OLG Hamm, Beschluss vom 02. September 2011 – I-9 U 52/11
Zur Haftungsverteilung bei Kollision eines Pkw mit einem auf einer abgesperrten Radrennstrecke mit Blaulicht fahrenden Rettungswagen
Tenor
Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das am 18.02.2011 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
1
Die Berufungen der Parteien bieten keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Senats ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht bei der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten der Klägerin und von 1/3 zu Lasten der Beklagten gelangt. Das Berufungsvorbringen beider Parteien führt zu keiner anderen Bewertung. Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass dem Fahrer des Pkw der Klägerin, dem Zeugen T, ein schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzulasten ist. Er hat nämlich den Vorrang des Rettungswagens missachtet, der auf der ohnehin vorfahrtberechtigten L-Allee gefahren ist, auf der zum Unfallzeitpunkt ein Radrennen stattfand, so dass Fahrzeuge, die nicht der Radsportveranstaltung zuzuordnen waren, die L-Allee nach Weisung nur an den dafür vorgesehenen Stellen unter Beachtung des Vorrangs der Rennteilnehmer sowie der Begleit- und Rettungsfahrzeuge überqueren durften. Spätestens nachdem der Zeuge T bereits Radrennfahrer auf der ersten (östlich gelegenen) Fahrbahn der L-Allee wahrgenommen hatte, die entgegen der ansonsten vorgesehenen Fahrtrichtung von rechts kamen, und auch zunächst vor dem Überqueren der Fahrbahn angehalten hatte, war ihm bekannt, dass dort ein Radrennen stattfand. Als er schließlich den Mittelteil zwischen den Fahrbahnen der L-Allee erreicht hatte, musste er damit rechnen, dass auf der westlichen Fahrbahn der L-Allee ebenfalls Fahrzeuge entgegen der normalen Fahrtrichtung unterwegs waren, die mit dem Renngeschehen in Verbindung standen. Dass sich bei einem Radrennen auf der Strecke nicht nur Rennradfahrer, sondern auch Begleitfahrzeuge und ggf. auch Rettungsfahrzeuge befinden, ist allgemein bekannt. Den sich aus diesen Umständen ergebenden besonderen Sorgfaltsanforderungen ist der Zeuge T nicht gerecht geworden. Nach seiner eigenen Aussage hat er vor dem Befahren der westlichen Fahrbahn der L-Allee nur nach rechts geschaut, nicht aber nach links, so dass er den herannahenden Rettungswagen der Beklagten übersehen hat.
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Zwar verbleiben nach den Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen Zweifel, ob der Zeuge I dem Zeugen T ein hinreichend deutliches Zeichen zum Anhalten gegeben hat. Während die Zeugen T in Abrede gestellt haben, ein Haltezeichen von einem für den mittleren Bereich zuständigen Ordner erhalten zu haben, haben der Zeuge I einerseits und die Zeugen P und P2 andererseits das nach ihren Aussagen vom Zeugen I gegebene Zeichen unterschiedlich dargestellt (Winken mit der flachen Hand zum Boden bzw. nach vorne). Das vom Zeugen I selbst beschriebene Zeichen durch Winken in Richtung des Erdbodens mag durchaus nicht ohne Weiteres als Haltesignal zu verstehen sein, sondern eher als Zeichen zur weiteren Herabsetzung der Geschwindigkeit. Jedenfalls ist dem Zeugen T aber kein Zeichen durch einen im mittleren Bereich der L-Allee anwesenden Ordner dergestalt gegeben worden, dass er nun auch die westliche Fahrbahn der L-Allee gefahrlos überqueren könne. Aufgrund eines bloßen Beiseitegehens bzw. Ausweichens der Ordner konnte der Zeuge T nicht hinreichend sicher darauf vertrauen. Er war deshalb verpflichtet abzuwarten, bis er ein eindeutiges Zeichen von einem Ordner oder Polizeibeamten zur Weiterfahrt erhielt. Zumindest musste er sich vor dem Befahren der westlichen Fahrbahn der L-Allee selbst hinreichend vergewissern, ob sich von rechts oder von links bevorrechtigte Rennteilnehmer oder Fahrzeuge näherten.
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Demgegenüber ist nicht festzustellen, dass der Zeuge C einen schuldhaften Verkehrsverstoß begangen hat. Dieser fuhr als Fahrer des Rettungswagens bei einem Rettungseinsatz in zulässiger Weise auf der grundsätzlich für den öffentlichen Straßenverkehr abgesperrten Rennstrecke. Das Verhalten des Zeugen T, der im mittleren Bereich der L-Allee den Pkw der Klägerin entweder kurzzeitig anhielt oder allenfalls langsam fuhr, vermittelte zudem den Eindruck, als würde er stehen bleiben, wie die Zeugin L, die als Polizeibeamtin dort tätig war, bekundet hat.
