Zur Vollstreckbarerklärung eines schweizerischen Strafurteils wegen eines groben Verstoßes gegen die Verkehrsregeln

1. Ein ausländisches Straferkenntnis, mit dem gegen den Verurteilten deutscher Staatsangehörigkeit eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, kann auch dann in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden, wenn der Lebenssachverhalt, der dem Urteil zugrundelag, in Deutschland lediglich Ordnungswidrigkeitentatbestände erfüllt.

2. Liegt der Verurteilung ein grober Verstoß gegen die Verkehrsregeln zugrunde, der „in skrupelloser Weise“ verursacht wurde, verstößt die Vollstreckbarerklärung hinsichtlich des nicht zur Bewährung ausgesetzten Teils von 12 Monaten Freiheitsstrafe auch nicht wegen der Härte der Rechtsfolge gegen § 73 IRG. Dies mag möglicherweise als hart angesehen werden; die Freiheitsstrafe von 12 Monaten ist aber insoweit nicht als „unerträglich oder in keiner Weise vertretbar“ zu beurteilen.

3. Da es für die Frage der beiderseitigen Sanktionierbarkeit auf den Zeitpunkt der Exequaturentscheidung ankommt, wäre die Tat im Übrigen auch nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 30.9.2017 strafbar.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart – Strafvollstreckungskammer – vom 15. März 2018 wird auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart aufgehoben.

2. Die Vollstreckung aus dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 – Az. 72.2015.70 – wird für zulässig erklärt, soweit der Verurteilte darin zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde.

3. Das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 – Az. 72.2015.70 – wird für vollstreckbar erklärt, soweit der Verurteilte darin zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde.

4. Im Übrigen ist das Ersuchen des Schweizerischen Bundesamts für Justiz auf Übernahme der Strafvollstreckung nicht zulässig.

5. Entsprechend dem unter 2. und 3. für zulässig und vollstreckbar erklärten Teil des Urteils des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 – Az. 72.2015.70 – wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr festgesetzt.

6. Es wird angeordnet, dass auf diese Freiheitsstrafe die in der Schweiz bereits vollstreckte Untersuchungshaft anzurechnen ist.

Gründe

I.
1
Mit Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017, rechtskräftig seit dem 21. März 2017, wurde der Verurteilte wegen Gefährdung des Lebens und wiederholter grober qualifizierter Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 129 schweizerisches StGB und Art. 90 Abs. 2, 3 und 4 schweizerisches SVG zu der Freiheitsstrafe von dreißig Monaten unter Abzug der erlittenen Untersuchungshaft verurteilt. Hiervon wurde ein „bedingter Strafvollzug von 18 Monaten in einer Probezeit von drei Jahren gewährt“; der Rest der Strafe ist zu verbüßen. Das Urteil ist in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangen.
2
Dem Urteil lag ausweislich der Gründe folgender Sachverhalt zugrunde:
3
Am 14. Juli 2014 fuhr der Verurteilte auf schweizerischem Staatsgebiet auf der Autobahn A2 zwischen Göschenen und Monteceneri mit seinem Fahrzeug BMW Z4, amtliches Kennzeichen … . Dort brachte er das Leben mehrerer Fahrer in Gefahr, indem er a) im Gotthard-Tunnel bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 135 km/h fuhr, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wiederholt und mit außerordentlicher Geschwindigkeit von 140 km/h überschritt und dabei zehn Überholmanöver durchführte und b) im Piottino-Tunnel auf einer Strecke mit nur einer durch Leitbaken getrennten Fahrspur fünf Überholmanöver durchführte und dabei sowohl den frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen als auch den seitlichen mit den von ihm überholten Fahrzeugen riskierte. Die Autobahnstrecke legte er mit einer oft höheren Geschwindigkeit als 200 km/h zurück. Im Hinblick auf diese Taten wurde bedingter Vorsatz des Verurteilten festgestellt; die Gefahr für das Leben anderer Verkehrsteilnehmer habe er in skrupelloser Weise verursacht. Am 12. Juli 2014 fuhr der Verurteilte zwischen Hinterrhein und San Bernardino mit einer Geschwindigkeit von 147 km/h anstelle der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Am selben Tag fuhr er in Härkingen längs der Autobahn A1 zwischen Freiburg und Bern mit einer Geschwindigkeit von 144 km/h anstatt der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und in Hergiswil längs der Autobahn A2 in Richtung Luzern mit einer Geschwindigkeit von 134 km/h anstelle der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h.
