Zur Verkehrssicherungspflicht im Speisesaal einer Reha-Klinik

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 11.09.2012 – 4 U 193/11 – 60, 4 U 193/11

1. In dem Speisesaal einer Reha-Klinik ist das Auftreten einzelner feuchter Stellen während der Essensausgabe für den Verkehrssicherungspflichtigen mit zumutbarem Aufwand nicht stets zu vermeiden.

2. Der Verkehrssicherungspflichtige ist jedoch gehalten, den Speisesaal so rechtzeitig zu reinigen, dass von der Reinigung zurückgebliebene Feuchtigkeit bis zum Beginn der Essensausgabe sicher abtrocknen kann.

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27. April 2011 – 12 O 127/09 – abgeändert: Die Klage wird (insgesamt) abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der 1942 geborene Kläger den Beklagten in seiner Eigenschaft als Träger der unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht wegen eines Ereignisses, welches sich nach dem Sachvortrag des Klägers am 26.6.2008 im Speisesaal der Klinik geeignet habe, auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.

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Der Kläger befand sich im Zeitraum vom 16.6.2008 bis zum 17.7.2008 zur Rehabilitation in der, nachdem er sich zuvor bei einem häuslichen Unfall am 2.6.2008 den Oberschenkel des linken Beines gebrochen hatte. Bei der operativen Versorgung dieses Bruches war dem Kläger eine metallene Schiene eingesetzt worden.

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Der Kläger hat behauptet, er sei am 26.6.2008 gegen 11:35 Uhr auf seine Gehhilfen gestützt in den Speisesaal der Klinik gegangen. Hierbei sei er auf einer feuchten Stelle ausgerutscht und habe deshalb sein Körpergewicht auf das verletzte linke Bein verlagern müssen, um einen Sturz zu vermeiden. Durch diese Überlastung sei die eingesetzte metallene Schiene um zirka 8° verbogen worden. Auch habe das dazu geführt, dass das künstliche Kniegelenk des Klägers instabil geworden sei und er sowohl im Bereich des überbelasteten Knies als auch im Oberschenkel Schmerzen verspürt habe. Von Juni bis Dezember 2008 habe der Kläger kaum selbständig leben können; jede Bewegung des linken Beines habe Schmerzen verursacht. Er sei weiterhin auf seine Gehhilfen angewiesen gewesen, die er normalerweise sechs Wochen nach der Operation nicht mehr benötigt hätte. Im Dezember 2008 habe die Biegung der Schiene 16° betragen. Deshalb sei am 4.12.2008 eine Folgeoperation notwendig geworden, bei der der komplette Oberschenkelknochen durchgesägt und ein Nagel eingesetzt worden sei. Die daran anschließende stationäre Behandlung habe bis zum 11.12.2008 angedauert. Seit dieser Operation habe der Kläger Krankengymnastik in Anspruch nehmen müssen und auch heute noch Schwierigkeiten, sein linkes Bein voll zu belasten. Aufgrund der weiter bestehenden Beschwerden sei mit dem Eintritt von Spätfolgen zu rechnen. Insbesondere sei es nicht ausgeschlossen, dass er sich einer weiteren Operation unterziehen müsse.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 5.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

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2. den Beklagten zu verurteilen, ihn von der Forderung seiner Rechtsanwälte aus der Rechnung vom 15.4.2009 in Höhe von 546,69 EUR freizustellen;

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3. feststellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die auf den Unfall vom 26.6.2008 zurückzuführen sind, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen seien.

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Dem ist der Beklagte entgegengetreten.

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Der Beklagte hat behauptet, dass es am Vormittag des 26.6.2008 in der Kaffeeküche neben dem Speisesaal zu einem Wasserrohrbruch gekommen sei. Das hierbei ausgetretene Wasser sei jedoch sofort entfernt worden; der Boden sei trocken gewischt worden. Zum Unfallzeitpunkt habe sich keine Restfeuchte auf dem Boden befunden. Darüber hinaus seien zum Unfallzeitpunkt neben dem Speisesaaleingang gut sichtbare gelbe Schilder mit dem Hinweis „Rutschgefahr“ aufgestellt gewesen. Hierdurch seien sämtliche Personen beim Betreten des Raumes grundsätzlich darüber informiert gewesen, dass wegen eventuell bestehender Rutschgefahr besonders vorsichtig gegangen werden müsse.

