LG Hannover, Urteil vom 15.04.2013 – 19 O 324/09
Zur Produkthaftung wegen eines Konstruktionsfehlers im Fall des Bruchs eines Hüftimplantats
Tenor
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Materialbruchs des künstlichen Hüftgelenkes „…“ rechts, am 15.05.2006 noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf materiellen Schadensersatz, Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung der Einstandspflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden wegen eines Produktfehlers eines Medizinprodukts in Anspruch.
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Die Beklagte hat als Herstellerin von Hüftendoprothesen ab März 2003 Prothesen des Typs „…“ vertrieben. Das …-System besteht aus 5 Komponenten und zwar Schaft, Zwischenadapter (Schaftadapter), Kopf, Pfanne und Insert (Anlage B 1, Bl. 91ff d.A.), wobei Schaft und Adapter aus Titan hergestellt wurden. Im Jahre 2005 ist das Produkt, nachdem es zu mehreren Bruchereignissen gekommen war, vom Markt genommen worden.
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Am 05.04.2004 wurde dem am 19.08.1959 geborenen Kläger, der als Landwirt tätig ist, im Klinikum …., das von der Beklagten hergestellte Hüftimplantat mit der Bezeichnung „…“ rechtseitig wegen bestehender Coxarthrose rechts implantiert. Am 14.05.2006 kam es im Körper des Klägers zum Bruch dieses Implantats am Verbindungsstück zwischen Schaft und Kugel. Am 15.05.2006 wurde das gebrochene Implantat im Krankenhaus …. entfernt. Eine neue Prothese konnte erst am 19.05.2006 implantiert werden. Es schloss sich eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme an. Vorgerichtlich zahlte der Haftpflichtversicherer der Beklagten an den Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 30.000,– € und zwar 10.000,– € am 26.09.2006 und 20.000,– € am 09.10.2007.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass Ursache des Implantatbruchs ein Materialfehler gewesen sei, für den die Beklagte nach dem Produkthaftungsgesetz einzustehen habe, weil das Produkt zum Zeitpunkt des In-den-Verkehr-Bringens nicht die Sicherheit geboten habe, die berechtigterweise habe erwartet werden können. Die Beklagte habe erstmals eine Steckverbindung Titan auf Titan verwendet, mit der sie vorher keine Erfahrung gehabt habe. Die Eigenschaften von Titan, welches zwar eine gute Korrosionsbeständigkeit besitze, aber auch zu Kerbempfindlichkeit, Rissausbreitung, Abrieb und Reibkorrosion neige, seien bereits zum Zeitpunkt der Produktentwicklung bekannt gewesen. Es liege somit ein Konstruktionsfehler vor, der zum Zeitpunkt des In-den-Verkehr-Bringens hätte erkannt werden können und müssen.
5
Zum Bruchgeschehen selbst trägt der Kläger vor, er habe am 14.05.2006 hinter seinem Traktor gestanden und ohne belastende Bewegung plötzlich einen furchtbaren stechenden Schmerz verspürt sowie einen Knall gehört. Dann sei er hingefallen und habe ca. eine halbe Stunde bewegungsunfähig neben seinem Traktor gelegen, bis er sich habe wieder hochziehen können. Da dies in den Abendstunden geschehen sei, habe er das Geschehen als traumatisch und potentiell lebensgefährlich erlebt. Die gebrochene Prothese habe nur unter Mühe operativ entfernt werden können, so dass die Schafttrepanation durch Drahtcerclagen in Deckelung habe refixiert werden müssen. Die zweite Operation am 19.05.2006 sei deshalb erforderlich geworden, weil ein verlängertes Kopf-Hals-Implantat analog der erforderlichen langen Schenkelhalskonfiguration erst habe beschafft werden müssen. Zur Erholung der Weichteilsituation habe er 16 Tage postoperativ immobil bleiben müssen.
