Arbeitsplatzverlust von Berufskraftfahrer infolge Verkehrsverstosses bei 16 Punkten kann Verhängung einer Sperrzeit rechtfertigen

Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 11.05.2011 – L 2 AL 55/08

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Kündigungsschutzrecht, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Arbeitnehmer, der als Kraftfahrer tätig ist, grundsätzlich die fristlose Kündigung rechtfertigen kann, weil der Arbeitnehmer dadurch seine Arbeitspflicht vorübergehend nicht mehr erfüllen kann und darf. Dies gilt auch dann, wenn die Entziehung des Führerscheins, etwa wegen Trunkenheit im Verkehr, bei einer außerhalb der Arbeitszeit durchgeführten Privatfahrt erfolgt. Allerdings müssen auch in einem solchen Fall alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel (z. B. Abmahnung, Versetzung, einverständliche Abänderung des Vertrages, außerordentliche Änderungskündigung oder ordentliche Kündigung) erschöpft sein, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen (Rn.19).

Der in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F. formulierte Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nur auf die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit, nicht auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten selbst. Der Berufskraftfahrer, der bekannt ist, dass er im Verkehrszentralregister bereits einen Punktestand von 16 Punkten erreicht hat und mithin jeder weitere Verkehrsverstoss zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen kann, handelt grob fahrlässig i. S. v. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F., wenn er einen solchen Verkehrsverstoss begeht (Rn.20).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

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Streitig ist, ob der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer 12-wöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 6. November 2004 bis 28. Januar 2005 ruhte, die Anspruchsdauer der Leistung um 151 Tage zu mindern und die Kranken- und Pflegeversicherung auf die Zeit vom 6. Dezember 2004 bis 28. Januar 2005 zu beschränken war.

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Der 1955 geborene Kläger ist Berufskraftfahrer. Er war in diesem Beruf mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit und Krankheit bei verschiedenen Arbeitgebern versicherungspflichtig beschäftigt; zuletzt vom 1. März 2004 bis 8. November 2004 bei der Firma K., Inhaberin L. S. in H … In § 20 des Arbeitsvertrages vom 20. Februar 2004 war u.a. vereinbart, dass dem als Kraftfahrer tätigen Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden könne, wenn er durch behördliche oder gerichtliche Anordnung einstweilen oder endgültig die Fahrerlaubnis verliere oder durch Tätigkeiten während der Fahrt Fahrzeug und Ladung sowie andere Verkehrsteilnehmer fahrlässig gefährde; im Übrigen bleibe § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unberührt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch fristlose Kündigung der Arbeitgeberin am 8. November 2004, nachdem der Kläger am 2. Juni 2004 in B. eine rote Ampel überfahren hatte, ihm daraufhin wegen Überschreitung der Höchstpunktzahl im Verkehrszentralregister mit Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde vom 2. November 2004 die Fahrerlaubnis entzogen worden war und der Kläger die Arbeitgeberin am 5. November 2004 hiervon in Kenntnis gesetzt hatte. Der Entziehung der Fahrerlaubnis waren zahlreiche Verkehrsverstöße des Klägers vorausgegangen; wegen der Einzelheiten wird insoweit zunächst auf das Schreiben der für den Kläger zuständigen Fahrerlaubnisbehörde (Landesbetrieb Verkehr, Führerscheinstelle Hamburg -M.) vom 29. März 2011 und die diesem Schreiben beigefügten Anlagen Bezug genommen.

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Am 9. November 2004 meldete sich der Kläger persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 23. November 2004 verfügte die Beklagte, dass der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer 12-wöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 6. November 2004 bis 28. Januar 2005 ruhe, die Anspruchsdauer der Leistung um 151 Tage zu mindern und die Kranken- und Pflegeversicherung auf die Zeit vom 6. Dezember 2004 bis 28. Januar 2005 zu beschränken sei. Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die Kündigung sei nicht erforderlich gewesen, da bei der Arbeitgeberin anderweitige Einsatzmöglichkeiten bestanden hätten. Nachdem die Firma K. mit Schreiben vom 18. Mai 2005 mitgeteilt hatte, dass sie den Kläger nur als Fahrer einsetzen könne und keine Möglichkeit eines anderen Einsatzes bestehe, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2005 zurück.

