BGH, Urteil vom 21.10.2014 – VI ZR 14/14
1. Auch der Arzt, der einen Patienten ausschließlich über den von einem anderen Arzt angeratenen und durchzuführenden Eingriff aufklärt, kann dem Patienten im Falle einer fehlerhaften oder unzureichenden Aufklärung aus unerlaubter Handlung haften.
2. Zur Reichweite der Verantwortlichkeit des aufklärenden Arztes.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. Dezember 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen angeblicher Aufklärungsversäumnisse im Zusammenhang mit zwei bei der Klägerin durchgeführten Knieoperationen.
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Die Klägerin, die an Beschwerden in beiden Knien litt und deshalb bereits mehrfach voroperiert war, stellte sich Anfang Oktober 2000 erstmals Dr. T., Arzt und damaliger Geschäftsführer der Privatklinik “A.-Klinik M.”, vor. Für die Voruntersuchung war Dr. Z. zuständig, der der Klägerin bereits anlässlich dieses Termins einen konkreten operativen Therapievorschlag unterbreitete. Anfang November 2000 unterzog sich die Klägerin hierauf einer Arthroskopie. Im Februar 2001 vereinbarte die Klägerin mit Dr. T., sich einer Operation am rechten Knie zu unterziehen, für die nach mehrfacher Verlegung schließlich der 31. Mai 2001 als Termin vereinbart wurde.
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Am Operationstag begab sich die Klägerin in die A.-Klinik. Nach einem Gespräch mit der Beklagten, die als niedergelassene Fachärztin für Orthopädie freiberuflich in der A.-Klinik tätig und mit Dr. T. über eine sogenannte “Kooperationsvereinbarung” verbunden war, unterzeichnete sie eine ihr vorgelegte Einverständniserklärung, in der es unter anderem heißt, die Klägerin sei über die Erfolgsaussichten des Eingriffs aufgeklärt worden. Der Bogen wurde von der Beklagten mit dem Zusatz “i. V.” gegengezeichnet. Anschließend führte Dr. T. am rechten Knie der Klägerin eine arthroskopische und offene Operation mit partieller Synovektomie, Lateral Release, Versetzung der Tuberositas Tibiae und Shaving-Chondroplastik Patella und Trochlea durch.
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In der Folgezeit entschloss sich die Klägerin, auch ihr linkes Knie von Dr. T. operieren zu lassen. Der Operationstermin wurde am 11. Januar 2002 auf den 28. Januar 2002 festgesetzt. Wie vor der ersten Operation unterzeichnete die Klägerin am Operationstag nach einem mit der Beklagten geführten Gespräch eine ihr vorgelegte Einverständniserklärung, die inhaltlich der anlässlich der ersten Operation unterzeichneten entsprach. Auch diese Erklärung wurde von der Beklagten mit dem Zusatz “i. V.” gegengezeichnet. Anschließend führte Dr. T. auch am linken Knie eine partielle Synovektomie, eine Shaving-Chondroplastik Patella und eine laterale Retinakulotomie durch.
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Beide Operationen erbrachten nicht das von der Klägerin gewünschte Ergebnis. Bezüglich beider Knie wurden Revisionsoperationen erforderlich.
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Mit der Behauptung, von der Beklagten inhaltlich unzureichend und zu spät aufgeklärt worden zu sein, hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 40.000 € nebst Zinsen sowie auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.879,80 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat sie die Feststellung der Pflicht der Beklagten begehrt, ihr den aus den Operationen vom 31. Mai 2001 und 28. Januar 2002 sowie den Folgeoperationen bereits entstandenen und zukünftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie den zukünftig noch entstehenden immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und/oder sonstige Dritte übergegangen sind.
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Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich des geltend gemachten Schmerzensgeldes in Höhe von 12.000 € und im Übrigen voll stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, zwar sei dem Landgericht darin zu folgen, dass die Klägerin über die begrenzten bzw. geringen Erfolgsaussichten der Eingriffe nur unzureichend oder überhaupt nicht aufgeklärt worden sei, weshalb ihre Einverständniserklärungen rechtsunwirksam und die Operationen rechtswidrig gewesen seien. Auch treffe es zu, dass ein Arzt, der nur die Aufklärung des Patienten übernehme, Täter einer unerlaubten Handlung sein könne. Dabei sei nicht erforderlich, dass der betreffende Arzt dem Patienten auch zur Operation geraten und insoweit ausdrücklich die Aufklärung übernommen habe. Vorliegend scheitere eine Haftung der Beklagten aber daran, dass sie keine Pflichten im Rahmen des von ihr übernommenen Behandlungsteils verletzt habe.