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Zu den geltend gemachten Ansprüchen trägt der Kläger vor, dass nach Implantation der mangelbehafteten Prothese der Beklagten und anschließender Rehabilitationsphase das Hüftgelenk nahezu in freiem konzentrischem Bewegungsausmaß wiederhergestellt und voll belastungsfähig gewesen sei. Auch habe er keine Schmerzen mehr verspürt und habe mit uneingeschränkter Leistungsfähigkeit seinem Beruf als Landwirt in vollem Umfang nachkommen können. Dieses sei nach der Wechseloperation nicht mehr in nennenswertem Umfang möglich. Insoweit nimmt der Kläger Bezug auf den Reha-Entlassungsbericht der Rheumaklinik … vom 29.06.2004, einen ärztlichen Bericht des Nachbehandlers Dr…. vom 13.03.2009 sowie das von dem Haftpflichtversicherer der Beklagten eingeholte fachorthopädische Gutachten von Dr…. vom 04.12.2006 und ein fachchirurgisches Zusammenhangsgutachten von Dr…. vom 28.07.2009 (Anlagen K 6 bis K 9, Aktenhülle). Der Kläger trägt weiter vor, dass er seit der Wechseloperation unter fortbestehenden starken Beschwerden leide. Schmerzen würden sich täglich etwa ab Mittag einstellen und am frühen Abend in stechende Schmerzen rechts von der Hüfte bis in den Unterschenkel ziehend übergehen. Dadurch sei er zum Dauerschmerzpatienten geworden. Folge sei, dass er sich abends gegen 20.30 Uhr ins Bett begeben müsse. Weitere Folge der Operationen im Mai 2006 sei eine erhebliche Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk um ein Drittel sowie eine deutliche Kraftminderung und Minderbelastbarkeit des rechten Beines. Durch eine Fehlhaltung hätten sich inzwischen im linken Kniegelenk Schmerzen eingestellt. Zudem sei er viereinhalb Monate zu 100% arbeitsunfähig gewesen. Außerdem sei unklar, ob ein weiterer Hüftprothesenwechsel noch ein oder zweimal durchgeführt werden könne. Weitere Beeinträchtigungen ergäben sich während der Arbeit, da er höchstens eine halbe Stunde auf dem Schlepper sitzen könne. Längere Autofahrten seien ebenso wenig möglich wie längere Fußwege. Auch in seinen Freizeitaktivitäten sei er seit der Wechseloperation erheblich eingeschränkt. Der Kläger hält ein Schmerzensgeld von mindestens 25.000,– € für angemessen.
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Als materiellen Schaden macht der Kläger einen Erwerbsschaden und Kosten für Krankenhauszuzahlungen etc. sowie Gutachterkosten geltend. Zu dem Erwerbsschaden trägt er vor, dass er für seinen Beruf als Landwirt eines Betriebes, der sowohl Tierhaltung als auch Getreide – und Gemüseanbau umfasse, nur noch äußerst beschränkt einsetzbar sei, insbesondere könne er Tätigkeiten körperlicher Art nicht mehr vornehmen. Dem Kläger sei es nur noch möglich, Büroarbeiten, die etwa 10% der beruflichen Tätigkeit ausmachen würden, Delegationstätigkeiten und unterstützende Hilfstätigkeiten auszuführen. Ferner könne er für circa eine halbe Stunde auf dem Traktor eingesetzt werden. Seine Ehefrau arbeite unabhängig von seinen Aufgaben in einem eigenen Teilbereich des Betriebes (Hühnerhaltung, Hofladen und der Versorgung von Zuchtkälbern). Für den Zeitraum 15.05. bis zum 31.10.2006 sei er zu 100% arbeitsunfähig gewesen und seit dem 01.11.2006 bis heute zu 80 %. Für den Zeitraum 15.05. bis 30.09.2006 berechnet der Kläger seinen Erwerbsschaden anhand des Gutachtens des Sachverständigen vom 20.07.2007 zum Erwerbsverlust (Anlage K 13, Aktenhülle), woraus sich ein Erwerbsschaden von 37.780,– € ergebe. Auf diesen Erwerbsschaden lässt sich der Kläger die vom Haftpflichtversicherer