4
Mit Schreiben vom 16. Juni 2017 ersucht das Schweizerische Bundesamt für Justiz um Übernahme der Vollstreckung des Urteils.
5
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Schreiben vom 20. November 2017 an das Landgericht Stuttgart beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 – 72.2015.70 -, rechtskräftig „seit 20. Februar 2017“, insoweit für zulässig und das ausländische Erkenntnis in der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar zu erklären, als gegen den Verurteilten eine unbedingte Freiheitsstrafe von 12 Monaten ausgesprochen wurde, entsprechend dem schweizerischen Erkenntnis eine Freiheitsstrafe von einem Jahr festzusetzen und festzustellen, dass die in der Schweiz erlittene Untersuchungshaft in dieser Sache auf die in Deutschland zu vollstreckende Strafe anzurechnen ist.
6
Mit Beschluss vom 11. Dezember 2017 hat das Landgericht Stuttgart dem Verurteilten Rechtsanwalt … als Pflichtbeistand nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 IRG bestellt.
7
Mit Beschluss vom 15. März 2018 hat das Landgericht Stuttgart – Strafvollstreckungskammer – die Anträge der Staatsanwaltschaft Stuttgart abgelehnt. Das Landgericht stützt seine Argumentation im Wesentlichen darauf, dass die Vollstreckung des in der Schweiz ergangenen Urteils wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde, da nach deutschem Recht keine Straftaten vorlägen, sondern lediglich Ordnungswidrigkeitentatbestände verwirklicht worden seien, bei denen als Ahndung keine Freiheitsentziehung vorgesehen sei. Dies stehe zwar der Zulässigkeit einer Exequaturentscheidung nicht zwangsläufig entgegen, die Gesamtbetrachtung aller Umstände führe aber zu dem Ergebnis, dass die Vollstreckung des in der Schweiz ergangenen Urteils im vorliegenden Fall gegen unabdingbare Grundsätze der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen würde. Dies liege daran, dass die Festsetzung einer Geldbuße bei Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit eben nicht mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe vergleichbar sei.
8
Gegen diesen – der Staatsanwaltschaft Stuttgart am 16. März 2018 zugegangenen – Beschluss hat diese mit Schriftsatz vom 19. März 2018 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist mit Schreiben vom 10. April 2018 der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf deren gestellte Anträge beigetreten.
9
Der Verurteilte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20. April 2018. Hiervon hat er keinen Gebrauch gemacht.
II.
10
Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde nach §§ 55 Abs. 2, 77 IRG, 311 StPO statthaft und zulässig erhoben. Es ist auch in der Sache begründet.
11
Die Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse über freiheitsentziehende Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich im Bereich des hier in Rede stehenden Vollstreckungshilfeverkehrs mit der Schweizer Eidgenossenschaft nach §§ 48 ff., 71 ff. IRG. Speziellere Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen vorliegend nicht gem. § 1 Abs. 3 IRG vor: Das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbK), das von beiden Staaten unterzeichnet wurde, das Überstellungsausführungsgesetz vom 26. September 1991 (ÜAG), der Vertrag vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung in der Fassung des Änderungsvertrages vom 8. Juli 1999 (CH-ErgV EuRhÜbk) sowie das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ZP-ÜberstÜbk) sind vorliegend nicht anwendbar. Das ÜberstÜbK setzt grundsätzlich das Erfordernis der Übergabe der verurteilten Person an deren Heimatstaat voraus. Zwar käme die Anwendung des ÜberstÜbK nach Art. 2 ZP-ÜberstÜbk auch dann in Betracht, wenn sich die verurteilte Person – wie vorliegend – bereits in ihrem Heimatstaat befindet und keine weitere Überstellung mehr erfolgen soll (reine Vollstreckungsübernahmefälle). Allerdings ist der Verurteilte bereits vor seiner Verurteilung in seinen Heimatstaat Deutschland, wo er auch seinen Wohnsitz hatte, ausgereist, so dass Art. 2 Abs. 1 ZP-ÜberstÜbk nicht einschlägig ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.8.2013, 1 Ws 141/12, juris Rn. 9; vgl. auch Anlage zur Denkschrift, BT-Drucks. 14/8995, Nr. 11).
