Zur Haftung eines Neunjährigen für Verletzung eines Pferdes durch an sich harmloses Werfen von Matschkugeln

LG Osnabrück, Urteil vom 13.07.2006 – 4 O 473/06

Von einem durchschnittlich entwickelten Neunjährigen kann  nicht erwartet werden vorauszusehen,  dass das an sich harmlose Werfen von Matschkugeln in Richtung eines herumlaufenden Hundes ein in der Nähe befindliches Pferd, das sich zudem in einer umfriedeten Führanlage aufhält, derart verschrecken kann, dass dieses scheut und sich dabei verletzt (Rn. 16).

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
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Der Kläger ist Eigentümer eines Fuchswallachs mit der Lebensnummer …. Dieses Tier befand sich am 05.03.2004 in der Führanlage der Reitanlage … in …. In unmittelbarer nähe der Führanlage spielte der damals neunjährige Beklagte mit seinem Freund …. Sie warfen dort mit Matschkugeln. Eine dieser Matschkugeln prallte gegen einen Begrenzungspfahl der Führanlage, als das Pferd des Klägers gerade in die entsprechende Richtung blickte. Das Pferd stieg hoch, beschädigte die Führanlage und verletzte sich dabei.

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Der Kläger behauptet, das Pferd sei auf Grund der geworfenen Matschkugel hochgestiegen und habe sich verletzt. Zum damaligen Zeitpunkt sei es 20.000,00 Euro Wert gewesen. Aufgrund der Verletzung sei es nun als Reitpferd unbrauchbar und damit wertlos. Ferner behauptet der Kläger, ihm seien durch die Versorgung des Pferdes nach dessen Verletzung zusätzliche Kosten in Höhe von insgesamt 4.800,00 Euro entstanden. Wegen der genauen Berechnung der Schadenspositionen wird auf die Auflistung Blatt 4/5 der Akten Bezug genommen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 24.800,00 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab 20.000,00 Euro seit dem 05.03.2004 Zug um Zug gegen Übergabe des am 22.03.1999 geborenen Wallachs abstammend von … mit der Lebensnummer ….

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er behauptet, ihm habe die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gefehlt. Ferner träfe ihn kein Verschulden. Der Beklagte bestreitet im übrigen die Schadenspositionen.

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Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die zu Protokoll gegebenen Erklärungen.

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 24.800,00 Euro gegen den Beklagten.

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Ein Anspruch aus §§ 823 Absatz 1, 830 Absatz 1 BGB besteht nicht.

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Zwar geht das Gericht nach dem Vortrag der Parteien, insbesondere auch nach der persönlichen Anhörung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die Matschkugel, die auf den Außenpfosten der Führanlage prallte, ursächlich für das schreckhafte Verhalten des Pferdes war und somit dessen Verletzungen durch eine Handlung des Beklagten oder seines Freundes hervorgerufen wurden.

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Der Beklagte haftet jedoch nicht, weil ihn kein Verschulden trifft.

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Verschulden setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus.

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Eine vorsätzliche Schädigung scheidet hier aus. Nach dem unstreitigen Parteivortrag haben der Beklagte und sein Freund die Verletzungen des Pferdes nicht vorsätzlich herbeigeführt. Sie haben die Matschkugeln nicht einmal vorsätzlich auf die Führanlage geworfen. Wie der Beklagte in seiner persönlichen Anhörung näher ausgeführt hat, wollten er und sein Freund vielmehr den Hund der Eltern des Beklagten mit den Matschkugeln bewerfen, weil dieser die Katze gejagt hatte, mit der die Kinder hatten spielen wollen. Die Katze hatte sich hinter den Holzbrettern in der Nähe der Führanlage versteckt und das Ziel der Kinder war es, den Hund mit den geworfenen Matschkugeln zu vertreiben, um mit der Katze spielen zu können. Unter Zugrundelegung dieses Geschehenslaufs, den der Beklagte anschaulich in der mündlichen Verhandlung geschildert hat und der vom Kläger nicht in Abrede genommen wird, trifft den Beklagten auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf.

