OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.09.2009 – 12 U 155/09
1. In der Reiserücktrittsversicherung stellt eine schwere postoperative Komplikation auch bei einer vorher bekannten Grunderkrankung und vorheriger Kenntnis einer anstehenden Operation einer Risikoperson eine unerwartet schwere Erkrankung bzw. eine unerwartete Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung dar.
2. Die Obliegenheit zur unverzüglichen Stornierung der Reise ist nicht verletzt, wenn die Stornierung erst mit Ablauf einer dem Versicherten dem Umständen nach zuzugestehenden Prüfungs- und Überlegungsfrist erfolgt (Rn.29).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 02.06.2009 – 2 O 62/09 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert und neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.086,40 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 17.12.2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 155,29 € zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger 80 % und die Beklagte 20 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 20 % und die Beklagte 80 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Zahlungspflicht aus einer Reiserücktrittsversicherung nach erfolgter Reiseabsage.
Der Kläger und seine Ehefrau buchten am 04.06.2008 bei der D eine vierwöchige Trekkingreise nach Nepal. Die Reise sollte vom 16.10.2008 bis zum 16.11.2008 stattfinden. Der Reisepreis in Höhe von insgesamt 6.790,00 Euro wurde vom Kläger bezahlt.
Am 15.10.2008 – und somit einen Tag vor der geplanten Abreise – stornierte der Kläger die Reise aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes seines Vaters, der sich bereits am 08.09.2008 einem geplanten operativen Eingriff in der Neurochirurgie des Universitätsklinikums H zwecks Dekompression des Spinalkanals unterzogen hatte, in dessen Folge es zu erheblichen postoperativen Komplikationen gekommen war, die schließlich am 16.09.2008 die Verlegung des Vaters des Klägers in die kardiologische Universitätsklinik mit anschließender Rückverlegung auf die Intensivstation der Neurochirurgie erforderlich gemacht hatten. Insgesamt befand der Vater des Klägers sich bis 23.10.2008 in stationärer Behandlung.
Zwischen den Parteien besteht eine Reiserücktrittsversicherung, wonach die Beklagte im Versicherungsfall verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer die diesem vom Reiseveranstalter in Rechnung gestellten Stornogebühren abzüglich eines Selbstbehalts in Höhe von 20 %, mindestens jedoch 100,00 € je Person, zu erstatten. Die Allgemeinen Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung – ABRV – sehen einen Versicherungsfall unter anderem als gegeben an, wenn aufgrund einer unerwarteten schweren Erkrankung der Eltern bzw. Schwiegereltern des Versicherten diesem der planmäßige Antritt der Reise nicht zugemutet werden kann.
Nach Stornierung der Reise stellte der Reiseveranstalter dem Kläger 100% des Reisepreises als Stornobetrag in Rechnung. Dies nahm der Kläger zum Anlass, die Beklagte unter Fristsetzung zum 16.12.2008 zur Zahlung aus der Reiserücktrittsversicherung aufzufordern, woraufhin die Beklagte vorgerichtlich 1.086,40 € an den Kläger bezahlte, was 20 % der Stornogebühren abzüglich des Selbstbehalts entspricht.
In erster Instanz vertrat der Kläger noch die Auffassung, ihm stünden 100 % des Reisepreises (abzüglich des Selbstbehalts) zu und verfolgte mit seiner Klage daher den Differenzbetrag zwischen vorgerichtlicher Zahlung und Reisepreis (5.432,00 €). Nach der Operation hätte sich der Gesundheitszustand seines Vaters zunächst verbessert, erst Ende September sei es zu Komplikationen und in der Folge Anfang Oktober dann zu einer plötzlichen Verschlechterung des Zustandes gekommen, woraufhin die Ärzte dem Kläger am 14.10.2008 von der Reise abgeraten hätten. Eine frühere Stornierung sei nicht angezeigt gewesen, die eingetretenen Komplikationen seien nicht vorhersehbar gewesen. Bei normalem Verlauf wäre der Vater des Klägers bereits Ende September aus dem Krankenhaus entlassen worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 5.432,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 17.12.2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 546,69 zu zahlen.
Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt mit der Begründung, der Vater des Klägers habe schon seit geraumer Zeit an Beschwerden gelitten, die zu der ersten Operation geführt hätten. Zudem sei der Kläger wegen des hohen Alters seines Vaters und bestehender weiterer Erkrankungen durch Ärzte des Universitätsklinikums auf Komplikationsgefahren des operativen Eingriffs hingewiesen worden. Eine unerwartete Krankheit des Vaters im Sinne der ABRV liege nicht vor.Die Operation habe bereits frühzeitig ab 16.09.2008 zu Beschwerden und Komplikationen geführt. Insbesondere ab dem 23.09.2008 sei es zu diversen Komplikationen gekommen. Daher hätten die Ärzte bereits am 05.09.2008 zur Absage der Reise geraten, wenn sie Kenntnis von den Reiseplanungen des Klägers gehabt hätten. Damit seien die eingetretenen Schwierigkeiten nicht unerwartet, sondern stellten eine Realisierung des Risikos dar, auf welches die Ärzte im Vorfeld hingewiesen hätten. Daneben hat die Beklagte geltend gemacht, der Kläger habe gegen seine aus den ABRV folgende Stornierungsobliegenheit verstoßen, indem er die Reise nicht unverzüglich nach Eintritt des Versicherungsfalls storniert habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es liege zwar ein Versicherungsfall vor (unerwartete schwere Erkrankung des Vaters des Klägers bei Verlegung in die Kardiologie), der Kläger habe jedoch eine Obliegenheit dadurch verletzt, dass er die Reise nicht unverzüglich nach Eintritt des Versicherungsfalls angezeigt habe. Wäre dies rechtzeitig noch am 16.09.2008 geschehen, so wären lediglich Stornierungskosten in Höhe von 20 % angefallen, die der Kläger – was unstreitig ist – von der Beklagten vorgerichtlich aber bereits erhalten habe.
Mit seiner Berufung greift der Kläger das landgerichtliche Urteil teilweise an. Er akzeptiert das Urteil hinsichtlich der Feststellungen zum Versicherungsfall und zum Zeitpunkt dessen Eintritts, wendet sich aber gegen die Annahme des Landgerichts, es wären bei rechtzeitiger Stornierung nur 20 % Gebühren angefallen. Richtigerweise wären dies 40 % gewesen, da ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls am 16.09.2008 und einer Überlegungsfrist von zumindest einem Tag die in Schriftform vorzunehmende Stornierung gegenüber der D dort frühestens am 17.09.2008 hätte eingehen können, mithin am 29. Tag vor Reiseantritt, so dass dem Kläger nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der D 40 % des Reisepreises als Stornogebühren berechnet worden wären. Diese zusätzlichen 20 % sind Gegenstand der Berufung.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zu verurteilen, an den Kläger 1.358,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 17.12.2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 186,24 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Eine Überlegungszeit habe dem Kläger am 16.09.2008 nicht mehr zugestanden.
Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet.
1. In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass mit Verlegung des Vaters von der Neurochirurgie in die Kardiologie am 16.09.2008 der Versicherungsfall im Sinne von § 2 Nr. 2 a der Allgemeinen Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung (künftig: ABRV) eingetreten ist. Nach dieser Bestimmung ist der Versicherer u.a. dann leistungspflichtig, wenn infolge unerwarteter schwerer Erkrankung der Eltern bzw. Schwiegereltern des Versicherten diesem der planmäßige Antritt der Reise nicht zugemutet werden kann. Dies hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen. Auf die zutreffenden Feststellungen kann insoweit Bezug genommen werden. Die postoperativen Komplikationen hatten am 16.09.2008 ein Ausmaß angenommen, welches Notfallmaßnahmen und die intensivmedizinische Betreuung des Vaters des Klägers erforderlich machten. Das Krankheitsbild kann ab diesem Stadium ohne Zweifel als „schwer“ bezeichnet werden.
Zu Recht hat das Landgericht bei der Prüfung des Versicherungsfalles auf diese postoperativen Komplikationen als eigenständige Erkrankung abgestellt. Das Grundleiden des Vaters des Klägers im Sinne eines Wirbelgleitens im Bereich der Lendenwirbelsäule hat hierbei außer Betracht zu bleiben. Es ist daher auch unerheblich, ob und in welcher Intensität diese Beschwerden bei Buchung der Reise durch den Kläger am 04.06.2008 bereits vorlagen, denn hieran ist bei der Frage nach dem Versicherungsfall nicht anzuknüpfen, ebenso wenig an die Anfang September 2008 offensichtlich notwendig gewordene Operation im Bereich der Lendenwirbelsäule.