1.
12
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 49 IRG liegen vor.
a.
13
Das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 ist gemäß §§ 48, 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG nach dem maßgeblichen schweizerischen Recht (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8.1.2002, 3 Ws 202/01, juris Rn. 16) seit 21. März 2017 rechtskräftig (vgl. Schreiben des schweizerischen Generalstaatsanwalts des Kantons Tessin vom 18.10.2017 (Bl. 128 d. A.), beim dort genannten Rechtskraftdatum 20. Februar 2017 handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler) und vollstreckbar. Dass dieses Urteil in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangen ist, steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG muss das Verfahren, das zu dem ausländischen Erkenntnis geführt hat, mit der Europäischen Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich ihrer Zusatzprotokolle, soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind, im Einklang stehen. Diese Vorschrift ist durch Gesetz vom 17. Juli 2015 (BGBl. I S. 1349) geändert worden (ausführlich hierzu: LG Krefeld, Beschluss vom 14.8.2017, 21 StVK 218/16, juris Rn. 20 f.); durch das Abstellen auf die Europäische Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) als Prüfungsmaßstab wird die Ursprungsidee des historischen Gesetzgebers wieder aufgegriffen, wonach der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im ausländischen Verfahren bei der Vollstreckungshilfe im stärkeren Umfang Rechnung getragen werden muss als bei der Auslieferung und der sonstigen Rechtshilfe. Die Neuformulierung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 bestärkt insofern den eigentlichen Charakter der Vorschrift als teilweise Erweiterung der Ordre-Public-Klausel des § 73 IRG (Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/4347, S. 91). Allerdings musste bereits nach bisheriger Rechtslage das Verfahren, das zu dem zu vollstreckenden Urteil führte, gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a.F. dem unverzichtbaren Bestand der öffentlichen Ordnung ebenso entsprechen wie dem völkerrechtlichen Mindeststandard (zu dem auch Art. 6 EMRK zählt); keinesfalls musste es an den Grundgedanken der hiesigen Strafprozessordnung gemessen werden (Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, § 49 IRG Rn. 6). Insofern konnten lediglich eklatante Verstöße dazu führen, dass eine begehrte Rechtshilfe versagt wurde (ausführlich hierzu: LG Krefeld, aaO, juris Rn. 22 f.). Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts findet allerdings seine Grenze in den durch Art. 23 Abs. 1 S. 3 iVm Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätzen der Verfassung (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, juris Rn. 36). Zu den Schutzgütern der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt sind, gehören die Grundsätze des Art. 1 GG, also die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG), aber auch der in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (BVerfG, aaO, Rn. 48). Der Schuldgrundsatz macht Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess erforderlich, durch die gewährleistet wird, dass der Beschuldigte Umstände vorbringen und prüfen lassen kann, die zu seiner Entlastung führen oder für die Strafzumessung relevant sein können. Diese Garantien müssen auch bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden (BVerfG, aaO, Rn. 56) – und nach Auffassung des Senats ebenso bei der Exequaturentscheidung betreffend einen deutschen Staatsangehörigen.
14
Vorliegend gibt lediglich der Umstand, dass der Verurteilte an dem in der Schweiz gegen ihn geführten Verfahren nicht teilgenommen hat und gegen ihn ein Abwesenheitsurteil erging, Anlass zur Prüfung eines möglichen Verstoßes gegen Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Art. 6 EMRK verpflichtet jedes nationale Gericht zur Prüfung, ob der Verfolgte Kenntnis vom Verfahren erlangt hat und gewährt einen Anspruch auf rechtliches Gehör und in der Sache ein Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren. Für ein faires Strafverfahren ist es weiterhin von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt (BVerfG, aaO, Rn. 100 f.; EGMR, Urteil vom 23.11.1993, 14032/88 § 35 Poitrimol/Frankreich). Dabei ist das Recht des Angeklagten, persönlich zur Verhandlung zu erscheinen, zwar ein wesentlicher Teil des Rechts auf ein faires Verfahren, stellt aber kein absolutes Recht dar. Der Angeklagte kann aus freiem Willen ausdrücklich oder stillschweigend darauf verzichten, vorausgesetzt, dass der Verzicht eindeutig feststeht, seiner Bedeutung entsprechende Mindestgarantien vorgesehen werden und ihm kein wichtiges öffentliches Interesse entgegensteht. Die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren ist, auch wenn der Angeklagte nicht persönlich erschienen sein sollte, insbesondere nicht erwiesen, wenn er von dem Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt oder durch einen Rechtsbeistand verteidigt wurde, dem er ein entsprechendes Mandat erteilt hat (EuGH, NJW 2013, 1215 – Melloni, Nr. 49, juris; BVerfG, aaO, Rn. 101; BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004, 2 BvR 26/04, NStZ-RR 2004, 308, 309; BVerfG, Beschluss vom 4.7.2005, 2 BvR 283/05, NStZ 2006, 102, 103).
15
Der Verurteilte hatte Kenntnis von dem gegen ihn geführten Strafverfahren und hat auf eine Teilnahme daran verzichtet: Noch am 14. Juli 2014 wurde er von der schweizerischen Polizei zu dem Tatvorwurf verhört und bis zum 16. Juli 2014 in Untersuchungshaft genommen; sein Kraftfahrzeug BMW Z4, amtliches Kennzeichen …, wurde beschlagnahmt. Mit Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Tessin vom 21. Juli 2014 wurde Rechtsanwalt … in Lugano als amtlicher Verteidiger des Verurteilten ernannt. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2016, dem Verurteilten an seiner deutschen Wohnanschrift per Einschreiben mit Rückschein zugestellt am 25. Oktober 2016, wurde er zur Verhandlung auf den 13. Dezember 2016 geladen. Dem Verhandlungsprotokoll vom 13. Dezember 2016 ist ebenfalls zu entnehmen, dass eine ordentliche Ladung zu dieser Verhandlung erfolgte. Das Verhandlungsprotokoll sowie die Ladung vom 15. Dezember 2016 zur Verhandlung am 20. Februar 2017 mit Hinweis auf die rechtlichen Folgen des Nichterscheinens wurden dem Beschwerdeführer am 19. Dezember 2016 an seiner Adresse in Deutschland per Einschreiben mit Rückschein zugestellt. Dies wurde auch im Verhandlungsprotokoll vom 20. Februar 2017 ausdrücklich festgestellt. Der Verurteilte fehlte beim Termin unentschuldigt. Der Pflichtverteidiger des Verurteilten hat sowohl an den Verhandlungen vom 13. Dezember 2016 als auch vom 20. Februar 2017 teilgenommen und in letzterer einen Schlussvortrag für den Verurteilten gehalten.
b.
