Zur Unwirksamkeit einer formularmäßigen Vertragsstrafenregelung ohne Obergrenze bei mehreren Vertragsverstößen

LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 24. Juli 2015 – 4 O 352/14

Zur Unwirksamkeit führt auch eine Vertragsstrafenregelung, die keine Obergrenze im Falle mehrerer Vertragsverstöße enthält.(Rn.29)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch.

2
Die Klägerin ist Betreiberin des Anzeigenportals „medspezialist.de“. Hierbei handelt es sich um ein Verzeichnis, auf welchem sich Kliniken, Krankenhäuser, Ärzte, Apotheken, Senioren- und Altersheime usw. eintragen können.

3
Unter dem 24. Februar/06. März 2014 schloss die Klägerin mit dem Beklagten einen Handelsvertretervertrag, durch welchen der Beklagte als selbständiger Gewerbetreibender für die Klägerin tätig sein sollte (Anlage K 2, Anlagenband).

4
In § 6 des Vertrages heißt es u.a.:

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㤠6 Wettbewerb

6
Dem Handelsvertreter ist es für die Dauer dieses Vertrages untersagt, in selbständiger, unselbständiger oder sonstiger Weise für ein Unternehmen tätig zu werden, welches mit der D. V. GmbH in direktem oder indirektem Wettbewerb steht.

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8
Für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsverbot hat der Handelsvertreter eine Vertragsstrafe in Höhe von 8.000,00 € zu zahlen. Weitergehende Ansprüche der D. V. GmbH bleiben durch die vorstehende Regelung unberührt“.

9
W.n weiterer Einzelheiten des Handelsvertretervertrages vom 06. März 2014 wird auf die Anlage K 2, Anlagenband, Bezug genommen.

10
In Vorbereitung für seine Tätigkeit nahm der Beklagte an einer zweitägigen kostenlosen Schulung der Klägerin in Stuhr teil, die er am zweiten Tag vorzeitig aufgrund eines privaten Vorfalles unterbrach und der Klägerin per E-Mail vom 07. April 2014 mitteilte, aufgrund eines Todesfalles in seiner Familie momentan von seinen Verpflichtungen vorerst freigestellt zu werden.

11
Mit anwaltlichem Schreiben vom 26. Mai 2014 (Anlage K 6, Anlagenband) forderte die Klägerin den Beklagten aufgrund einer von ihr festgestellten Anzeige des Beklagten auf der Webseite wegen Wettbewerbsverstoßes zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 8.000,00 € auf. Der Beklagte wies die Ansprüche mit anwaltlichem Schreiben vom 11. Juni 2014 (Anlage K 7, Anlagenband) zurück.

12
Die Klägerin behauptet, sie sei im Mai 2014 auf eine Anzeige der GMJ S. Media bei e-Marketer aufmerksam geworden. Im Impressum der Anzeige sei der Firmenname Warenhaus-W. UG aufgeführt, deren Geschäftsführer der Beklagte ist. Dieser biete auf seiner Internetseite der Warenhaus-W. UG identische Dienstleistungen wie die Klägerin an, die im direkten Wettbewerb zu ihrer Tätigkeit stehen.

13
Eine identische Anzeige der GMJ S. Media sei am 03. Mai 2014 auch bei Facebook eingestellt gewesen und am 08. Mai 2014 bei ebay.kleinanzeigen.

14
Der Beklagte habe daher mit diesen Tätigkeiten gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen und sei zur Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe verpflichtet. Die Vertragsstraferegelung in § 6 des Vertrages vom 24. Februar/06. März 2014 sei auch wirksam, da sie sich lediglich auf schuldhafte Verstöße beschränke. Die Vertragsstrafe in Höhe von 8.000,00 € sei auch verhältnismäßig niedrig, da ein etwaiger Schaden weit oberhalb von 8.000,00 € liegen dürfte.

15
Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an sie 8.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Juni 2014 und 865,00 € außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Juni 2014 zu zahlen.

17
Der Beklagte beantragt,

18
die Klage abzuweisen.

19
Er bestreitet, gegen § 6 des Handelsvertretervertrages verstoßen zu haben. Zudem, so behauptet er weiter, habe die Klägerin lange vor Vertragsschluss gewusst, dass er Geschäftsführer eines deutschlandweit tätigen Unternehmens sei, was er in seinem Bewerbungsgespräch offengelegt habe. Die Berufung der Klägerin auf die Vertragsstrafe sei daher, so meint der Beklagte, wegen der ihr bekannten Geschäftsführertätigkeit missbräuchlich und könne nicht zur Verwirkung der Vertragsstrafe führen. Darüber hinaus sei die Vertragsstrafenregelung auch unwirksam, da sie nicht nach der objektiven Schwere des Verstoßes und nach dem Grad des Verschuldens differenziere und auch keine Obergrenze für den Fall mehrerer Verstöße vorsehe.

