OLG Hamm, Urteil vom 17.08.2015 – 3 U 28/15
Es stellt einen Hygienemangel dar, wenn ein Krankenhauspfleger eine Abszedierung an der Hand einer Patientin eröffnet und dabei Handschuhe trägt, mit denen er zuvor die Türklinke des Krankenzimmers berührt hatte. Der Hygienemangel kann nur als einfacher und nicht als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein.(Rn.46)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.12.2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die 1956 geborene Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz sowie Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht in Anspruch im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung im Hause der Beklagten zu 2. vom 29.12.2011 bis zum 06.01.2012.
2
Die Klägerin litt bereits seit längerem unter Beschwerden in den Bereichen der Hals-, Brust-und Lendenwirbelsäule. Im November 2011 stellte sich bei ihrem behandelnden Orthopäden, Dr. I3, wegen Beschwerden sowohl in der Halswirbel- als auch der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Ausfälle vor. Am 28.12.2011 begab sie sich wegen einer am 25.12.2011 erlittenen Blockade im Rücken in die ambulante Behandlung des Orthopäden Dr. C, welche der Klägerin eine schmerzstillende Spritze wirbelsäulennah in die linke Hüfte gab. Zudem verordnete er der Klägerin ein oral einzunehmendes Schmerzmittel. In der Folge verschlimmerten sich die Schmerzen jedoch so sehr, dass die Klägerin am 29.12.2011 per Notarzt in das Krankenhaus der Beklagten zu 2. eingewiesen und auf der orthopädischen Abteilung, deren Chefarzt der Beklagte zu 1. ist, aufgenommen wurde. Die bei der Aufnahme erhobenen Laborwerte zeigten eine deutliche Erhöhung des CRP-Wertes auf 7,1 mg/dl und eine Leukozytose von 11,3.
3
Die Klägerin erhielt über einen Venenverweilkatheter auf dem linken Handrücken einen Schmerztropf. Da die Orthopädie bis zum 2.1.2012 geschlossen hatte, wurde sie zunächst auf die Innere Station verlegt. Am 30.12.2011 erfolgte eine Kernspinuntersuchung der Wirbelsäule in der Praxis Dr. V, die keine Anhaltspunkte für eine Abszedierung oder für eine Einschmelzung erbrachte. Am 2.1.2012 wurde die Klägerin auf die orthopädische Station verlegt. Die Schmerzmittelgabe erfolgte ab diesem Zeitpunkt oral. Da die Klägerin über Beschwerden am linken Unterarm im Bereich der Venenverweilkanüle klagte, wurde diese durch die Zeugin N am 2.1.2012 entfernt, wobei die genauen Umstände zwischen den Parteien streitig sind. Am 3.1.2012 zeigte sich im Bereich der Einstichstelle des Venenverweilkatheters eine Rötung und es wurde die Diagnose einer Thrombophlebitis gestellt. Diese wurde mit einem entzündungshemmenden Furacin-Salbenverband und Heparineinreibung behandelt. Am folgenden Tag zeigte sich eine Verschlechterung des Lokalbefundes an der linken Hand. An der Einstichstelle hatte sich eine kleine Abszedierung gebildet. Daraufhin ordnete der Beklagte zu 1. eine Antibiosen mit dem Medikament Cefuroxim 500, eine Fortsetzung der Behandlung mit einem Salbenverband sowie eine Eröffnung der Abszedierung durch das Pflegepersonal an. Die Eröffnung der Abszedierung erfolgte einige Zeit später durch den Stationsleiter, den Pfleger Herrn Q, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Am Nachmittag war die Temperatur der Klägerin erhöht, der CRP-Wert betrug 19,0 und der Leukozytenwert 14,9. Am folgenden Tag wurde die Behandlung mittels Salbenverband und Antibiose fortgesetzt, der CRP Wert war auf 14,6 gefallen, der Leukozytenwert lag bei 16,2.
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Am Entlassungstag, Freitag der 6.1.2012, wurden Fotografien in der linken Hand gefertigt, die eine Ausdehnung der Phlebitis auf ca. 3-4 cm zeigen. Im Entlassungsbericht ist u.a. die Diagnose einer Phlebitis des linken Unterarmes angeführt und insoweit als Entlassungsbefund angegeben: „Rückläufige Rötung und Schwellung UA links.“ Als Therapieempfehlung wird eine Laborkontrolle und ggf. Weiterführung und Anpassung der antibiotischen Therapie ausgesprochen, wobei als letzte Medikation u.a. Cefuroxim 500 1- 0 – 1 aufgeführt ist. Der Klägerin wurde bei der Entlassung das Antibiotikum Cefuroxim mitgegeben, welches sie jedenfalls bis zum 10.1.2012 weiter einnahm.
