Zur Haftung einer Cheerleader-Trainerin für Sturzunfall bei der Pyramidenfigur „Elevator Cradle“

LG Tübingen, Urteil vom 14. Februar 2020 – 3 O 262/18

Zur Haftung einer Cheerleader-Trainerin für Sturzunfall bei der Pyramidenfigur „Elevator Cradle“

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Wert: 10.000,00 €

Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Sportunfall.

2
Die 19-jährige Klägerin war im Jahr 2016 Mitglied des unter Ziffer 2 beklagten Vereines, einem Tanzsportclub. Die Beklagte Ziffer 1 war dessen Trainerin. Die Beklagten praktizierten die Sportart „Cheerleading“ nach den Regeln des American Football Verbandes Deutschland (AFVD). Die Klägerin erlernte u. a. recht schnell die Position der „Flyerin“ in der Pyramidenfigur „Elevator Cradle“. Diese Figur wird von vier Personen getanzt. Am Boden stehen sich zwei Personen gegenüber („Bases“). Die Flyerin springt aus eigener Kraft und Technik in die Hände der Bases und wird von diesen durch Kraft und Technik nach oben bis auf Brusthöhe gehoben. Eine weitere Person am Boden („Back“) sichert ab und stützt die Flyerin an den Fesseln. Aus dieser Position hinaus (Elevator) springt die Flyerin nach oben, wobei sie von den Bases durch eine entsprechende Bewegung leicht mit nach oben gestoßen („gedippt“) wird. Die Flyerin vollzieht nun einen Sprung und wird am Ende von den Bases an Rücken und Beinen sowie von der Backposition an den Schultern aufgefangen.

3
Am 23. Juni 2016 trainierte die Klägerin im Beisein der Beklagten Ziff. 1 in den Räumen der Tanzschule in Reutlingen diese Übung. Die Beklagte Ziffer 1 trainierte und beaufsichtigte an diesem Tag in einer Turnhalle etwa drei bis vier Gruppen von Tänzerinnen, die diese Übung trainierten. Die Klägerin trainierte in einer Gruppe, in der an diesem Tag die Zeuginnen U. und So. als Bases sowie die Zeugin Sw. als Back teilnahmen. In einer Übung gelangte die Klägerin aus der Position „Elevator“ nicht senkrecht nach oben, sondern schräg, so dass sie von den Zeuginnen nicht aufgefangen werden konnte, sondern nach hinten über die Zeugin Sw. auf die Übungsmatten fiel, die zur Absicherung ausgelegt waren. Sie zog sich dabei erhebliche Schmerzen zu und schrie, worauf die Beklagte Ziffer 1 den Übungsunterricht sofort beendete und einen Krankenwagen rief. Die Klägerin wurde ins Kreisklinikum R. eingeliefert, wo sie 5 Tage stationär behandelt wurde. Im Arztbericht vom 27. Juni 2016 ist eine mehrfragmentäre, dislozierte, subkapitale Humerusfraktur rechts diagnostiziert, die am 24. Juni 2016 offen reponiert und mit einer winkelstabilen Philosplatte stabilisiert wurde. In der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. entfernten die Ärzte am 30. Oktober 2017 die eingesetzte Platte. Seither ist die Außenrotation der Schulter bei der Klägerin zu etwa 1/4 eingeschränkt und es besteht fortlaufend eine Abduktion bis etwa 100 Grad Drehung. Nach den Operationen führte die Klägerin regelmäßig krankengymnastische Übungsbehandlungen durch. Außerdem hinterließ die Operation am rechten Oberarm der Klägerin eine unschöne, etwa 10 cm lange und über 1 cm breite Narbe. Die Klägerin erwägt, diesen Zustand durch eine weitere Operation verbessern zu lassen.

4
Im Juni 2018 wandte sich die Klägerin an einen Rechtsanwalt, um mögliche Ansprüche gegen die Beklagten durchzusetzen. Für ihren Rechtsanwalt wandte die Klägerin außergerichtlich 958,19 € auf. Außerdem legte sie für ein Arztattest 40,00 € aus. Der Rechtsanwalt forderte den Beklagten Ziffer 2 auf, die Kosten für das Arztattest von 40,00 €, einen Schmerzensgeldvorschuss von 5.000,00 € bis 3. Juli 2018 zu zahlen, außerdem anzuerkennen, dass der Beklagte Ziffer 2 für sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem geschilderten Unfallereignis hafte. Eine entsprechende Erklärung gab der Beklagte Ziffer 2 jedoch nicht ab.

5
Die Klägerin behauptet, die Beklagte Ziffer 1 habe ihre Aufsichts- und Überwachungspflichten bei der Übung verletzt, weshalb sie der Klägerin für den eingetretenen Schaden hafte. Der Beklagte Verein (Bekl. Ziff. 2) hafte hierfür gleichrangig neben der Beklagten Ziff. 1, zumal mit dem Verein über die Mitgliedschaft eine vertragliche Beziehung bestehe.