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Der Kläger hat am 18. August 2005 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass im vorliegenden Fall keine verhaltens-, sondern eine personenbedingte Kündigung vorliege, die eine Sperrzeit nicht auszulösen geeignet sei. Selbst bei einer verhaltensbedingten Kündigung komme keine Sperrzeit in Betracht, weil die letzte Eintragung im Verkehrszentralregister, die allein zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt habe, nicht auf grob fahrlässiges Verhalten des Klägers zurückzuführen sei. Das Sozialgericht hat nach Einholung von Auskünften der Firma K. vom 7. und 27. März 2006, mit denen unter anderem erneut mitgeteilt wurde, dass für den Kläger keine andere Beschäftigungsmöglichkeit bestanden habe, die Klage mit Urteil vom 23. Juli 2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bewirkt. Er habe sich arbeitsvertragswidrig verhalten, weil er seine Tätigkeit als Fahrer durch Überfahren einer roten Ampel unsorgfältig ausgeübt und außerdem seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt habe, jedes Verhalten zu unterlassen, das die Grundlage für die Erfüllung seines Arbeitsvertrages (hier: Besitz der Fahrerlaubnis) beseitige (Hinweis auf BSG, Urteil vom 6.3.2003 – B 11 AL 69/02 R, juris). Er habe auch durch den Hinweis in seinem Arbeitsvertrag, dass dem als Kraftfahrer tätigen Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden könne, wenn er durch behördliche oder gerichtliche Anordnung einstweilen oder endgültig die Fahrerlaubnis verliere, eine vorweggenommene Abmahnung erhalten und sei deshalb besonders gehalten gewesen, alles zu unterlassen, was zum Erreichen des Punktelimits und zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen konnte. Das Überfahren des roten Ampelsignals sei für die Arbeitslosigkeit auch ursächlich gewesen, denn diese Pflichtwidrigkeit bleibe auch dann Anlass für die Kündigung, wenn diese erst nach Verlust der Fahrerlaubnis ausgesprochen werde. Der Kläger habe seine Arbeitslosigkeit auch grob fahrlässig herbeigeführt. Er habe vorhersehen können, dass das Überfahren einer roten Ampel zum Verlust seiner Fahrerlaubnis und schließlich seines Arbeitsplatzes führen werde. Selbst wenn ihm verschlossen geblieben sein sollte, dass im Hinblick auf die bereits angesammelten Punkte jede weitere Verkehrsübertretung zu weiteren Punkten, zur Überschreitung des Punktelimits und damit zum Verlust der Fahrerlaubnis führen konnte, liege auch hierin eine grobe Fahrlässigkeit, da angesichts der drohenden Kündigung bei Verlust des Führerscheins für ihn eine besondere Sorgfaltspflicht bestanden habe. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe er nicht gehabt, und Anhaltspunkte für einen Härtefall lägen nicht vor.

