BGH, Urteil vom 21. September 2021 – VI ZR 726/20
Zur Reichweite der Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs mit Arbeitsfunktion nach § 7 Abs. 1 StVG (Schadensverursachung durch einen von einem Traktor angetriebenen Kreiselmäher beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche; Anschluss an Senatsurteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638).(Rn.7)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. April 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Unfallereignisses am 4. Juli 2016 in Anspruch.
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An diesem Tag mähte der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Traktor und dem von diesem angetriebenen Kreiselmäher eine als Weideland genutzte Wiesenfläche. Während der Mäharbeiten wurde der Kläger, der sich auf dem angrenzenden Grundstück am Rande des dort befindlichen Reitplatzes aufhielt, durch einen Stein am rechten Auge getroffen und schwer verletzt. Der Kläger behauptet, der Stein sei bei den Mäharbeiten durch das Kreiselmähwerk in seine Richtung hochgeschleudert worden.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht nach Beweisaufnahme zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die von ihm geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, die unter anderem in MDR 2020, 985 veröffentlicht ist, ausgeführt, ein Anspruch aus § 7 StVG, § 115 VVG sei nicht gegeben, weil die Haftungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG nicht vorlägen. In tatsächlicher Hinsicht sei aufgrund der Beweisaufnahme zwar davon auszugehen, dass die Verletzung des Klägers von einem durch den Kreiselmäher hochgeschleuderten Stein verursacht worden sei. Gleichwohl bestehe kein Anspruch, weil im vorliegenden Fall bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Einsatz des Traktors als Arbeitsmaschine zur Bestellung des landwirtschaftlichen Grundstücks derart prägend im Vordergrund gestanden habe, dass der Schadensablauf nicht dem Betrieb des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG zuzuordnen sei. Eine Haftung folge auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB, da eine schuldhafte Verletzung von Verkehrssicherungspflichten seitens des Beklagten zu 1 nicht festgestellt werden könne. Der Beklagte zu 1 habe angesichts des Umstandes, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls in einem Abstand von etwa 50 m zu dem Kreiselmäher befunden habe, davon ausgehen dürfen, dass sich der Kläger außerhalb des Gefahrenkreises der Maschine aufgehalten habe.
II.
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Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht Schadensersatzansprüche des Klägers aus § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG verneint.
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1. Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. nur Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 7; vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, VersR 2020, 782 Rn. 10; vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, VersR 2019, 897 Rn. 8 mwN).
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Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. Senatsurteile vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 6; vom 5. Juli 1988 – VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65, 67, juris Rn. 6; vom 23. Mai 1978 – VI ZR 150/76, BGHZ 71, 212, 214, juris Rn. 7 und vom 27. Mai 1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945, 946, juris Rn. 15 sowie BGH, Urteil vom 13. Dezember 1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 164, 165, juris Rn. 6) oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat (vgl. Senatsurteil vom 2. Juli 1991 – VI ZR 6/91, BGHZ 115, 84, 87, juris Rn. 11 mwN). Eine Verbindung mit dem „Betrieb“ als Kraftfahrzeug kann zu bejahen sein, wenn eine „fahrbare Arbeitsmaschine“ gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, VersR 2005, 566, 567, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 13. Dezember 1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 164, 165, juris Rn. 6; vgl. auch OLG Stuttgart, VersR 2003, 1275, 1276, juris Rn. 16; OLG Rostock, DAR 1998, 474, 475, juris Rn. 4). Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht losgelöst von dem konkreten Einsatzbereich des Fahrzeugs gesehen werden. Ausschlaggebend ist insoweit nicht das Stehen oder Fahren während der Arbeitsfunktion (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2015 – VI ZR 139/15, VersR 2016, 1048 Rn. 13; vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 13). Wann haftungsrechtlich nur noch die Funktion als Arbeitsmaschine infrage steht, lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden (vgl. Senatsurteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 13).
