Zur internationalen Zuständigkeit für ein Prozesskostenhilfeverfahren

OLG Hamm, Beschluss vom 15.01.2018 – I-32 SA 53/17, 32 SA 53/17

Die internationale Zuständigkeit für ein Prozesskostenhilfeverfahren ist nach der internationalen Zuständigkeit des Prozessgerichts 1. Instanz zu beurteilen, bei dem die Hauptsache anhängig gemacht werden kann. Wird ein Vertragspartner aus einem im Inland zu erfüllenden, zwischenzeitlich beendeten Vertragsverhältnis in Anspruch genommen und ist der Vertragspartner nach der Vertragsbeendigung ins europäische Ausland verzogen, kann sich die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte aus Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO oder – bei einer Gerichtstandvereinbarung im Vertrag – aus Art. 25 EuGVVO ergeben.(Rn.17)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht D bestimmt.

Gründe
I.

1
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine gegen den Antragsgegner beabsichtigte, auf Zahlung von 6.000,00 EUR nebst Zinsen sowie Freistellung von einer seitens der B-Krankenkasse geltend gemachten Forderung über rückständige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 4.694,37 EUR gerichteten Klage.

2
Hierzu trägt der Antragsteller vor, dass er von dem Antragsgegner mit Vereinbarung vom 03.09.2012 (Anlage K1), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, beauftragt worden sei, für die L (haftungsbeschränkt) mit Sitz in C die Geschäftsführung als sog. Strohmann-Geschäftsführer zu übernehmen. Die tatsächlichen Geschäfte der Gesellschaft seien von dem Antragsgegner als faktischem Geschäftsführer ausgeübt worden. Entgegen der ihm obliegenden Verpflichtung habe der Antragsgegner für die Monate August bis November 2012, also insgesamt 4 Monate, Sozialversicherungsbeträge (Arbeitnehmeranteile) in Höhe von insgesamt 4.694,37 EUR nicht gezahlt. Von der entsprechenden, seitens der B-Krankenkasse weiterhin bestehenden Forderung sei er daher freizustellen. Darüber hinaus stehe dem Antragsteller gemäß §§ 2, 3 der Vereinbarung vom 03.09.2012 ein Vertragsstrafeanspruch in Höhe von 4 x 1.500,00 EUR, insgesamt also 6.000,00 EUR zu.

3
In § 7 der Vereinbarung vom 03.09.2012 heißt es u.a.:

4
„Gerichtsstand ist D. Deutsches Recht ist maßgeblich.“

5
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 03.09.2012 war der Antragsgegner unter der Anschrift E-Straße, C wohnhaft. Ausweislich der Meldebescheinigung der Stadt I vom 16.02.2017 war der Antragsgegner in der Folge in Zeit vom 01.02.2014 bis zum 25.03.2014 im X-Weg, I gemeldet. Ab dem 25.03.2014 war er in der X, Vereinigtes Königreich gemeldet. Die aktuelle Anschrift lautet Y, Vereinigtes Königreich.

6
Nach Anhörung der Parteien hat sich das Landgericht C mit Beschluss vom 21.03.2017 für unzuständig erklärt und den „Rechtsstreit“ (d.h. das Prozesskostehilfeprüfungsverfahren) auf Antrag des Antragstellers entsprechend § 281 ZPO an das Landgericht D verwiesen. Zur Begründung hat das Landgericht C im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zuständigkeit des Landgerichts C unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eröffnet sei. Aus dem Vortrag des Antragstellers ergebe sich nicht, dass der Antragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand i.S.d. §§ 12, 13 ZPO im Bezirk des Landgerichts C habe. Insoweit komme es allein auf den aktuellen Wohnsitz des Antragsgegners an. Mangels geltend gemachter Ansprüche aus unerlaubter Handlung ergebe sich die örtliche Zuständigkeit auch nicht aus § 32 ZPO. Mit Blick auf die in § 7 der Vereinbarung vom 03.09.2012 wirksam getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei das Verfahren deshalb an das Landgericht D zu verweisen.

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Das Landgericht D hat nach erneuter Anhörung der Parteien das Verfahren mit Beschluss vom 26.06.2017 an das Landgericht C zurückverwiesen. Dessen Verweisung an das Landgericht D erscheine objektiv willkürlich, weil ihr jede rechtliche Grundlage fehle. Sie sei schon unter Verletzung des rechtlichen des Antragsgegners ergangen und entfalte daher keine Bindung.