5
Am Sonntag, 8.1.2012, stellt sich die Klägerin wegen ihrer Beschwerden an der linken Hand im St. K-Hospital E vor, wo der Befund einer ca. 4 cm langen Rötung mit leichter Druckdolenz am linken Handgelenk ohne Eiter und ohne Hinweis auf ein Abszess erhoben und die Diagnose einer Thrombophlebitis nach Viggo an der linken Hand gestellt wurde. Es wurde ein neuer Salbenverband angelegt und der Klägerin die Fortführung der Antibiose empfohlen. Am Dienstag, 10.1.2012, stellte sich die Klägerin bei ihrem Hausarzt, Herrn I2 vor, der keine weitere Antibiose verordnete. Ab dem 12.1.2012 kam es bei der Klägerin zu einer Beschwerdezunahme, weswegen sie am 16.1.2012 den Orthopäden Dr. I3 und am 17.1. und 24.1.2012 ihren Hausarzt, Herrn I2, aufsuchte. Letzterer stellte am 24.1.2012 eine Verordnung von Krankenhausbehandlung aus.
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Am 25.1.2012 erfolgte die notfallmäßige stationäre Aufnahme der Klägerin in der Medizinischen Klinik des L1-krankenhauses C1 aufgrund starker Schmerzen im LWS-Bereich mit Fieber und einer Erhöhung des CRP-Wertes auf 8,26. Ein am 26.1.2012 durchgeführtes MRT zeigte eine Spondylitis LW 3/4 mit Destruktion der Abschlussplatten und beginnender Liquifizierung der Bandscheibe. In der Blutkultur wurde der Erreger Staphylokokkus aureus nachgewiesen und eine Antibiose mit Flucloxacillin eingeleitet.
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Die Klägerin hat behauptet, bereits bei der Aufnahme am 29.12.2011 hätte eine beginnende Spondylodiszitis bestanden, die auch auf der Kernspinaufnahme vom 30.12.2011 zu erkennen gewesen, von den Beklagten jedoch übersehen worden sei. Falls die Spondylodiszitis bei der Aufnahme noch nicht vorgelegen habe, sei diese jedenfalls durch die Phlebitis und die damit in Zusammenhang stehende Behandlung fehlerhaft verursacht worden. Es sei unhygienisch gearbeitet worden, so dass der Staphylokokkus aureus in ihren Körper habe eindringen können. Der Venenverweilkatheter sei am 2.1.2012 durch eine Schreibkraft ohne Handschuhe und ohne Desinfektion erfolgt. Bei der Eröffnung der Abszedierung am 4.1.2012 sei dem Pfleger Q die Kanüle auf den Boden gefallen. Er habe sie mit den Handschuhen, die er bereits angehabt habe, aufgehoben und weiterverwenden wollen. Auf ihren Protest habe er den Raum verlassen und sei dann mit den gleichen Handschuhen, mit denen er zuvor die Nadel aufgehoben und später die Türklinke angefasst habe, wieder hereingekommen und habe die Abszedierung dann aufgestochen und ausgedrückt. Noch am Entlassungstag habe sie unter erheblichen Beschwerden gelitten. Die Entzündungswerte seien so hoch gewesen, dass sie nicht hätte entlassen werden dürfen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2012 zu zahlen,
10
2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 11.250,12 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr als Gesamtschuldner alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Behandlung vom 29.12.2011 bis 06.01.2012 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,
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4. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 1.827,84 EUR an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2012 zu zahlen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben vorgetragen: Während der stationären Behandlung der Klägerin sei keine Diszitis vorhanden gewesen, jedenfalls hätten keine Anhaltspunkte für eine solche bestanden. Der Venenverweilkatheter sei unmittelbar entfernt worden, als die Klägerin erstmals Schmerzen im Bereich des Unterarmes geklagt habe. Die Entfernung sei durch eine Krankenschwester, die Zeugin N, erfolgt. Auf die Phlebitis sei fachgerecht reagiert worden. Bei der Entlassung sei der Lokalbefund am linken Unterarm im Abklingen begriffen gewesen. Die noch bestehende moderate Erhöhung der Entzündungswerte sei kein Grund, welcher der Entlassung entgegengestanden habe. Eine weitere stationäre Behandlung sei nicht geboten gewesen.