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Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 29. Juli 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. August 2008 Berufung eingelegt. Er begründet dieses Rechtsmittel wie folgt: Alleiniger Kündigungsgrund sei der Verlust der Fahrerlaubnis gewesen, nicht das Überfahren einer roten Ampel oder die Begehung der vorherigen Verkehrsverstöße. Ein großer Teil von ihnen sei bei Privatfahrten begangen worden; für solche Fälle habe das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung im Berliner U-Bahn-Fahrer-Fall eine verhaltensbedingte Kündigung abgelehnt. Es liege ausschließlich eine personenbedingte Kündigung vor, die nicht geeignet sei, den Vorwurf arbeitsvertragswidrigen Verhaltens und den Eintritt einer Sperrzeit zu begründen. Auch könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden, seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt zu haben. Er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass für ihn in Flensburg bereits 16 Punkte eingetragen waren, bevor er die rote Ampel überfuhr. Der Punktestand sei ihm auch nicht bekannt gegeben worden. Der Kläger hätte ihn abfragen müssen, und wer mache das schon. Schließlich habe das Sozialgericht zu Unrecht das Vorliegen eines wichtigen Grundes verneint. Der Kläger habe sich auf einen betrunkenen Fußgänger konzentrieren müssen, der auf dem Bürgersteig entlang torkelte und Gefahr lief, von ihm in seinem LKW angefahren und getötet zu werden.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Juli 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 9. November 2004 bis 28. Januar 2005 Arbeitslosengeld dem Grunde nach ohne Minderung der Anspruchsdauer zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie bezieht sich auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid und in dem angefochtenen Urteil. Der Kläger habe durch arbeitsvertragswidriges Verhalten (Überfahren der roten Ampel) seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und hierdurch eine wesentliche Ursache dafür gesetzt, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen und sein Beschäftigungsverhältnis wegen des Unvermögens, seine Arbeitsleistung zu erbringen, gekündigt wurde. Er habe seine Arbeitslosigkeit auch grob fahrlässig herbeigeführt. Die Kündigungsmöglichkeit wegen Verlustes der Fahrerlaubnis sei vereinbart und ihm bekannt gewesen. Ob er von dem Punktestand Kenntnis gehabt habe, sei belanglos, denn Berufskraftfahrer, die zur Ausübung ihrer Tätigkeit eine Fahrerlaubnis besitzen müssten und wiederholt Verkehrsverstöße mit Punkteeintragungen begangen hätten, seien gehalten, ihren Punktestand abzufragen. Abgesehen davon sei wahrscheinlich, dass der Kläger von der Fahrerlaubnisbehörde über seinen Punktestand in Kenntnis gesetzt worden sei. Angesichts der früheren Verkehrsverstöße hätte der Kläger ohnehin wissen müssen, dass ihm der Entzug der Fahrerlaubnis und damit der Verlust seines Arbeitsplatzes drohe. Schließlich könne schon wegen der bei Überfahren einer roten Ampel entstehenden Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer die Rücksichtnahme auf einen betrunkenen Fußgänger nicht als wichtiger Grund für das Verhalten des Klägers angesehen werden; im Übrigen habe der Kläger diese Einlassung offenbar auch gegenüber der Verkehrsbehörde nicht glaubhaft machen können.

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Zur Überprüfung des klägerischen Vortrags hat das Gericht hat die bereits oben erwähnte Auskunft der für den Kläger zuständigen Fahrerlaubnisbehörde vom 29. März 2011 eingeholt. Danach war der Kläger bereits im Jahre 1991 durch das Überfahren eines Rotlichts aufgefallen. Eine wegen weiterer Verkehrsverstöße und nach unterbliebener Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über die persönliche Fahreignung mit Bescheid vom 12. Juli 1995 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis wurde nach Vorlage des Gutachtens aufgehoben. Mit Schreiben vom 18. Juli 1995 teilte die Behörde für Inneres (Landesverkehrsverwaltung) dem Kläger mit, die Bejahung der Fahreignung und Belassung der Fahrerlaubnis habe nicht zur Folge, dass die im Verkehrszentralregister enthaltenen Eintragungen getilgt würden; der Kläger müsse vielmehr für den Fall weiterer Eintragungen mit dem Verlust seiner Fahrerlaubnis rechnen. Mit Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde vom 12. April 2002, der dem Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde am 13. April 2002 zugestellt wurde, erhielt er eine Verwarnung mit der Ermahnung, sich künftig verkehrsgerecht zu verhalten. Bei dieser Gelegenheit wurde er über den damaligen Punktestand von 9 Punkten im Verkehrszentralregister informiert und erhielt die Möglichkeit der Teilnahme einer an einem Aufbauseminar mit Punkteabbau. Am 4. Juli 2002 missachtete er auf der BAB … ein Überholverbot (1 Punkt), am 8. Mai 2003 überschritt er in S1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 18 km/h (1 Punkt), am 30. Mai 2003 missachtete er in Hamburg die Vorfahrt (3 Punkte) und am 1. August 2003 überschritt er in Hameln erneut die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 14 km/h (1 Punkt). Mit Bescheid vom 2. Oktober 2003, der dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 4. Oktober 2003 zugestellt wurde, ordnete die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme des Klägers an einem Aufbauseminar an. Der Kläger wurde unter Aufführung der bis einschließlich 8. Mai 2003 im Verkehrszentralregister erfassten Verkehrsverstöße und der hierfür angefallenen Einzelpunkte darüber informiert, dass inzwischen im Verkehrszentralregister Verkehrsverstöße mit einem Punktestand von insgesamt 14 Punkten gespeichert waren, und das Schreiben enthielt den ausdrücklichen Hinweis auf die bei einem Punktestand von 18 Punkten zwingend vorzunehmende Entziehung der Fahrerlaubnis. Nachdem der Kläger sodann am 2. Juni 2004 in B. erneut ein Rotlicht missachtet hatte (3 Punkte), wurde ihm durch Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde vom 2. November 2004 die Fahrerlaubnis entzogen.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2011 hat das Gericht die Beteiligten angehört. Der Kläger hat nicht mehr in Abrede gestellt, vor Entziehung der Fahrerlaubnis über seinen Punktestand in Flensburg informiert gewesen zu sein.

