OLG Hamm, Beschluss vom 30. Januar 2015 – II-2 WF 232/14
Ist eine im Wege der einstweiligen Anordnung erlassene Gewaltschutzanordnung entgegen § 1 Abs. 1 Satz 2 GewSchG nicht befristet worden, führt dies dazu, dass in einem mehrere Jahre später geführten Ordnungsgeldverfahren wegen behaupteter Verstöße gegen die Anordnung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Beachtung zu schenken ist.(Rn.35)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 21.08.2014 aufgehoben.
Der Antrag der Antragstellerin auf Festsetzung von Ordnungsmitteln wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens erster und zweiter Instanz werden der Antragstellerin auferlegt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 300,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten waren neun Jahre lang miteinander liiert, sie trennten sich im Februar 2011 auf Veranlassung der Antragstellerin.
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Mit am 20.10.2011 erlassenen Beschluss untersagte das Amtsgericht – Familiengericht – Marl (Aktenzeichen 36 F 297/11) dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung,
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– die Antragstellerin zu bedrohen
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– sich der Wohnung der Antragstellerin I-Str. 45, N, näher als 20m zu nähern sowie den Arbeitsplatz der Antragstellerin, Gebr. C2 GmbH, C-Str. 11, N, einschließlich der zugehörigen Baustellen, aufzusuchen
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– sich der Wohnung der Eltern der Antragstellerin näher als 20m zu nähern
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– ein Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen
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– mit der Antragstellerin – auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – Verbindung aufzunehmen.
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Ferner drohte das Amtsgericht dem Antragsgegner für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Anordnungen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten an. Eine Befristung enthält der Beschluss vom 20.10.2011 nicht.
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Die vom Antragsgegner gegen vorstehenden Beschluss gerichtete Beschwerde (II-2 UF 297/11, OLG Hamm) nahm dieser – nach Durchführung einer Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren 36 F 355/11, Amtsgericht Marl – zurück. Das vorgenannte Hauptsacheverfahren hatte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 23.11.2011 mit dem Ziel eingeleitet, den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl (Aktenzeichen 36 F 297/11) insoweit aufzuheben als ihm verboten worden ist, die Antragstellerin zu bedrohen, ihren Arbeitsplatz einschließlich der zugehörigen Baustellen zu besuchen sowie sich der Wohnung der Eltern der Antragstellerin mehr als 20m zu nähern sowie um eine Befristung der Gewaltschutzanordnung zu erwirken. Vorstehenden Antrag nahm der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2012 ebenfalls zurück. Sein Verfahrensbevollmächtigter gab zudem folgende Erklärung ab: „Der Antragsteller behält sich vor, die Aufhebung der einstweiligen Anordnung vom 20.10.2011, welche unter dem Aktenzeichen 36 F 297/11 ergangen ist, zu beantragen, wenn es innerhalb von drei Jahren zu keinem Verstoß hiergegen gekommen ist.“.
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Der Antragsgegner ist mittlerweile mit der Zeugin T liiert, die in einer Wohnung im Hause I-Str. 49, N, also in unmittelbarer Nachbarschaft der Antragstellerin, lebt. Beide Häuser sind über eine von der I-Straße abgehende Stichstraße zu erreichen, an welcher zudem Parkplätze gelegen sind. Der Antragsgegner sucht die Wohnung der Zeugin T täglich auf. Die Zeugin hat einen Hund, mit welchem der Antragsgegner mehrmals täglich in der Umgebung der Wohnung spazieren geht. Am 18.05.2014 stand die Antragstellerin am Fahrbahnrand der I-Straße im Bereich der Parkplätze vor dem Haus Nr. 45, als der Antragsgegner in einem Pkw an ihr vorbeifuhr. Die näheren Einzelheiten sind streitig.
