Zur Kindeswohlgefährdung aufgrund der Gefahr einer Genitalverstümmelung

AG Delmenhorst, Beschluss vom 17. Juli 2012 – 18 F 146/12 EASO

Zur Kindeswohlgefährdung aufgrund der Gefahr einer Genitalverstümmelung

Tenor

1. Die einstweilige Anordnung vom 10.07.2012 bleibt unbefristet aufrechterhalten.

2. Der Antrag der Kindesmutter wird zurückgewiesen.

3. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen.

4. Der Verfahrenswert wird bestimmt auf 1.500,00 €.

Gründe
1
Auf den Beschluss vom 10.07.2012 wird Bezug genommen. Ergänzend ist nach Anhörung der beiden minderjährigen Kinder …, geboren am … und …, geboren am … sowie der Kindesmutter auszuführen:

2
Es besteht die begründete Gefahr, dass das Wohl der beiden minderjährigen Kinder … und … i.S.d. § 1666 BGB gefährdet ist. Auch wenn das Kind … bislang nichts von einer Beschneidung in den Sommerferien in Sierra Leone gewusst bzw. geäußert haben sollte, muss allein die Absicht des Kindesvaters, mit einem oder beiden Mädchen nach Sierra Leone zu reisen, als drohende Kindeswohlgefährdung angesehen werden. Sierra Leone gehört nach allen verfügbaren Informationen zu einem Hochrisikoland betreffend Genitalverstümmelung. Im Landesdurchschnitt sind 75 % bis 98 % aller Mädchen und Frauen beschnitten. Die Kindesmutter hat angegeben, auch die Frauen in der Familie des Kindesvaters seien beschnitten, so auch seine Schwestern. Sie hält es auch für nicht unwahrscheinlich, dass die Familien dieser Schwestern ihre eigenen weiblichen Kinder auch beschneiden bzw. diese Absicht haben. Welche konkreten Vorstellungen der Vater zu dieser Thematik hat, konnte nicht festgestellt werden. Er selbst ist im Anhörungstermin nicht erschienen, weil er sich offenbar z. Zt. in Sierra Leone aufhält. Die Kindesmutter hat berichtet, dass der Kindesvater vor Jahren geäußert habe, er sei gegen eine Beschneidung eingestellt. Ob dies zutrifft bzw. zum jetzigen Zeitpunkt noch zutrifft, kann das Gericht nicht beurteilen. Da aber auch allgemein bekannt ist, dass in Hochrisikoländern mit einer derart hohen Beschneidungsquote wie im Heimatland des Kindesvaters das Umfeld, der Freundes- und Familienkreis hohen Druck auf Eltern ausübt, ihre Töchter beschneiden zu lassen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass eine Beschneidung anlässlich einer Reise nach Sierra Leone vorgenommen wird, auch wenn der Vater dies im Vorhinein nicht geplant hat. Angesichts der Schwere dieses Eingriffs in die körperliche und seelische Integrität der Mädchen reicht die dadurch begründete Gefahr einer Genitalverstümmelung für die Annahme einer Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 BGB aus.

3
Die Entscheidung über die Veranlassung und Durchführung von Auslandsreisen war dem Jugendamt als Pfleger zu belassen. Diese Entscheidungen können jedenfalls zurzeit nicht von der der Kindesmutter getroffen werden. Diese hat sich im Termin dahingehend geäußert, sie habe überhaupt keine Bedenken oder Ängste, dass ihre Kinder in Sierra Leone beschnitten werden könnten. Eher befürchte sie eine Malariaansteckung. Diese Einstellung wird nach Auffassung des Gerichtes aber der tatsächlichen Gefährdungssituation in keiner Weise gerecht. Die Kindesmutter hat sich offenbar nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Sierra Leone und der Einstellung der Bevölkerung zu Beschneidungsritualen auseinandergesetzt. Sie hat offenbar auch mit dem Vater der Kinder kein Gespräch über diese Gefahr aus Anlass der geplanten Reise geführt und sich Klarheit über seine gegenwärtige Einstellung und die seiner Angehörigen und Freunde verschafft. Die Kindesmutter hat auch nicht den Eindruck vermittelt, als dass das Thema für sie so wichtig sei, wie es angesichts der Schwere eines solchen Eingriffs angemessen wäre. Sie hat insgesamt eher gleichgültig und passiv reagiert und auf Vorhalt der Gefährdungssituation geäußert, man könne diese Sache auch aufbauschen. Unter den gegebenen Umständen ist damit die Übertragung des entsprechenden Aufgabenkreises auf das Jugendamt angemessen und verhältnismäßig. Die Befristung war aufzuheben. Die Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft bleibt aufrechterhalten.

4
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.

5
Der Verfahrenswert wurde gem. §§ 45, 41 FamGKG festgesetzt.

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