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Das Landgericht hat die Klägerin und den Beklagten zu 1. persönlich angehört und die Zeugin N vernommen. Der Sachverständige Prof. Dr. L hat sein Gutachten im Kammertermin mündlich erläutert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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Mit dem am 18.12.2014 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Behandlung der Rückenbeschwerden sei fehlerfrei erfolgt. Zwar spreche einiges dafür, dass bereits bei Aufnahme ein schleichender Prozess der Spondylodiszitis vorgelegen habe. Hierbei handele es sich jedoch um eine seltene und im Frühstadium schwierig zu diagnostizierende Erkrankung. Das MRT vom 30.12.2011 habe keinen Hinweis auf eine Spondylodiszitis ergeben. Vielmehr hätten die im MRT zur Darstellung gelangten degenerativen Veränderungen die Beschwerden der Klägerin zu erklären vermocht. Weitergehende Untersuchungen seien nicht notwendig gewesen.
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Eine weitere stationäre Behandlung wegen der erhöhten Entzündungswerte sei nicht geboten gewesen. Insbesondere habe die Klägerin nicht in besonderem Ausmaß unter Schmerzen gelitten. Es sei daher ausreichend gewesen, ein Antibiotikum zu verordnen und im Entlassungsbrief eine Anpassung der antibiotischen Therapie sowie eine Laborkontrolle zu empfehlen.
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Es lasse sich nicht feststellen, dass die Spondylodiszitis und die Infektion mit dem Staphylokokkus aureus durch die Behandlung der Beklagten verursacht worden sei. Ursache einer Spondylodiszitis könnten kleinste Entzündungen sein, die sich in der Wirbelsäule festsetzen würden. Bei der Klägerin komme insoweit insbesondere eine Zahn- oder Kieferentzündung in Betracht. Denkbar sei zwar auch, dass die während der stationären Behandlung aufgetretene Phlebitis zur Spondylodiszitis geführt habe. Die Klägerin habe jedoch nicht nachweisen können, dass die Phlebitis ihrerseits auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen sei und kausal zu der Spondylodiszitis geführt habe.
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Das Ziehen der Venenverweilkanüle sei nicht feststellbar fehlerhaft erfolgt. Die Kammer sei aufgrund der Vernehmung der Zeugin N überzeugt, dass diese bei dem Entfernen Handschuhe getragen und anschließend einen Druckverband mit Tupfern angelegt habe. Die Zeugin habe sich nachvollziehbar noch an Einzelheiten der Behandlung der Klägerin erinnern können und zudem nachvollziehbar und plausibel dargelegt, dass sie schon zum Eigenschutz und weil sie selbst ausbilde immer Handschuhe trage. Die Klägerin habe selbst angegeben, dass im Anschluss an das Ziehen der Kanüle ein Pflaster oder Tupfer auf der Wunde befestigt worden sei.
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Eine Abstrichuntersuchung sei wegen der Phlebitis nicht geboten gewesen. Es sei richtig gewesen, ein Antibiotikum zu verordnen, als sich der Lokalbefund verschlimmert habe. Auch das Aufstechen der Eiterpustel sei richtig gewesen. Wenn man den Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstelle, dass der Pfleger mit den gleichen Handschuhen, mit denen er zuvor den Boden berührt habe, die Nadel angefasst und den Eiterpfropf aufgestochen habe, sei dies zwar fehlerhaft gewesen. Es liege jedoch kein grober Behandlungsfehler vor, da es bei Kenntnis von Krankenhausabläufen nicht schlechterdings unverständlich sei, dass Handschuhe nicht so regelmäßig gewechselt würden, wie es der hygienische Standard erfordere. Auch hinsichtlich des Staphylokokkus aureus habe die Klägerin nicht nachweisen können, dass die Infizierung durch die Behandlung der Phlebitis kausal gewesen sei. Es handele sich um einen ubiquitären Keim.
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Gegen das ihr am 14.1.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.2.2015 Berufung eingelegt und diese nach mehrfacher Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.4.2015 am 14.4. und 28.4.2015 begründet.
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Die Klägerin greift die Entscheidung des Landgerichts in folgenden Punkten an, wobei sie sich teilweise auf ein Privatgutachten des Facharztes für Innere Medizin Prof. Dr. E beruft:
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Das Eröffnen der Eiterbeule durch den Pfleger Q sei grob fehlerhaft erfolgt.
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Es sei bereits grob fehlerhaft gewesen, dass zur Entscheidung über die Versorgung des Abszesses kein Chirurg hinzugezogen worden sei. Durch die vom Pfleger vorgenommene Manipulation am Abszess sei es zu einer Ausschwemmung der Bakterien in die Blutbahn gekommen, was als Ursache der Spondylodiszitis angesehen werden müsse.
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Das Behandeln einer eitrigen Wunde mit Handschuhen, die zuvor Kontakt mit dem Krankenhausboden und der Türklinke des Behandlungszimmers gehabt hätte, stelle einen schwerwiegenden Verstoß gegen die hygienischen Mindeststandards dar. Das Landgericht sei daher auch zu Unrecht dem diesbezüglichen Beweisantritt der Klägerin durch Vernehmung ihres Ehemannes als Zeugen zur Vorgehensweise des Pflegers nicht nachgekommen.