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Daraufhin hat das Landgericht C die Verfahrensakten mit Verfügung vom 08.08.2017 dem Senat zum Zwecke der Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 ZPO vorgelegt.

II.

9
Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen.

10
Negative Kompetenzkonflikte im Prozesskostenhilfeverfahren sind analog § 36 ZPO zu bewältigen, wenn ihnen eine Verweisung analog § 281 ZPO und die Ablehnung der Übernahme durch das im Beschluss bezeichnete Gericht vorausgehen (BGH, Beschluss vom 09.03.1994, XII ARZ 8/94, NJW-RR 1994, 706; OLG Naumburg, Beschluss vom 22.04.2013, 1 AR 15/13, zitiert nach juris; Zöller/Geimer, ZPO 32. Aufl., § 114 Rn 22a).

11
Sowohl das Landgericht C als auch das Landgericht D haben sich für örtlich unzuständig erklärt. Demgemäß ist das Oberlandesgericht Hamm gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren berufen. Danach wird, wenn – wie vorliegend – das höhere gemeinschaftliche Gericht der am negativen Kompetenzkonflikt i.S.d. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof ist, das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (hier: das im Bezirk des OLG Hamm gelegene Landgericht C).

12
Für das Prozesskostenhilfeverfahren ist das Landgericht D örtlich zuständig. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts C ist bindend, § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO analog.

13
Ein Verweisungsbeschluss ist gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO grundsätzlich bindend, da im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen aus Gründen der Prozessökonomie das Verfahren verzögernde und verteuernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen. Eine Bindung an den Verweisungsbeschluss ist nur – ausnahmsweise – zu verneinen, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss.

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Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 9; BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, juris Rn 12; Senat, Beschlüsse vom 23.08.2016, 32 SA 39/16, und vom 29.07.2011, 32 SA 57/11; jeweils zitiert nach juris). Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss einen über einen einfachen Rechtsfehler hinausgehenden, schwerwiegenden Fehler aufweist, der unter Umständen begangen wurde, die den Verweisungsbeschluss in der Gesamtbetrachtung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 11f; m.w.N.; Senat, Beschluss vom 23.08.2016, 32 SA 39/16; jeweils zitiert nach juris).

15
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Verweisung des Landgerichts C an das Landgericht D nicht willkürlich.

16
Auch wenn sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts C hierzu nicht ausdrücklich verhält, so ist das Landgericht doch in der Sache zu Recht davon ausgegangen, dass die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben ist. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Antragsgegner aktuell im Vereinigten Königreich wohnhaft ist.

17
International zuständig für das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren ist das Prozessgericht 1. Instanz (§§ 127 Abs. 1 S. 2 1. HS, 117 Abs. 1 ZPO), also das Gericht, bei dem die Hauptsache anhängig gemacht werden kann. Die für das Hauptsacheverfahren geltenden Zuständigkeitsvorschriften gelten insoweit auch für das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren (Zöller/Geimer, ZPO 32. Aufl., § 114, Rn 22b).

18
Vorliegend ist die deutsche internationale Zuständigkeit jedenfalls gemäß Art. 7 Nr. 1a EuGVVO gegeben. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, abweichend von dem in Art. 4 Abs. 1 EuGVVO normierten Grundsatz, wonach Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eine Mitgliedstaats haben, grds. ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen sind, auch in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre.

19
Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass der Schuldner an dem Ort, an dem er nach materiellem Recht zu leisten hat, auch vor Gericht Rede und Antwort stehen muss. Der Ort, an dem die Verpflichtung zu erfüllen ist bzw. wäre, ist nach dem Recht zu bestimmen, das nach dem IPR des Gerichtsstaates maßgebend ist (zum Ganzen: Zöller/Geimer, ZPO 32. Aufl., Art. 7 EuGVVO, Rn 4 m.w.N.). Vorliegend ist gemäß Art. 3 der ROM I-Verordnung i.V.m. § 7 des Vertrages vom 03.09.2012 deutsches (materielles) Recht anwendbar. Dementsprechend ist der Erfüllungsort nach §§ 269, 270 BGB zu bestimmen. Maßgeblich für die Frage, wo sich der Erfüllungsort befindet, ist gemäß § 269 Abs. 1 1. HS BGB in erster Linie die getroffene Parteivereinbarung. Erforderlich ist eine ausdrückliche oder stillschweigend getroffene Vereinbarung, wobei sich letztere aus den Umständen, insbesondere aus der Natur der Sache ergeben kann. Bereits dies dürfte vorliegend für C als Leistungsort streiten, weil der Antragsgegner dort als faktischer Geschäftsführer tätig geworden ist, dort die in Frage stehende Pflichtverletzung begangen haben soll und überdies die L dort auch ihren Sitz hat bzw. hatte. Auch unter dem Gesichtspunkt des Wohnsitzes liegt der Leistungsort i.S.d. §§ 269, 270 BGB im Inland. Gemäß § 269 Abs. 1 2. HS BGB hat, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung fehlt, die Leistung an dem Orte zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Dabei kommt nicht auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses an. Sowohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (03.09.2012) als auch zum Zeitpunkt der angeführten Pflichtverletzungen (August bis November 2012) hatte der Antragsgegner seinen Wohnsitz jedoch unbestritten im Inland. Erst am 25.03.2014 ist er in das Vereinigte Königreich verzogen.