Der Vater des Klägers hatte sich bereits in den 80er Jahren einer Spondylodese, d.h. einer operativen Versteifung zweier Lendenwirbel unterzogen. Nunmehr (im September 2008) stand die Erweiterung (Dekompression) des Spinalkanals an, nachdem der Vater des Klägers seit geraumer Zeit wieder über massive Beschwerden in der Lendenwirbelsäule geklagt hatte. Die Wirbelsäulenprobleme stellten somit zwar eine Erkrankung dar, die unter den geschilderten Umständen allerdings ebenso wenig „unerwartet“ im Sinne der Versicherungsbedingungen war wie die hierdurch erforderlich werdende Operation im September 2008. Mit letzterer war zu rechnen, sie war für den Kläger als Durchschnittsbetrachter vorhersehbar (vgl. hierzu OLG Köln VersR 1991, 661; LG Berlin VersR 2003, 202). Insoweit konnte dieses Grundleiden nicht die Grundlage für eine Versicherungsleistung aus der Reiserücktrittsversicherung bilden, auch nicht in Form der notwendig werdenden Operation. Davon geht zutreffend auch das Landgericht aus, der Kläger greift dies mit seiner Berufung auch nicht an.
Der Beklagten ist zuzugeben, dass die nach dem operativen Eingriff aufgetretenen Komplikationen in Zusammenhang stehen mit dem Grundleiden, das ja Anlass für die Operation überhaupt war. Gleichwohl sind sie als „unerwartet“ zu werten. Sie betreffen – worauf auch das Landgericht zu Recht hingewiesen hat – zum Einen nicht das orthopädische Fachgebiet, sondern vielmehr das internistische und weisen zudem eine Schwere auf, die nach Sachlage in dieser Ausprägung nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Entscheidend ist, ob die überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein einer die Reisefähigkeit begründenden Krankheit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung der Operation am 08.09.2008 sprach (vgl. Prölss/Martin, VVG 27. Auflage 2004, § 1 ABRV Rn. 16; OLG Köln a.a.O.). Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Beklagte stellt in diesem Zusammenhang maßgeblich auf die Ausführungen in dem Arztbericht des Universitätsklinikums vom 23.10.2008 ab, wo unter der Rubrik „Anamnese“ ausgeführt ist, dass ärztlicherseits vor Durchführung der Dekompression des Spinalkanals auf die internistischen Komorbiditäten und das Alter des Patienten hingewiesen, das operative Vorgehen jedoch seitens des Patienten und seiner Angehörigen ausdrücklich gewünscht worden sei. Aus diesem Passus in dem Arztbericht lässt sich jedoch schon nicht entnehmen, auf welche konkreten Komplikationen auf internistischem Gebiet im Einzelnen überhaupt hingewiesen worden sein soll, ebenso wenig, mit welcher Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten entsprechender Probleme zu rechnen sein würde. Es steht im Übrigen noch nicht einmal fest, ob der Kläger oder seine Ehefrau bei dem Aufklärungsgespräch überhaupt anwesend waren. Welchen näheren Inhalt diese Aufklärung gehabt haben soll, legt die Beklagte ebenfalls nicht dar. Insofern erweist sich deren Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens dahingehend, es habe sich gerade ein Risiko erfüllt, vor welchem die Ärzte ausdrücklich gewarnt hätten, als unzulässiger Ausforschungsbeweis. Die Beklagte behauptet noch nicht einmal, dass eine Aufklärung gerade über diejenigen Komplikationen erfolgt sei, die dann später tatsächlich auch aufgetreten sind. Bei ihnen handelte es sich zweifellos nicht um die klassischen Operationsrisiken, mit denen häufig zu rechnen ist, sondern um das Zusammentreffen mehrerer sehr schwerwiegender Komplikationen wie insbesondere einen Herzinfarkt, eine bakterielle Wundinfektion mit anschließender Sepsis und Gabe von Antibiotika, eine Lungenentzündung sowie erheblicher Sauerstoffmangel, die sicherlich als außergewöhnlich im Zusammenhang mit einer Wirbelsäulenoperation bezeichnet werden können, auch bei einem älteren Patienten. Diese Summierung schwerwiegender Komplikationen machte nicht nur die Verlegung in die Kardiologie, sondern in unmittelbarem Anschluss auch eine nahezu 3-wöchige intensivmedizinische Betreuung des Vaters des Klägers mit wiederum kompliziertem Verlauf erforderlich.