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Ferner sei auch die anschließende antibiotische Behandlung fehlerhaft durchgeführt worden, da die Gabe zu kurz erfolgt sei. Hierdurch sei die Symptomatik lediglich kaschiert worden. Der weitere Verlauf sei medizinisch nicht hinreichend kontrolliert worden. Der Abszess hätte ärztlich überwacht werden müssen.
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Auch das Ziehen des Venenkatheters sei fehlerhaft erfolgt. Es handele sich um eine sog. aseptische Tätigkeit. Insoweit würden es die hygienischen Standards erfordern, dass vor dem Anlegen der Handschuhe eine hygienische Händedesinfektion erfolge. Die Ausführungen des Sachverständigen, es gebe für das Ziehen der Braunüle keine festen hygienischen Vorgaben, sei nicht nachvollziehbar. Dass sie die notwendige Händedesinfektion durchgeführt habe, habe die Zeugin nicht bekundet.
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Zu Unrecht gehe der Sachverständige Prof. Dr. L davon aus, dass eine beginnende Spondylodiszitis bereits zu Beginn der stationären Behandlung vorgelegen habe. Die rezidivierenden Entzündungen der Mund- und Kieferregion im Jahr 2011 würden schon aufgrund des zeitlichen Intervalls für die Entstehung keine Rolle spielen. Die leichte Erhöhung des CRP-Wertes könne nicht als Zeichen einer beginnenden Spondylodiszitis gewertet werden. Es sei vielmehr sehr wahrscheinlich, dass die Spondylodiszitis erst durch die Bakteriämie entstanden sei, die sich nach Absetzen der antibiotischen Therapie entwickelt habe.
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Die Klägerin beantragt,
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abändernd
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1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2012 zu zahlen,
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2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin 11.250,12 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin alle weiteren gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie die zukünftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Behandlung vom 29.12.2011 bis 06.01.2012 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,
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4. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 1.827,84 EUR an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2012 zu zahlen;
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hilfsweise,
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das angefochtene Urteil gem. § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung und tragen ergänzend vor:
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Das Vorbringen der Klägerin zu den Umständen der Abszessentlastung sei verspätet. Die Hygieneempfehlungen der KRINKO seien schon deswegen nicht einschlägig, da die Entfernung des Katheters durch die Zeugin N keine invasive Maßnahme dargestellt habe. Zudem stelle eine Nichtbeachtung der Empfehlungen nicht stets einen Verstoß gegen Hygienestandards dar und erst recht nicht stets einen groben Hygienefehler. Das Ablassen des Eiters sei nicht fehlerhaft erfolgt. Es sei lediglich eine Entlastung durch leichten Druck erfolgt. Dies könne auch durch Pflegekräfte erfolgen. Zudem sei der Beklagte zu 1. Unfallchirurg.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die im Protokoll genannten Krankenunterlagen Bezug genommen.
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Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten zu 1. persönlich angehört und den Zeugen C2 vernommen. Des Weiteren hat der Sachverständige Prof. Dr. L sein Gutachten ergänzend erläutert. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der ergänzenden Beweisaufnahme wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 18.08.2015 Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Ein Behandlungsfehler ist auch auf Grundlage der ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme nur insoweit feststellbar, als der Pfleger am 4.1.2012 beim Eröffnen der Abszedierung an der linken Hand der Klägerin Handschuhe getragen hat, mit denen er zuvor die Türklinke des Krankenzimmers berührt und diese dadurch kontaminiert hatte. Die Klägerin kann jedoch nicht beweisen, dass bei ihr hierdurch ein Gesundheitsschaden verursacht worden ist. Da der Verstoß gegen den hygienischen Standard nicht als grob zu bewerten ist, kommt der Klägerin insoweit auch keine Beweislastumkehr zugute.
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1. Entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung stellt es keinen Verstoß gegen den medizinischen Standard dar, dass die Zeugin N beim Ziehen des Venenkatheters am 2.1.2012 lediglich Handschuhe getragen, aber vor dem Anziehen der Handschuhe nicht zusätzlich eine hygienische Handdesinfektion durchgeführt hat.