der Beklagten – nach seiner Auffassung zur freien Verfügung – geleisteten 30.000,– € anrechnen, so dass für diesen Zeitraum noch ein Restschaden von 7.780,– verbleibe. Der Kläger trägt weiter vor, er habe ab dem 01.11.2006 seinen Sohn, der ebenfalls den Beruf eines Landwirtes erlernt habe, als Vollzeitkraft angestellt. In der Zeit vom 01.11.2006 bis 30.06.2009 habe sein Sohn einen Bruttolohn von 1.100,– € monatlich erhalten. Darin seien Unterkunftskosten in Höhe von 173,40 € und Verpflegungskosten in Höhe von 210,00 € enthalten. Hinzu kämen Arbeitgeberanteile in Höhe von weiteren 124,85 €. Der Erwerbsschaden für diesen Zeitraum belaufe sich daher auf insgesamt 39.195,20 €. Ab dem 01.07.2009 bis zum 31.12.2009 habe sein Sohn ein tarifentsprechendes Bruttogehalt von monatlich 2.305,96 € erhalten. Unterkunfts- und Verpflegungskosten seien gleich geblieben. Zuzüglich der Arbeitgeberanteile belaufe sich der monatlich zu zahlende Betrag auf 2.567,68 €. Der Erwerbsschaden bis einschließlich Dezember 2009 betrage somit 15.406,08 €. Darüber hinaus verlangt der Kläger Schadensersatz in Höhe von 858,38 € für Telefonkosten, Zuzahlungen im Krankenhaus und für Medikamente, Krankengymnastik etc. (Anlagenkonvolut K 17, Aktenhülle) sowie Ersatz von Gutachterkosten in Höhe von insgesamt 598,02 €.
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Der Feststellungsantrag sei begründet, weil weitere materielle und immaterielle Schäden nicht auszuschließen seien.
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Darüber hinaus begehrt der Kläger Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten nach einem Gegenstandswert von 104.998,51 € (zweifacher Satz) in Höhe von 2.568,00 €.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 63.838,13 € zuzüglich 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2008 auf den Betrag von 8.638,38 € und 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit auf den Betrag von 55.199,75 € zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000,– € zuzüglich 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2008 auf den Betrag von 15.000,– € und 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit auf den Betrag von 10.000,– € zu zahlen;
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3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Materialbruchs des künstlichen Hüftgelenkes „…“ rechts, am 15.05.2006 noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist;
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4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz, der ihm als Kosten für die vorgerichtliche rechtliche Vertretung entstanden ist, in Höhe von 1.147,87 € zuzüglich 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
15
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass ein Produktfehler nicht vorliege. Die Beklagte trägt vor, dass zum Zeitpunkt der Entwicklung des …-Systems keinerlei Hinweise auf die Gefahr frühzeitigen Versagens durch Bruch der Komponenten vorgelegen hätten. Die Implantate seien vor ihrer Markteinführung sämtlichen zur Zulassung derartiger Medizinprodukte notwendigen Prüfungen unter der ISO-Norm und der CE-Zertifizierung unterzogen worden. Die Beklagte habe erstmals am 13.08.2004 von einem Anwender Informationen über einen Konusbruch erhalten. Bereits am 29.11.2004 habe die Beklagte der zuständigen Behörde in Österreich einen Teilrückzug des Implantatsystems, betreffend die Adapter NL und L gemeldet. Am 15.02.2005 sei nach Kenntnis von 7 Implantatbrüchen