Zur Duldungspflicht der Mitbewohner des Schuldners für die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen im Rahmen durch einen beauftragten Gerichtsvollzieher

BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – IX ZB 41/07

1. Wird der Gerichtsvollzieher im Eröffnungsverfahren durch richterlichen Beschluss angewiesen, die Wohn- und Geschäftsräume des Schuldners nach verfahrensrelevanten Unterlagen zu durchsuchen, haben Mitbewohner des Schuldners die Durchsuchung zu dulden (Rn.10).

2. Legt der Schuldner gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen Rechtsmittel ein, kann förmlich hinzugezogenen weiteren Beteiligten Prozesskostenhilfe nur gewährt werden, wenn sie in dem Verfahren eigene Rechte verfolgen können (Rn.13).

Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 23. Februar 2007 werden auf Kosten der Beschwerdeführer als unzulässig verworfen.

Der Antrag des weiteren Beteiligten zu 5 vom 22. Oktober 2007 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde wird abgelehnt.

Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerden wird auf 55.000 € festgesetzt.

Gründe
I.

1
Das Insolvenzgericht hat im Laufe des Eröffnungsverfahrens eine Reihe von Sicherungsmaßnahmen getroffen. Durch Beschluss vom 6. Februar 2007 hat es einen vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalter bestellt und diesen durch Beschluss vom 12. Februar 2007 ermächtigt, die Bücher und Geschäftspapiere sowie sämtliche Unterlagen der Schuldnerin, die für die Aufklärung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse von Bedeutung sein könnten, in Besitz zu nehmen. Das Insolvenzgericht hat den zuständigen Gerichtsvollzieher angewiesen, die Geschäftsräume der Schuldnerin und die Privaträume des Komplementärs, des weiteren Beteiligten zu 1, nach Unterlagen zu durchsuchen, die für die Aufklärung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse von Bedeutung sein könnten. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden der Schuldnerin und (hinsichtlich der Durchsuchung) der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 hat das Landgericht durch Beschluss vom 23. Februar 2007 zurückgewiesen. Am 18. Juni 2007 ist über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Es ist nach Angaben des weiteren Beteiligten zu 5 masseunzulänglich. Mit ihrer am 6. März 2007 eingegangenen und mit Schriftsatz vom 4. Juni 2007 begründeten Rechtsbeschwerde begehren die Schuldnerin und die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 unterschiedslos die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen.

II.

2
1. Die nach §§ 6, 7, 21 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Schuldnerin ist unzulässig, weil es ihr an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens fehlt (vgl. BGHZ 158, 212, 216 f; HmbKomm-InsO/Schröder, 2. Aufl. § 21 Rn. 82).

3
a) Die nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 InsO angeordnete Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hat sich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erledigt. Eine ersetzende Sachentscheidung hierüber ist nicht mehr möglich. Die mit dem Hilfsantrag der Schuldnerin erstrebte Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung ist wegen der eingetretenen prozessualen Überholung durch die Verfahrenseröffnung ebenfalls ausgeschlossen.

4
Die Schuldnerin ist insoweit auch nicht zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag übergegangen. Dieser wäre allerdings ebenfalls unzulässig. Eine solche Rechtschutzform ist weder in der Zivilprozessordnung noch in der Insolvenzordnung allgemein vorgesehen. Sie findet daher im Insolvenzverfahren nur statt, wenn eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung zum Nachteil der Schuldnerin oder eine fortwirkende Beeinträchtigung, welche eine Sachentscheidung trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels ausnahmsweise erfordert, möglich erscheinen (vgl. BGHZ, aaO S. 216 f; BGH, Beschl. v. 12. Oktober 2006 – IX ZB 34/05, WM 2006, 2329, 2330; v. 11. Januar 2007 – IX ZB 271/04, ZIP 2007, 438 f). Solche besonderen Rechtsschutzgründe sind nach der Verfahrenseröffnung im Rechtsmittelverfahren nicht ersichtlich und werden von der Schuldnerin mit der Rechtsbeschwerde auch nicht geltend gemacht. Die Wirksamkeit der Verfahrenseröffnung wird von ihr nicht in Zweifel gezogen.

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Entsprechendes gilt für die durch Beschluss vom 12. Februar 2007 ausgesprochene Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, Bücher und Geschäftspapiere sowie ähnliche Unterlagen unter den in dem Beschluss genannten Voraussetzungen in Besitz zu nehmen.

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b) Die in dem Beschluss vom 12. Februar 2007 weiterhin getroffene Anordnung, die Geschäftsräume der Schuldnerin nach insolvenzrelevanten Unterlagen zu durchsuchen, greift in den durch Art. 13 GG geschützten Bereich der Schuldnerin ein. Nach der Rechtsprechung des Senats bleibt in diesen Fällen die sofortige Beschwerde des Schuldners statthaft, wenn sein Begehren nunmehr im Sinne eines auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichteten Begehrens zu verstehen ist (BGHZ 158, 212, 217). Die Schuldnerin hat ungeachtet der in der Zwischenzeit eingetretenen Verfahrenseröffnung an dem Antrag festgehalten, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben. Hierbei hat sie sich auf die Leitentscheidung des Senats vom 4. März 2004 (BGHZ 158, 212 ff) bezogen. Aus ihr ergibt sich nicht, dass der Schuldner sein ursprüngliches Rechtsschutzziel trotz eingetretener prozessualer Überholung im eröffneten Insolvenzverfahren weiterverfolgen könnte (BGHZ aaO S. 216 f).