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Die Antragstellerin hat behauptet, dass sie sich seit Erlass der einstweiligen Anordnung weiterhin von dem Antragsteller beobachtet fühle. Am 22.12.2013 habe er ihr an ihrer Haustür aufgelauert. Sie sei zuvor mit dem Auto in die Stichstraße eingebogen und habe vor dem Haus Nr. 45 geparkt. Als sie auf die Haustür zugegangen sei, habe der Antragsgegner direkt vor dieser gestanden. Der Antragsgegner nutze zudem die Spaziergänge mit dem Hund seiner Freundin dazu, in der Grünanlage vor den Häusern I-Str. 45 – 49 stehen zu bleiben und die Wohnung und den Balkon der Antragstellerin zu beobachten. Dies sei u.a. am 02.03.2014 um 15:07 Uhr, am 03.03.2014 um 11:24 Uhr, am 09.03.2014 um 14:28 Uhr und am 08.03.2014 um 12:40 Uhr der Fall gewesen. Am 18.03.2014 habe sie den regelmäßigen Standort des Antragsgegners vom Balkon aus fotografiert. Auch am 18.04.2014 um 16:40 Uhr und am 27.04.2014 um 21:40 Uhr sei der Antragsgegner mit dem Hund am Haus vorbeigegangen und habe die Antragstellerin bzw. deren Balkon von den Grünanlagen aus beobachtet. Zudem parke er sein Fahrzeug seit einiger Zeit vor dem Haus, um die Antragstellerin und ihren Pkw zu beobachten. Am 18.05.2014 habe sie auf der Fahrbahn der Stichstraße vor ihrem Haus gestanden, um Fahrräder auf den Pkw des Zeugen U zu laden. Der Antragsgegner habe mit dem Pkw auf sie zu gehalten und sei mit einem Abstand von etwa einer Armlänge an ihr vorbeigefahren.
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Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 07.05.2014 zunächst beantragt,
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1. Ordnungsmittel gegen den Antragsgegner wegen behaupteter Verstöße gegen die Anordnungen aus dem Beschluss vom 20.10.2011 anzuordnen;
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2. dem Antragsgegner zu verbieten, an der Wohnung der Antragstellerin zu stehen oder vorbei zu gehen und diese zu beobachten;
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3. dem Antragsgegner zu verbieten, seinen Pkw neben oder in der Nähe des Pkw der Antragstellerin zu parken;
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4. bei einem zufälligen Zusammentreffen hat der Antragsgegner einen Abstand von 20m wieder herzustellen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2014 hat die Antragstellerin lediglich noch den Antrag zu Ziffer 1. gestellt und sich wegen der übrigen Anträge die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens vorbehalten. Mit Schriftsatz vom 22.07.2014 hat die Antragstellerin die Verhängung eines weiteren Ordnungsgeldes wegen des Vorfalls vom 18.05.2014 beantragt.
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Der Antragsgegner hat behauptet, dass er überhaupt keine Veranlassung habe, der Antragstellerin nachzustellen. Er befinde sich seit April 2012 in ambulanter Verhaltenstherapie und habe mit der Zeugin T eine neue feste Partnerschaft aufgebaut. Der Antragsgegner hat gemeint, dass der Beschluss vom 20.10.2011 aufgrund der rechtswidrig unterbliebenen Befristung nicht mehr als Grundlage für die Verhängung von Ordnungsmitteln dienen könne.