Auch der Hinweis der Beklagten auf den ärztlichen Fragebogen, der von Seiten der Universitätsklinik im Auftrag der Beklagten ausgefüllt wurde, gebietet keine andere Beurteilung. Die Beklagte zitiert hier schon unvollständig, indem sie nur auf Ziffer 12 des Fragebogens abstellt, wonach aus ärztlicher Sicht dem Kläger bereits „zu Beginn der Behandlung“ seines Vaters zur Reiseabsage geraten worden wäre, wäre den Ärzten der geplante Reisebeginn damals bekannt gewesen. Diese Angabe wird nämlich durch den Nachtrag des Universitätsklinikums vom 17.12.2008 zu Ziffer 12 des Fragebogens zumindest in Frage gestellt, wonach für den Kläger und seine Ehefrau zu einem früheren Zeitpunkt als dem 14.10.2008 keine Veranlassung zur Absage der Reise bestanden haben soll. Abgesehen davon verkennt die Beklagte, dass der Begriff „unerwartet“ subjektiv auszulegen ist und dabei auf die Sicht eines nicht mit medizinischen Spezialkenntnissen ausgerüsteten durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen ist (Prölss/Martin, a.a.O.; LG Berlin a.a.O.). Unstreitig gab es vor dem 14.10.2008 einen ärztlichen Rat an den Kläger oder dessen Ehefrau zur Absage der Reise nicht. Aus maßgeblicher Laiensicht musste der Kläger nicht von vornherein mit einer derart dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes seines Vaters rechnen, zumal sich dessen Zustand ja nach dem Dekompressionseingriff zunächst bis zum 16.09.2008 als stabil darstellte.
2. Hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung hingegen hält das landgerichtliche Urteil einer Überprüfung nicht Stand. Hierzu regelt § 5 ABRV Folgendes:
„Obliegenheiten des Versicherten im Versicherungsfall
1. Der Versicherte ist verpflichtet:
a) dem Versicherer den Eintritt des Versicherungsfalles unverzüglich mitzuteilen und gleichzeitig die Reise bei der Buchungsstelle oder im Falle der schon angetretenen Reise beim Reiseveranstalter zu stornieren;
…
2. Verletzt der Versicherte eine der vorstehenden Obliegenheiten, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, dass die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer insoweit verpflichtet, als die Verletzung weder Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat.“
Zutreffend hat das Landgericht allerdings das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig gewertet, die Reise erst am 15.10.2008 – und damit erst ca. 4 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalles (16.09.2008) – storniert zu haben. Hiergegen wendet sich auch der Kläger mit seiner Berufung nicht. Dem Kläger musste nach Verlegung seines Vaters in die Kardiologie am 16.09.2008 bewusst geworden sein, dass sein Vater schwer und ernsthaft in seiner Gesundheit beeinträchtigt war. Dies lag angesichts des postoperativ erlittenen Herzinfarktes auf der Hand. Angesichts des sehr hohen Alters des Vaters konnte guten Gewissens auch nicht mit einer baldigen und komplikationslosen Besserung des Zustandes gerechnet werden. Die Hoffnung, eine ersichtlich schwere Erkrankung werde sich bis zum Antritt bessern, entlastet den Kläger bei dieser Sachlage nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit.
Gleichwohl hat das Landgericht den Anspruch des Klägers in unzutreffender Höhe gekürzt. Zum Leistungsumfang regelt § 2 Nr. 1 a ABRV Folgendes:
„Versicherungsumfang
1. Der Versicherer leistet Entschädigung:
a) bei Nichtantritt der Reise für die dem Reiseunternehmen oder einem anderen vom Versicherten geschuldeten Rücktrittskosten;
…
Diese Rücktrittskosten wiederum sind in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der D näher geregelt („Stornogebühren“) und sind gestaffelt je nach dem, am wievielten Tag vor dem planmäßigen Reisebeginn die Stornierung in schriftlicher Form bei der D eingeht. Bei Eingang der Stornierung zwischen dem 44. und 30. Tag vor Reisebeginn sind dies 20 % des Reisepreises (hierauf stellt das Landgericht ab), bei Eingang zwischen dem 29. und 22. Tag 40 % des Reisepreises usw..