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Das Landgericht hat dem Kläger unter Klageabweisung im Übrigen ein Schmerzensgeld von 5.000 EUR zugesprochen. Es hat hierzu ausgeführt: Nach Durchführung der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Landgerichts fest, dass der Kläger wegen vorhandener Nässe im Speisesaal mit einer seiner beiden Krücken weggerutscht sei. Es sei davon auszugehen, dass die Feuchtigkeit durch die Undichtigkeit an einem Wasserschlauch am Waschbecken in der Küche aufgetreten sei. Es könne letztendlich dahingestellt bleiben, ob Warnschilder vorhanden gewesen seien. Denn für den Fall des Auftretens einer konkreten Gefahrenstelle reiche das Aufstellen solcher Warnschilder nicht aus. Vor dem Hintergrund der berechtigten Verkehrserwartungen von Patienten einer Rehaklinik sei der Verkehrssicherungspflichtige gehalten, die konkrete Gefährdung durch einen Nässebereich umgehend wirkungsvoll zu beseitigen. Dies sei nicht geschehen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin getroffenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

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Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung erstrebt der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Berufung wendet sich im Schwerpunkt gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Sie vertritt die Auffassung, das Landgericht habe bei Durchführung der Beweisaufnahme gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, da der Vorsitzende der 12. Zivilkammer die für das Beweisergebnis maßgebliche Zeugenbefragung nicht selbst durchgeführt habe. Fehlerhaft sei insbesondere die Tatsachenfeststellung, wonach die im Speisesaal vorhandene Feuchtigkeit auf eine Undichtigkeit an einem Wasserschlauch am Waschbecken in der Küche zurückzuführen sei. So habe das Landgericht nicht hinreichend gewürdigt, dass die Zeugin im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung unmissverständlich klargestellt habe, dass dieses Problem des undichten Schlauchs in der Küche weder in zeitlicher noch in räumlicher Hinsicht irgend etwas mit dem hier streitgegenständlichen Ereignis zu tun haben könne.

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Könne die Ursache der Feuchtigkeit nicht geklärt werden, so sei es auch nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auf gerade erst verschütteter Salatssauce oder auf einem von einem anderen Patienten verschütteten Getränk ausgerutscht sei. In diesem Falle fehle es bereits am Nachweis einer Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten.

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Der Kläger sei darüber hinaus durch das Aufstellen der Hinweisschilder vor einer möglichen Rutschgefahr ausreichend gewarnt worden, weshalb er sich auf die Gefahr von Bodenglätte hätte einstellen und die entsprechende Sorgfalt an den Tag legen müssen.

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In seiner informatorischen Anhörung habe der Kläger bestätigt, dass der Fußboden an besagter Stelle gespiegelt habe. Dies lasse den Schluss zu, dass der Kläger die erkennbare Gefahrenstelle nur deshalb übersehen habe, weil er seinen Blick nicht auf den Boden gerichtet habe.

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Schließlich wendet sich die Berufung gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes.

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Der Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des am 27.4.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken – 12 O 127/09 – die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

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Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Landgericht habe im Einklang mit der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, dass Feuchtigkeit vorhanden gewesen sei und der Kläger infolge dieser Feuchtigkeit ausgerutscht sei. Es sei falsch, dass der Kläger auf einer gerade erst verschütteten Salatsauce oder einem von einem anderen Patienten verschütteten Getränk ausgerutscht sei. Dies habe die Zeugin ausgeschlossen. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe weiter fest, dass von dem Beklagten keine Warnschilder aufgestellt worden seien. Dies folge aus der Aussage der Zeugin Auch sei es dem Beklagten unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht in einer Reha-Klinik ohne weiteres zumutbar gewesen, eventuell vorhandene Restfeuchte mit trockenen Tüchern aufzuwischen.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 14.7.2011 (Bl. 208 ff. d. A.), der Berufungserwiderung vom 11.8.2011 (Bl. 228 ff. d. A.), auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 10.7.2012 (Bl. 238 ff. d. A.) sowie auf den Schriftsatz der Klägervertreter vom 9.8.2012 (Bl. 249 ff. d. A.) verwiesen. Der Senat hat den Sachverhalt durch Anhörung der Parteien weiter aufgeklärt. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 7.8.2012 (Bl. 243 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

A.

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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg: Die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts entfalten im Berufungsrechtszug keine Bindungswirkung, da sie nicht frei von Verfahrensfehlern getroffen worden sind (§ 529 Abs. 2 ZPO). Auf der Grundlage der eigenständigen Tatsachenfeststellungen des Senats hat der Kläger den ihn obliegenden Beweis dafür, dass die im Speisesaal zum Unfallzeitpunkt vorhandene Feuchtigkeit adäquate Folge einer Pflichtverletzung des Beklagten war, nicht geführt. Mangels Nachweises einer objektiven Pflichtverletzung bleibt die Klage sowohl unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer vertraglichen als auch einer deliktischen Haftung ohne Erfolg.