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Zu differenzieren sei nämlich zwischen dem Teil der Aufklärung, der die Information über die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen betreffe, und dem Teil, der die Aufklärung über allgemeine Risiken des beabsichtigten Eingriffs betreffe. Der erste Teil sei eng mit der Indikationsstellung, der Auswertung der klinischen und bildgebenden Untersuchung sowie der Krankengeschichte des Patienten verbunden und könne “im Grunde genommen” nur von dem Arzt, der die Operationsindikation in Kenntnis des genauen Krankheitsbildes und Krankheitsverlaufes gestellt habe, vorgenommen werden. Die Aufklärung über die allgemeinen Risiken der gewählten Operation könne dagegen auch von einem Facharzt ohne Untersuchung und genaue Kenntnis des Krankheitsbildes des Patienten erfolgen. Werde nunmehr ein in keiner Weise in das Behandlungsgeschehen involvierter Arzt nach der Indikationsstellung und Anmeldung des Patienten zur Operation mit der Aufklärung beauftragt, so übernehme er nur insoweit Behandlungsverantwortung für die Aufklärung, als es um die Darstellung der allgemeinen Operationsrisiken gehe. Nur insoweit nehme er eine Garantenstellung gegenüber dem Patienten ein.
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Danach scheide im Streitfall eine Pflichtverletzung der Beklagten aus. Da sie unstreitig weder an den Untersuchungen der Klägerin noch an der Indikationsstellung in irgendeiner Form beteiligt gewesen und “sogar sehr kurzfristig” mit der Durchführung der Aufklärung am Operationstage beauftragt worden sei, könne ihr nicht vorgeworfen werden, die von ihr übernommenen Pflichten dadurch verletzt zu haben, dass sie die Klägerin nicht auf die geringen Erfolgsaussichten der geplanten Operation hingewiesen habe. Auch könne der Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass die Aufklärung erst unmittelbar vor der Operation und damit verspätet erfolgt sei. Denn es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Beklagte für die Operationsplanung und den Zeitpunkt der Risikoaufklärung verantwortlich sei und gegenüber der Patientin insoweit eine Garantenstellung übernommen habe.
II.
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1. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
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a) Aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern ist zunächst gegen die Annahme des Berufungsgerichts, es sei erforderlich gewesen, die Klägerin auch über die eingeschränkten Erfolgsaussichten der Operationen aufzuklären. Der erkennende Senat hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass über die Erfolgsaussichten einer Behandlung jedenfalls dann aufzuklären ist, wenn das Misserfolgsrisiko hoch und die Indikation zweifelhaft ist (Senatsurteile vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 48/91, VersR 1992, 358, 359; vom 6. November 1990 – VI ZR 8/90, VersR 1991, 227, 228; vom 23. September 1980 – VI ZR 189/79, VersR 1980, 1145, 1146; ohne die genannte Einschränkung: Senatsurteile vom 14. März 2006 – VI ZR 279/04, BGHZ 166, 336 Rn. 6, 8; vom 8. Mai 1990 – VI ZR 227/89, VersR 1990, 1010, 1011 f.; vom 14. Februar 1989 – VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 394; ferner Senatsurteile vom 22. Mai 2007 – VI ZR 35/06, BGHZ 172, 254 Rn. 24; vom 14. Juni 1994 – VI ZR 178/93, VersR 1994, 1235, 1236; vgl. auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., C Rn. 8 f.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 433 f.; für den Behandlungsvertrag jetzt auch § 630e Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt. Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bestanden bezüglich des rechten Knies nur geringe Chancen, durch die Operation eine durchgreifende Besserung zu erzielen. Bezüglich des linken Knies war die Situation etwas günstiger bei gleichwohl nur begrenzten Erfolgsaussichten des Eingriffs.