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Das Amtsgericht hat mit am 21.08.2014 verkündeten Beschluss gegen den Antragsgegner wegen des Verstoßes gegen die mit einstweiliger Anordnung vom 20.10.2011 (Amtsgericht Marl, 36 F 297/11) angeordneten Maßnahmen ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,00 EUR, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, je 1 Tag Ordnungshaft für 50,00 EUR verhängt. Die Kosten des Verfahrens hat es gegeneinander aufgehoben. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Antrag der Antragstellerin gem. § 95 Abs. 1 Nr. 3 FamFG i.V.m. § 890 ZPO begründet sei. Die einstweilige Anordnung vom 20.10.2011 sei ein wirksamer Vollstreckungstitel, da bislang keine anderweitige Entscheidung in der Hauptsache getroffen worden sei, § 56 FamFG. Ihrer Wirksamkeit stehe nicht entgegen, dass sie entgegen § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG nicht befristet worden sei. Das Fehlen der Befristung mache die Entscheidung nicht nichtig, da es sich insoweit um einen relativ unbedeutenden Gesetzesverstoß handele. Zudem habe der Antragsgegner seine auch auf das Fehlen der Befristung gestützte Beschwerde gegen den Beschluss vom 20.10.2011 zurück genommen. Der Antragsgegner habe mehrfach gegen die einstweilige Anordnung verstoßen, indem er mehrfach direkt an der Haustüre der Wohnung der Antragstellerin I-Str. 45, N, vorbeigelaufen sei und damit gegen das Gebot verstoßen habe, sich dieser nicht näher als 20m zu nähern. Dies stehe fest aufgrund der glaubhaften Angaben der Antragstellerin, den Bekundungen des Zeugen C im Termin vom 15.05.2014 sowie aufgrund des eigenen Vortrages des Antragsgegners, welcher nicht in Abrede stelle, häufiger an der Haustür der Antragstellerin vorbei zu kommen. Dieses Verhalten werde nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Freundin des Antragsgegners in unmittelbarer Nachbarschaft der Antragstellerin wohne. Denn von dem Antragsgegner sei zu erwarten, dass er seine persönliche Lebensführung nach den ihm mit Beschluss vom 20.10.2011 auferlegten Beschränkungen ausrichte. So könnte er sich von seiner Freundin auch in seiner Wohnung unter der Anschrift H-Str. 6 besuchen lassen. Die damit verbundene Einschränkung seiner Lebensführung beruhe auf eigenem Verhalten und sei daher vom Antragsgegner hinzunehmen. Andernfalls wären Maßnahmen nach dem GewSchG wirkungslos. Das für sich harmlos erscheinende Verhalten des Antragsgegners sei zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass dieser die Antragstellerin nach deren glaubhaften Angaben sowie nach denen des Zeugen C immer wieder durch Fenster und Türen beobachte. Darüber hinaus habe der Antragsgegner am 20.12.2013 gegen die Anordnung verstoßen, ein Zusammentreffen mit der Antragstellerin zu vermeiden. Er habe sich an diesem Tage nicht nur vor der Haustür des Gebäudes I-Str. 45 aufgehalten, sondern habe nach den überzeugenden Bekundungen des Zeugen U absichtlich die Nähe der Antragstellerin gesucht und damit ein Zusammentreffen mit dieser herbeigeführt. Desweiteren sei das Gericht ebenfalls aufgrund der Angaben des Zeugen U überzeugt davon, dass der Antragsgegner am 15.05.2014 gezielt auf die Antragstellerin zu gefahren sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegner die Antragstellerin nach wie vor zwar in subtiler, aber gleichwohl unzumutbarer Weise belästige und ihr nachstelle. Der Vollstreckung aus dem Beschluss vom 20.10.2011 stehe auch nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen. Die Antragstellerin habe glaubhaft über einen längeren Zeitraum vorgetragen, dass der Antragsgegner seit Erlass der einstweiligen Anordnung immer wieder ihre Nähe gesucht habe. Das von der Antragstellerin geschilderte und von den Zeugen bestätigte Verhalten des Antragsgegner stimme mit den bereits im Verfahren 36 F 355/11, Amtsgericht Marl, ermittelten Verhaltensweisen überein. Die Angaben der Antragstellerin seien zudem auch deshalb glaubhaft, weil sich der Antragsteller seinerzeit in den Verhandlungsterminen vom 20.10.2011 und 01.02.2012 völlig uneinsichtig gezeigt und auf Vorhaltungen des Gerichts nicht reagiert habe. Da der Antragsgegner sein Verhalten sei Erlass der einstweiligen Anordnung letztlich nicht verändert habe, sei die Verhängung eines Ordnungsgeldes knapp drei Jahre später nicht unverhältnismäßig.