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Fahrlässiges Verhalten bedeutet, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und damit die Möglichkeit eines Schadenseintritts erkannt oder sorgfaltswidrig verkannt wurde sowie ein die Gefahr vermeidendes Verhalten möglich und zumutbar war (BGH NJW 1972, 1126; 2005, 356). Da aber an Kinder andere Maßstäbe anzulegen sind als an Erwachsene, ist dabei dem Alter des Schädigers Rechnung zu tragen. Bei einem Minderjährigen kommt es deshalb darauf an, ob Kinder seines Alters und seiner Entwicklungsstufe den Eintritt eines Schadens hätten voraussehen können und müssen und ob von ihnen bei Erkenntnis der Gefährlichkeit ihres Handelns in der konkreten Situation die Fähigkeit erwartet werden konnte, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten (BGH VersR 1970, 375; NJW-RR 1997, 1111; NJW 2005, 356). Von einem durchschnittlich entwickelten Neunjährigen kann aber nicht erwartet werden, die tierische Unberechenbarkeit und Schreckhaftigkeit von Pferden in dem Maße zu erkennen, wie sie sich hier verwirklicht hat. Von ihm kann nicht erwartet werden, dass das an sich harmlose Werfen von Matschkugeln in Richtung eines herumlaufenden Hundes ein in der Nähe befindliches Pferd, das sich zudem in einer umfriedeten Führanlage aufhält, derart verschrecken kann, dass dieses scheut und sich dabei verletzt.

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In seiner noch nicht abgeschlossener Entwicklung zum wünschenswerten Verantwortungsbewusstsein hat der normale Neunjährige nämlich noch nicht den Stand erreicht, in dem sich schon ein vertrautes Verhältnis zu gefährlichen Situationen und Handlungen ausgebildet hat. Ihm ist regelmäßig nicht geläufig, dass auch aus Handlungen, die im allgemeinem als harmlos gelten, bereits durch kleine Abweichungen gegenüber dem normalen Ablauf schwerwiegende Konsequenzen entstehen können (vgl. OLG Hamm, MDR 1976, 755).

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Beklagte sich regelmäßig auf der Reitanlage aufhielt und ihm dementsprechend die tierischen Eigenarten von Pferden zumindest bekannt waren. Er war von seiner Mutter darauf hingewiesen worden, dass er die Pferde nicht erschrecken solle, insbesondere nicht durch Herumrennen im Stall oder Herumfahren mit dem Motorrad. Der Beklagte war daher mit der Eigenart von Pferden und auch deren Schreckhaftigkeit näher vertraut als andere gleich entwickelte Neunjährige, die keinerlei Kontakt zu Pferden haben. Zwar muss ein Schädiger, der über besondere überdurchschnittliche Kenntnisse verfügt, diese im Interesse der Schadenvermeidung auch einsetzen (vergleiche BGH NJW 1987, 1480). Doch selbst wenn man dieses Sonderwissen des Beklagten berücksichtigt, kann ihm kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden.

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Dabei ist schon fraglich, ob dem Beklagten generell klar sein musste, dass sich das Pferd, auch wenn es selbst gar nicht getroffen wird, allein durch die geworfenen Matschkugeln möglicherweise so erschreckt, dass es hochsteigen und sich verletzten kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte zwar praktisch mit den Pferden aufwächst, darüber hinaus aber keinen Kontakt zu ihnen hat. Weder reitet noch voltigiert er selbst noch hilft er sonst bei der Pflege der Pferde, so dass durchaus zweifelhaft ist, ob er unter normalen Umständen mit einer derartigen Schreckhaftigkeit des Pferdes rechnen musste. Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als es sich hier um eine Gefährdung handelte, die selbst bei einem nicht durch das Spiel eingeschränkten Erkenntnisfähigkeit nicht unbedingt naheliegend war. Angesichts der konkreten Spielsituation, in der er sich befand, konnte diese Erkenntnis sowie das dementsprechende Verhalten jedenfalls nicht von ihm erwartet werden.

