Zum Umfang der Verkehrssicherungspflichten bei kommerziell angebotenem Airboarding

OLG München, Beschluss vom 16. Januar 2020 – 15 U 2730/19

Bietet jemand kommerzielles Airboarding an, gehört es zu seinen Verkehrssicherungspflichten, eine verschneite Almwiese mit Hanglage so zu kontrollieren und sich zu davon zu überzeugen, dass die Sicherheit der Teilnehmer bei der von ihr angebotenen Veranstaltung gewährleistet ist.(Rn.8)

(Leitsatz des Gerichts)

Gründe
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Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 21.02.2019, Az. 9 O 1102/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

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Der Beklagte, der ein Hotel betreibt, bot seinen Gästen sog. Airboarding an, ein dreieckiges Luftkissen, mit dem man bäuchlings – mit dem Kopf voraus – einen verschneiten Hang hinunterfährt. Die Verunglückte rutschte so über eine vom Schnee verdeckte Badewanne, die im Sommer dort als Viehtränke diente, und brach sich beide Oberschenkelknochen. Die Klägerin ist die Arbeitgeberin der Verunglückten und macht deren materiellen Schaden geltend.

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Das LG München II verurteilte den Beklagten als Veranstalter zum Schadensersatz, weil er es unterlassen hatte, die von ihm ausgewählte und vorgegebene Abfahrt im schneefreien Zustand auf Hindernisse zu untersuchen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Seine (fachkundigen) Mitarbeiter hätten im Sommer bei ihren Wanderungen diese Piste als für das Airboarding geeignet erkannt und keine Badewanne wahrgenommen. Mehr könne von ihm nicht verlangt werden.

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I. Zum Anspruchsgrund

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1. Der Beklagte schuldet der Verunglückten (materiellen) Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 611 ff, 535 ff, 328 analog; § 823 Abs. 1 BGB. Der Beklagte hat schuldhaft gegen die ihm als Veranstalter obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Das Landgericht München II leitet seine Verkehrssicherungspflicht und deren Inhalt und Umfang zutreffend her. Der Senat macht sich diese umfassend und sorgfältig begründeten Ausführungen zu Eigen und weist ergänzend auf das Folgende hin.

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2. Der Beklagte hat bei dem kommerziellen Airboarding-Angebot seine vertragliche Pflicht, die Sicherheit der Teilnehmer bei der von ihr angebotenen Veranstaltung zu gewährleisten (§§ 241 Abs. 2, 611 ff, 535 ff BGB), verletzt.

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a) Der Hang, auf dem der Unfall passierte, war keine angelegte Piste und auch vom Grundeigentümer nicht für bestimmte Zwecke für Dritte freigegeben. Einen „Verkehr“ auf der Almwiese hat der Eigentümer nicht eröffnet. Der Hang ist vielmehr als freie Natur anzusehen, für den keine Verkehrssicherungspflichten des Grundeigentümers bestehen. Auf einer Almwiese ist es auch nicht gänzlich ungewöhnlich, dass eine Viehtränke in Form eines Holz- oder Steintrogs oder – wie hier – in Form einer Badewanne befindet. Der Beklagte durfte sich also ohne eigene Kontrollen nicht „blind“ oder im Vertrauen auf Kontrollen Dritter darauf verlassen, dass diese Abfahrt für die Zwecke seiner Veranstaltung sicher ist. Ebensowenig durfte sich der Beklagte auf die Erfahrungen aus den Vorjahren verlassen, da dort wegen der laufenden Bewirtschaftung der Almwiese jederzeit neue Gefahrenquellen entstehen konnten.

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b) Der Beklagte oder die von ihm eingesetzten Mitarbeiter hätten sich vor dem Beginn des Airboardings von der Sicherheit des von ihnen gewählten Hanges gezielt überzeugen müssen. Die konkreten Anforderungen, die den Veranstalter dabei treffen, hängen von der jeweiligen Situation ab. Wenn – wie hier – Mitte Januar eine kommerzielle Airboarding-Veanstaltung durchgeführt werden soll, so muss der ins Auge gefasste Hang im Herbst nach dem Ende der Bewirtschaftung und vor dem (ersten) Schneefall auf Geeignetheit und etwaige Hindernisse in Augenschein genommen werden (EU, Seite 11 ff). Im Übrigen hätte mit einer Nachfrage beim Grundeigentümer oder beim Personal der F.alm geklärt werden können, ob auf dem Hang Almwirtschaft betrieben wird und ob es auf dem Hang Viehtränken oder andere vom Bauern eingebrachte Hindernisse (z.B. vergessene Gerätschaften) gibt, die der beabsichtigten Sportausübung entgegen stehen.

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Eine solche Überprüfung hat der Beklagte – auch nach seiner eigenen Darstellung – nicht vorgenommen. Im Falle einer solchen gezielten Überprüfung des Hangs oder bei einer Nachfrage bei den soeben genannten Personen wäre jedoch das Hindernis festgestellt worden, womit es nicht zu dem Unfall am 14.01.2016 gekommen wäre (EU, Seite 16).