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Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 11. Mai 2011 aufgeführten Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden.

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Sie ist aber nicht begründet.

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Gegenstand der hier zulässig erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist der Bescheid vom 23. November 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2005. Durch diese Bescheide hat die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer Sperrzeit von 12 Wochen Dauer vom 6. November 2004 bis 28. Januar 2005, eine Minderung der Anspruchsdauer von 151 Kalendertagen sowie die Begrenzung der Kranken- und Pflegeversicherung aus dem Bezug von Arbeitslosengeld auf die Zeit vom 6. Dezember 2004 bis 28. Januar 2005 verfügt. Diese Entscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden; der Kläger kann deshalb ihre Aufhebung und die Gewährung von Arbeitslosengeld mit ungekürzter Anspruchsdauer nicht verlangen.

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Sämtliche Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III sind erfüllt (nachstehend 1), so dass die verfügten Rechtsfolgen (Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für 12 Wochen gemäß § 144 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Nr. 3 SGB III in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl. I S. 4607), Minderung der Anspruchsdauer um 151 Kalendertage gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III und Begrenzung der Kranken- und Pflegeversicherung auf die Zeit vom 6. Dezember 2004 bis 28. Januar 2005 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingetreten und zutreffend festgestellt worden sind (nachstehend 2).

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Zutreffend ist das Sozialgericht, ohne hierzu nähere Feststellungen zu treffen, davon ausgegangen, dass der Kläger am 9. November 2004 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld im Sinne eines Stammrechts dem Grunde nach erworben hat. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos im Sinne von §§ 117 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und 119 Abs. 1 bis 3 SGB III, denn er stand vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis und suchte eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung, indem er alle Möglichkeiten nutzte und nutzen wollte, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung stand, denn er war arbeitsfähig und arbeitsbereit (§ 119 Abs. 2 und Abs. 3 Nrn. 1 – 3 SGB III). Er hatte sich am 9. November 2004 bei der Beklagten persönlich arbeitslos gemeldet (§§ 117 Abs. 1 Nr. 2, 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Zu diesem Zeitpunkt erfüllte er auch die Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslosengeld (§ 117 Abs. 1 Nr. 3 sowie §§ 123 und 124 SGB III in der hier gemäß § 434 j Abs. 3 SGB III noch anzuwendenden, bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung), denn er hatte in der gemäß § 124 Abs. 2 SGB III verkürzten und damit vom 15. Februar 2003 bis 8. November 2004 reichenden Rahmenfrist Versicherungspflichtzeiten von insgesamt 402 Kalendertagen zurückgelegt (versicherungspflichtige Beschäftigungen vom 12. Mai bis 23. September 2003 und vom 1. März bis 8. November 2004 – die Kündigung erfolgte erst am 8. November 2004 – sowie Bezug von Krankengeld vom 24. September bis 2. Oktober 2003, zur Lage der Ansprüche vgl. Übersichtsbogen vom 23. November 2004, Blatt 144 der Verwaltungsakte der Beklagten).