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2. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision die Verletzung des Klägers zu Recht nicht der vom Kraftfahrzeug des Beklagten zu 1 ausgehenden Betriebsgefahr zugerechnet. Nach den von der Revision als ihr günstig hingenommenen und auch von der Revisionserwiderung nicht beanstandeten tatrichterlichen Feststellungen ist der Kläger zwar durch einen von dem durch den Traktor des Beklagten zu 1 angetriebenen Kreiselmäher während des Mähvorgangs hochgeschleuderten Stein verletzt worden. Das Berufungsgericht hat dennoch eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG zutreffend verneint, weil das Risiko, das sich im Streitfall verwirklicht hat, nicht in den Schutzbereich des § 7 StVG fällt. Denn die notwendige Gesamtbetrachtung der Umstände des Streitfalls ergibt, dass der Unfall hier in keinem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung des Traktors als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine, sondern vielmehr die Funktion des Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine im Vordergrund stand, so dass der Schadensablauf nicht durch den Betrieb des Kraftfahrzeuges geprägt wurde.
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Maßgeblich ist dabei wie in dem vom Senat bereits entschiedenen Fall des Arbeitseinsatzes eines Traktors mit Kreiselschwader auf einer gemähten Wiese (Senatsurteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 14), dass sich das Unfallgeschehen weder auf einer öffentlichen noch einer privaten Verkehrsfläche ereignete und die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Traktors lediglich dem Bestellen der landwirtschaftlichen Fläche diente. Dass der Schaden auf einem Privatgelände eingetreten ist, steht einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nach der ständigen Senatsrechtsprechung zwar nicht grundsätzlich entgegen (vgl. nur Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 158/19, VersR 2021, 60 Rn. 15; vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 10 mwN). Bei der Beurteilung der haftungsrechtlichen Natur des Einsatzes eines Kraftfahrzeuges mit Arbeitsfunktion unter Schutzzweckgesichtspunkten ist es jedoch von Bedeutung, ob der Arbeitseinsatz auf oder in örtlicher Nähe zu Straßenverkehrsflächen stattfindet, wie es – anders als vorliegend – in den Fällen, in denen eine „fahrbare Arbeitsmaschine“ gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtete und der Senat das Schadensereignis als vom Schutzzweck des § 7 StVG erfasst angesehen hat, der Fall war (vgl. Senatsurteile vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, VersR 2005, 566: Hochschleudern eines Steins durch ein auf dem Seitenstreifen entlangfahrendes Mähfahrzeug; vom 5. Juli 1988 – VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65: Auswerfen von Streugut aus einem Streukraftfahrzeug).
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Dagegen kommt es entgegen der Ansicht der Revision bei der haftungsrechtlichen Einordnung der Verwendung des Traktors hier nicht entscheidend darauf an, dass im Streitfall der Schaden während und nicht – wie vom Senat bei der Beurteilung des „Kreiselschwaderfalls“ als ergänzender Gesichtspunkt aufgeführt (Senatsurteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 14) – nach Abschluss des Arbeitsvorganges entstanden ist. Denn dieser Umstand stellt für sich genommen keinen hinreichenden Zusammenhang des Einsatzes der Arbeitsmaschine mit dem Kraftfahrzeugverkehr her, vor dessen Gefahren § 7 StVG Schutz bieten will. Soweit die Revision darauf abhebt, dass im vorliegenden Fall eine unmittelbare Verbindung des Schadenseintritts mit der Fortbewegung des Traktors deshalb bestehe, weil diese kausal für die Funktion des Mähwerks gewesen sei, hat das Berufungsgericht schon nicht festgestellt, dass das schadensursächliche Hochschleudern eines Gegenstandes durch den Kreiselmäher nur während der Fortbewegung des Traktors möglich gewesen sei, ohne dass die Revision entsprechenden Vortrag des Klägers als übergangen rügen würde. Im Übrigen würde allein dieser kausale Zusammenhang – wie dargelegt – für die Haftung nicht ausreichen.
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3. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB mangels einer schuldhaften Verletzung von Verkehrssicherungspflichten seitens des Beklagten zu 1 verneint hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird von der Revision hingenommen.