AG Essen, Urteil vom 01.12.2017 – 138 C 353/17
437,92 EUR für sechsminütige Türöffnung ist Wucher
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 297,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2017 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2017 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
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I. Das angerufene Gericht konnte gemäß § 495 a ZPO im streitigen Endurteil statt im Versäumnisurteil entscheiden. Diese Möglichkeit bestand, obwohl der Beklagte keine Verteidigungsbereitschaft angezeigt und der Kläger für diesen Fall eine Entscheidung im Versäumnisurteil beantragt hat, zumal das angerufene Gericht durch Beschluss vom 25. Oktober 2017 auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.
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§ 495 a ZPO erlaubt dem Amtsgericht, ein Verfahren mit einem – wie dem vorliegenden – Streitwert von bis zu 600,00 EUR nach seinem billigen Ermessen zu gestalten. Die Vorschrift befreit das Amtsgericht in ihrem Anwendungsbereich von der Bindung an die Voraussetzungen der §§ 331 ff. ZPO und § 251 a ZPO und rechtfertigt den Erlass eines streitigen Endurteils im Fall der Säumnis einer Partei oder im Fall der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Anzeige der Verteidigungsbereitschaft (BVerfG, Beschluss vom 7.8.2007, AZ: 1 BvR 685/07, NJW 2007, S. 3486, 3487; LG Essen, Urteil vom 30.10.1992, AZ: 1 S 260/92, NJW-RR 1993, S. 576; AG Ahrensburg, AZ: 9 C 128/96, Urteil vom 12.4.1996, NJW 1996, S. 2516, 2517). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn – wie vorliegend – das Gericht zuvor auf eine solche Möglichkeit hingewiesen hat (Herget, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 495 a Rn. 12).
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II. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 297,00 EUR aus §§ 812 Abs.1 S. 1, 1. Alt, 818 Abs.1, 2 BGB zu.
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Der streitgegenständliche Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB ist als ein wucherähnliches Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 1 sittenwidrig und somit nichtig.
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Ein wucherähnliches Geschäft liegt vor, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein besonders großes Missverhältnis besteht und die hierdurch begründete tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Vertragspartners von diesem nicht widerlegt wird. Für die Annahme eines besonders groben Missverhältnisses genügt bereits, dass der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist, wie der der Gegenleistung (Palandt, BGB, 75. Auflage 2016, § 138, Rn. 34a m.w.N.)
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Ein besonders grobes Missverhältnis im vorgenannten Sinn liegt hier vor. Der objektive Wert der Türöffnung beträgt 196,90 EUR, sodass die Leistung der Klägerin – gezahlt wurden 437,92 EUR – doppelt so hoch ausfiel, wie die empfangene Gegenleistung. Da vor diesem Hintergrund eine verwerfliche Gesinnung des Beklagten vermutet wird, kann offen bleiben, ob darüber hinaus weitere Umstände vorlagen, die die Annahme einer solchen Gesinnung stützen.
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Bei der Berechnung des objektiven Werts der hier streitgegenständlichen Türöffnung war die Preisempfehlung des Bundesverbandes Metall (BMV) zugrunde zu legen. Hiernach ist für die streitgegenständliche Türöffnung ein Werklohn in Höhe von 196,90 EUR angemessen.
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Dies ergibt sich daraus, dass es hier um eine Türöffnung zwischen 22 und 08 Uhr am 08.07.2016, einem Werktag, vorgenommen wurde, die Türöffnung 6 Minuten gedauert hat und das Gericht Haale Saale dem ländlichen Raum zuordnet. Hieraus ergibt sich nach der Preisempfehlung des Bundesverbandes Metall eine Türöffnungspauschale von 151,20 EUR. Dieser Türöffnungspauschale ist ausweislich der Preisempfehlung eine Fahrtkostenpauschale in Höhe von 36,00 EUR aufzuschlagen, hieraus ergeben sich 187,20 EUR.
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Diese Kosten beziehen sich auf August 2011 (Datum der Preisempfehlung des BVM). Der Verbraucherindex lag im August bei 102,3 Punkten. Im Juli 2016 (Zeitpunkt der Türöffnung) lag der Verbraucherindex bei 107,6 Punkten. Daraus folgt, dass die Türöffnung im Juli 2016 insgesamt 196,90 EUR kosten durfte (149,40 EUR ÷ 102,3 x 107,6).
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Unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen ist die von der Klägerseite erfolgte Zahlung fast doppelt so hoch wie der objektive Wert der Gegenleistung, sodass das Rechtsgeschäft im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist und der Klageantrag hinsichtlich der Rückgewähr eines Betrages in Höhe von 297,00 EUR begründet ist.
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II. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs.1, 2, 286 Abs. 1 BGB. Denn durch das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägerin vom 20.03.2017, in dem der Beklagte(erfolglos) zur Zahlung bis zum 04.04.2017 aufgefordert wurde, geriet der Beklagte in Verzug.
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III. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 83,54 EUR vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. In dem Vereinbaren eines wucherähnlichen Geschäfts liegt eine Nebenpflichtverletzung, sodass der Schadensersatzanspruch diesbezüglich aus § 826 BGB und aus § 311 Abs. 2 i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB (cic) auch ohne Verzug des Klägers gegen den Beklagten gegeben ist (so auch Palandt, BGB, 75. Auflage 2016, § 138; Rn 75, 22).
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IV. Der Zinsanspruch diesbezüglich folgt auch diesbezüglich aus §§ 280 Abs.1, 2, 286 Abs. 1 BGB.
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V. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, S. 2 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
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VI. Der Streitwert wird auf bis zu 500,00 EUR festgesetzt.
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VII. Da mit dieser Entscheidung für keine Partei die zur Eröffnung der Berufung führende Beschwer von über 600,00 EUR erreicht ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen die Zulassung der Berufung zu prüfen, § 511 Abs. 4 ZPO. Die Berufung ist danach nicht zuzulassen gewesen, weil die Rechtssache ihre Entscheidung allein aus den Umständen des vorliegenden Falles gefunden hat und somit weder grundsätzliche Bedeutung besitzt oder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern, § 511 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO.