OLG Frankfurt, Urteil vom 28.09.2017 – 6 U 183/16
Die einem Medizinprodukt verliehene Zweckbestimmung ist mit dem Irreführungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MPG nicht allein deshalb vereinbar, weil der Hersteller das Produkt mit einer CE-Kennzeichnung versehen hat. Auch einem Händler ist der Vertrieb des Medizinprodukts unter der Zweckbestimmung daher jedenfalls dann zu untersagen, wenn feststeht, dass der CE-Kennzeichnung durch den Hersteller keine wissenschaftliche Bewertung für den Wirkungsnachweis zugrunde gelegen hat.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.07.2016 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 65.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
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Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 I, 1 ZPO). Zu ergänzen ist, dass das Landgericht Stadt1 der Herstellerin des in Rede stehenden Mittels dessen Vertrieb mit der streitgegenständlichen Zweckbestimmung im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt hat, weil diese im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens den wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit nicht erbracht habe (Urteil vom …); die Herstellerin hat hierzu inzwischen eine Abschlusserklärung abgegeben.
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Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen beide Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen; wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen unter II. sowie die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3a, 8 III Nr. 1 UWG i.V.m. § 4 II 2 Nr. 1 MPG zu. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Das Vorbringen der Beklagten in der Berufung rechtfertigt ebenfalls keine abweichende Beurteilung.
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1. Die Klägerin ist gemäß § 8 III Nr. 1 UWG zur Verfolgung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs befugt, da zwischen den Parteien in Bezug auf den gerügten Wettbewerbsverstoß ein konkretes Wettbewerbsverhältnis (§ 2 I Nr. 3 UWG) besteht. Das hierfür erforderliche funktionelle Austauschverhältnis zwischen den beiderseits angebotenen Waren ist gegeben, da die ausgelobte Zweckbestimmung des beanstandeten Mittels („zur unterstützende Behandlung von erhöhten Blutfettwerten“) enge Berührungspunkte mit der Zweckbestimmung des von der Klägerin angebotenen Mittels („zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels“) aufweist. Unter diesen Umständen steht der Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses, an das generell kein hohen Anforderungen zu stellen sind, weder die unterschiedliche Preisgestaltung für die die sich gegenüberstehen Produkte noch die Unterschiede in der empfohlenen Einnahme entgegen.
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2. Die Zweckbestimmung, mit der das von der Beklagten angebotene Medizinprodukt ausgelobt wird, ist irreführend (§ 4 II 2 Nr. 1 MPG), weil dem Mittel hiermit eine Leistung beigelegt wird, die es nicht hat.
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Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, ein Verstoß gegen § 4 II 2 Nr. 1 MPG liege schon deswegen nicht vor, weil das Mittel eine CE-Kennzeichnung trage. Zwar weist das Verbot des § 4 II 2 Nr. 1 MPG mit der CE-Kennzeichnung insoweit eine inhaltliche Überschneidung auf, als sich die der CE-Kennzeichnung vorausgehende Konformitätsbewertung auch darauf erstreckt, ob das Medizinprodukt die vom Hersteller vorgegebenen Leistungen tatsächlich erbringt (I. 3. der Grundlegenden Anforderungen gem. Anhang I zur RL 93/42); hierzu ist eine klinische Bewertung vorzunehmen (§ 19 I 1 MPG i.V.m. Anhang X der RL 93/42). Diese Bewertung führt jedoch allein der Hersteller in eigener Verantwortung durch, während es eine behördliche Prüfung oder Zulassung – anders als bei Arzneimitteln – nicht gibt. Unter diesen Umständen kann die Vereinbarkeit des Medizinprodukts mit § 4 II 2 Nr. 1 MPG nicht allein wegen der vom Hersteller vorgenommenen CE-Kennzeichnung als feststehend angesehen werden. Vielmehr tritt die formelle Anforderung der CE-Kennzeichnung lediglich neben die sich aus § 4 II 2 Nr. 1 MPG materielle Anforderung, die in jedem Fall erfüllt sein muss. Andernfalls hätte es der Hersteller in der Hand, allein mit der CE-Kennzeichnung und unabhängig von der Frage, ob die Konformitätsbewertung tatsächlich durchgeführt worden ist, die Verkehrsfähigkeit seines Produkts herbeizuführen. Die sich daraus ergebende Schutzlücke kann vom Normgeber ersichtlich nicht gewollt sein. Anderes lässt sich auch der Rechtsprechung des Gerichthofs der Europäischen Union nicht entnehmen.
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Die Frage kann allenfalls sein, ob und wie sich die vom Hersteller vorgenommene CE-Kennzeichnung auf die Darlegungs- und Beweislast in einem gegen einen Zwischenhändler geführten Prozess, der möglicherweise auf die Berechtigung der CE-Kennzeichnung vertraut hat, auswirkt. Im vorliegenden Verfahren stellt sich diese Frage allerdings nicht, nachdem der Hersteller das gegen ihn ausgesprochene gleichlautende und auf die gleiche Begründung gestützte gerichtliche Verbot durch eine Abschlusserklärung anerkannt hat. Denn unter diesen Umständen muss es als unstreitig angesehen werden, dass der Hersteller des in Rede stehenden Medizinprodukts die erforderlichen Bewertungen für den Wirkungsnachweis nicht durchgeführt hat.
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Schließlich kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, das Medizinprodukt sei in Österreich verkehrsfähig und könne daher im Hinblick auf Art. 34, 36 AEUV auch in Deutschland vertrieben werden. Denn da eine behördliche Zulassung des Mittels auch in Österreich nicht besteht, ist das in Rede stehende Medizinprodukt dort nicht etwa deshalb „verkehrsfähig“, weil es bisher noch nicht untersagt worden sein mag. Jedenfalls besteht kein Zweifel daran, dass ein Medizinprodukt mit einer zu Unrecht vorgenommenen CE-Kennzeichnung auch in Österreich nicht vertrieben werden darf.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 II ZPO) sind nicht erfüllt.