OLG Köln, Urteil vom 18.09.2015 – 19 U 50/15
Zur Tierhalterhaftung bei Sturz eines vor einem Hund fliehenden Fahrradfahrers
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.03.2015 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 12 O 43/14 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Versäumnisurteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 23.04.2014 – 12 O 43/14 – bleibt aufrechterhalten.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO abgesehen.
II.
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Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist auf die zulässige Berufung des Klägers abzuändern, weil es auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO beruht.
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Zwar hat das Landgericht den Rechtsstreit zu Recht aufgrund des zulässigen Einspruchs des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 23.04.2014 gemäß §§ 338-340, 342 ZPO in die Lage vor seiner Säumnis zurückversetzt.
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In der Sache hat der Einspruch jedoch keinen Erfolg.
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1. Die Klage ist zulässig, auch mit dem Feststellungsantrag zu 1). Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor.
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Zwar fehlt dann, wenn die Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist, im Interesse der endgültigen Klärung des Streitstoffs das abstrakte Feststellungsinteresse (vergleiche Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage, § 256 Rn. 7a). Nicht zumutbar ist die Beachtung des Vorrangs der Leistungsklage aber, wenn der Kläger den Anspruch noch nicht beziffern kann, was bei Verletzung eines absoluten Rechtsguts unter anderem dann der Fall ist, wenn künftige Schadensfolgen möglich, ihre Art und ihr Umfang aber noch ungewiss sind (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., Rn. 7a, 9, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH). In solchen Fällen, in denen sich der Schaden zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung befindet, ist die Feststellungsklage insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte (vergleiche BGH, Urteil vom 30.03.1983, VIII ZR 3/82, zitiert nach juris). Der Kläger ist grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten (vergleiche BGH, Urteil vom 21.02.1991, III ZR 204/89, zitiert nach juris).
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Hier war für den Kläger die Bezifferung seines Schadens aus dem Vorfall vom 13.07.2013 im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht ganz möglich, da die Folgen und die weitere Entwicklung noch nicht absehbar waren. Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht am 23.04.2014 hat er bekundet, noch unter Verspannungen und Zugschmerzen zu leiden, seine osteopathische Behandlung sei noch nicht abgeschlossen. Dies erscheint im Hinblick auf die Schwere der erlittenen Rückenverletzung plausibel. Dass inzwischen mehr als ein weiteres Jahr vergangen und die Schadensentwicklung möglicherweise abgeschlossen ist, ändert nichts an der Zulässigkeit der Feststellungsklage. Auch wenn das Feststellungsinteresse als Prozessvoraussetzung grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen muss, ist eine in zulässiger Weise erhobene Feststellungsklage nicht zwingend in eine Klage auf Leistung umzustellen, wenn der Schaden im Verlauf des Prozesses bezifferbar geworden ist (vergleiche BGH, Urteil vom 17.10.1993, V ZR 84/02, zitiert nach juris).
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2. Die Klage hat in der Sache – entgegen der Auffassung des Landgerichts in seinem erstinstanzlichen Urteil – Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gemäß § 833 S. 1 BGB zu.
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Dass der Kläger am 13.07.2013 auf dem öffentlichen Weg zwischen C-C und O mit seinem Fahrrad gestürzt und dabei verletzt worden ist, steht nicht im Streit. Auch das Ausmaß der Verletzungen, nämlich Fraktur der Dornfortsätze C6/C7 sowie BWK1/BWK2, Deckplattenimpressionsfraktur BWK 12 und Schädelprellung, ist unstreitig.
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Gestritten wird letztlich lediglich über die Frage, ob der Unfall des Klägers durch die Hunde des Beklagten, einem Bernersennenhund und einem Schäferhundmischling, herbeigeführt worden ist.
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a) Nach dem Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme sowie dem Inhalt der beigezogenen Akten zu dem Strafverfahren vor dem Landgericht Köln zu Az. 153 Ns 57/14 (= Staatsanwaltschaft Köln, Az. 932 Js 8464/13) sowie zu dem Verwaltungsvorgang der Stadt Bergneustadt zu Aktenzeichen 32-60- 01/4734/33 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger durch eine Attacke der beiden vorgenannten Hunde des Beklagten mit seinem Fahrrad zu Fall gekommen ist und sich die Verletzungen dabei zugezogen hat.