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Die Schuldnerin legt auch nicht dar, dass sie durch die Durchsuchungsanordnung in ihrem Grundrecht aus Art. 13 GG verletzt sein könnte, was es rechtfertige, ihre Anträge in ein Feststellungsbegehren umzudeuten. Sie macht hierzu geltend, die gegen sie gerichtete Durchsuchungsanordnung sei objektiv willkürlich und dem Gesetz fremd. Dies ist rechtlich verfehlt. Bei dem angeordneten Einsatz des Gerichtsvollziehers handelt es sich um eine nach § 4 InsO in Verbindung mit § 758 Abs. 1, § 883 Abs. 1 ZPO zulässige Hilfstätigkeit, mit der die Sicherungsaufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO gefördert wurde. Weiteres macht die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang nicht geltend.

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2. Die Rechtsbeschwerden der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 sind unstatthaft.

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a) Vor der prozessualen Überholung der richterlichen Durchsuchungsanordnung mit der Durchsuchung hätten die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Anordnungsbeschluss keine insolvenzrechtliche sofortige Beschwerde erheben können, weil eine solche, was § 6 InsO voraussetzt, in der Insolvenzordnung nicht vorgesehen ist. Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO steht gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nur dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu. Entgegen der in der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung findet die vom Senat in BGHZ 158, 212, 215 ff entwickelte Ausnahme keine Anwendung, wenn es sich – wie hier – nicht um eine vorbereitende Maßnahme des Insolvenzgerichts gemäß § 5 InsO, sondern um eine Sicherungsanordnung durch das Insolvenzgericht handelt, durch welche die Sicherungsaufgabe des nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 22 InsO bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters unterstützt werden soll.

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Der vorläufige Insolvenzverwalter ist auch ohne besondere Anordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Der Umstand, dass unter der Anschrift der Schuldnerin der persönlich haftende Gesellschafter und die weitere Beteiligte zu 2 möglicherweise wohnhaft waren, lässt die Anordnung nicht als eine Maßnahme erscheinen, die von vornherein außerhalb der Befugnisse lag, die dem Insolvenzgericht von Gesetzes wegen verliehen sind (vgl. BGHZ aaO S. 215 f). Es bleibt deshalb im Streitfall bei der Anwendung des Enumerationsprinzips des § 6 Abs. 1 InsO, welches die Anfechtungsmöglichkeit gerichtlicher Anordnungen auf die in der Insolvenzordnung ausdrücklich vorgesehenen Fälle und bezeichneten Beteiligten beschränkt. Daran ändert auch nichts, dass die Anordnung auch gegen den weiteren Beteiligten zu 1 gerichtet war, der nach dem damaligen Erkenntnisstand des Insolvenzgerichts unter der Anschrift der Schuldnerin wohnte. Die Rechtsgrundlage für die Duldungspflicht etwaiger „Mitbewohner“ der Schuldnerin ergibt sich aus § 758a Abs. 3 Satz 1 ZPO, der über § 4 InsO auf Fälle vorliegender Art jedenfalls entsprechend anwendbar ist.

11
Die prozessuale Überholung eines von Anfang an unstatthaften Rechtsmittels bewirkt nicht, dass dieses nunmehr mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Maßnahme wirksam wird. Mangels einer statthaften insolvenzrechtlichen sofortigen ersten Beschwerde (§ 6 InsO) war auch die Rechtsbeschwerde nach § 7 InsO unstatthaft (BGHZ 144, 78, 82; BGH, Beschl. v. 25. Januar 2007 – IX ZB 240/05, NZI 2007, 284).

12
b) Es kann offen bleiben, ob die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 außerhalb des § 6 InsO gegen die Anordnung der Durchsuchung allgemeine vollstreckungsrechtliche Rechtsmittel ergreifen konnten. Eine Rechtsbeschwerde wäre insoweit ebenfalls unstatthaft, weil das Beschwerdegericht gegen seine Entscheidung die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

III.

13
Das Ersuchen des weiteren Beteiligten zu 5, ihm für den angekündigten Antrag, die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin zurückzuweisen, Prozesskostenhilfe zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 4 InsO in Verbindung mit §§ 114 ff ZPO kann im Rechtsmittelverfahren gegen Anordnungen nach §§ 21, 22 InsO aus dem Kreis der förmlich hinzugezogenen weiteren Beteiligten nur den Personen Prozesskostenhilfe gewährt werden, die in dem Verfahren eigene Rechte verfolgen können. Dies ergibt sich daraus, dass Prozesskostenhilfe im Ausgangspunkt nur der „Partei“ gewährt werden kann (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieser Begriff ist allerdings weit auszulegen (vgl. Musielak/Fischer, ZPO 5. Aufl. § 114 Rn. 2; Zöller/Philippi, ZPO 26. Aufl. § 114 Rn. 6); es ist deshalb anerkannt, dass die Vorschrift auch Antragsteller, Antragsgegner sowie die Streithelfer der Parteien erfasst (vgl. Hk-ZPO/Pukall, 2. Aufl. § 114 Rn. 5; Musielak/Fischer, aaO Rn. 2; Zöller/Philippi, aaO Rn. 6). Der weitere Beteiligte zu 5 gehört im Streitfall als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht zu diesem Personenkreis (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 21 ff). Er kann Sicherungsmaßnahmen zwar anregen, aber nicht erzwingen. Ein eigenes Beschwerderecht räumt ihm die Insolvenzordnung weder gegen die Ablehnung angeregter noch gegen die Aufhebung einmal angeordneter Sicherungsmaßnahmen ein (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO; BGH, Beschl. v. 26. Oktober 2006 – IX ZB 163/05, ZInsO 2007, 34, 35; MünchKomm-InsO/Haarmeyer, aaO § 21 Rn. 41).

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