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Bei der Prüfung der Fahrlässigkeit von Minderjährigen sind die besonderen Umstände eines spontanen – emotionalen Vorgangs, wie er Kindern und Jugendlichen zu Eigen ist, zu beachten, so zum Beispiel die Motorik des Spieltriebs, Forschungs- und Erprobungsdrang, Rauflust, Impulsivität und Affektreaktionen. War unter solchen Umständen das schädigende Verhalten für den Minderjährigen typischerweise nicht vermeidbar, liegt kein fahrlässiges Verhalten vor (BGH VersR 1984, 642).

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Das war hier der Fall. Der Beklagte stand in einem Alter, in dem Kinder erfahrungsgemäß vom Spieltrieb in einer großen Impulsivität und Bewegungsfreude beherrscht sind. Diese Faktoren können dabei so stark sein, dass alle vernünftigen Erwägungen hinweggespült werden (vgl. BGH VersR 1953, 29; 1970, 375). Der Beklagte und sein Freund beabsichtigten zunächst, mit der Katze zu spielen. Dieses Vorhaben wurde durch den Hund der Eltern des Beklagten vereitelt, der plötzlich erschien und die Katze hinter einen Bretterstapel jagte. Bei einer solchen Störung im Spiel ist es für Kinder im Alter des Beklagten nicht unüblich, dass sie ungehalten und impulsiv reagieren. Entsprechend versuchten hier der Beklagte und sein Freund den störenden Hund mit den erstbesten gerade verfügbaren Mitteln zu vertreiben. Als der Hund sich dadurch nicht loswerden ließ und dies die Kinder dazu veranlasste, ihn weiter zu bewerfen, war es alterstypisch, dass sich neben der Erregung über die unwillkommene Unterbrechung auch eine Eigendynamik hinsichtlich des Bewerfens gesellte, das wegen seines physischen Charakters grundsätzlich der Kindern eigenen Lebensfreude entsprach. Bei einer solchen Kombination ist es gerade kindlichem Verhalten wesenhaft, dass sich die Aufmerksamkeit nach und nach nur noch auf das zu bewerfende Ziel fixiert. Anderes wird dann zwar auch noch wahrgenommen – wie hier das Pferd –, jedoch werden durch die Konzentration auf das Spiel bzw. die Beseitigung von Störungen Erwägungen bzgl. möglicher Gefährdung anderer ausgeblendet.

22

Unter diesen konkreten Bedingungen konnte daher vom Beklagten nicht erwartet werden, dass er die potentielle Gefährlichkeit seines Handelns erkannte und sich danach verhielt.

23

Ein Anspruch aus Billigkeitshaftung nach § 829 BGB ist ebenfalls nicht gegeben. Voraussetzung für die Billigkeitshaftung ist das Bestehen eines wirtschaftlichen Gefälles vom Schädiger zum Geschädigten (vgl. BGH VersR 1980, 626). Dabei genügt nicht jede wirtschaftliche Besserstellung des Schädigers, sondern es ist ein derartiges Gefälle zwischen den Beteiligten erforderlich, das es als unbillig erscheinen ließe, dem Geschädigten die Schadenslast aufzubürden (BGH NJW 1958, 1631; 1979, 2096). Ein solches hat der Kläger nicht ansatzweise dargelegt.

24

Er behauptet zwar, dass die Eltern des Beklagten aus nicht unvermögenden Verhältnissen kommen. Jedoch trägt der Kläger in keiner Weise vor, wie seine eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse sind. Er hat lediglich erklärt, dass er mit der Aufzucht, der Ausbildung und den Verkauf von Pferden seinen Lebensunterhalt verdient. Dies reicht nicht zur Beurteilung eines wirtschaftlichen Gefälles; erst recht nicht eines solchen, das die alleinige Tragung der Schadenslast durch den Kläger als unbillig erscheinen ließe.

25

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 91 Absatz 1 ZPO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.

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