LG Dortmund, Urteil vom 12.02.2014 – 4 O 214/11
Zur Verkehrssicherungspflicht im Krankenhaus im Zusammenhang mit der Verhinderung der Verbindung nicht kompatibler Schlauchsysteme
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt als Miterbin der Verstorbenen I die Beklagte anlässlich einer ärztlichen Behandlung in der Zeit vom 30.09.2010 bis 04.10.2010 und 07.10.2010 bis 21.10.2010 auf Schadensersatz in Anspruch.
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Vom 30.09.2010 bis 04.10.2010 wurde Frau I stationär aufgrund eines Ikterus auf der gastroenterologischen Abteilung im Hause der Beklagten im Rahmen einer Gallenkolik konservativ behandelt.
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Unter dem 07.10.2010 wurde sie erneut aufgrund von linksseitigen Unterbauchschmerzen stationär in der Gastroenterologie im Hause der Beklagten aufgenommen. Am 18.10.2010 wurde nach entsprechenden Vorbereitungen unter anderem operativ eine Entfernung der Gallenblase durchgeführt. Der Eingriff erfolgte komplikationslos. Nach Abschluss des Eingriffs erfolgte die Verlegung der Frau I. auf die Intensivstation. Am 20.10.2010 konnte sie dann von der Intensivstation auf die gastroenterologische Normalstation zurückverlegt werden.
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Am 21.10.2010 wechselte die seinerzeit diensthabende Krankenschwester Frau P gegen 13.30 Uhr die durchgelaufene „große“ Infusion bei Frau I. Diese befand sich dabei in halb sitzender Position. Ferner legte sie eine Sauerstoffmaske an, welche mit einem Zuführungsschlauch mit dem entsprechenden Wandanschluss für die Sauerstoffentnahme verbunden war. Frau P verließ daraufhin das Krankenzimmer. Als sie nach wenigen Minuten ins Zimmer zurückkehrte, stellte sie fest, dass der Dorn des Infusionszulaufschlauchs nicht mehr an der Infusionsflasche angesteckt war, sondern dieser mit dem Zuführungsschlauch der Inhalationsmaske verbunden war. Ferner lag die Atemmaske neben dem Kopf der Frau I. Die Verbindung wurde von Frau P sofort unterbrochen. Trotz umgehend eingeleiteter Rehabilitationsmaßnahmen konnte Frau I jedoch nicht wiederbelebt werden.
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Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte für den Tod ihrer Mutter, Frau I, verantwortlich sei. Es seien fehlerhaft sowohl für die Sauerstoffversorgung als auch für die Transfusion Schläuche mit identischen Anschlüssen verwandt worden. Aufgrund dessen sei es unproblematisch möglich gewesen, die Schlauchverbindungen zu vertauschen. Eine solche Kompatibilität entspreche nicht dem medizinischen Standard. Derartige Anschlüsse und Verbindungen müssten sich vielmehr durch ihren Durchmesser, ihre Farbe sowie durch unterschiedlich geformte Stecker unterscheiden, so dass ein einfaches Umstecken ausgeschlossen sei. Es dürfe nicht möglich sein, dass eine Sauerstoffverbindung an eine Transfusionsverbindung angekoppelt werden könnte und umgekehrt. Das Klinikpersonal habe dafür Sorge zu tragen, dass ein Austausch der Zuleitungen durch entsprechende Vorrichtungen abgewendet werde. Das Personal der Beklagten habe somit gegen bestehende Sicherheits- und Kontrollvorkehrungen verstoßen. Die Verwendung identischer Anschlüsse für den Transfusionstropf und für die Sauerstoffzufuhr sei als grob fahrlässig zu erachten. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass das Infusions- und Sauerstoffsystem jeweils für sich das CE-Kennzeichen tragen und daher den Sicherheitsanforderungen entsprechen mögen. Denn vorliegend ergebe sich der Sicherheitsmangel gerade daraus, dass die verwendeten Systeme hinsichtlich ihrer Anschlüsse kompatibel seien. Die Verwechselung der Schläuche habe letztlich auch zum Tod der Frau I geführt. Diese habe auch keine Absichten gehegt, sich das Leben zu nehmen, vielmehr sei sie lebensfroh gewesen.
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Die Klägerin begehrt die Erstattung der entstandenen Beerdigungskosten.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.962,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 661,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, dass die Behandlung der Frau I lege artis erfolgt sei. Bei dem Infusionswechsel sei lediglich der Dorn mit anhängendem Infusionsschlauch in die Kurzinfusion umgesteckt worden, wobei der Anschluss direkt am ZVK-Schenkel belassen worden sei. Es sei auch unzutreffend, dass geeignete Vorrichtungen zu treffen seien, welche einen Austausch der Schlauchsysteme unterbunden hätten. Vorliegend habe bei Auffinden der Verstorbenen der Dorn des Infusionsschlauches in dem Sauerstoffschlauch gesteckt. Dies sei schlichtweg nicht vorhersehbar gewesen. Es sei lediglich theoretisch möglich, den Sauerstoffschlauch von der Sauerstoffmaske abzunehmen und an den Dorn des Infusionsschlauchs anzustecken. Eine Verwechselungsgefahr bestehe jedoch nicht. Möglicherweise habe Frau I die Schläuche bewusst herausgezogen und falsch verbunden, um sich das Leben zu nehmen. Denn sie habe auch im Vorfeld geäußert, nicht mehr leben zu wollen. Das tragische Versterben sei daher im Ergebnis nicht auf eine fehlerhafte Behandlung ihrerseits zurückzuführen.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Herrn F, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Gutachten vom 30.12.2012 (Bl. 63 ff. d. A.) sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 12.02.2014 (Bl. 100 ff. d. A.).
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Klägerin stehen aus der streitgegenständlichen Behandlung der Verstorbenen I gegen die Beklagte weder Ansprüche wegen Verletzung der Pflichten aus dem Heilbehandlungsvertrag gemäß §§ 280 Abs. 1, 611 BGB noch wegen unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB zu.
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Denn die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Behandlung der Frau I dem fachärztlichen Standard entsprochen hat. Davon geht die Kammer aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen F, denen sich die Kammer in vollem Umfang anschließt, aus. Als Chefarzt der Klinik für Chirurgie, Viszeral- und Gefäßchirurgie im Klinikum O verfügt der Sachverständige sowohl über fundiertes theoretisches Wissen als auch eine umfassende praktische Erfahrung. Die Ausführungen des Sachverständigen beruhen auf einer gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. Er hat sämtliche für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen in seinem Gutachten und im Rahmen seiner Anhörung klar und eindeutig beantwortet.
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Die Kammer kann zunächst nicht feststellen, dass die Anschlüsse des Beatmungs- und des Infusionssystems kompatibel sind. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2014 vorgeführt hat, wird der Dorn des Infusionsschlauchs mit der Infusionsflasche verbunden, indem dieser durch den Gummiverschluss hindurch gestochen wird. Dabei ist ein nicht unerheblicher Kraftaufwand notwendig. Demgegenüber wird der Schlauch des Beatmungssystems auf der einen Seite mit der Beatmungsmaske, auf der anderen Seite mit dem Wandanschluss der Sauerstoffversorgung verbunden. Vorliegend war es jedoch dergestalt, dass der Dorn des Infusionsschlauchs mit dem Ende des Sauerstoffschlauchs verbunden war, der für eine Konnektion mit der Sauerstoffmaske vorgesehen ist. Es handelt sich daher – so der Sachverständige – um eine artfremde Verbindung, da an dem Dorn des Infusionssystems kein weiterer Schlauch, sondern die Infusionsflasche angeschlossen wird. Insoweit geht die Kammer im Einklang mit dem Sachverständigen davon aus, dass eine zufällige, fehlerhafte Verbindung durch die examinierte Krankenschwester P ausgeschlossen ist. Insoweit liegen für die Kammer auch keine Anhaltspunkte vor, dass Frau P nicht die hinreichende Qualifikation besaß. Daher erscheint es nur plausibel, dass die Schlauchverbindung hergestellt wurde, nachdem Frau P das Zimmer verlassen hatte.
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Aufgrund der fehlenden Kompatibilität der Anschlüsse geht die Kammer auch nicht davon aus, dass die Beklagte Vorsorgemaßnahmen hätte treffen müssen. In diesem Zusammenhang hat auch der Sachverständige angegeben, dass er einen derartigen Fall in seiner langjährigen praktischen Erfahrung als Arzt oder Gutachter noch nicht erlebt hat. Es war für die Beklagte nicht vorhersehbar, dass die Patientin selbst oder ein Dritter versehentlich den Dorn des Infusionsschlauchs mit dem Sauerstoffschlauch verbindet. Denn hierfür war es nicht nur erforderlich, den Dorn des Infusionssystems von der Infusionsflasche zu trennen, es war im Übrigen auch notwendig, den Schlauch des Sauerstoffsystems von der Atemmaske abzuziehen. Im Rahmen der Verkehrssicherungspflichten ist jedoch nicht zu erwarten, dass jegliche auch nur theoretische Gefährdung ausgeschlossen wird. Vielmehr wird eine Gefahrenquelle erst dann haftungsbegründend, sobald sich aus der zu verantwortenden Situation vorausschauend für einen sachkundigen Beurteilenden die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter Dritter verletzt werden können (BGH NJW 04, 1449). Hiervon ist jedoch im Einklang mit dem Sachverständigen nicht auszugehen. Die streitgegenständliche Verbindung der Systeme war mangels Kompatibilität nicht zu erwarten, sondern lediglich rein theoretischer Natur. Insoweit hat der Sachverständige erläutert, dass es grundsätzlich theoretisch auch möglich wäre, den Dorn des Infusionssystems in eine Schuko-Steckdose zu stecken und sich dadurch einen Stromschlag zuzuführen. Dennoch muss auch insoweit für derartig unrealistische Gefahren keine Vorsorge getroffen werden. Die Kammer geht in diesem Zusammenhang auch nicht davon aus, dass es sich für die Beklagte um ein voll beherrschbares Risiko handelte.
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Es ist im Ergebnis für die Kammer am naheliegendsten, dass Frau I die Schlauchverbindung selbst vorgenommen hat. Dafür spricht auch, dass nach Rückkehr der Frau P die Atemmaske neben der Patientin lag.
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Die Klage unterlag daher der Abweisung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.