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Hiergegen wenden sich der Antragsgegner mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde vom 15.09.2014 sowie die Antragstellerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde vom 19.09.2014, letztere jedoch nur gegen die Kostenentscheidung.
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Der Antragsgegner rügt, das Amtsgericht sei fehlerhaft von einem Verstoß gegen das Gebot, sich der Antragstellerin nicht näher als 20m zu nähern, ausgegangen. Denn die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin habe in der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2014 erklärt, dass die Entfernung zwischen dem Balkon der Wohnung der Antragstellerin und dem behaupteten Standort des Antragsgegners 22,5 m betrage. Er habe sich mithin der Wohnung nicht näher als 20 m genähert. Soweit das Amtsgericht einen Verstoß am 20.12.2013 festgestellt habe, fehle es an einer hinreichenden Beweiswürdigung. Diese setze sich insbesondere nicht mit Widersprüchen auseinander. So habe der Zeuge U angegeben, dass er mit der Antragstellerin spontan vom Einkaufen gekommen sei. Der Antragsgegner habe also gar nicht wissen können, dass sich die Antragstellerin auf der Straße befunden habe. Zudem sei diese mit dem Zeugen U zuvor an ihm vorbei gefahren und habe sich quasi selbst in den Bereich zwischen dem Antragsgegner und der Wohnung begeben. Der Antragsgegner sei also nicht direkt auf die Antragstellerin zugegangen, vielmehr habe er lediglich mit seinem Hund nach Hause gehen wollen. Es könne nicht tatbestandsmäßig sein, wenn sich die Antragstellerin dem Antragsgegner quasi in den Weg stelle und dieser nunmehr „die Flucht ergreifen“ solle. Vielmehr hätte es der Antragstellerin oblegen, kurz zu warten, bis der Antragsgegner seinen Weg beendet habe. Auch der Vorfall vom 18.05.2014 stelle keinen tatbestandsmäßigen Verstoß dar. Die vom Amtsgericht vorgenommene Beweiswürdigung sei mangelhaft, weil diese sich allein auf die vom Zeugen U überreichten Lichtbilder stütze, ohne zu berücksichtigen, aus welchem Blickwinkel diese aufgenommen worden seien. Zudem seien die Angaben der Zeugin T pauschal als nicht glaubhaft eingestuft worden, während die in der Vernehmung des Zeugen U zu Tage getretene negative Einstellung des Zeugen gegenüber dem Antragsgegner keinen Niederschlag in der Beweiswürdigung gefunden habe. Im Übrigen sei auch hier zu beachten, dass die Straße vor den Wohnhäusern der Antragstellerin und der Zeugin T nur in eine Richtung verlassen werden könne. Die Antragstellerin verlange offenbar, dass er sich nicht mehr von der Wohnung seiner Lebensgefährtin weg bewegen dürfe, wenn die Antragstellerin auf der Straße stehe. Letztlich scheitere die Verhängung eines Ordnungsgeldes auch am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da der Beschluss vom 20.10.2011 nicht befristet worden sei, müsse in diesem Zusammenhang geprüft werden, ob er noch Gültigkeit habe.