19

1. § 144 SGB III in der hier anzuwendenden, bei Eintritt des Versicherungsfalls am 9. November 2004 noch geltenden Fassung des Gesetzes vom 23.12.2002 bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld während einer Sperrzeit ruht (Abs. 2 Satz 2). Eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe tritt nach Abs. 1 Nr. 1 der Vorschrift ein, wenn der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (Abs. 2 Satz 1). Sie beträgt abgesehen von hier nicht einschlägigen Sonderfällen zwölf Wochen (Abs. 3 Satz 1). Entgegen der Auffassung des Klägers kann zunächst keinem Zweifel unterliegen, dass der Kläger durch das Überfahren einer roten Ampel mindestens fahrlässig und damit schuldhaft gegen wesentliche Nebenpflichten aus seinem Arbeitsvertrag verstoßen und sich damit arbeitsvertragswidrig verhalten hat. Zutreffend hat das Bundessozialgericht für Fälle der vorliegenden Art in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ein Berufskraftfahrer die von ihm geschuldete Arbeit nur verrichten kann, wenn er im Besitz einer Fahrerlaubnis bleibt, und dass sein Arbeitsvertrag deshalb die Nebenpflicht enthält, jegliche Verkehrsverstöße zu unterlassen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen können und damit der Erfüllung seiner vertraglichen Arbeitspflicht die Grundlage entziehen (vgl. BSG, Urteile vom 25.8.1981 – 7 RAr 44/80, vom 6.3.2003 – B 11 AL 69/02 R und vom 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, alle in juris). In § 20 des mit dem Kläger geschlossenen Arbeitsvertrages war dies auch insofern ausdrücklich vereinbart, als der Entzug der Fahrerlaubnis die Arbeitgeberin zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen sollte. Insofern war der im Überfahren einer roten Ampel liegende Verkehrsverstoß nicht nur vermeidbar und dem Kläger deshalb anzulasten, weil er auch bei notwendiger Konzentration auf einen betrunkenen Fußgänger mit seinem Sattelzug, offenbar ohne die Verkehrssituation und die drohende massive Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu beachten, weiter gefahren ist statt unverzüglich anzuhalten, sondern dieses Verhalten war auch im Sinne der von der Rechtsprechung des BSG und der Literatur geforderten mehrstufigen Kausalitätsprüfung (vgl. BSG, Urteile vom 6.3.2003 – B 11 AL 69/02 R und vom 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, a.a.O. mit umfangreichen Nachweisen; Niesel, SGB III, 3. Auflage, Randnr. 44 zu § 144) eine wesentliche Ursache dafür, dass die Höchstpunktzahl in Flensburg überschritten, dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen und das Beschäftigungsverhältnis von der Arbeitgeberin am 8. November 2004 fristlos gekündigt wurde, weil keine Möglichkeit bestand, den als Fahrer nicht mehr einsetzbaren Kläger anderweitig zu beschäftigen. Unter diesen Umständen war die Kündigung auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht sozial gerechtfertigt. Auch diesbezüglich ist unerheblich, ob die Verkehrsverstöße, die schließlich zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben, bei privaten oder beruflichen Fahrten des Klägers begangen wurden. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Kündigungsschutzrecht, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Arbeitnehmer, der als Kraftfahrer tätig ist, grundsätzlich die fristlose Kündigung rechtfertigen kann, weil der Arbeitnehmer dadurch seine Arbeitspflicht vorübergehend nicht mehr erfüllen kann und darf. Dies gilt auch dann, wenn die Entziehung des Führerscheins, etwa wegen Trunkenheit im Verkehr, bei einer außerhalb der Arbeitszeit durchgeführten Privatfahrt erfolgt. Allerdings müssen auch in einem solchen Fall alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel (z. B. Abmahnung, Versetzung, einverständliche Abänderung des Vertrages, außerordentliche Änderungskündigung oder ordentliche Kündigung) erschöpft sein, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist deshalb nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist (vgl. BAG, Urteile vom 22.8.1963 – 2 AZR 114/63, vom 30.5.1978 – 2 AZR 630/76 mit weiteren Nachweisen; vom 16.08.1990 – 2 AZR 182/90 und vom 14.2.1991 – 2 AZR 525/90, alle in juris). So aber lag es hier, denn der Kläger war durch den Hinweis in seinem Arbeitsvertrag auf die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung bei Entzug der Fahrerlaubnis hinreichend vorgewarnt, und die Arbeitgeberin hatte nach ihren im Widerspruchs- und Klageverfahren erteilten Auskünften, denen der Kläger nicht entgegen getreten ist, keine Möglichkeit, ihn in einer anderen Tätigkeit, bei der er keine Fahrerlaubnis benötigte, weiter zu beschäftigen, weshalb ihr auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten war. Die vom Kläger erwähnte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Berliner U-Bahn-Fahrer-Fall gibt für eine hiervon abweichende Beurteilung nichts her. Gemeint ist das Urteil vom 4. Juni 1997 (Aktenzeichen: 2 AZR 526/96, juris). Hier hat das Bundesarbeitsgericht die Beurteilung des vorinstanzlich tätig gewordenen Landesarbeitsgerichts Berlin gebilligt, wonach ein U-Bahn-Fahrer, der einmalig im Straßenverkehr bei einer Privatfahrt alkoholisiert ein Kraftfahrzeug geführt habe, durch diesen Umstand noch nicht so belastet sei, dass er für seine dienstliche Tätigkeit deshalb als unzuverlässig erscheine und deshalb rechtlich an der weiteren Ausübung seiner Tätigkeit gehindert sei. Das Abstellen auf die Einmaligkeit des Vorfalles und auf die Tatsache, dass derselbe sich bei einer Privatfahrt außerhalb des Dienstes zugetragen habe, halte sich im Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters. Das Landesarbeitsgericht habe nicht verkannt, dass die hochgradige Alkoholisierung des Klägers bei einer Privatfahrt in den dienstlichen Bereich aufgrund der Tätigkeit des Klägers als U-Bahn-Fahrer hineinwirke, es habe indessen die Weiterbeschäftigung des Klägers in dieser Eigenschaft trotz der Trunkenheitsfahrt als der Beklagten zumutbar angesehen. Gerade die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechenden Umstände liege weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz. Für den vorliegenden Fall sind diese Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts unergiebig, denn anders als in jener Entscheidung war hier die Arbeitgeberin gehindert, den Kläger weiter als Fahrer zu beschäftigen. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es auch nicht darauf an, ob er seine Beschäftigung durch eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung verloren hat. Das Bundessozialgericht hat in der bereits zitierten Rechtsprechung zutreffend herausgearbeitet, dass in Fällen der vorliegenden Art personen- und verhaltensbedingte Gründe für eine Kündigung ineinander übergehen und es deshalb bei feststellbarem arbeitsvertragswidrigen und für die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses ursächlichem, dem Arbeitnehmer anzulastenden Verhalten nicht darauf ankommt, aus welchen Gründen die Kündigung rechtmäßig erfolgt ist (vgl. BSG, Urteile vom 6.3.2003 – B 11 AL 69/02 R und vom 15.12.2005, B 7a AL 46/05 R, a.a.O.; ebenso Hessisches LSG, Urteil vom 22.6.2010 – L 6 AL 13/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.2.2011 – L 8 AL 3458/10, beide in juris).