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Wie den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L, dessen besondere Sachkunde dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren bereits bekannt ist, zu entnehmen ist, war das Anlegen der Handschuhe als hygienische Schutzmaßnahme ausreichend. Entgegen dem Berufungsvorbringen handelt es sich, so der Sachverständige, beim bloßen Entfernen, d.h. dem Herausziehen eines Venenkatheters, um keine Tätigkeit, bei der eine zusätzliche hygienische Händedesinfektion geboten gewesen wäre. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Berufung in Bezug genommenen Unterlagen, der Mitteilung „Händehygiene“ der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am RKI oder dem Merkblatt „Händedesinfektion vor aspetischen Tätigkeiten“. In dem zuletzt genannten Merkblatt ist das Legen von Kathetern aufgeführt und die Konnektion/Diskonnektion, was sich aber, wie der Sachverständige im Senatstermin bestätigt hat, auf Manipulationen an liegenden Kathetern bezieht, nicht aber das Entfernen eines Katheters. Soweit die Mitteilung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am RKI eine Händedesinfektion auch vor Kontakt mit dem Bereich von Einstichstellen von Kathetern als erforderlich bewertet, gilt dies nur, wie sich im Umkehrschluss daraus ergibt, dass bei invasiven Maßnahmen wie dem Legen von Venenkathetern die Händedesinfektion ausdrücklich zusätzlich zum Anlegen der Handschuhe gefordert wird, wenn bei diesem Kontakt keine Schutzhandschuhe getragen werden. Auch die S2-Leitlinie „Händedesinfektion und Händehygiene“ (AWMF Nr. 029/027) nennt in diesem Zusammenhang lediglich das Legen von Kathetern und die Manipulation an liegenden Kathetern als Maßnahmen, die zusätzlich eine hygienische Händedesinfektion erfordern (Ziff. 2), nicht aber das Ziehen eines Katheters. Der Sachverständige hat hierzu erläutert, dass es bei Ziehen eines Katheters zwar zu einer leichten Nachblutung komme, aufgrund des Venendrucks aber lediglich Blut nach außen austrete, nicht aber die Gefahr bestehe, dass Kontaminationen gegen den Blutdruck in umgekehrter Richtung von außen nach innen eindringen könnten.
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2. Was die Behandlung der Abszedierung an der linken Hand der Klägerin angeht, so ist diese lediglich insoweit fehlerhaft erfolgt, als der die Abszedierung am 4.1.2012 eröffnende Pfleger hierbei Handschuhe getragen hat, die durch das zuvor erfolgte Anfassen der Klinke der Tür des Krankenzimmers der Klägerin kontaminiert waren.
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a) Zu Unrecht beanstandet die Klägerin zunächst unter Berufung auf das Privatgutachten von Prof. Dr. E, dass kein Chirurg hinzugezogen worden sei, um eine Entscheidung über die weitere Versorgung des Abszesses zu fällen.
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Der Privatgutachter übersieht offensichtlich, dass schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin die Anordnungen zur Behandlung der Abszedierung durch den
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Beklagten zu 1., den Chefarzt Dr. I, getroffen worden sind. Dieser ist u.a. auch Facharzt für Unfallchirurgie. Dies betrifft nicht nur die Verordnung des Antibiotikums, sondern auch, wie die Klägerin auf Vorhalt des Senats noch einmal bestätigt hat, auch das Eröffnen der Abszedierung durch den Pfleger Herrn Q.
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Nicht zu beanstanden ist weiter, wie der Sachverständige ausgeführt hat, dass die Eröffnung der Abszedierung nicht durch den Beklagten zu 1. selbst oder einen anderen Arzt, sondern durch eine examinierte Pflegekraft, nämlich den Stationsleiter Herrn Q, erfolgt ist. Anzumerken ist insoweit, dass auch dem Privatgutachten nicht die Behauptung entnommen werden kann, die Eröffnung selbst habe nur durch einen Arzt vorgenommen werden dürfen.
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b) Was die grundsätzliche Durchführung der Eröffnung der Abszedierung angeht, so hat der Sachverständige hierbei auch unter Berücksichtigung der im Termin gemachten Angaben der Klägerin und des Zeugen C2 keinen Fehler erkennen können. Insbesondere war es, so der Sachverständige, nicht fehlerhaft, das Entleeren des Eiters durch leichten Druck zu unterstützen. Der Auffassung des Privatgutachters, beim Eröffnen des Abszesses seien Bestandteile des Eiters in die Blutbahn gelangt, ist der Sachverständige entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass beim Eröffnen des Abszesses durch Aufstechen und Ausüben leichten Drucks der Eiter den Weg des geringsten Widerstandes gehe und deshalb nach außen austrete und nicht etwa gegen den Blutdruck nach innen.