6
Zum einen habe die Beklagte Ziffer 1 die Zeugin U. in einer Position „Base“ eingesetzt, obwohl es sich bei der Zeugin U. um eine sehr unerfahrene Tänzerin gehandelt habe. Die Beklagte Ziffer 1 habe die Zeugin vorher nicht richtig instruiert. Sie hätte die Haltung der Klägerin und der Zeuginnen nicht korrigiert, nachdem die Klägerin in die Position „Elevator“ gehoben worden sei. Die Beklagte Ziffer 1 habe auch keine zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen. Bei Anfängern würden üblicherweise um die Gruppe herum weitere Fänger gestellt, die sicherstellen würden, dass der Flyer in jedem Falle gefangen werde. Allein auf Trainingsmatten könnten sich die Beklagten nicht berufen, weil diese offensichtlich ungeeignet seien, um die Verletzungen zu vermeiden, wie sie sich die Klägerin zugezogen habe.

7
Angesichts der Verletzungsfolgen und der unschönen Narbe stehe der Klägerin ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 5.000,00 € zu. Die Klägerin könne außerdem den Ersatz der Kosten für das ärztliche Attest verlangen. Außerdem beabsichtige die Klägerin, die Narbe beseitigen zu lassen, so dass auch der Feststellungsantrag in einer Größenordnung von 5.000,00 € begründet sei.

8
Die Klägerin beantragt nun:

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1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld von wenigstens 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 4. Juli 2018 zu zahlen.

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2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 40,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 4. Juli 2018 zu zahlen.

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3 Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 23. Juni 2016 zu erstatten.

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4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 4. Juli 2018 zu zahlen.

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Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

14
Sie tragen vor, dass es sich um einen typischen Sportunfall handele. Die Beklagten hätten ihre Pflichten nicht verletzt. Beim Cheerleading handele es sich um eine Sportart, der ein gewisses Risiko innewohne.

15
Das Gericht hat zunächst am 25. Juni 2019 zur Güte verhandelt (Protokoll Bl. 81 bis 84 d.A.) und daraufhin am 10. Januar 2020 Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeuginnen U., Sw. und So., sowie die Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Gangs der mündlichen Verhandlung verweist das Gericht auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 10. Januar 2020.

Entscheidungsgründe
I.

16
Die vor dem Landgericht Tübingen nach §§ 23, 71 GVG, 12, 17 ZPO zulässige Klage ist nicht begründet.

17
Die Klägerin hat gegen die Beklagten weder einen vertraglichen (§ 280 BGB) noch einen außervertraglichen Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 1 BGB).

18
Die Klägerin hat zwar einen nicht unerheblichen Schaden an ihrer Gesundheit erlitten, jedoch fehlt es an einer erforderlichen schuldhaften Handlung oder Pflichtverletzung der Beklagten für diese Körperverletzung.

1)

19
Dies steht für das Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere dem Gutachten der Sachverständigen W. fest.

a)

20
Die Sachverständige W. trainiert seit über 20 Jahren selbst einen Verein und ein … Team im Cheerleading, das 2019 an … in Japan unter Anleitung der Sachverständigen teilgenommen hatte. Sie hat seit 2017 eine Trainerlizenz des deutschen Olympischen Sportbundes der Kategorie „A“ – der höchsten möglichen Qualifikation. Sie hinterließ bei Gericht einen kompetenten und fachkundigen Eindruck.

b)

21
Die Sachverständige erläuterte, dass es sich bei der Übung „Elevator Cradle“ in der Form, wie sie von den Parteien geschildert werde, um eine Grundübung handele. Es könnten noch zusätzliche Elemente eingebaut werden, die in eine höhere Klasse gehören würden, etwa Variationen beim Sprung oder beim Abgang, Anhaltspunkte hierfür ergäben sich aus dem Vortrag der Parteien indes nicht. Bei dieser Grundübung sei es ausreichend, dass die Übung mit zwei Bases und einer Back trainiert worden sei. Das Regelwerk lasse es sogar zu, in der vorliegenden Altersklasse die Übung mit nur zwei Personen am Boden durchzuführen. Weiter sehe das Regelwerk vor, dass der Hallenboden mit Matten abgedeckt werde.

22
Zusätzlicher Personen am Boden bedürfe es nur, wenn es hierfür einen besonderen Anlass gebe, etwa wenn eine Teilnehmerin das erste Mal die Übung vollziehe.