der Komplettrückzug gegenüber den zuständigen Behörden erklärt worden. Sogleich seien die Kunden und Anwender schriftlich informiert worden. Zwar sei die Beklagte zunächst davon ausgegangen, dass sie wegen der aufgetretenen Spannungskorrosionen nach dem Produkthaftungsgesetz haften würde. Aus diesem Grunde seien auch zunächst Zahlungen erfolgt. Neuere Entwicklungen in der Endoprothetik würden jedoch den Schluss zulassen, dass das Vorliegen eines Produktfehlers zweifelhaft sei und darüber hinaus eine Haftung bereits ausgeschlossen sei, weil die Bruchgefährdung im Zeitpunkt des In-den Verkehr-Bringens in Wissenschaft und Technik nicht bekannt gewesen sei. Insoweit weist die Beklagte darauf hin, dass auch andere moduläre Systeme Bruchsymptomatiken zeigen würden. Weitere Untersuchungen hätten ergeben, dass Ursache der Implantatbrüche kein Werkstoff- bzw. Herstellungsfehler oder eine zu geringe Dimensionierung sei. Vielmehr sei es aufgrund einer mechanischen Unruhe (Mikrobewegungen) in Verbindung mit chemischen Prozessen zu einer Reibkorrosion (dem sogenannten Fretting) und einem kontinuierlichem Abrieb in der Verbindungsstelle gekommen. Dies habe in der Folge zu einer Spaltkorrosion geführt. Damit liege eine unerwartete Komplikation vor, die vor der Produkteinführung insbesondere deshalb nicht erkennbar gewesen sei, weil die erhöhte korrosionsbedingte Bruchanfälligkeit der Implantate als klinisches Problem – hervorgerufen durch die Modularität der Komponenten – als weitestgehend unbekannt bewertet werden müsse. Insoweit nimmt die Beklagte Bezug auf ein Gutachten des Sachverständigen Dr. … vom 06.09.2010 im Verfahren 2 O 130/09 des Landgerichts Berlin (Anlage B 12, in Aktenhülle). Nach erstmaligem Bekanntwerden eines Bruchschadensereignisses habe die Beklagte eine intensive Produktbeobachtung vorgenommen und das Produkt schließlich endgültig vom Markt genommen. Zum geltend gemachten Schaden trägt die Beklagte vor, dass die gezahlten 30.000,– € ausweislich der Regulierungsschreiben des Haftpflichtversicherers (Anlagen B7, B8, Bl. 126, 127 d.A.) zur beliebigen Verrechnung der Beklagten erfolgt seien. Die Tilgungsbestimmung sei in der Weise erfolgt, dass auf den materiellen Erwerbsschaden ein Betrag in Höhe von 15.000,– € und auf den immateriellen Schaden die restlichen 15.000,– € entfallen. Im Übrigen hält die Beklagte die Schmerzensgeldvorstellung des Klägers insbesondere angesichts der Vorerkrankung für übersetzt. Das Vorbringen des Klägers zum gesundheitlichen Zustand nach Implantation des streitgegenständlichen Hüftgelenks bestreitet die Beklagte ebenso wie den vorgetragenen Umstand, der Kläger habe seinen landwirtschaftlichen Betrieb aus eigener Kraft nicht aufrechterhalten können, mit Nichtwissen. In diesem Zusammenhang weist die Beklagte darauf hin, dass auch die Ehefrau im landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeite.
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Die Beklagte bestreitet ferner den Hergang des Bruchereignisses, da ein Bruch der Hüftprothetik regelmäßig nur einen Stabilitätsverlust zur Folge habe, aber nicht schmerzhaft sei. Zu den bestehenden Beschwerden nimmt die Beklagte Bezug auf das orthopädische Gutachten von Dr. vom 04.12.2006 und bestreitet darüber hinausgehende Beeinträchtigungen. Des Weiteren bestreitet die Beklagte den geltend gemachten materiellen Schaden dem Grunde und der Höhe nach. Wegen der Einzelheiten insoweit wird auf die Seiten 21 bis 28 der Klageerwiderung (Bl. 82ff d.A.) verwiesen.