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Soweit die Klägerin erstmals nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 03.08.2015 die Behauptung aufgestellt hat, der Pfleger habe den Eiterpfropf gegen ihren erklärten Willen mit Gewalt ausgedrückt, hat sie an dieser Schilderung, die im Übrigen auch mit ihren Angaben im Kammertermin nicht in Einklang steht, bei ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat nicht festgehalten. Zudem findet diese von den Beklagten bestrittene Darstellung aber auch in den Bekundungen des Zeugen C2, des Ehemannes der Klägerin, keine Bestätigung.
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Der Zeuge hat lediglich geschildert, dass seine Frau zunächst gefragt habe, ob es eine andere Möglichkeit als das Aufstecken des Abszesses gebe, es aber keine weitere Diskussion gegeben habe, nachdem der Pfleger mitgeteilt habe, der Chefarzt habe die Eröffnung angeordnet. Ein Ausdrücken unter Anwendung von Gewalt haben im Senatstermin weder die Klägerin noch der Zeuge geschildert. Der Zeuge hat diesbezüglich vielmehr bekundet, das „Ausdrücken“ könne auch durch Zug erfolgt sein.
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c) Als Verstoß gegen den einzuhaltenden hygienischen Standard ist es jedoch zu bewerten, dass der Pfleger beim Eröffnen der Abszedierung kontaminierte Handschuhe getragen hat.
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Aufgrund der Aussage des Zeugen C2 geht der Senat davon aus, dass der Pfleger die Handschuhe bereits beim abermaligen Betreten des Krankenzimmers der Klägerin getragen und jedenfalls mit der linken Hand die Türklinke berührt hat. Hingegen ist schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin, aber auch aufgrund der Aussage des Zeugen C2 nicht feststellbar, dass es sich bei den benutzten Handschuhen auch um diejenigen gehandelt hat, mit denen der Pfleger zuvor die erste heruntergefallene Kanüle vom Boden aufgehoben hatte. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Berufung es zu Unrecht als verfahrensfehlerhaft rügt, dass das Landgericht den Zeugen C2 nicht vernommen hat. Da das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass auch dann, wenn man das Vorbringen der Klägerin, zu dessen Beweis der Zeuge benannt war, als richtig unterstellt, eine Haftung mangels Kausalität ausscheidet, durfte es von der Vernehmung des Zeugen absehen.
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Auch wenn man lediglich zugrunde legt, dass der Pfleger zuvor mit den Handschuhen beim Betreten des Zimmers die Türklinke angefasst hat, stellt es bereits ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen dar, dass mit diesen Handschuhen anschließend die Manipulation an der Abszedierung vorgenommen worden ist. Der Sachverständige hat insoweit darauf verwiesen, dass die Handschuhe schon in Folge des Anfassens der Türklinke als kontaminiert anzusehen waren.
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d) Hingegen gibt die Vorgehensweise der Beklagten bei der antibiotischen Behandlung der Phlebitis und der Abszedierung entgegen den Ausführungen des Privatgutachters wiederum keinen Anlass zu Beanstandungen.
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aa) Prof. Dr. E, beanstandet die antibiotische Behandlung als nicht konsequent genug und zu kurz und rügt, dass keine ärztliche Kontrolle der antibiotischen Therapie erfolgt sei mit der Folge, dass die Antibiose lediglich dazu geführt habe, die
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Symptomatik vorübergehend zu reduzieren, nicht aber zu einer Abheilung des Abszesses.
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Die Ausführungen des Privatgutachters der Klägerin überzeugen indes bereits für sich gesehen nicht, da dieser zwar den Behandlungsverlauf teilweise referiert, ihn jedoch nicht in erkennbarer Weise seiner Würdigung zugrunde legt.
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Der Klägerin ist -nach einer Laborkontrolle vom 05.01.2012 mit rückläufigen Werten beim CRP- bei der Entlassung am Freitag, 6.1.2012, von Seiten der Beklagten das Antibiotikum Cefuroxim mitgegeben worden und zwar offensichtlich in so ausreichender Menge, dass sie es jedenfalls bis zur Vorstellung bei ihrem Hausarzt am 10.1.2012 hat weiter einnehmen können. Zudem sind im Entlassungsbericht die Behandlung der Thrombophlebitis, die Verordnung des Antibiotikums und die Kontrolle der antibiotischen Therapie ausdrücklich angesprochen. Tatsächlich hat sich die Klägerin zunächst am 8.1.2012 im St. K-Hospital in E1 vorgestellt, wo man aber, wie der Privatgutachter selbst auf Seite 5 seines Gutachtens mitteilt, bei der Untersuchung weder Eiter noch einen Hinweis auf einen Abszess finden konnte und unter der Diagnose einer Thrombophlebitis lediglich die Fortführung der Antibiose für angezeigt erachtete. Ferner hat sich die Klägerin zur Kontrolle und Entscheidung über die weitere Behandlung am 10.1.2012 bei ihrem Hausarzt, Herrn I2 vorgestellt, der dann eine Fortführung der Antibiose nicht mehr für erforderlich erachtet hat. Tatsächlich sind, worauf der Sachverständige Prof. Dr. L bereits im Kammertermin hingewiesen hat, sowohl der Abszess als auch die Thrombophlebitis an der linken Hand der Klägerin in der Folge vollständig abgeheilt. Den Krankenunterlagen des L-krankenhauses C1 lässt sich nichts dafür entnehmen, dass bei der Aufnahme am 25.1. noch eine Entzündung an der Hand erkennbar gewesen wäre.