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Die Antragsgegnerin rügt mit ihrer Beschwerde, dass sie in vollem Umfang obsiegt habe, da gegen den Antragsgegner antragsgemäß ein Ordnungsgeld festgesetzt worden sei. Daher seien ihm auch die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Das Amtsgericht hat den sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und der Antragstellerin mit Beschluss vom 24.11.2014 nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der angefochtene Beschluss entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht darauf gestützt worden sei, dass der Antragsgegner auf der Straße zwischen den Bäumen stehend die Wohnung der Antragstellerin beobachtet habe. Vielmehr sei die Verhängung des Ordnungsgeldes geboten, weil der Antragsgegner mehrfach an der Haustüre der Wohnung der Antragstellerin vorbeigelaufen sei und dadurch das Näherungsverbot von weniger als 20m missachtet habe. Hinsichtlich des Vorfalls vom 20.12.2013 sei davon auszugehen, dass sich der Antragsgegner vorsätzlich in die Nähe der Antragstellerin begeben habe, weil er zunächst an der Straßenecke zur Hauptstraße gestanden habe, von wo aus er habe beobachten können, dass die Antragstellerin mit dem Zeugen U in die Stichstraße zu ihrer Wohnung gefahren sei. Er habe daher damit rechnen müssen, dass die Antragstellerin aus dem Pkw aussteigen und sich zu ihrer Wohnung begeben werde, es also zwangsläufig zu einem Zusammentreffen kommen würde, wenn er ebenfalls in Richtung I-Str. 49 zur Wohnung seiner Lebensgefährtin laufen würde. Auch hinsichtlich des Vorfalls vom 18.05.2014 ergebe sich der Verstoß gegen die Gewaltschutzanordnung bereits aus dem Umstand, dass die Entfernung zwischen der Antragstellerin und dem Pkw des Antragsgegners auch nach dessen eigenem Vortrag nicht mehr als 1,50 m betragen habe. Schon dadurch habe der Antragsgegner gegen das Näherungsverbot verstoßen, wobei es nicht darauf ankomme, dass dies die einzige Möglichkeit gewesen sei, die I-Straße mit dem Pkw zu verlassen. Denn die mit der Gewaltschutzanordnung verbundenen Einschränkungen habe der Antragsgegner – wie bereits im angefochtenen Beschluss ausgeführt – hinzunehmen. Hinsichtlich der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 07.05.2014 weitere Anträge zur Hauptsache gestellt und diese anschließend zurückgenommen habe.
II.
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Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet.
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1. Die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen den Antragsgegner aufgrund der von der Antragstellerin im Einzelnen dargelegten Verstöße kommt auf der Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 20.10.2011 mangels Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht.
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a. Die im Beschluss vom 20.10.2011 getroffenen Verbote stellen inhaltlich Unterlassungsordnungen dar, welche gem. § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG i.V.m. § 890 ZPO durch die Verhängung von Ordnungsgeld und / oder Ordnungshaft zu vollstrecken sind (vgl. Giers, in: Keidel, FamFG, 18. Auflage, § 95 Rn. 16a).
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aa. Der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Beschluss vom 20.10.2011 ist zwar nach wie vor wirksam. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 FamFG tritt eine einstweilige Anordnung bei Wirksamwerden einer anderweiten Regelung außer Kraft, sofern nicht das Gericht einen früheren Zeitpunkt bestimmt hat. Das Amtsgericht hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass eine anderweitige Regelung bislang nicht getroffen worden ist, nachdem der Antragsgegner seine auf eine Abänderung und Befristung des Beschlusses vom 20.10.2011 abzielenden Anträge im Hauptsacheverfahren 36 F 355/11, Amtsgericht Marl, zurückgenommen hat.
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bb. Auch die fehlende Befristung der mit Beschluss vom 20.10.2011 getroffenen Anordnungen führt für sich genommen noch nicht dazu, dass es an einem wirksamen Vollstreckungstitel fehlt. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, führt die entgegen der Grundregel des § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG unterbliebene Befristung der getroffenen Anordnungen nicht zu einer Nichtigkeit der Entscheidung (vgl. zum ähnlich gelagerten Fall der Strafbarkeit nach § 4 GewSchG: OLG Celle, Beschluss vom 13.02.2007 – 32 Ss 2/07 – NJW 2007, 1606). Ob bei einer unbefristeten Anordnung der bis zu einem zu ahndenden Verstoß verstrichene Zeitraum die Verhängung von Ordnungsmitteln unangemessen erscheinen lässt, ist keine Frage der Wirksamkeit des Vollstreckungstitels, vielmehr ist dies im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu prüfen.