23
Die Beklagte Ziff. 1 habe auch nicht dadurch gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, dass sie mehrere Gruppen gleichzeitig trainiert habe. Eine gleichzeitige Beaufsichtigung von drei bis vier Gruppen sei möglich, wenn diese entsprechend angeleitet worden seien. Dann hätte die Beklagte in der konkreten Situation auch keine Chance, den Unfall noch zu vermeiden. Dies wäre nur dann möglich, wenn noch mindestens eine vierte Person am Boden als Aufpasser („Spotter“) eingeteilt gewesen wäre, was aber bei den vorliegenden Sportlerinnen in ihrer Altersklasse nicht notwendig sei.

c)

24
Die Zeugin U. gab in ihrer Vernehmung an, im Jahr 2016 mit dem Training bei den Beklagten begonnen zu haben. Sie sei zweimal in der Woche etwa anderthalb Stunden ins Training gegangen. Die hier streitgegenständliche Figur „Elevator Cradle“ habe sie seit der ersten Stunde geübt und trainiert. Sie habe auch in der konkreten Zusammensetzung wie am Unfalltag die Übung schon etwa zwei Monate vorher trainiert. Dabei habe sie immer eine Position an der Basis eingenommen. Sie hätten, nachdem die Klägerin in der gehobenen Position gewesen sei, noch innegehalten, um zu schauen, ob sie auch sicher stehe. Man habe auch heruntergezählt.

d)

25
Die Zeugin So. gab an, seit vier bis fünf Jahren in der Tanzschule trainiert zu haben. Auch sie kenne die Figur Elevator Cradle seit dem ersten Tag. Sie habe diese Übung regelmäßig trainiert. Zusammen mit der Zeugin U. und ihrer Schwester sowie der Klägerin habe sie auch diese Figur vorher schon gemeinsam trainiert, sowohl am Unfalltag als auch ein bis zwei Wochen zuvor. Nachdem die Klägerin in der Elevator-Position gewesen sei, habe sie mit der Zeugin U. angezählt („one-two-down-up“). Die Klägerin habe dann ihr Gewicht auf die Ferse verlagert und sei selbst hochgesprungen. Ob der Wurf mit der Zeugin U. tatsächlich ganz synchron war, könne sie nicht mehr sagen, hundertprozentig glatt sei das Training nicht gelaufen. Man hätte deshalb schon auch an der Übung noch trainieren müssen. Andererseits habe sie nicht die Gefahr gesehen, dass ein Unfall passieren würde.

e)

26
Die Zeugin Sw. gab an, sie sei schon seit 2011 bei der Tanzsportgruppe aktiv und habe die Figur Elevator Cradle an einem Tag gelernt und danach praktisch wöchentlich wiederholt. Zu Beginn ihres Studiums habe sie ein Semester pausiert, danach habe sie weiter trainiert. Sie habe die Beklagte Ziffer 1 quasi als Vertrauensperson auf dem Feld mitunterstützt. Beim Abwurf der Klägerin habe sie, da sie die Klägerin an den Knöcheln gehalten habe, schon bemerkt, dass die Klägerin nicht nach oben, sondern mehr nach hinten fliege. Sie habe das Gefühl gehabt, dass die Klägerin selbst mitgesprungen sei und sich nicht lediglich von den Bases „dippen“ ließ. Das Dippen der Zeugin U. und ihrer Schwester sei möglicherweise nicht exakt zeitgleich gewesen, deshalb habe man diese Übung auch weiter trainieren müssen.

f)

27
Die Zeuginnen tätigten diese Aussagen zur Überzeugung des Gerichts jeweils glaubhaft. Belastungstendenzen hat das Gericht nicht erkannt. Der Unfall schien den Zeuginnen auch persönlich nahezugehen, sie schilderten auch, wie sie sich nach dem Unfall um die Klägerin gekümmert hätten. Vor diesem Hintergrund kann das Gericht den Aussagen der Zeuginnen folgen.

28
Auch die Sachverständige hat ihrer Beurteilungen die Aussagen der Zeuginnen zu Grunde gelegt. Sie kommt nach der Auswertung der Zeugenaussagen zu dem Ergebnis, dass die Beklagte weder die Richtlinien des AFVB verletzt habe noch selbst Sorgfaltspflichten missachtet habe. Als Übungsleiterin hätte sie in dieser Situation nach Einschätzung der Sachverständigen nicht anders handeln können. Sowohl die Auswahl der Gruppe als auch deren Beaufsichtigung seien aus sachverständiger Sicht nicht zu beanstanden.

2.)

29
Damit fehlt es für eine mögliche Haftung der Beklagten an einem vorwerfbaren schädigenden Verhalten der Beklagten.

30
Das Gericht kann weder erkennen, daß die Beklagte Ziff. 1 in ihrer konkreten Situation als Trainerin falsch gehandelt hätte, noch daß der Beklagte Ziff. 2 unzureichende Sicherungsmaßnahmen oder Anweisungen an die Beklagte Ziff. 1 gegeben hätte.

31
Die Klage ist deshalb unbegründet.

II.

32
Als unterlegene Partei trägt die Klägerin nach § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits.

33
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

34
Beim Streitwert bemisst das Gericht den Schmerzensgeldantrag mit 5.000,00 € und den Feststellungsantrag mit 4.960,00 €, sowie den Zahlungsantrag mit 40,00 €, in der Summe mit 10.000,00 €.

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