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Zutreffend ist das Landgericht von der Beweislast des Klägers hinsichtlich der den Anspruch aus § 833 S. 1 BGB begründenden Umstände ausgegangen, was auch für die fragliche Verletzung durch das Tier gilt (vergleiche Palandt-Sprau, a.a.O., § 833 Rn. 20).
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Dem Landgericht ist auch – entgegen der Auffassung des Klägers – kein Verfahrensfehler vorzuwerfen, soweit es nach dem Richterwechsel die zuvor durchgeführte und protokollierte persönliche Anhörung der Parteien nicht wiederholt hat. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gemäß § 355 ZPO liegt nicht vor, unabhängig von der Frage, ob diese Regelung überhaupt auf die Anhörung der Parteien im Sinne von § 141 Abs. 1 ZPO anzuwenden ist. Denn grundsätzlich ist nicht einmal die Wiederholung einer Beweiserhebung nach einem Richterwechsel erforderlich (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., § 355 Rn. 6). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es um die Verwertung nicht im Protokoll aufgenommener Eindrücke geht (vergleiche BGH, Urteil vom 04.02.1997, XI ZR 160/96; OLG Hamm, Urteil vom 20.06.2007, 20 U 247/06; zitiert nach juris). Hier hat das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung jedoch ausschließlich den protokollierten Inhalt der Anhörung des Klägers verwertet.
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Jedoch hält die von dem Landgericht vorgenommene Würdigung der nach dem Sachvortrag beider Parteien feststehenden Tatsachen einer insbesondere an der allgemeinen Lebenserfahrung ausgerichteten Überprüfung nicht stand. Daher ist der Senat hier nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die von dem Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen gebunden und hat Beweis erhoben durch Vernehmung der beklagtenseits benannten Zeuginnen C2 und T U sowie durch Vernehmung des Klägers als Partei.
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aa) Der Kläger hat bei seiner Vernehmung vor dem Senat bekundet, dass er am 13.07.2013 bei einer Fahrradtour durch den Wald an dem dort abseits gelegenen Hausgrundstück des Beklagten vorbeigefahren sei. Dabei habe er aus Richtung des Hauses aggressives Hundegebell gehört und kurz darauf zwei große Hunde hinter sich gesehen, die ihn verfolgten. Daraufhin habe er „in die Pedale getreten“, um vor den Hunden zu flüchten. Gerade in dem Augenblick, als er nach hinten sehend wahrgenommen habe, dass die Hunde von ihm abgelassen hatten, sei er von der Straße abgekommen, mit dem Vorderrad in einen Graben geraten und schwer gestürzt. Danach sei er zwar bei Bewusstsein gewesen, habe allerdings heftige Schmerzen gehabt und sich langsam aufgerichtet. Da er keine andere Möglichkeit gesehen habe, Hilfe zu erreichen, habe er sich sodann unter Schmerzen zu Fuß nach Hause geschleppt. Von dort sei er ins Krankenhaus eingeliefert worden.
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bb) Für die Richtigkeit der Angaben des Klägers zum Hergang des streitgegenständlichen Unfalls sprechen folgende Indizien:
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Unstreitig ist der Kläger auf der Straße B I in Höhe des von dem Beklagten bewohnten Anwesens gestürzt. Von Seiten des Beklagten ist auch nicht bestritten worden, dass der Kläger beim Zurückschauen von der Straße abgekommen und mit hoher Geschwindigkeit in einen Graben gefahren ist. Es widerspricht allerdings jeglicher Lebenserfahrung, anzunehmen, dass sich ein Fahrradfahrer ohne Grund bei hoher Geschwindigkeit umdreht, um nach hinten zu sehen. Der von dem Kläger angegebene Grund dafür, nämlich von zwei großen Hunden verfolgt worden zu sein, erscheint durchaus plausibel. Es mögen zwar für den Sturz des Klägers auch zahlreiche andere Gründe infrage kommen. Solche sind hier jedoch weder von dem Beklagten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Demgegenüber sprechen weitere Indizien für den von dem Kläger genannten Grund seines Sturzes.