20
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob sich die internationale Zuständigkeit vorliegend bereits aus Art. 25 Abs. 1 EuGVVO ergibt, der überdies eine ausschließliche Zuständigkeit begründet. Danach ist, wenn die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart haben, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, dieses Gericht oder sind die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Eine solche Vereinbarung muss (lediglich) den (alternativen) Formanforderungen des Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVVO entsprechen. Danach genügt gemäß Art. 25 Abs. 1 S. 2 a) EuGVVO eine schriftliche oder eine mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung. Dass die Parteien Kaufleute sind, wie es § 38 Abs. 1 ZPO voraussetzt, ist für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung i.S.d. Art. 25 EuGVVO nicht erforderlich. Denn Art. 25 EuGVVO geht den §§ 38 ff ZPO als Spezialregelung vor (allg.M., vgl. z.B. BGHZ 82, 114; BGH NJW 80, 2023, BayObLG NJW-RR, 2002, 359; Zöller/Geimer, ZPO 32. Aufl., Art. 25 EuGVVO, Rn 32-34 m.w.N.). Insbesondere § 38 Abs. 1 ZPO findet daher im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO keine Anwendung (Zöller a.a.O.). Dieser kommt vielmehr nur zum Zuge, wenn beide Parteien im Inland wohnen (reiner Inlandsfall; vgl. Zöller/Geimer, ZPO 32. Aufl., Art. 25 EuGVVO, Rn 10). Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen eines Auslandsbezugs ist die Klageerhebung, sodass auch eine ursprünglich zwischen deutschen Parteien vereinbarte (internationale) Zuständigkeit der deutschen Gerichte an Art. 25 EuGVVO zu messen ist, wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung eine Partei ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt hat (öst OGH 05.06.2007, IHR 2008, 40(43); Staudinger/Hausmann (2016), Verfahrensrecht für internationale Verträge, Internationale Zuständigkeit für Vertragsklagen, Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, Art. 25 EuGVVO, Rn 306 m.w.N. – zitiert nach Juris). Ob die Parteien auch die (internationale) Zuständigkeit i.S.d. Art. 25 EuGVVO mit der in § 7 getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbaren wollten bzw. wirksam vereinbart haben, bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Bewertung.

21
Angesichts der mit Beschluss vom 21.03.2017 erfolgten ausführlichen Begründung, insbesondere zu der nach § 38 ZPO maßgeblichen Kaufmannseigenschaft, hat das Landgericht C die eigene Zuständigkeit nicht grob fehlerhaft verneint und das Prozesskostenhilfeverfahren, auf das sich die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses allein bezieht (vgl. KG, Beschluss vom 09.03.2016, 22 W 33/05, WuM 2006, 390), damit auch nicht willkürlich an das Landgericht D verwiesen. Dies gilt umso mehr, als sich hier die örtliche, dann sogar ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts D ungeachtet der Kaufmannseigenschaft der Beteiligten möglicherweise ebenfalls bereits aus Art. 25 EuGVVO ergibt, was für die Frage der Wirksamkeit der Verweisung allerdings an dieser Stelle – wie ausgeführt – keiner Entscheidung bedarf.

22
Der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses steht entgegen der Annahme des Landgerichts D auch nicht entgegen, dass das Landgericht C den Parteien, insbesondere dem Antragsgegner, vor Erlass des Verweisungsbeschlusses kein rechtliches Gehör gewährt hätte. Denn mit Schriftsatz vom 01.06.2017 hatten die Antragsgegnervertreter ausdrücklich mitgeteilt, dass sie die Interessen des Antragsgegners im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren vertreten und dem Antragsgegner damit rechtliches Gehör gewährt worden sei.

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