Aus dem Zusammenspiel der vorgenannten Vorschriften in den jeweiligen Vertragsbedingungen folgt, dass der Versicherer im Falle verspäteter Stornierung durch den Versicherten in Höhe desjenigen Betrages eintrittspflichtig bleibt, der bei rechtzeitiger Stornierung fällig gewesen wäre. Dies sind vorliegend entgegen dem Landgericht 40 % des Reisepreises.
Den Kläger traf wie oben ausgeführt die Obliegenheit zur Mitteilung des Versicherungsfalles an die Beklagte und Stornierung der Reise gegenüber der D, was „unverzüglich“ nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfolgen hatte (vgl. § 5 Nr. 1 a ABRV). Zur Beurteilung, wann eine Stornierung noch unverzüglich in diesem Sinne ist, kann auf die Vorschrift des § 121 Abs. 1 BGB zurück gegriffen werden, der für die Anfechtung diesen Begriff wortgleich verwendet. Diese Legaldefinition ist im Zweifel auch dann maßgeblich, wenn der Begriff in AGB oder in einem Rechtsgeschäft verwendet wird (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 68. Auflage 2009, § 121 Rn. 3). Demnach muss die Stornierung nicht sofort, aber ohne schuldhaftes Zögern erklärt werden, wobei dem Erklärenden eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungspflicht zuzugestehen ist (vgl. Ellenberger a.a.O. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Vorliegend trat – wie ausgeführt – der Versicherungsfall mit der Verlegung des Vaters des Klägers in die Kardiologie am 16.09.2008 ein. Es würde die Anforderungen an die Obliegenheitspflicht des Klägers eindeutig überspannen, wenn man von diesem erwarten würde, die Reise noch am selben Tag zu stornieren. Zunächst musste beim Kläger das Bewusstsein und die Erkenntnis reifen, dass der veränderte Krankheitsverlauf beim Vater Einfluss auf die erst vier Wochen später beginnende Reise haben könnte. Ebenso wird man dem Kläger zubilligen müssen, die Konsequenzen der Stornierung einer sehr teuren Reise wenigstens kurz überdenken zu dürfen. Aus Sicht des Senats war unter den gegebenen Umständen dem Kläger in jedem Fall noch der restliche Tag des 16.09.2008 als absolute Mindestfrist für seine weiteren Überlegungen zuzubilligen. Die demnach vom Kläger allerfrühestens am darauf folgenden Tag zu erwartende Stornierung der Reise hätte dem Reiseveranstalter somit im günstigsten Fall noch am 17.09.2008 zugehen können, etwa durch Telefaxerklärung, die der gewillkürten Schriftform in den AGB der D entsprochen hätte (vgl. § 127 Abs. 2 BGB). Bei dem 17.09.2008 hätte es sich um den 29. Tag vor dem geplanten Reisebeginn (16.10.2008) gehandelt. Damit wären nach den AGB der D aber Stornogebühren in Höhe von 40 % des Reisepreises angefallen, für die die Beklagte eintrittspflichtig gewesen wäre, und nicht lediglich 20 %, wie vom Landgericht angenommen und von der Berufung zu Recht beanstandet.
3. Zur Höhe:
Ausgehend von einem Reisepreis von 6.790,00 € stehen dem Kläger somit 2.716,00 € (= 40 %) zu, von denen der Selbstbehalt in Höhe von 20 % der Stornokosten, somit 543,20 € in Abzug zu bringen ist (§ 4 Nr. 3 ABRV). Es verbleibt eine berechtigte Forderung des Klägers in Höhe von 2.172,80 €, auf die die Beklagte vorgerichtlich unstreitig 1.086,40 € bezahlt hat. Damit kann der Kläger noch 1.086,40 € restliche Zahlung verlangen. Insoweit ist seine Berufung erfolgreich.
4. Die Entscheidung über die Verzugszinsen und die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 1.086,40 € beruht auf den §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB, 13, 14 RVG, Nr. 2300, 7002, 7008 VV RVG.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.