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b. Aufgrund der vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme, aber auch auf Grundlage des eigenen Vortrags des Antragsgegners, steht fest, dass dieser gegen die Anordnungen des Beschlusses vom 20.10.2011 verstoßen hat.
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aa. Aufgrund der Angaben des Zeugen C steht zunächst fest, dass sich der Antragsgegner an dem ersten Sonntag im März 2014, also am 02.03.2014, unmittelbar vor der Haustür des von der Antragstellerin bewohnten Hauses aufgehalten hat. Der Zeuge C hat insoweit nachvollziehbar geschildert, dass er mit der Antragstellerin, seiner Mutter, und einem Freund von einem Trödelmarkt in Münster zurückgekehrt sei. Während die Antragstellerin sich bereits in ihre Wohnung begeben hatte, habe er sich noch mit dem Freund auf der Straße aufgehalten. Er habe dann den Antragsgegner beobachtet, wie er mit einem Hund vor der Haustür zum Haus Nr. 49 gestanden habe. Er habe weiter gesehen, wie sich der Antragsgegner eine Zigarette angezündet habe und in Richtung des Hauses Nr. 45 gegangen sei. Durch die Büsche habe er dann sehen können, wie der Antragsgegner mit dem Hund an der Leine an der Haustür des von der Antragstellerin bewohnten Hauses vorbeigegangen sei. Die vorzitierte Schilderung des Zeugen ist stimmig und in sich schlüssig. Sie wird vom Antragsgegner auch nicht konkret in Abrede gestellt, zumal dieser in der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2014 auf die Frage des Gerichts, weshalb er mit dem Hund nicht zur anderen Seite spazieren gehe, ausgeführt hat, eine große Runde mit dem Hund zu machen, was offensichtlich beinhaltet, die Haustür zu dem von der Antragstellerin bewohnten Haus zu passieren. Damit hat der Antragsgegner gegen das Gebot verstoßen, sich der Wohnung der Antragstellerin nicht mehr als 20 m zu nähern. Dieses ist nämlich dahingehend auszulegen, dass er sich nicht in einem Umkreis von weniger als 20 m von der Hauseingangstüre zu dem von der Antragstellerin bewohnten Mehrfamilienhaus aufhalten darf.
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bb. Es steht weiterhin fest, dass der Antragsgegner auch am 20.12.2013 gegen das Gebot, sich der Wohnung nicht mehr als 20 m zu nähern, verstoßen hat. Dies folgt bereits aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2014, in welcher er angegeben hat, vor dem Beet an der Haustür zu dem von der Antragstellerin bewohnten Haus gestanden zu haben, da der von ihm ausgeführte Hund dort habe seine Notdurft verrichten müssen. Zugleich steht aber aufgrund des Vorbringens des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren auch fest, dass dieser an diesem Tage auch gegen das Verbot, ein Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen, verstoßen hat, so dass es auf die vom Antragsgegner gerügte Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung nicht ankommt. Letztlich stellt der Antragsgegner nämlich nicht in Abrede, dass es zu einem Zusammentreffen zwischen ihm und der Antragstellerin gekommen ist, als sich diese auf dem Weg von ihrem abgestellten Fahrzeug zur Hauseingangstüre befunden hat. Der Antragsgegner meint insoweit lediglich, dass ihm nicht vorgeworfen werden könne, gezielt auf die Antragstellerin zugegangen zu sein, da er sich doch auf dem Weg zur Wohnung der Zeugin T befunden habe und es letztlich die Antragstellerin gewesen sei, die ohne weiteres hätte abwarten können und müssen, bis er an seinem Ziel angekommen sei. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da sie die Anordnungen des Beschlusses vom 20.10.2011 und den mit diesem verfolgten Zweck, nämlich den Schutz des Opfers vor weiterer Nachstellung, ins Gegenteil zu verkehren sucht. Dem Vorbringen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren ist zu entnehmen, dass er durchaus wahrgenommen hatte, dass die Antragstellerin mit ihrem Fahrzeug in die vor dem Haus I-Straße 45 gelegene Straße eingebogen ist und sodann begonnen hat, Einkäufe aus ihrem Fahrzeug auszuladen. Für den Antragsgegner war damit ohne weiteres vorhersehbar, dass die Antragstellerin nach Beendigung des Entladevorgangs den Weg zu ihrer Wohnung antreten würde. In einer solchen Situation ist der Antragsgegner gehalten zuzuwarten, bis die Antragstellerin das von ihr bewohnte Haus betreten hat und erst dann seinen Weg fortzusetzen. Denn es ist nicht die Antragstellerin, sondern der Antragsgegner, welche die Einhaltung der ihm mit Beschluss vom 20.10.2011 auferlegten Gebote sicherzustellen hat. Das Amtsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner die mit dem Beschluss vom 20.10.2011 verbundenen Einschränkungen seiner persönlichen Lebensführung hinzunehmen hat.
