verbot der Benachteiligung hinaus – im Zusammenwirken mit speziellen Freiheitsrechten, dass der Staat eine besondere Verantwortung für behinderte Menschen trägt (vgl. BVerfGE 96, 288 <303 f.>). Nach dem Willen des Verfassungsgebers fließt das Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen als Teil der objektiven Wertordnung auch in die Auslegung des Zivilrechts ein (vgl. BVerfGE 99, 341 <356>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. März 2000 – 1 BvR 1460/99 -, Rn. 20; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2016 – 1 BvR 2012/13 -, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juni 2016 – 1 BvR 742/16 -, Rn. 10; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2017 – 1 BvR 2710/16 -, Rn. 2).
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Das Benachteiligungsverbot wirkt sich insbesondere bei der Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln (vgl. BVerfGE 99, 341 <356>), bei der Bestimmung von Verkehrssicherungspflichten und des Mitverschuldens (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2016 – 1 BvR 2012/13 -, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juni 2016 – 1 BvR 742/16 -, Rn. 10) oder des als üblich Hinzunehmenden aus (vgl. Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Abs. 3, Rn. 538 m.w.N.). So ist beispielsweise das Nutzungsrecht des Mieters, auch wenn dessen behinderter Angehöriger oder Lebensgefährte nicht Partei des Mietvertrags ist, durch die Grundentscheidung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG mitgeprägt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. März 2000 – 1 BvR 1460/99 -, Rn. 20). Das Benachteiligungsverbot führt dazu, dass im nachbarlichen Zusammenleben mit behinderten Menschen ein erhöhtes Maß an Toleranzbereitschaft zu fordern ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Juni 2000 – 14 U 19/99 -, Rn. 23). So sind etwa Ausnahmen von einem Hundehaltungsverbot in einer Wohnungseigentumsgemeinschaft geboten, wenn der Hund der Stabilisierung des seelischen Gleichgewichts und der Besserung des Gesundheitszustandes einer behinderten Person förderlich ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2001 – 2 ZZ BR 81/01 -, Rn. 20).
39
ff) Das Recht auf persönliche Mobilität aus Art. 20 BRK ist bei der Auslegung zivilrechtlicher Normen ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2017 – 1 BvR 2710/16 -, Rn. 2). Nach Art. 20 Buchstabe b BRK treffen die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter anderem ihren Zugang zu tierischer Hilfe erleichtern.
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Völkervertragliche Bindungen haben innerstaatlich zwar nicht den Rang von Verfassungsrecht (vgl. für die EMRK BVerfGE 111, 307 <317>). Der UN-Behindertenrechtskonvention hat der Bundesgesetzgebermittels förmlichen Gesetzes gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht sie damit im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 141, 1 <19 Rn. 45>; 142, 313 <345 Rn. 88>; 149, 293 <329 f. Rn. 90>). Gleichwohl besitzt sie verfassungsrechtliche Bedeutung als Auslegungshilfe für die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 142, 313 <345 Rn. 88>). Ihre Heranziehung ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, das einer Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in inter- und supranationale Zusammenhänge sowie deren Weiterentwicklung nicht entgegensteht, sondern diese voraussetzt und erwartet. Deutsche Rechtsvorschriften sind nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 141, 1 <27 Rn. 65>).
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b) Nach diesen Maßstäben verkennt die angegriffene Entscheidung die Bedeutung und Tragweite des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, weil sie dessen Ausstrahlungswirkung in das Zivilrecht nicht berücksichtigt. Indem das Kammergericht davon ausgeht, die Benachteiligung der Beschwerdeführerin sei nicht von § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG erfasst, weil es sich weder um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG noch um eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG handele, hat es das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nicht im Lichte des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ausgelegt. Ob eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Behinderung vorliegt, wofür – wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ausführt – die enge Verbindung zwischen einer blinden Person und ihrem Führhund sprechen könnte, kann dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich bei dem Durchgangsverbot, wenn § 3 Abs. 2 AGG im Lichte des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ausgelegt wird, um eine mittelbare und nicht gerechtfertigte Benachteiligung der Beschwerdeführerin.
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aa) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften Personen wegen ihrer Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das scheinbar neutrale Verbot, Hunde in die Orthopädische Gemeinschaftspraxis mitzuführen, benachteiligt die Beschwerdeführerin wegen ihrer Sehbehinderung in besonderem Maße. Denn das Durchgangsverbot verwehrt es ihr, die Praxisräume selbständig zu durchqueren, was sehenden Personen ohne Weiteres möglich ist. Das Kammergericht stellt darauf ab, dass die Beschwerdeführerin selbst gar nicht daran gehindert werde, durch die Praxisräume zu gehen, sondern sich wegen des Verbots, ihre Führhündin mitzunehmen, nur daran gehindert sehe. Hierbei beachtet es nicht den Paradigmenwechsel, den Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG mit sich gebracht hat. Denn es vergleicht die Beschwerdeführerin nicht mit anderen – nicht behinderten – selbständigen Personen, sondern erwartet von ihr, sich von anderen Personen helfen zu lassen und sich damit von ihnen abhängig zu machen. Dabei verkennt das Gericht, dass sich die Beschwerdeführerin ohne ihre Führhündin einer unbekannten oder wenig bekannten Person anvertrauen und sich, ohne dies zu wünschen, anfassen und führen oder im Rollstuhl schieben lassen müsste. Dies kommt einer – überholten – Bevormundung der Beschwerdeführerin gleich, weil es voraussetzt, dass diese die Kontrolle über ihre persönliche Sphäre (zeitweise) aufgibt.