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Unstreitig wurden auf dem Hof des Beklagten seinerzeit zwei große Hunde gehalten, die der Beschreibung des Klägers entsprechen, nämlich ein großer dunkler Hund und ein kleinerer heller Schäferhundmischling. Soweit der Beklagte im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat darauf hingewiesen hat, es würden auch andere Hunde frei herumlaufen, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich gerade im Bereich der Unfallstelle, d.h. in unmittelbarer Nähe des Hausgrundstücks des Beklagten, weitere Hunde aufgehalten haben. Die Hunde des Beklagten befanden sich seinem Vortrag zufolge regelmäßig draußen. Bereits in zahlreichen Fällen sind Fußgänger, Fahrradfahrer und andere Fahrzeugführer, die das Anwesen des Beklagten passierten, mit dessen Hunden konfrontiert worden und haben sich von diesen angegriffen oder zumindest bedrängt gefühlt. Dies entspricht den Bekundungen der Zeugen N und N2 Q, N3 und F T2, I2, X, U2, O2 und C3 C4, B2, C5 und L in dem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Gummersbach zu Az. 82 Ds 10/14 (= Staatsanwaltschaft Köln, Az. 932 Js 8464/13) zu ähnlichen Vorfällen in der Zeit von März bis Juni 2013, vereinzelt auch bereits aus November 2011. Bereits erstinstanzlich hat der Kläger durch Bezugnahme auf den Inhalt der vorgenannten Strafakte diese Aussagen in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt. Das Landgericht hatte ausweislich des Tatbestands seines Urteils die vorgenannte Akte beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Der Beklagte ist den sich daraus ergebenden Feststellungen bis auf den Hinweis auf die mangelnde Rechtskraft seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Gummersbach nicht substantiiert entgegengetreten. Erst mit der Berufungserwiderung ist unter Bezugnahme auf die Berufungsbegründung bestritten worden, dass Nachbarn durch frei laufende, unbeaufsichtigte Hunde „beängstigt und verfolgt“ wurden, was als neues Verteidigungsmittel gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen ist. Dem ebenfalls beigezogenen Verwaltungsvorgang der Stadt Bergneustadt zu Az. 32-60-01/4734/33 zufolge hatten sich die Zeugen N Q, N3 und F T2, I2, O2 C4 und B2 im Juli 2013 mit entsprechenden Angaben zu Vorfällen, bei denen sie von den freilaufenden Hunden des Beklagten angegriffen worden sind, an die Ordnungsbehörde gewandt. Auch wenn die vorgenannten Zeugen aus dem Straf- und Verwaltungsverfahren den Vorfall vom 13.07.2013, bei dem der Kläger gestürzt ist, nicht beobachtet haben, worauf das Landgericht in seiner erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen hat, folgt daraus ein deutliches Indiz für die Gefährlichkeit der beiden Hunde des Beklagten, ihr Verhalten gegenüber Passanten und ihr regelmäßiges Freilaufen. Letzteres ist sogar von dem Beklagten eingeräumt worden: Die Hunde wurden regelmäßig draußen gehalten und nur bei seiner Abwesenheit in die Garage gesperrt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte in der Lage gewesen ist, die Hunde auf dem Grundstück, das seinen eigenen Angaben zufolge wegen seiner Größe nur teilweise umzäunt ist, hinreichend zu beaufsichtigen.