16
Die festgestellten Taten wären gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 a) IRG auch nach deutschem Recht zu ahnden gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass der tatsächliche Lebenssachverhalt, auf dessen Grundlage gegen den Betroffenen in der Schweiz eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist und der dort als Straftat gewertet wurde, in der Bundesrepublik zum damaligen Zeitpunkt lediglich Ordnungswidrigkeitentatbestände erfüllte und mit Geldbußen und einem Fahrverbot hätte geahndet werden können. Es kommt – was das Landgericht übersieht – auf die beiderseitige Sanktionierbarkeit – und nicht auf die beiderseitige Strafbarkeit an (vgl. Schomburg/Hackner, aaO, § 49 Rn. 8); insoweit ist für die Zulässigkeit der Übernahme der Strafvollstreckung auch grundsätzlich die Einordnung als Ordnungswidrigkeit im deutschen Recht ausreichend. Vorliegend hätte sich der Verurteilte nach den Feststellungen des schweizerischen Urteils jedenfalls des vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 StVO in drei Fällen (Taten vom 12. Juli 2014) und des vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 StVO in einem Fall, des vorsätzlichen Überfahrens der doppelt durchgezogenen Mittellinie in 10 Fällen (§ 24 StVG, §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. Anlage 2 Nr. 69 StVO) und des vorsätzlichen Überfahrens von durch Leitbaken abgesperrten Flächen in drei Fällen (§ 24 StVG, §§ 43 Abs. 3 S. 2, 49 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. Anlage 4 Nr. 2 StVO (Taten vom 14. Juli 2014) schuldig gemacht.
17
Ungeachtet dessen ist entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der beiderseitigen Sanktionierbarkeit der Moment der Exequaturentscheidung (OLG Köln, Beschluss vom 20.1.2016, 2 Ws 562/15, juris Rn. 22; OLG Celle NStZ-RR 2008, 245, juris Rn. 8; historische Gesetzesbegründung S. 70, BT-Drucksache 9/1338; Schomburg/Hackner, aaO, § 49 Rn. 12; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 49 Rn. 23). Nach heutigem Stand käme für die festgestellten Taten auch nach deutschem Recht wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens eine Strafbarkeit nach dem am 13. Oktober 2017 in Kraft getretenen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in Betracht, da der Verurteilte in der Absicht, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit in hohem Maße überschritt. Damit wäre sogar die gegenseitige Strafbarkeit gegeben.
c.
18
Der Verurteilte ist wegen der in Rede stehenden Taten in Deutschland nicht verfolgt worden; eine Entscheidung ist hier nicht ergangen, § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG.
d.
19
Vollstreckungsverjährung nach deutschem Recht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG) ist noch nicht eingetreten, vgl. § 79 Abs. 3 Nr. 3 und 4 StGB, unabhängig davon, ob man auf den vorliegend für vollstreckbar erklärten Teil der Freiheitsstrafe (12 Monate) oder auf die insgesamt verhängte Freiheitsstrafe (30 Monate) abstellt.
e.
20
Das Einverständnis des Verurteilten in die Übernahme der Vollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland ist nicht erforderlich, da er sich nicht in der Schweizer Eidgenossenschaft, sondern in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, vgl. § 49 Abs. 2 IRG.
2.
21
Die Vollstreckbarerklärung verstößt auch nicht wegen der Härte der Rechtsfolge gegen § 73 IRG. Zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen im Sinne dieser Vorschrift gehört der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Die Rechtshilfe widerspricht erst dann den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung und wird unzulässig, wenn die ausländische Rechtsfolge schlechterdings unerträglich und in keiner Weise mehr vertretbar ist; dass sie als hart oder sogar in hohem Maße hart anzusehen ist, genügt nicht (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.4.2010, 1 Ws 19/10, juris Rn. 28; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.2.2010, 1 Ausl 1246/09, juris Rn. 7f.). Bei der Prüfung kommt es stets auf den Einzelfall an (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8.1.2002, 3 Ausl 63/01, juris Rn. 2). Dabei wird bei der Exequaturentscheidung das ausländische Erkenntnis weder im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen und die in ihm vorgenommene rechtliche Würdigung noch in Bezug auf seine Strafzumessung überprüft (BT-Drucksache 18/4347, S. 52).