32
cc. Letztlich steht aufgrund des eigenen Vorbringens des Antragsgegners auch fest, dass er am 18.05.2014 mit einem Abstand von nur 1,5 m an der Antragstellerin vorbeigefahren ist, als diese im Begriff war, einen vor ihrem Wohnhaus abgestellten Pkw zu beladen. Es mag insoweit dahinstehen, ob dies als ein Verstoß gegen das Verbot, ein Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen, gewertet werden kann. Denn jedenfalls würde es auch insoweit nicht der Verhältnismäßigkeit entsprechen, wegen eines solchen Verstoßes ein Ordnungsgeld gegen den Antragsgegner anzuordnen.
33
c. Die Festsetzung von Ordnungsmitteln ist nämlich in Anbetracht der am unteren Rand anzusiedelnden Intensität der festgestellten bzw. behaupteten Verstöße des Antragsgegners vor dem Hintergrund der fehlenden Befristung des Beschlusses vom 20.10.2011 als unverhältnismäßig anzusehen.
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aa. Nach § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG, auf den auch § 1 Abs. 2 GewSchG verweist, sollen Gewaltschutzanordnungen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Die Sollvorschrift des § 1 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GewSchG – grundsätzlich Befristung – ist Ausfluss des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; denn die gerichtliche Anordnung greift stets – jedenfalls – in die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit des Täters ein. Steht nur der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Rede, gilt das Befristungserfordernis umso mehr, weil das Familiengericht bereits nach dem gesetzlichen Wortlaut des § 214 Abs. 1 FamFG auf Antrag eines Beteiligten durch einstweilige Anordnung nur eine „vorläufige“ Regelung nach § 1 oder § 2 GewSchG treffen kann, sofern ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Von einer „vorläufigen“ Regelung kann aber nur dann gesprochen werden, wenn diese von ihrem Regelungsgehalt her hinter der im Hauptsacheverfahren möglichen Regelung zurückbleibt. Die vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 214 FamFG vorgenommene Beschränkung der einstweiligen Anordnung auf eine bloß vorläufige Regelung ist Ausfluss des auch in Ansehung der Neuregelung des § 51 Abs. 3 FamFG weiterhin geltenden Grundsatzes, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – auch wenn diese nun nicht mehr von der Einleitung eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens abhängig ist – in der Regel nicht zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen darf und sich auf eine aufgrund summarischer Prüfung zu treffende, vorläufige Regelung zu beschränken hat (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 19.05.2010 – 6 UF 38/10 – FamRZ 2010, 1810, m.w.N.). Die grundsätzlich erforderliche Befristung einer einstweiligen Anordnung trägt aber nicht nur dem – bereits der Verhältnismäßigkeit gerichtlicher Maßnahmen geschuldeten – Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Rechnung. Sie ist vielmehr auch und gerade in Gewaltschutzsachen von besonderer Bedeutung. Denn die im Wege einstweiliger Anordnung getroffenen Schutzmaßnahmen kommen aus Gründen des gebotenen effektiven Opferschutzes in ihrer persönlichen, örtlichen und gegenständlichen Reichweite meist den in einer deckungsgleichen Hauptsache zu erlassenden zumindest sehr nahe, wenn nicht gleich. Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot kann daher zumeist nur (noch) im Wege der Befristung der vorläufigen Maßnahmen überhaupt Wirkkraft entfalten. Bleibt aber nur dieser Weg, um die erforderlichen Einschränkungen der Grundrechte des Täters möglichst gering zu halten, bedarf es umso dringenderer Gründe, um gleichwohl von einer zeitlichen Beschränkung abzusehen (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.).