20
W.n der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage ist unbegründet.

22
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 8.000,00 € gemäß § 6 Abs. 4 des Handelsvertretervertrages vom 24. Februar/06. März 2014 in Verbindung mit § 339 BGB.

23
Denn diese Klausel über das Vertragsstrafeversprechen, bei der es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB handelt, ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.

24
Gemäß § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.

25
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist zwar grundsätzlich zulässig, aber auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr unterliegt die Vertragsstrafenklausel einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Hiernach kann eine gegen Treu und Glauben verstoßende Benachteiligung des Vertragspartners in der unangemessenen Höhe der Vertragsstrafe liegen. Dabei ist die zulässige Ausgestaltung der Regelung am doppelten Zweck der Vertragsstrafe auszurichten. Einerseits soll sie als Druckmittel den Schuldner anhalten, seiner vertraglichen Verpflichtung ordnungsgemäß nachkommen, andererseits soll sie den Gläubiger in den Stand versetzen, sich bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos zu halten. Die Druckfunktion erlaubt zwar eine spürbare Vertragsstrafe; sie muss sich aber an den in Betracht kommenden Auswirkungen orientieren. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Höhe der Vertragsstrafe ist unter Anlegung eines generellen überindividuellen Maßstabes zu prüfen, ob berechtigte und schützenswerte Interessen des Gläubigers die Festlegung einer Vertragsstrafe in der betreffenden Höhe angemessen erscheinen lassen. Dabei muss die Höhe der Vertragsstrafe in einem angemessenen Verhältnis zum möglichen Schaden stehen (vgl. OLG München, Urteil vom 29.07.2010, Az. 23 U 5643/09, OLG Hamm, MDR 1984, 404; LAG Hamm; Urteil vom 03. November 2006, Az. 7 SA 1232/06, jeweils zitiert nach juris).

26
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist bei der Höhe der Vertragsstrafe daher zwingend nach der objektiven Schwere des Verstoßes und dem Grad des Verschuldens zu differenzieren (vgl. LAG Hamm, a.a.O.). Eine Klausel über eine Vertragsstrafe in einer bestimmten Höhe für jede Begehungsform und jede denkbare Art eines Wettbewerbsverstoßes stellt hingegen eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB dar. Zudem muss die Regelung über die Vertragsstrafe eine Obergrenze für den Fall mehrerer Verstöße vorsehen (vgl. OLG München, Urteil vom 29.07.2010, a.a.O.).

27
Diesen Anforderungen wird die Vertragsstrafenregelung der Klägerin in § 6 Abs. 4 des Vertrages nicht gerecht.

28
Auch wenn sie zwar – worauf sich die Klägerin beruft – eine Vertragsstrafe nur für den schuldhaften Verstoß vorsieht, differenziert sie jedoch nicht nach der objektiven Schwere der Vertragsverletzung und dem Grad des Verschuldens des Handelsvertreters. Vielmehr ist nach dieser Klausel bei jeder Begehungsform und jeder denkbaren Art eines Wettbewerbsverstoßes eine Vertragsstrafe in Höhe von 8.000,00 € verwirkt. Nach dem Wortlaut der Klausel ist auch die Vertragsstrafe in selber Höhe für einen leichten Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot verwirkt.

29
Eine Klausel, die – wie hier – jede Differenzierung aber hinsichtlich der Schwere des Verstoßes vermissen lässt und auch bei leichten Verstößen grundsätzlich die gleiche Vertragsstrafe vorsieht, ist daher gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da die Vertragsstrafe nicht in einer Relation zu dem erwarteten Schaden steht (vgl. OLGH München, Urteil vom 29.07.2010, a.a.O.).

30
Darüber hinaus enthält die Vertragsstrafenregelung auch keine Obergrenze der Vertragsstrafe im Falle mehrerer Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot, was dazu führen kann, dass im Falle mehrerer Verstöße der Provisionsverdienst des Mitarbeiters für mehrere Jahre in einem seine Existenz vernichtenden Umfang aufgezehrt wird.

31
Dies ist auch hier relevant, da die Klägerin mehrere Verstöße auf verschiedenen Internetplattformen rügt.

32
Die Klausel stellt somit in ihrer Gesamtheit eine entgegen Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners dar.

33
Dieser Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB führt zur Unwirksamkeit der Strafklausel im Ganzen. Eine geltungserhaltende Reduktion ist ausgeschlossen (vgl. LAG Hamm, a.a.O.).

34
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.

35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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