20

Der Kläger hat auch seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt. Dieser in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III formulierte Schuldvorwurf bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nur auf die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit, nicht auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten selbst (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R, a.a.O.; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 Randnr. 305). Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem nach den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Betroffenen, d.h. unter Zugrundelegung eines individuellen Sorgfaltsmaßstabs die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also dasjenige nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierfür genügt im Hinblick auf den Sperrzeitbestand, wenn der Eintritt von Arbeitslosigkeit infolge vertragswidrigen Verhaltens so nahe lag, dass diese drohende Entwicklung dem Arbeitslosen bekannt sein musste, ihm also vorzuwerfen ist, sie nicht bedacht zu haben (vgl. BSG, Urteil vom 25.8.1981 – 7 RAr 44/80, a.a.O. mit weiteren Nachweisen; Niesel, a.a.O., Randnr. 48 zu § 144). Dies ist vorliegend der Fall. Objektiv war in dem Zeitpunkt, als der Kläger die rote Ampel überfuhr, beim Kraftbundesamt in Flensburg für ihn bereits ein Punktestand von 16 Punkten erreicht, und der Verkehrsverstoß führte zu weiteren 3 Punkten und damit zum Überschreiten der Höchstpunktzahl, zur Entziehung der Fahrerlaubnis und zur Kündigung. Dem Kläger ist auch vorzuwerfen, dass er schon aufgrund einfachster, ganz naheliegender Überlegungen diese drohende Entwicklung voraussehen musste. Denn er war durch die im Tatbestand erwähnten Bescheide und Hinweise mehr als ausreichend vorgewarnt worden; insbesondere hatte er entgegen seiner ursprünglichen Darstellung bereits im April 2002 und Oktober 2003 von seinem stetig anwachsenden Punktestand im Verkehrszentralregister und der deshalb drohenden Entziehung der Fahrerlaubnis Kenntnis erhalten, und es musste sich ihm deshalb die Überlegung aufdrängen, dass er mit jedem weiteren Verkehrsverstoß der Grenze zur Entziehung der Fahrerlaubnis näher kam. Spätestens nach Erhalt des Bescheides vom 2. Oktober 2003 hatte der Kläger allen Anlass, sich künftig im Straßenverkehr so zu verhalten, dass die offenkundig drohende Entziehung der Fahrerlaubnis in jedem Fall vermieden würde. Zudem erhielt er die Bußgeldbescheide aus den am 30. Mai 2003 und 1. August 2003 begangenen Verkehrsverstößen, und es war offenkundig, dass das Punktelimit alsbald erreicht werden würde. Bei dieser Sachlage kann das Verhalten des Klägers am 2. Juni 2004 im Hinblick auf die ihm nach seinem Arbeitsvertrag drohende Kündigung mit nachfolgender Arbeitslosigkeit nur als grob fahrlässig gewertet werden.

21

Liegen mithin die Voraussetzungen für den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vor, sind auch ihre weiteren Rechtsfolgen eingetreten. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhte gemäß § 144 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Nr. 3 SGB III (in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl. I S. 4607) für 12 Wochen. Allerdings hätte die Sperrzeit, da die Kündigung als sperrzeitauslösendes Ereignis am 8. November 2004 erfolgt ist, vom 9. November 2004 bis 31. Januar 2005 gedauert; durch die fehlerhafte Feststellung der Dauer der Sperrzeit vom 6. November 2004 bis 28. Januar 2005 ist der Kläger aber nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG beschwert, denn er hatte vor seiner Meldung am 9. November 2004 ohnehin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III), und durch das frühere Ende des Ruhenszeitraums am 28. Januar 2005 ist er nicht belastet, sondern begünstigt. Die Minderung der Anspruchsdauer um 151 Kalendertage ist gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zu Recht verfügt worden. Die Berechnung der Beklagten ist richtig, denn der Kläger hatte in der durch das Übergangsrecht vorgegebenen Anwendung von § 127 SGB III in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung (§ 434 j Abs. 3 SGB III) in der hier maßgeblichen Rahmenfrist vom 15. Februar 2003 bis 8. November 2004 Versicherungspflichtzeiten von insgesamt 402 Kalendertagen zurückgelegt und damit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 180 Kalendertagen erworben; hinzuzurechnen ist gemäß § 127 Abs. 4 SGB III die Restanspruchsdauer aus dem noch nicht verbrauchten Leistungsanspruch von 424 Kalendertagen, so dass sich eine Gesamtanspruchsdauer ab 9. November 2004 von 604 Kalendertagen ergibt. Diese Anspruchsdauer war gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III um 1/4, also um 151 Kalendertage zu mindern, so dass der Restanspruch 453 Tage betrug. Die Begrenzung der Kranken- und Pflegeversicherung auf die Zeit vom 6. Dezember 2004 bis 28. Januar 2005 folgt aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

23

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.

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