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Bei dieser Sachlage ist schon nicht nachvollziehbar, wo Prof. Dr. E Defizite seitens der Beklagten in der Kontrolle der weiteren Behandlung und der Entscheidung über die weitere Gabe von Antibiotika meint ausmachen zu können.
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bb) Vor diesem Hintergrund gelangt der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L in überzeugender Weise zu der Bewertung, dass die Vorgehensweise der Beklagten bei der Antibiose im Einklang mit dem medizinischen Standard steht. Er verweist darauf, dass die Behandlung bereits am 4.1.2012 begonnen und über den Zeitpunkt der Entlassung aus der stationären Behandlung hinaus fortgeführt worden ist, wobei er insbesondere auch die Dauer von insgesamt 7 Tagen – vom 4.1. bis 10.1.2015 – als ausreichend ansieht. Auch die Nachkontrolle durch den ambulant behandelnden Hausarzt entspricht, so der Sachverständige, dem medizinischen Standard.
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cc) Soweit die Klägerin im Senatstermin geltend gemacht hat, zum Entlassungszeitpunkt am 6.1.2012 habe bei ihr eine Blutvergiftung vorgelegen, hat der Sachverständige hierfür den Behandlungsunterlagen keinerlei Anhaltspunkte entnehmen können. Die von der linken Hand der Klägerin am 6.1.2012 gefertigten Lichtbilder zeigen lediglich das Bild einer Thrombophlebitis. Eine Blutvergiftung ist weder im St. K-Hospital am 8.1.2012 noch durch Dr. I2 am 10.1.2012 diagnostiziert worden.
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3. Soweit nach dem oben Ausgeführten den Beklagten ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, kann der Senat jedoch nicht die Feststellung treffen, dass dieser Fehler für einen Gesundheitsschaden der Klägerin, insbesondere die später im L1-krankenhaus in C1 diagnostizierte Spondylodiszitis, ursächlich geworden ist.
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a) Die Beweislast für die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und den geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen trifft grundsätzlich die Klägerin. Diesen Beweis kann sie nach der durchgeführten Beweisaufnahme jedoch nicht führen.
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aa) Bereits in seinem schriftlichen Gutachten hat Prof. Dr. L darauf hingewiesen, dass grundsätzlich jede Entzündung im Körper zu einer Diszitis führen könne. Der Sachverständige hat es daher zum einen für möglich erachtet, dass die bei der Klägerin aufgetretene – und nicht durch einen Behandlungsfehler verursachte – Thrombophlebitis zu der Spondylodiszitis geführt hat (Seite 14 des Gutachtens). Er hat es aber zum anderen auch für möglich erachtet, dass die Klägerin bereits bei Aufnahme in das Krankenhaus der Beklagten eine Infektion im Körper gehabt haben könnte und zur Begründung darauf verwiesen, dass der am 29.12.2011 ermittelte CRP-Wert als Hinweis auf eine mögliche Infektion zu werten ist, ohne dass jedoch positiv festgestellt werden könnte, ob eine solche tatsächlich vorlag. Des Weiteren hat der Sachverständige bereits im Kammertermin auch nicht gänzlich ausschließen wollen, dass ein unsachgemäßes Eröffnen der Abszedierung zu der Thrombophlebitis geführt habe könnte.
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bb) An dieser Beurteilung hat Prof. Dr. L auch bei der Befragung durch den Senat festgehalten.
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Er ist insbesondere der – allerdings schon nicht weiter begründeten – Auffassung des Privatgutachters entgegen getreten, der erhöhte CRP-Wert könne nicht als ein möglicher Hinweis auf das Vorliegen einer beginnenden Spondylodiszitis angesehen werden. Der Sachverständige hat klargestellt, dass der CRP-Wert von 7,1 mg/dl um ein Vielfaches über dem Normwert liege und ein erhöhter CRP-Wert – wie dem Senat auch aus zahlreichen anderen Verfahren geläufig ist – ein Hinweis auf einen entzündlichen Prozess darstellen kann. Zugleich hat er darauf verwiesen, dass es sich bei der Spondylodiszitis um eine sich sehr langsam entwickelnde Erkrankung handele und dass es regelmäßig 2 bis 6 Monate dauere, bis die Diagnose gestellt werde.