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1. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für den im Berufungsrechtszug allein streitgegenständlichen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld sowohl ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus § 240 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 253 Abs. 1 BGB i.V.m. dem dem Klinikaufenthalt zugrunde liegenden Behandlungsvertrag als auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 1 BGB) in Betracht.Hierbei wird dem Beklagten vorgeworfen, seine Verkehrssicherungspflichten hinsichtlich der von ihm unterhaltenen Räume nicht hinreichend gewahrt zu haben. Die Wahrung eines verkehrssicheren Zustandes ist nicht nur Ausfluss einer vertraglich begründeten Nebenpflicht; vielmehr deckt sich die dem Beklagten aus der vertraglichen Sonderbeziehung resultierende Schutzpflicht mit der deliktsrechtlich sanktionierten allgemeinen Rechtspflicht, so dass der streitgegenständliche Anspruch in echter Anspruchskonkurrenz aus der vertraglichen und der deliktsrechtlichen Anspruchsnorm hergeleitet werden kann (vgl. BGHZ 116, 297, 300; 123, 394, 398; Urt. v. 1.2.1996 – I ZR 90/94, NJW-RR 1996, 1121; Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rdnr. 49). Da sich die deliktsrechtlichen und vertraglichen Schutzpflichten im vorliegenden Rechtsstreit inhaltlich decken, ist – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – in der weiteren rechtlichen Prüfung eine Differenzierung hinsichtlich des Haftungsregimes entbehrlich.

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2. Auch soweit das Landgericht den Inhalt der dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherung beschrieben hat, lässt die angefochtene Entscheidung keine Rechtsfehler erkennen:

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a) Nach anerkannten Grundsätzen ist derjenige, der einen Verkehr eröffnet, für die Sicherung des Verkehrs verantwortlich (Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rdnr. 46; MünchKomm(BGB)/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rdnr. 235, 243; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823 E 19). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Vielmehr löst eine Gefahr erst dann haftungsbegründende Versicherungspflichten aus, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (st. Rspr. BGH, statt aller: Urt. v. 9.9.2008 – VI ZR 279/06, NJW 2008, 3778; Urt. v. 3.6.2008 – VI ZR 223/07, NJW 2008, 3775; BGH, Urt. v. 6.2.2007 – VI ZR 274/05, VersR 2007, 659; vgl. BGH, Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 223/05, VersR 2007, 72; Urt. v. 16.5.2006 – VI ZR 189/05, NJW 2006, 2326; MünchKomm(BGB)/Wagner, aaO, Rdnr. 259). Nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts muss Vorsorge getroffen werden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn derjenige Sicherheitsgrad erreicht wird, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Dieses Schutzniveau ist dann erreicht, wenn diejenigen zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (BGH, NJW 2008, 3778; VersR 2007, 659; NJW 2006, 2326). Kommt es in Fällen, in denen eine Gefährdung zwar nicht ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch zu einem Schadensfall, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (BGH, VersR 2007, 660; vgl. Urt. v. 15.7.2003 – VI ZR 155/02, VersR 2003, 1319; BGH, Urt. v. 15.4.1975 – VI ZR 19/74, VersR 1975, 82).

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Gleichwohl – auch hierin ist dem Landgericht zu folgen – wird der Umfang der geschuldeten Verkehrssicherung von den berechtigten Verkehrserwartungen mitbestimmt; das Maß der zu beachtenden Sorgfalt bemisst sich nach den im zu sichernden Verkehrsbereich typischerweise anzutreffenden Gefahren (Senat, Urt. v. 8.9.2009 – 4 U 43/09). Mithin muss der Beklagte auch im Speisesaal der Reha-Klinik dem Umstand Rechnung tragen, dass die Patienten schon nach der Zweckbestimmung der Reha-Maßnahme unter Gehbehinderungen leiden und nicht selten auf Gehhilfen angewiesen sind. Vor allem ältere Patienten sind im Umgang mit Gehhilfen häufig nicht geübt. Diesen spezifischen und gesteigerten Risiken muss der Verkehrssicherungspflichtige vorbeugen.

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b) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze wäre es sicher zu beanstanden, wenn die feuchte Stelle, auf der der Kläger ausrutschte, von dem defekten Schlauch zurückgeblieben wäre:

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In Anbetracht der seit dem Entdecken des undichten Schlauchs am Morgen des Unfalltages verstrichenen Zeit hatten die für die Verkehrssicherung Verantwortlichen hinreichend Zeit, eventuell in den Speisesaal eingedrungene Nässe bis zur Öffnung des Speisesaales rückstandsfrei zu beseitigen.