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Für die Richtigkeit der Unfallschilderung des Klägers spricht zudem die Plausibilität und Konstanz seiner Angaben sowohl in dem vorgenannten Strafverfahren als auch im vorliegenden Rechtsstreit, insbesondere bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht sowie schließlich im Rahmen seiner Vernehmung als Partei vor dem Senat. Die in dem erstinstanzlichen Urteil aufgezeigten Bedenken gegen die Nachvollziehbarkeit der Bekundungen des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung überzeugen nicht. Soweit das Landgericht seinen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zufolge Angaben des Klägers dazu vermisst hat, inwieweit der Graben von ihm nicht schon vorher hätte bemerkt werden können und insoweit ein Sturz möglicherweise hätte vermieden werden können, betrifft dies Umstände, die gegebenenfalls für ein etwaiges Mitverschulden des Klägers von Bedeutung sein könnten, allerdings von dem Beklagten als Schädiger darzulegen und zu beweisen wären (vergleiche Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 254 Rn. 72), jedoch nicht ansatzweise vorgetragen sind. Weshalb die von dem Kläger geschilderten Gedanken, die ihm entgegen der Auffassung des Landgerichts durchaus in „Bruchteilen von Sekunden“ durch den Kopf geschossen sein können, gegen den von ihm geschilderten Angriff der Hunde sprechen, ist nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt für das Verhalten des Klägers nach dem Sturz. Soweit der Beklagte bestreitet, dass sich der Kläger beim Aufrichten auf dem in der Nähe des Hauses abgestellten Wrack eines roten Pkw aufgestützt hat, ist dies zum einen selbst bei unversehrter Schmutzschicht auf dem Auto nicht unplausibel und zum anderen für den fraglichen Hergang des vorangegangenen Sturzes letztlich nicht von Belang. Ob es im Hinblick auf die schweren Verletzungen des Klägers sinnvoll war, sich zu Fuß nach Hause zu schleppen, statt in der Nachbarschaft um Hilfe zu bitten, mag rückblickend fraglich sein, ist aber für die Plausibilität des eigentlichen Unfallgeschehens ohne Bedeutung.
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cc) Im Gegensatz zu den nachvollziehbaren und konstanten Angaben des Klägers erscheint die Einlassung des Beklagten im Vorfeld des vorliegenden Rechtsstreits und in dem Strafverfahren nicht geradlinig. Auf das außergerichtliche Rechtsanwaltsschreiben des Klägers hat der Beklagte zunächst über seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 11.11.2013 (Bl. 9 GA) angegeben, nicht Eigentümer der Hunde zu sein. Entsprechend hatte er sich kurz zuvor mit Anwaltsschriftsatz vom 30.10.2013 (Bl. 29 der beigezogenen Strafakten) gegenüber der Staatsanwaltschaft Köln geäußert. Unter dem 28.11.2013 (Bl. 36 der beigezogenen Strafakten) hat sich der Beklagte demgegenüber dahin eingelassen, die Anwesenheit der Hunde auf dem Grundstück werde nicht abgestritten, bestritten werde seine persönliche Verantwortung. Erst in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Gummersbach vom 03.04.2014 und sodann mit der Klageerwiderung hat der Beklagte vorgetragen, die Hunde seien im Zeitpunkt des Unfalls in der Garage eingesperrt gewesen.
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dd) Hiervon vermag der Senat jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme einschließlich der Anhörung des Beklagten nicht auszugehen.
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Bereits die Angaben des Beklagten im Rahmen seiner Anhörung als Partei erscheinen teilweise widersprüchlich und zudem unplausibel. Zwar hat der Beklagte bekundet, seinerzeit am 13.07.2013 die beiden großen Hunde in die Garage gesperrt zu haben, bevor er gegen 19:00 Uhr seine Schwiegermutter nach Hause gebracht hat. Einen plausiblen Grund für das angebliche Einsperren der Hunde hat der Beklagte jedoch nicht genannt. Es scheint zudem nicht nachvollziehbar, dass die beiden großen Hunde damals – den weiteren Angaben des Beklagten entsprechend – grundsätzlich entweder an die Laufleine gelegt oder in die Garage gesperrt wurden, wenn der Beklagte ins Haus ging oder nicht zu Hause war. Der Beklagte hat auch hierfür keinen nachvollziehbaren Grund genannt. Zudem ist nicht ersichtlich, wie die Hunde ihren angeblichen Zweck als Wachhunde erfüllen sollten, wenn sie gerade bei Abwesenheit des Beklagten teilweise sogar beide in die Garage gesperrt wurden. Soweit der Beklagte darüber hinaus bekundet hat, die beiden großen Hunde seien dann rausgekommen, wenn er, beispielsweise zum Arbeiten, draußen war, ist es ihm nicht gelungen, plausibel zu machen, wie er dann auf dem großen, lediglich teilweise umzäunten Grundstück die Hunde hinreichend beaufsichtigen konnte.