22
Die Annahme des Landgerichts, wonach die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe hinsichtlich eines Sachverhalts, der nach deutschem Recht nur als Ordnungswidrigkeit geahndet würde, gegen den Ordre Public verstoße, ist im Hinblick auf § 49 Abs. 1 Nr. 3a IRG schon im Ansatz verfehlt. Die vom Geschworenengericht des Kantons Tessin in seinem Urteil vom 20. Februar 2017 gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten mag möglicherweise als hart angesehen werden; sie ist aber nicht als „unerträglich und in keiner Weise vertretbar“ zu beurteilen.
23
Ungeachtet dessen ist aber jedenfalls ein Verstoß gegen den deutschen Ordre Public schon deswegen nicht anzunehmen, als der deutsche Gesetzgeber gerade aktuell mit Verabschiedung des 56. Strafrechtsänderungsgesetzes zur Strafbarkeit nicht genehmigter Kraftfahrzeugrennen im Straßenverkehr und Schaffung von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auf die Fälle reagieren wollte, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt (vgl. BT-Drucksache 18/12964, S. 5); in subjektiver Hinsicht ist eine rücksichtslose Fortbewegung erforderlich, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage, § 315d StGB, Rn. 9; Weiland in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 315d StGB, juris Rn. 50). Die Ahndung des „Rasens“ als bloße Ordnungswidrigkeit erschien nicht mehr ausreichend (vgl. Fischer, StGB, 65. Auflage, § 315d Rn. 4, 11), auch wenn eine bloße Geschwindigkeitsüberschreitung, sei sie auch erheblich, nicht von der Strafbarkeit umfasst werden soll (BT-Drucksache 18/12964, S. 6). Vorliegend war zu berücksichtigen, dass im Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 ausdrücklich festgestellt wurde, dass der Verurteilte die Gefahr für das Leben anderer Verkehrsteilnehmer in skrupelloser Weise verursacht hat, die „von einer tiefen Verachtung gegenüber dem Leben anderer“ zeuge, so dass sogar der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB objektiv und subjektiv erfüllt sein dürfte. Als Sanktion sieht § 315d StGB Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vor.
24
§ 54 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 IRG ordnet für Fälle wie den vorliegenden, in denen eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, die in der Bundesrepublik Deutschland nur als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht ist, ein (Sanktions-)Höchstmaß von zwei Jahren Freiheitsentzug an. Mit der Festlegung einer bei der Umwandlung des ausländischen Straferkenntnisses zu beachtenden Obergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe hat der Gesetzgeber bereits Vorkehrungen dafür getroffen, dass es nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Betroffenen kommt. Diese Obergrenze wird mit der vorliegenden Freiheitsstrafe noch deutlich unterschritten.
3.
25
Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 IRG ist die vom Gericht ausgeurteilte Freiheitsstrafe in die ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion, hier also gleichfalls eine Freiheitsstrafe, umzuwandeln. Das Strafmaß von zwölf Monaten ist zu übernehmen. In Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart ist der Antrag des Schweizerischen Bundesamtes, die Vollstreckung des zur Bewährung ausgesetzten Teils der Freiheitsstrafe in der Bundesrepublik Deutschland für zulässig zu erklären, abzulehnen, da für eine Übertragung der Bewährungsaufsicht auf deutsche Justizbehörden kein Raum ist. Diese verbleibt in der Zuständigkeit der schweizerischen Justizbehörden.
4.
26
Die vom Verurteilten in der Schweiz in dieser Sache bereits verbüßte Untersuchungshaft ist gem. § 54 Abs. 4 Satz 1 IRG anzurechnen. Zwar liegt dieser Vorschrift der Gedanke zugrunde, dass nur der Urteilsstaat über die Anrechnung von Untersuchungshaft befinden soll (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 8.1.2002, aaO, juris Rn. 35; Schomburg/Hackner, aaO, § 54 Rn. 14; siehe auch BT-Drucksache 18/4347, S. 52). Eine solche (ausdrückliche) Anrechnung wurde bereits im Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 vorgenommen und erfolgt daher vorliegend rein deklaratorisch.
III.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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