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Der Beurteilung des Privatgutachters Prof. Dr. E, es sei sehr wahrscheinlich, dass es infolge der Behandlung der Abszedierung zu der später im L1-krankenhaus festgestellten Infektion mit Staphylokokkus aureus, der Bakteriämie und der Spondylodiszitis gekommen sei, hat sich der Sachverständige Prof. Dr. L nicht anschließen können und zur Begründung darauf verwiesen, dass sowohl die Abszedierung selbst als auch die Phlebitis im weiteren Verlaufe vollständig abgeheilt seien. Der Sachverständige hat insoweit seine bereits in erster Instanz dargelegte Beurteilung bekräftigt und es als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, dass die primären Befunde – Abszess und Phlebitis – unter fachgerecht durchgeführter Behandlung abheilen, zugleich aber an anderer Stelle eine so schwere Entzündung wie eine Spondylodiszitis verursachen.
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b) Eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen über den groben Behandlungsfehler kommt der Klägerin nicht zugute, da der festgestellte Verstoß gegen den hygienischen Standard auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L nicht als grob bewertet werden kann.
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aa) Ein grober Behandlungsfehler setzt einen Verstoß gegen bewährte elementare Behandlungsregeln, gegen gesicherte grundlegende Erkenntnisse der Medizin voraus, es muss sich um einen Fehler handeln, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich ist (vgl. hierzu nur Pauge, Arzthaftungsrecht, 13. Aufl., Rn. 586 mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Er erfordert dabei nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen den medizinischen Standard, sondern ein schlechterdings unverständliches Fehlverhalten (Pauge, a.a.O., Rn. 587). Bei der Beantwortung der Frage, ob von einem groben Behandlungsfehler auszugehen ist, handelt es sich zwar um eine juristische Wertung, die dem Gericht obliegt. Sie muss jedoch in den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen eine ausreichende Grundlage finden (Pauge, a.a.O., Rn. 578 f. m.w.N.).
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bb) Hiervon ausgehend kann ein grober Behandlungsfehler im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.
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Ob das Vorliegen eines groben Fehlers allerdings bereits mit der vom Landgericht angestellten Erwägung verneint werden kann, dass es in Kenntnis von Abläufen im Krankenhaus nicht schlechterdings unverständlich sei, dass Handschuhe nicht so regelmäßig gewechselt würden, wie es der hygienische Standard erfordere, erscheint zweifelhaft.
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Jedenfalls aber vermag sich der Senat nicht der Sichtweise der Berufung anzuschließen, die letztlich darauf hinausläuft, dass jeglicher Verstoß gegen den hygienischen Standard einen groben Behandlungsfehler darstellen würde. Vielmehr ist es überzeugend, wenn der Sachverständige Prof. Dr. L ausführt, dass aus medizinischer Sicht hinsichtlich der einzuhaltenden hygienischen Anforderungen in vier Risikogruppen unterteilt wird, und dementsprechend in dieser Frage danach differenziert, in welche Risikogruppe die Tätigkeit fällt, welche unter Verletzung des hygienischen Standards vorgenommen wird. Es liegt für den Senat auf der Hand, dass ein Verstoß gegen den hygienischen Standard umso schwerer wiegt und umso unverständlicher ist, je höher das Infektionsrisiko und je gravierender die Folgen einer möglichen Infektion sein können. Der Sachverständige hat die von ihm vertretene Auffassung damit verdeutlicht, dass auch aus seiner Sicht Verstöße gegen die Standards der Händehygiene bei den Risikogruppen 3 und 4, etwa bei einer Gelenkpunktion, nicht hinnehmbar sind. Was den hier in Rede stehenden Fehler angeht, verweist der Sachverständige jedoch darauf, dass die Tätigkeit lediglich der untersten Risikogruppe zuzuordnen ist. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang erläutert, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass gegen den bei der Eröffnung ausströmenden Eiter etwas in die Wunde gelangt, und weiter dargelegt, dass auch dann, wenn die – im Übrigen von vorneherein nur bakterienarmen, aber nicht sterilen – Handschuhe durch das Berühren der Türklinke zusätzlich kontaminiert worden sind, nicht wahrscheinlich ist, dass dies gravierende Folgen nach sich zieht.
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Bei dieser Sachlage ist die Beurteilung des im vorliegenden Falle unterlaufenen Verstoßes gegen die Hygienestandards jedenfalls nicht als ein schlechterdings unverständliches Fehlverhalten zu bewerten.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
82
Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 ZPO).