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Auch nach den Aussagen der beklagtenseits benannten Zeuginnen C2 und T U, der Ehefrau bzw. der Tochter des Beklagten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beiden großen Hunde zurzeit des Unfalls vom 13.07.2013 eingesperrt waren. Zwar haben beide Zeuginnen den Vortrag des Beklagten dahin bestätigt, dass dieser die Hunde an dem vorgenannten Tag gegen 19:00 Uhr in die Garage gesperrt habe. Den weiteren Angaben der Zeugin C2 U zufolge seien die Hunde bis zum nächsten Morgen dort geblieben. Jedoch vermag der Senat den beiden Zeuginnen nicht zu glauben. Denn einen Grund, weshalb die Hunde weggesperrt worden sein sollen, konnten auch die beiden Zeuginnen auf Nachfrage nicht nennen. Stereotyp wurde darauf von beiden lediglich geantwortet, die Hunde seien immer in die Garage gekommen, wenn der Beklagte nicht zu Hause war. Dass es dafür keinen Grund gegeben haben soll, obwohl die Zeugin C2 U ihren Ehemann darum gebeten haben will, die Hunde einzusperren, erscheint nicht nachvollziehbar. Zudem hat die Zeugin C2 U die Angaben des Beklagten zur angeblich üblichen Verfahrensweise bei seiner Abwesenheit nicht vollumfänglich bestätigt. Ihren Angaben zufolge wurden seinerzeit, wenn ihr Ehemann nicht zu Hause war, entweder beide Hunde an die Laufleine gelegt oder beide Hunde in die Garage eingesperrt. Demgegenüber wurde nach den Angaben des Beklagten bei seiner Abwesenheit meistens ein Hund an die Leine gelegt und der andere Hund weggesperrt. Die Zeugin T U hat dem gegenüber eine dritte Variante zur üblichen Verfahrensweise bei Abwesenheit des Beklagten angegeben: Die Hunde seien dann grundsätzlich in die Garage gesperrt worden; erst auf Nachfrage gab die Zeugin T U an, ab und zu sei auch mal ein Hund an die Laufleine gelegt worden. Zudem erscheint nicht plausibel, dass die Zeugin C2 U eigenen Angaben zufolge von früheren Vorfällen, bei denen die beiden großen Hunde Passanten angegriffen haben sollen, nichts mitbekommen haben will. Der Beklagte hat demgegenüber zwar zwei angebliche Vorfälle eingeräumt, diese jedoch damit heruntergespielt, dass es sich in einem Fall (I2) möglicherweise um einen „Pflegehund“ gehandelt habe und in dem anderen Fall (Q) die Angaben zur Witterung nicht stimmen würden. Diese Einlassung lässt aus Sicht des Senats auf eine gewisse Uneinsichtigkeit des Beklagten in Bezug auf die von seinen Hunden ausgehende Gefahr schließen, was deutlich gegen ein angebliches Wegsperren der Hunde bei seiner Abwesenheit spricht. Ein derartiges Handeln würde Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf die Hunde voraussetzen, das bei dem Beklagten offenbar nicht hinreichend ausgeprägt gewesen ist.
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ee) Die weiteren von dem Beklagten vorgetragenen Umstände stehen den starken Indizien für die Richtigkeit des von dem Kläger geschilderten Hergangs seines Unfalls ebenfalls nicht entgegen. Dass der Bernersennenhund seinerzeit bereits 13 Jahre alt und an Arthrose erkrankt gewesen sei, ist klägerseits bestritten worden und steht der Richtigkeit des klägerischen Vortrags nicht entgegen, denn es gibt auch alte und kranke Tiere, die zumindest kurzfristig noch schnell laufen können. Im Übrigen wurde der Hund den eigenen Angaben des Beklagten zufolge zur Unfallzeit noch als Wachhund eingesetzt, wozu er derart beeinträchtigt, wie ihn der Beklagte schildert, nicht mehr getaugt hätte. Die von dem Beklagten mit 150 m genannte Entfernung zwischen dem Hoftor und der Straße steht einem Bemerken des Klägers durch die Hunde nicht entgegen, zumal offen ist, wie nah die Hunde bereits an der Straße gewesen sind. Der Kläger will gesehen haben, wie die Hunde aus der Hofzufahrt herausgelaufen sind. Ob die Tiere ihn bereits vom Hoftor aus bemerkt haben, hat er offen gelassen. Aus den entsprechenden Gründen sind auch die im Übrigen wenig plausiblen Weg-Zeit-Angaben des Beklagten nicht relevant.