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Der Senat neigt auch dazu, eine Verkehrssicherungspflichtverletzung für den Fall zu bejahen, dass die Restfeuchte von der allgemeinen Reinigung des Speisesaals zurückblieb: Angesichts der beschriebenen spezifischen Gefahren muss sich der Verkehrspflichtige jedenfalls solcher Maßnahmen enthalten, die das Risiko eines Schadensfalls erhöhen. Mithin ist die Reinigung des Speisesaals im Regelfall so rechtzeitig durchzuführen, dass eine eventuelle Restfeuchte zu Beginn des Mittagessens restlos abtrocknen kann. Ob der Verkehrssicherungspflichtige auch gehalten ist, während des Mittagessens aufgetretene Verschmutzungen mit trockenen Tüchern abzureiben oder ob es im Einzelfall genügt, durch Aufstellen von Warnschildern vor konkreten Gefahrenstellen zu warnen, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn es steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest, woher die Feuchtigkeit, auf der der Kläger ausrutschte, stammt:

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3. Der Senat ist zu einer eigenen Tatfeststellung berufen: Die Beweisaufnahme ist schon deshalb zu wiederholen, weil das Landgericht – in der Besetzung durch den Richter – im Beweisaufnahmetermin vom 7.8.2009 (Bl. 38 ff. d. A.) gegen § 279 Abs. 3 ZPO verstoßen hat. Es fehlt ein protokollierter Hinweis darauf, dass den Parteien Gelegenheit gegeben worden ist, über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln. Wegen der erheblichen Bedeutung dieser Verfahrensvorschrift für die Rechtmäßigkeit des Verfahrens ist die Einhaltung der Verfahrensvorschrift zu protokollieren. Das Rechtsmittelgericht hat bei unterbliebener Protokollierung von der Verletzung der Verfahrensvorschrift auszugehen (BGHReport 2006, 529; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 279 Rdnr. 8; P/G/Geisler, ZPO, 4. Aufl., § 279 Rdnr. 5;). Da die Parteien auf die Einhaltung der Informationspflichten nicht verzichten können, konnte dieser Verfahrensfehler nicht nach § 295 ZPO geheilt werden (Zöller/Greger, aaO, § 295 Rdnr. 4). Mithin besitzt die Frage, ob den Parteien im Termin vom 30.3.2011 hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, das Einverständnis mit einer urkundlichen Verwertung des Beweisergebnisses zu erklären, keine Relevanz.

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Die eigene Tatsachenfeststellung des Senats beruht insbesondere auf dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers sowie den Angaben der Vertreterin des Beklagten, Frau U. L., im Termin vom 7.8.2012. Darüber hinaus hat der Senat seine Überzeugungsbildung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gestützt, mit dessen Verwertung sich beide Parteien für einverstanden erklärt haben.

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4. Im Einzelnen ist festzuhalten:

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a) Zunächst ist der Senat nicht mit dem erforderlichen Beweismaß des § 286 ZPO davon überzeugt, dass die Feuchtigkeit auf eine Undichtigkeit des Wasserschlauchs zurückzuführen war:

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Weder der Kläger noch die Zeugin Sch. haben Aussagen zur Ursache und Herkunft der Feuchtigkeit gemacht. Lediglich die Zeugin (Bl. 43 f. d. A.) hat von einem undichten Wasserschlauch am Handwaschbecken berichtet. Zugleich hat die Zeugin jedoch dargelegt, dass dieser Schaden am Morgen des gleichen Tages gegen 7:00 Uhr aufgetreten sei. Hinsichtlich der räumlichen Lage hat die Zeugin ausgesagt, dass sich das Waschbecken praktisch am anderen Ende des Speisesaals befunden habe. Diese Angaben zur räumlichen Lage des Handwaschbeckens können auf den mit Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 10.7.2012 eingereichten Lichtbildern und der Grundrisszeichnung (Bl. 241, 242 d. A.) leicht nachvollzogen werden: Das Handwaschbecken befindet sich nicht im eigentlichen Speisesaal, vielmehr grenzt die Verteilerküche an den Speisesaal an.