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bb) Die Benachteiligung ist unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt. Das Kammergericht hält die Benachteiligung der Beschwerdeführerin für sachlich begründet, weil die Ärzte „hygienische Gründe“ geltend gemacht haben. Dabei differenziert es nicht zwischen dem generellen Verbot des Mitbringens von Tieren in die Praxis und dessen Anwendung auf die Beschwerdeführerin und deren Blindenführhündin. Es ist bereits zweifelhaft, ob hygienische Gründe, die gegen das Mitbringen von Tieren in eine Arztpraxis angeführt werden mögen, mit Blick auf das – gelegentliche – Mitführen eines Blindenführhundes einen sachgerechten Grund für das Durchgangsverbot darstellen können. Zwar geht das Kammergericht selbst davon aus, dass eine Infektionsgefahr zu vernachlässigen sei. Dennoch nimmt es an, auch ein gepflegter Hund könne die Sauberkeit der Praxisräume beeinträchtigen, sei es durch Schmutz oder Feuchtigkeit, Haarverlust oder Parasitenbefall. Dabei lässt es außer Acht, dass es sich bei dem Raum, den die Beschwerdeführerin durchqueren muss, um einen Wartebereich handelt, den Menschen mit Straßenschuhen und in Straßenkleidung betreten oder unter Umständen in einem Rollstuhl aufsuchen müssen. Deshalb ist es eher fernliegend, davon auszugehen, dass der Führhund der Beschwerdeführerin beim gelegentlichen Durchqueren des Warteraums zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der hygienischen Verhältnisse in der Praxis führen könnte.
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Soweit das Gericht darauf abstellt, dass ein berechtigtes Ziel einer ärztlichen Praxis bereits darin bestehe, gegenüber ihren Patienten den Eindruck nicht uneingeschränkt reinlicher und auf deren körperliches Wohlbefinden ausgerichteter Zustände zu vermeiden, beziehungsweise dass es legitim sei, dass die Ärzte ihre Praxis keinem „Makel“ aussetzen wollten, vermag diese Überlegung möglicherweise ebenfalls ein generelles Mitnahmeverbot von Tieren in die Praxis zu begründen. Da aber die Beschwerdeführerin – für alle anderen Patienten sichtbar – beim Durchqueren des Warteraums auf ihren Führhund angewiesen ist, ist schon nicht nachvollziehbar, inwieweit die Praxis durch das Zulassen dieser Handlung in den Verdacht unreinlicher Verhältnisse oder eines „Makels“ geraten könnte.
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cc) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt das Kammergericht die Bedeutung und Tragweite des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht hinreichend.
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Das Durchgangsverbot ist bereits nicht erforderlich, um einer – zu vernachlässigenden – Infektionsgefahr in der Orthopädiepraxis vorzubeugen. Das Kammergericht verkennt, dass – wie die Beschwerdeführerin bereits im Berufungsverfahren vorgetragen hat – sowohl das Robert Koch-Institut als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft davon ausgehen, dass aus hygienischer Sicht in der Regel keine Einwände gegen die Mitnahme von Blindenführhunden in Praxen und Krankenhausräume bestehen (vgl. Rundschreiben Nr. 52/2012 der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 7. Februar 2012). Bedenken gegen diese Einschätzung sind im Ausgangsverfahren weder vorgetragen worden, noch sind sie ansonsten ersichtlich.
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Bei der Prüfung der Angemessenheit des Durchgangsverbots sind die auf Seiten der Ärzte betroffenen Interessen – die Berufsausübungsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit in Form der Privatautonomie – gegen das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geschützte Recht der Beschwerdeführerin, nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt zu werden, gegeneinander abzuwägen. Während die wirtschaftlichen Interessen der im Ausgangsverfahren beklagten Ärzte bei einer Duldung des Durchquerens der Praxis mit Führhund schon wegen der kurzen Dauer von dessen Anwesenheit, wenn überhaupt, dann lediglich in geringem Maße beeinträchtigt werden, bringt das Durchgangsverbot erhebliche Nachteile für die Beschwerdeführerin. Das Verbot macht es ihr unmöglich, sich, wie jede nicht behinderte Person auch, selbständig und ohne fremde Hilfe in die von ihr bevorzugte Physiotherapiepraxis zu gelangen und sich dort behandeln zu lassen. Das Kammergericht verkennt offenkundig, dass das Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG es Menschen mit Behinderungen ermöglichen soll, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben zu führen. Das Benachteiligungsverbot untersagt es, behinderte Menschen von Betätigungen auszuschließen, die nicht Behinderten offenstehen, wenn nicht zwingende Gründe für einen solchen Ausschluss vorliegen. Dieser Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt das auch in Art. 1 und Art. 3 Buchstabe a und c BRK zum Ausdruck kommende Ziel zugrunde, die individuelle Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie die Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderungen zu achten und ihnen die volle und wirksame Teilhabe an der und die Einbeziehung in die Gesellschaft zu gewährleisten. Mit diesem Ziel und dem dahinterstehenden Menschenbild ist es nicht vereinbar, die Beschwerdeführerin darauf zu verweisen, ihren Führhund vor der Praxis anzuketten und sich von der Hilfe ihr fremder oder wenig bekannter Personen abhängig zu machen. Deshalb müssen die Interessen der Ärzte hinter dem Recht der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zurückstehen. Das Durchgangsverbot ist unverhältnismäßig und benachteiligt die Beschwerdeführerin in verfassungswidriger Weise.
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3. Danach kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin auch in dem von ihr gerügten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt ist.
IV.
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1. Die angegriffene Entscheidung ist gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückzuverweisen.
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2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.