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ff) Die Voraussetzungen für die Vernehmung des Klägers als Partei (§ 448 ZPO) haben vorgelegen. Die Erhebung anderer Beweise über den fraglichen Hergang des Unfalls war nicht möglich, da der Kläger alleine war, mithin Zeugen nicht benennen konnte. Die Voraussetzung des Anbeweises war ebenfalls erfüllt. Dass dies von dem Landgericht in seiner Entscheidung anders gesehen worden ist, beruht auf einer abweichenden Würdigung der vorgenannten Indizien und auch auf einer Verkennung der Anforderungen an den Anbeweis. Die richterliche Gesamtwürdigung von Verhandlung und bisheriger Beweisaufnahme muss eine gewisse, nicht notwendig hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung erbringen, d.h. es muss mehr für als gegen sie sprechen (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., § 448 Rn. 4). Bereits der positive Eindruck aus einer vorangegangenen Parteianhörung nach § 141 ZPO kann die erforderliche Wahrscheinlichkeit begründen (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O.). Dies war hier der Fall. Hinzu kamen die weiteren aufgezeigten Indizien. Bei dieser Sachlage erschien der Grad der Wahrscheinlichkeit so hoch, dass von der Vernehmung des Klägers als Partei in Ausübung des gerichtlichen Ermessens nicht abzusehen war (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., § 448 Rn. 4a).
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gg) Demgegenüber waren die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Beklagten als Partei (§§ 445 ff. ZPO) nicht erfüllt. Zwar ist beklagtenseits im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein entsprechender Antrag gemäß § 447 ZPO gestellt worden. Die Klägerseite hat sich hiermit jedoch nicht einverstanden erklärt. Das Einverständnis des Gegners mit der Parteivernehmung gemäß § 447 ZPO muss ausdrücklich erklärt werden, hierauf hat das Gericht nicht hinzuwirken (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., § 447 Rn. 2). Eine Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) kam insoweit nicht in Betracht, da der Beklagte bereits Beweis durch Vernehmung von Zeugen angeboten hatte und die Richtigkeit seiner Behauptung, die Hunde seien seinerzeit eingesperrt gewesen, – wie vorstehend ausgeführt – nicht anbewiesen war. Zur Wahrung der „Waffengleichheit“ war entgegen der Auffassung des Beklagten seine Vernehmung als Partei nicht geboten. Denn eine vom sonstigen Beweisergebnis unabhängige Pflicht zur Parteivernehmung von Amts wegen lässt sich nicht allein aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit i. S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK ableiten (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., § 448 Rn. 2a). Es reicht regelmäßig aus, die „beweislose“ Partei ggf. gemäß § 141 ZPO hinzuzuziehen und anzuhören (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O.). Hier hatte der Beklagte Zeugen benannt. Er ist zudem persönlich vor dem Senat angehört worden. Von der eingeräumten Möglichkeit, seinen Angaben nach der weiteren Beweisaufnahme noch etwas hinzuzufügen, hat der Beklagte ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht.
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Im Ergebnis ist mithin entsprechend dem Vortrag des Klägers davon auszugehen, dass er beim Vorbeifahren mit dem Fahrrad von den aggressiven Hunden des Beklagten verfolgt wurde und bei seiner Flucht gestürzt sowie schwer verletzt worden ist.
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b) Der Beklagte ist der Halter beider Hunde, die den Kläger angegriffen haben, gewesen. Dies gilt trotz seines vagen Vortrags hinsichtlich des Schäferhundmischlings, dass dieser „auf dem Hof der Familie gehalten“ wird, auch für diesen.