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Legt man diese – unwiderlegte – Aussage zu Grunde, so war der Schaden lange vor der Essenszeit behoben. Wäre die Feuchtigkeit eine unmittelbare Folge des schadhaften Schlauchanschlusses gewesen, ist auch nicht erklärlich, weshalb nur eine verhältnismäßig kleine und abgrenzbare Fläche benetzt war. Vielmehr musste das Wasser – um vom Handwaschbecken im Nebenraum zum Unfallbereich zu laufen – eine erhebliche Strecke zurücklegen. Nach Lage der Dinge musste bei einem solchen Schadensverlauf nahezu der komplette Speisesaal unter Wasser stehen. Ein solcher Sachverhalt wird von den Zeugen nicht beschrieben.

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b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat weiterhin nicht davon überzeugt, dass die Feuchtigkeit von einer Reinigung zurückgeblieben ist. Vielmehr bleiben sowohl die Beschaffenheit der Feuchtigkeit als auch ihre Herkunft unbekannt:

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Für die Beweiswürdigung ist zunächst von Relevanz, dass der Kläger selber zur Frage, woher die Nässe stammte, keine Angaben machen konnte. Er hat sich nachvollziehbar auf die Angabe beschränkt, dass der Fußboden auf einer Fläche von ca. 4 m² nass bzw. feucht gewesen sei. Ergiebiger ist die Aussage der Zeugin S., die ausgesagt hat, sie selber sei ebenfalls im fraglichen Bereich ausgerutscht. Sie könne ausschließen, dass es sich bei der Feuchtigkeit um Salatsoße gehandelt habe, da man diese Soße auf dem Fußboden gesehen hätte. Dies lässt zwar den Schluss zu, dass es sich um eine klare Flüssigkeit gehandelt hat. Allerdings ist nicht zweifelsfrei bewiesen, dass die Nässe von einem kurz zuvor durchgeführten Reinigungsvorgang zurückgeblieben war. Soweit die Zeugin S. in ihrer Vernehmung einen Zusammenhang zwischen der Nässe und einem Putzvorgang hergestellt hat (Bl. 41 d. A.: „Im Speisesaal war geputzt, allerdings war es an dieser Stelle nicht trocken. An sonstigen Tagen wurde um diese Uhrzeit im Speisezahlen nicht geputzt, so dass es auch nie feucht war.“), begibt sich die Zeugin in den Bereich der Mutmaßung. Denn nach dem Inhalt ihrer Aussage hat die Zeugin den Putzvorgang selber nicht gesehen. Nach der Aussage der Zeugin (Bl. 45 d. A.) wurde am fraglichen Tag tatsächlich vor dem Mittagessen geputzt. Allerdings hat die Zeugin ausgesagt, dass dieser Putzvorgang gegen 10:30 Uhr durchgeführt worden sei. Legt man diese Aussage zu Grunde, an deren Glaubhaftigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, war der Putzvorgang geraume Zeit vor der Mittagszeit abgeschlossen. Gerade mit Blick auf die Jahreszeit – der Unfall ereignete sich Mitte Juni – hätte eventuell vorhandene Restfeuchtigkeit noch rechtzeitig vor der Öffnung des Speisesaals abtrocknen können. Schließlich ist zu würdigen, dass die Feuchtigkeit in dem recht großen Saal nur an einer Stelle, zumal im Bereich des Salatbüffets festgestellt wurde. Dies spricht dagegen, dass die Nässe von einer allgemeinen Reinigung stammte.

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5. Bleibt ungeklärt, woher die Nässe stammt, kann der Kläger den ihm obliegenden Beweis für eine objektive Verletzung der Verkehrssicherung nicht führen:

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Mit Blick auf die starke Frequentierung des Speisesaals ist das Auftreten einzelner feuchter Stellen – zu denken ist insbesondere an das Verschütten von Getränken oder mitgebrachten Flüssigkeiten, das Entstehen von Kondensat infolge der Essenszubereitung – mit zumutbarem Aufwand nicht sicher zu vermeiden. Mithin entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass die festgestellte Feuchtigkeit im vorliegenden Fall Ausfluss einer Pflichtverletzung war. Insbesondere streiten die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht für eine Pflichtverletzung des Beklagten: Der Anscheinsbeweis ist insbesondere zum Nachweis der Kausalität anerkannt: So kann der Anscheinsbeweis bei nachgewiesener objektiver Pflichtverletzung die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden beweisen, wenn gerade der Schaden eingetreten ist, den die Verkehrssicherungspflicht verhindern soll (BGH, Urt. v. 14.12.1993 – VI ZR 271/92, NJW 1994, 945; Palandt/Sprau, aaO., § 823 Rdnr. 54; MünchKomm(BGB)/Wagner, aaO, Rdnr. 326). Diese Konstellation liegt hier nicht vor, da die objektive Pflichtverletzung gerade nicht feststeht.

40

Nach alldem unterliegt die Klage der Abweisung.

B.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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