35
bb. Vorliegend ist die im Verfahren der einstweiligen Anordnung erlassene Schutzanordnung vom 20.10.2011 nicht befristet worden. Dies hat wie oben aufgezeigt, zwar keine Auswirkung auf ihren Bestand, führt unter Beachtung der vorstehend ausgeführten Grundsätze jedoch dazu, dass dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Vollstreckung möglicher Verstöße gegen die Schutzanordnung besondere Beachtung zu schenken ist. Insoweit ist von Bedeutung, dass mit zunehmender Zeitdauer seit Erlass der Schutzanordnung höhere Anforderungen an die Schwere des zu ahndenden Verstoßes zu stellen sind, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch Rechnung zu tragen.
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cc. Unter Abwägung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist die Verhängung von Ordnungsmitteln wegen der hier in Rede stehenden Verstöße auf Grundlage der Schutzanordnung vom 20.10.2011 nicht mehr verhältnismäßig. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass der Antragsgegner eine fortwährende Präsenz im Wohnumfeld der Antragstellerin zeigt. Indes sind viele der Verhaltensweisen des Antragsgegners, worauf dieser mit der Beschwerde hinweist, schon nicht als tatbestandsmäßiger Verstoß gegen die Anordnungen des Beschlusses vom 20.10.2011 zu werten. Maßgeblich ist jedoch, dass die hier festgestellten Verstöße sich noch im unteren Bereich der denkbaren tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen bewegen. Für den Verstoß vom 02.03.2014 ist insbesondere beachtlich, dass die Antragstellerin selbst gar nicht wahrgenommen hat, dass der Antragsgegner die Hauseingangstüre zu dem von ihr bewohnten Haus passiert hat, vielmehr ist dies nur von dem Zeugen C beobachtet worden. Hinsichtlich des Zusammentreffens am 20.12.2013 vor der Hauseingangstür ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner sich der Antragstellerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme letztlich nur auf eine Distanz von zwei bis drei Metern genähert und diese auch nicht angesprochen hat. In die Abwägung einzustellen war weiterhin der Umstand, dass seit Erlass des Beschlusses vom 20.10.2011 bis zu dem ersten hier in Rede stehenden Verstoß ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren verstrichen ist, in welchem die Antragstellerin sich nicht veranlasst gesehen hat, aus dem Beschluss vom 20.10.2011 zu vollstrecken. Der Antragsgegner sollte sich indes vor Augen führen, dass der Beschluss vom 20.10.2011 weiterhin Bestand hat und evtl. weitere Verstöße im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung anders zu bewerten wären.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 87 Abs. 5 i.V.m. § 81 FamFG. Nachdem der Senat auf die – erfolgreiche – Beschwerde des Antragsgegners auch über die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu befinden hatte, konnte die ausschließlich gegen die erstinstanzliche Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin keinen Erfolg mehr haben.
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3. Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 40 Abs. 1, 35 FamGKG. Der Verfahrenswert eines Rechtsmittelverfahrens gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bestimmt sich nach der Höhe des Ordnungsgeldes (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.07.2010 – 11 WF 522/10 – zitiert nach juris).