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Tierhalter im Sinne von § 833 BGB ist derjenige, der nach der Verkehrsanschauung darüber entscheidet, ob Dritte der von einem Tier ausgehenden, nur unzulänglich beherrschbaren Gefahr ausgesetzt werden (vergleiche Palandt-Sprau, BGB, 74. Auflage, § 833 Rn. 10). Hier hat der Beklagte selbst hinsichtlich beider Hunde vorgetragen, dass es von seiner Anwesenheit auf dem Hof abhänge, ob sich die Hunde draußen aufhalten oder in die Garage gesperrt werden. Daher ist anzunehmen, dass er die Bestimmungsmacht über beide großen Hunde hatte, auch über den Schäferhundmischling. Zudem hat die Zeugin T U bei ihrer Vernehmung vor dem Senat auf Nachfrage bestätigt, dass sowohl der Bernersennenhund als auch der Schäferhundmischling Hunde des Vaters, also des Beklagten, waren.
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c) Ferner ist entsprechend dem Vortrag des Klägers davon auszugehen, dass die Rechtsgutverletzung „durch ein Tier“ erfolgt ist, § 833 S. 1 BGB.
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Das ist dann der Fall, wenn sich die spezifische Tiergefahr verwirklicht hat, d.h. wenn sich die durch das der tierischen Natur entsprechende und selbstbestimmte Verhalten des Tieres hervorgerufene Gefährdung von Rechtsgütern Dritter in dem Schaden niedergeschlagen hat (vergleiche Palandt-Sprau, a.a.O., § 833 Rn. 7).
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Es liegt in der Natur freilaufender Hunde, dass diese häufig Fahrradfahrer angreifen. Wenn sich der Angegriffene dann, wie hier der Kläger, dazu entschließt, vor dem Hund zu fliehen und dabei stürzt, ist dennoch von der adäquaten Mitverursachung durch das Tier auszugehen. Denn ein mittelbarer Ursachenzusammenhang genügt, so wenn das tierische Verhalten lediglich psychische Wirkungen, Vermeidungs- oder Schreckreaktionen auslöst, die ihrerseits zum Schaden führen (vergleiche Palandt-Sprau, a.a.O., § 833 Rn. 6).
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d) Soweit der Beklagte durch die Behauptung, bei den Hunden habe es sich um dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb dienende Wachhunde gehandelt, offenbar den Entlastungsbeweis gemäß § 833 S. 2 BGB führen will, genügt sein Vortrag nicht den Anforderungen. Denn selbst wenn es sich bei den beiden Hunden um Nutztiere handelte, entfällt eine Haftung nur dann, wenn der Beklagte als Tierhalter bei der Beaufsichtigung der Tiere die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Hierzu fehlt ein substantiierter Sachvortrag des darlegungspflichtigen Beklagten (vergleiche zur Darlegungs- und Beweislast: Palandt-Sprau, a.a.O., § 833 Rn. 21). Auf einem nicht abgeschlossenen Hof ist ein Wachhund in der Regel zuverlässig anzuleinen (vergleiche BGH, Urteil vom 04.07.1967, VI ZR 17/66). Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Hunde des Beklagten zur Zeit des Unfalls frei und unbeaufsichtigt herumliefen, ist nicht anzunehmen, dass der Beklagte seiner Sorgfaltspflicht hinreichend nachgekommen ist.
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Im Ergebnis ist der Beklagte aufgrund seiner Haftung als Tierhalter verpflichtet, dem Kläger alle materiellen Schäden nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB und immateriellen Schäden i.S.v. § 253 Abs. 2 BGB zu ersetzen. Ein anspruchsminderndes oder gar
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-ausschließendes Mitverschulden ist nach dem Vorstehenden nicht zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen.
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Als bereits bezifferte Schadensposition hat der Beklagte die auf Seiten des Klägers ausgelösten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Wege der Freistellung gemäß § 257 S. 1 BGB zu tragen. Der Höhe nach sind die nach dem Gegenstandswert von 8.000 EUR mit 342,48 EUR berechneten Kosten gemäß Ziff. 2300, 7002, 7008 VV RVG (a.F.) nicht zu beanstanden.
III.
37
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711, 713 ZPO.
IV.
38
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Rechtsfragen grundsätzlicher Natur, die über den konkreten Einzelfall hinaus von Interesse sein könnten, haben sich nicht gestellt und waren nicht zu entscheiden.
V.
39
Streitwert für das Berufungsverfahren: 8.000 EUR