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b) Im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats steht auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, ein Arzt, der nur die Aufklärung des Patienten über die ihm angeratene Operation übernommen habe, könne eine unerlaubte Handlung begehen (vgl. Senatsurteile vom 29. September 2009 – VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 Rn. 14; vom 8. Mai 1990 – VI ZR 227/89, VersR 1990, 1010, 1011; vom 22. April 1980 – VI ZR 37/79, VersR 1981, 456, 457). Denn mit der Aufklärung übernimmt der Arzt einen Teil der ärztlichen Behandlung, was – wie auch sonst die tatsächliche Übernahme einer ärztlichen Behandlung (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 – VI ZR 48/78, VersR 1979, 376, 377) – seine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten begründet (Senatsurteil vom 22. April 1980 – VI ZR 37/79, aaO). Ist die Aufklärung unvollständig und die Einwilligung des Patienten in die Operation unwirksam, kann der aufklärende Arzt deshalb gemäß § 823 BGB zum Ersatz des durch die Operation entstandenen Körperschadens verpflichtet sein (Senatsurteil vom 29. September 2009 – VI ZR 251/08, aaO). Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass dies nicht nur dann gilt, wenn der aufklärende Arzt – wie in der Senatsentscheidung vom 22. April 1980 (VI ZR 37/79, aaO) zugrundeliegenden Fall – dem Patienten als zunächst behandelnder Arzt auch zur Operation geraten hat (so allerdings OLG Bamberg, GesR 2004, 135, 136; anders aber bereits Senatsurteil vom 29. September 2009 – VI ZR 251/08, aaO; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., C Rn. 108; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Rn. A 1764).
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c) Von Rechtsfehlern beeinflusst ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nur die Aufklärung über die allgemeinen Risiken der beabsichtigten Operation, nicht aber die Aufklärung über die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen übernommen. Der vom Berufungsgericht zur Begründung dieser Annahme aufgestellte Rechtssatz, der mit der Aufklärung beauftragte Arzt übernehme dann, wenn er an der Indikationsstellung und Vereinbarung der Operation nicht beteiligt gewesen sei, nur den Teil der Aufklärung, der die Information über die allgemeinen Risiken der zwischen dem Patienten und den behandelnden Ärzten vereinbarten Operation betreffe, und nehme auch nur insoweit eine Garantenstellung gegenüber dem Patienten ein, trifft – jedenfalls in dieser Allgemeinheit – nicht zu.
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Die Annahme einer Garantenpflicht bei tatsächlicher Übernahme einer ärztlichen Behandlung hat ihren Grund in der Übernahme eines Auftrags (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2002 – 4 StR 289/01, BGHSt 47, 224 Rn. 20; Senatsurteil vom 8. Februar 2000 – VI ZR 325/98, VersR 2000, 1107) oder in dem Vertrauen, das der betreffende Arzt beim Patienten durch sein Tätigwerden hervorruft und diesen davon abhält, anderweitig Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 – VI ZR 48/78, VersR 1979, 376, 377). Feststellungen, dass die Beklagte es gegenüber den behandelnden Ärzten übernommen hätte, die Klägerin über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Operationen aufzuklären, sind – ohne dass dem Berufungsgericht insoweit Rechtsfehler unterlaufen wären – nicht getroffen worden.
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In der vorgenannten zweiten Fallgruppe ist für die Reichweite der Garantenstellung des Arztes indes der Umfang des Vertrauens entscheidend, das sich der Patient aufgrund des konkreten Auftretens des Arztes berechtigterweise bilden darf. Dies lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Dabei kommt es darauf an, wie ein objektiver Dritter in der Lage des Patienten das Verhalten des Arztes in der konkreten Behandlungssituation verstehen durfte. Hierzu hat das Berufungsgericht keine hinreichenden Feststellungen getroffen.
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Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird zu berücksichtigen sein, dass der Klägerin im Rahmen der von der Beklagten geführten Gespräche Einwilligungsbögen, nach deren Inhalt sie auch bestätigte, über die Erfolgsaussichten des jeweiligen Eingriffs aufgeklärt worden zu sein, übergeben und anschließend von der Beklagten gegengezeichnet wurden. Ebenfalls zu berücksichtigen sein werden etwaige (Aufklärungs-)Gespräche mit den behandelnden Ärzten, die im Vorfeld des jeweils von der Beklagten durchgeführten Aufklärungsgesprächs stattgefunden haben. Vor diesem Hintergrund konnte auch nicht offen bleiben, ob und inwieweit die behandelnden Ärzte die Klägerin bereits über die Erfolgsaussichten der Eingriffe aufgeklärt hatten.
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2. Das Berufungsgericht wird im Rahmen der erneuten Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere wechselseitige Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.