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Die Kammer hat zum Vorliegen eines Produktfehlers Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 05.07.2010 (Bl. 198ff d.A.) in Verbindung mit dem Beschluss vom 11.10.2010 (Bl. 275 d.A.) sowie dem Beschluss vom 14.10.2011 (Bl. 384 d.A.) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 23.08.2011 und 15.01.2012 (beide Aktenhülle) sowie auf dessen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2012 (Protokoll, Bl. 446ff d.A.) Bezug genommen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt und hinsichtlich des Feststellungsantrages entscheidungsreif. Im Übrigen bedarf es noch umfangreicher Beweiserhebung zu den geltend gemachten gesundheitlichen Folgen und dem geltend gemachten materiellen Schaden.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und Feststellung der Einstandspflicht hinsichtlich weiterer materieller und immaterieller Schäden aus §§ 1 Abs. 1, 8 Satz 2 ProdHaftG. Das von der Beklagten hergestellte und in den Verkehr gebrachte Hüftimplantat, welches dem Kläger implantiert worden ist, war fehlerhaft im Sinne des § 3 ProdhaftG, denn es bot nicht die Sicherheit, die unter Berücksichtigung aller Umstände vom Benutzer erwartet werden durfte. Die Beklagte kann sich nicht auf eine Nichterkennbarkeit des Entwicklungsfehlers berufen (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG).
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Im Einzelnen:
24
Das von der Beklagten hergestellte und in den Verkehr gebrachte streitgegenständliche Implantat mit der Bezeichnung „…“ war fehlerhaft im Sinne des § 3 ProdhaftG. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer aus den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. in den schriftlichen Gutachten vom 23.08.2011 und 15.01.2012 sowie in der mündlichen Verhandlung am 22.11.2012, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird. Der Sachverständige hat nach Freilegung der im Schaftadapter geschützt liegenden, originären Bruchfläche und deren mikroskopischer Untersuchung festgestellt, dass die Konus-Kontaktflächen über den gesamten Umfang und die gesamte Länge massive Reiboxidationsbeläge, nahezu ausschließlich bestehend aus Oxiden der Titanlegierung TiAI6V4 von Femurschaft und Schaftadapter, aufweisen. Dies deutet auf ein massives Fretting aufgrund von Relativbewegungen zwischen den Konus-Kontaktflächen hin. Weiter hat der Sachverständige festgestellt, dass die Bruchflächen typische Merkmale einer Ermüdungsbelastung in Form von Schwingstreifen aufweisen. Der Bruchausgang befindet sich exakt an der oberen (proximalen) Position der Bruchfläche. Die Bruchausbreitung verläuft zuerst senkrecht zur Konusoberfläche und im weiteren Verlauf nach unten (distal). Hinweise auf Werkstofffehler im Sinne von örtlichen Materialfehlern hat der Sachverständige dagegen nicht feststellen können (Gutachten vom 23.0.2011, Seite 12). Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Verwendung von Titan als Werkstoff für die Fertigung von Implantaten grundsätzlich geeignet ist. Auch hat die bei dem hier vorliegenden Implantattyp verwendete Konus-Klemmverbindung zu einer guten form – und kraftschlüssigen Verbindung geführt (Gutachten vom 23.08.2011, Seite 13). Zudem vereint der hier verwendete Werkstoff Titan eine statisch und dynamisch hohe Festigkeit mit einer exzellenten Korrosionsbeständigkeit. Nachteile des Legierungstyps sind aber die Kerbempfindlichkeit und ungünstige tribologische Eigenschaften, die zu einem dramatischen Verlust an Wechselfestigkeit (gleichbedeutend mit Ermüdungsfestigkeit oder auch Schwingfestigkeit) führen (Gutachten vom 23.08.2011, Seite 13). Wegen dieser ungünstigen Eigenschaften muss das Design der Verbindungstechnik sicher stellen, dass keine Reibung zwischen den Fügestellen der Verbindung auftritt, da Reibung zu Fretting bzw. Schädigung durch Reiboxidation mit frühzeitiger Einleitung von Anrissen bereits bei minimalsten Relativbewegungen von wenigen Mikrometern führt (Gutachten vom 23.08.2011, Seite 13/14). Diesen Anforderungen an das Design ist das streitgegenständliche Implantat nicht gerecht geworden, da die Untersuchungen des Sachverständigen gezeigt haben, dass die Konus-Kontaktflächen einer massiven Frettingbelastung durch Einwirken von Relativbewegungen in der ganzen untersuchten axialen Länge über den gesamten Umfang ausgesetzt waren (Gutachten vom 23.08.2011, Seite 14). Hierzu hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass beim Belasten des Implantats hohe Biegespannungen auf den Adapter eingewirkt haben. Dieser Biegespannung setzen die beiden Konusteile einen unterschiedlichen Widerstand entgegen, da der Widerstand im weiblichen Teil größer ist als im männlichen Teil. Dadurch kommt es selbst bei normaler Beanspruchung einer solchen Prothese zu einer partiellen Lösung der beiden Werkstücke und zu einer Mikroreibung (Protokoll, Seite 2, Bl. 447 d.A.). Eine Lockerung der Prothese durch Stolpern oder Sturz hat der Sachverständige dagegen als sehr unwahrscheinlich angesehen (Ergänzungsgutachten vom 15.01.2012, Seite 1-3).