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Eine Verpflichtung des Zeugen C, das Einsatzhorn an dem Rettungswagen einzuschalten, ist nicht anzunehmen. Nach § 38 Abs. 1 S. 1 StVO darf das Einsatzhorn neben dem blauen Blinklicht, das allein u. a. bei Einsatzfahrten eingesetzt werden kann (§ 38 Abs. 2 StVO), nur verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten. Der Zeuge C hat bekundet, er habe von der Einschaltung des Einsatzhorns abgesehen, weil es sich nicht um einen dringenden Notfall gehandelt habe. Gibt das blaue Blinklicht ohne Einschaltung des Einsatzhorns nicht das Vorrecht des § 38 Abs. 1 S. 2 StVO, so mahnt es doch die übrigen Verkehrsteilnehmer zu erhöhter Vorsicht (König in: Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 38 StVO Rn. 12 m. w. N.).
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Indes ist gleichwohl von einer erhöhten Betriebsgefahr des Rettungswagens auszugehen. Die allgemeine Betriebsgefahr kann durch besondere Umstände erhöht sein, wobei als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand namentlich eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb tätigen Personen in Betracht kommt. Besondere Umstände, die die Betriebsgefahr erhöhen, sind jedoch nicht nur in einem fehlerhaften, verkehrswidrigen oder besonders risikoreichen Fahrvorgang zu sehen. Sie können sich auch aus einem zulässigen Fahrverhalten ergeben, wenn nur besondere, die allgemeine Gefahr des Fahrens mit einem Kraftfahrzeug übersteigende Gefahrenmomente vorhanden sind (BGH NZV 2005, 249). Solche gefahrsteigernden Umstände ergeben sich auch ohne ein feststellbares schuldhaftes Verhalten auf Seiten der Beklagten daraus, dass der Rettungswagen – wenn auch auf der Rennstrecke zulässigerweise – entgegen der ansonsten (außerhalb eines Radrennens) vorgeschriebenen Fahrtrichtung fuhr. Deshalb bestand die Gefahr, dass der Rettungswagen von Fahrzeugführern, die die L-Allee an der Durchlassstelle des Waldrings passieren wollten, nicht rechtzeitig wahrgenommen wurde, zumal sich dort auch Straßenbäume befinden, die geeignet sind, die Sicht zu erschweren.
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Von einer überhöhten Geschwindigkeit des Rettungswagens ist nicht auszugehen. So hat der Zeuge C bekundet, hinter dem Rettungswagen hätten sich bereits wieder Radfahrer befunden, so dass er nicht langsamer habe fahren können. Der Zeuge hat im Übrigen die Geschwindigkeit des Rettungswagens letztlich nicht definitiv mit 60 bis 70 km/h angegeben. Er hat es vielmehr auch für möglich gehalten, zwischen 50 und 60 km/h gefahren zu sein.
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Auch wenn man von einem schuldhaften Verhalten des Zeugen C ausgeht, weil dieser das Einsatzhorn des Rettungswagens nicht eingeschaltet, nicht frühzeitiger gebremst und keinen Blickkontakt mit dem Zeugen T hergestellt hat, ist dieses Verschulden in Anbetracht der gegebenen Umstände, nämlich der Einsatzfahrt des Rettungswagens auf der für das Radrennen vorgesehenen Strecke, als so geringfügig zu bewerten, dass es zu keiner relevanten weiteren Steigerung der Betriebsgefahr des Rettungswagens führt. Nach alledem ist unter Berücksichtigung des schuldhaften Verhaltens des Zeugen T und der Betriebsgefahren der unfallbeteiligten Kraftfahrzeuge eine Haftungsquote, wonach die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 für den entstandenen Schaden verantwortlich sind, nicht zu beanstanden.
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Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt und nunmehr hilfsweise Freistellung beantragt, ist die Berufung unzulässig. Ihr diesbezügliches pauschales Vorbringen in der Berufungsbegründung, das Landgericht habe zu Unrecht die Ausgleichung der außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten verweigert, erfüllt insoweit nicht die an eine Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 ZPO zu stellenden Anforderungen. Insbesondere hat die Klägerin auf den Einwand der Beklagten, die Rechtsschutzversicherung der Klägerin habe die Anwaltskosten gezahlt, so dass wegen § 86 Abs. 1 VVG ihre Aktivlegitimation fehle, nichts vorgetragen.
10
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.