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Es liegt ein Konstruktionsfehler im Sinne eines Design- oder Ausführungsfehlers gemäß des § 3 ProdHaftG vor, weil das Risiko der Mikrobeanspruchung und dem sogenannten Fretting nach dem damaligen Stand der Technik der Beklagten hätte bekannt sein müssen (Protokoll, Seite 2, Bl. 447 d.A.; Gutachten vom 23.08.2011, Seite 18). Auf das Problem der Spaltkorrosion bei modularen Implantaten ist nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen im Termin am 22.11.2012 bereits in der Fachliteratur in einem Beitrag aus dem Jahre 1998 hingewiesen worden. Anderweitige, singuläre Werkstofffehler hat der Sachverständige nicht feststellen können, so dass die vom ihm festgestellte Schadensart als typisch für dieses Adaptermodell anzusehen ist. Der Umstand, dass nicht alle eingesetzten Prothesen dieses Typs gebrochen sind, ist damit zu erklären, dass Fertigungstoleranzen auftreten können, die zu unterschiedlich ausgeprägter Mikroreibung führen. Auch spielen individuelle Faktoren, wie zum Beispiel die Art der Beanspruchung, eine Rolle (Protokoll, Seite 2, Bl. 447 d.A.). Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen hätte eine Kugeldruckbestrahlung eine Festigkeitssteigerung in der Tiefe des Titans bewirkt, die dazu geführt hätte, dass durch das Fretting der Werkstoff nur oberflächlich verletzt worden wäre und der Korrosionsprozess nur anfangs eine Rolle gespielt hätte und anschließend zum Erliegen gekommen wäre (Ergänzungsgutachten, Seite 6, Protokoll Seite 3, Bl. 448 d.A.). Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Beklagte bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Prothesentyps nicht diejenigen Maßnahmen ergriffen hat, die zur Vermeidung einer konkreten Gefahr nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich und zumutbar gewesen wären. Damit bot die hier verwendete Prothesenart nicht die Sicherheit, die unter Berücksichtigung aller Umstände vom Benutzer berechtigterweise erwartet werden konnte. Zwar konnte der jeweilige Benutzer nicht eine 100%ige Bruchsicherheit erwarten. Erwartet werden konnte aber eine Ausführung, die dem Stand von Wissenschaft und Technik Rechnung trug.
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Dem entsprechend kann die Beklagte sich nicht darauf berufen, dass der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt als das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, nicht habe erkannt werden können (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG).
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Da die Klage zur Höhe noch nicht entscheidungsreif ist, weil noch umfangreiche Feststellungen zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und zu den materiellen Schadensersatzpositionen erforderlich sind, hat die Kammer zunächst ein Grund- und Teilurteil erlassen. Der Feststellungsausspruch ist begründet, weil die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist und mit weiteren Schäden gerechnet werden muss.