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c) Das Landgericht hätte auch nicht durch die Vernehmung des Zeugen P. weiteren Beweis erheben müssen. Dieses Beweisangebot war unbeachtlich, da es für die Frage der Haftung des Beklagten ohne Bedeutung ist (§ 244 Abs. 2 Satz 2 StPO analog). Die unter Beweis gestellten Beobachtungen des Zeugen im Sommer 2015 erfolgten weder zu dem für die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht maßgeblichen Zeitpunkt (Herbst, vor dem ersten Schneefall) noch hatte der Zeuge den konkreten Auftrag, die gesamte Piste auf ihre (Verkehrs-)Sicherheit hin zu untersuchen.

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II. Zur Anspruchshöhe

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Mit der Klage wird der materielle (Unfall-)Schaden der Verunglückten in Höhe von insgesamt 10.749,90 € geltend gemacht, der auf die Klägerin übergegangen ist. Auch insoweit hält das Urteil der Überprüfung durch den Senat stand.

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1. Wegen der Entgeltfortzahlung während des verletzungsbedingten Ausfalls der Verunglückten im Betrieb der Klägerin in Höhe von 7.601,93 € erhebt der Beklagte keine Einwände gegen seine Verurteilung. Solche sind auch nicht erkennbar.

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2. Der Beklagte meint, dass es in Höhe von 3.147,07 € an einem Schaden fehle. Dieser Betrag setzt sich aus der Jahressonderzahlung, der betrieblichen und tariflichen Ergebnisbeteiligung sowie einem Krankengeldzuschuss der Klägerin an die Verunfallte zusammen (EU, Seite 20).

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Diese (aufgrund Tarifvertrags und Betriebsvereinbarung erbrachten) Leistungen der Klägerin flossen der Verunfallten zwar trotz ihrer Verletzung und der dadurch bedingen Arbeitsunfähigkeit ungekürzt zu. Zu Recht bejaht das Landgericht München II insoweit aber einen normativen Schaden der Verunfallten. Diese Zuwendungen dienten jedenfalls auch der Vergütung der Arbeitsleistung der Verunfallten im Jahr 2016, die diese aufgrund ihrer zeitweisen Arbeitsunfähigkeit zum Teil nicht zu erbringen vermochte. Die Pflicht der Klägerin, einem Verletzten die Prämien trotz seiner zeitweisen Arbeitsunfähigkeit voll zu bezahlen, diente nicht dem Zweck, den Schädiger, hier den Beklagten, zu entlasten (BGH NJOZ 2017, 1095).

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3. Ein Mitverschulden der Verunfallten bei der Schadenentstehung (§ 254 Abs. 1 BGB) hat das Landgericht zutreffend verneint. Ihr war die versteckte Gefahrenquelle erst recht unbekannt und die ihr von den Verantwortlichen der Veranstaltung gegeben allgemeinen Hinweise auf mögliche Hindernisse waren nicht geeignet, ihre Teilnahme an der Sportveranstaltung als Handeln auf eigene Gefahr anzusehen. Der Umstand, dass die anderen Mitglieder der Gruppe die Piste zuvor gefahrlos meistern konnten, durfte die Verunfallte geradezu ermuntern, auch selbst teilzunehmen.

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III. Zur Aktivlegitimation der Klägerin

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Die Klägerin ist schließlich in Höhe der gesamten Klageforderung aktiv legitimiert. Auch insoweit treffen die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils, mit denen sich die Berufung nicht näher auseinandersetzt, zu.

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Der (einheitliche) Schadensersatzanspruch der Verunglückten gegen den Beklagten ist in Höhe von 7.601,93 € kraft Gesetzes (§ 6 EntgeltFG) und wegen des Restes im Wege der Abtretung vom 15.02.2018 (§ 398 BGB; siehe Anlage Bl. 72 d.A. und auch BGH NJOZ 2017, 1095) auf die Klägerin (in unverjährter Zeit) übergegangen.

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Der Klägerin stünde zudem ein eigener vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten in Höhe der mit der Klage verfolgten Schadenspositionen zu (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 611 ff, 535 ff BGB). Die Klägerin buchte den zweitägigen Workshop beim Beklagten, an dem die Verunglückte als ihre Arbeitnehmerin teilnahm und in dessen Ausführung das Airboarding angeboten wurde. Der vom Beklagten zu vertretende verletzungsbedingte Ausfall der Arbeitskraft der Verunglückten führt im Betrieb der Klägerin zum Fehlen von deren Arbeitsleistung, was einen eigenen (Vermögens-)Schaden der Klägerin darstellt. Dieser Schaden kann anhand der vereinbarten Entgelte geschätzt werden (§ 287 ZPO).

21
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 10.749,90 € festzusetzen.

22
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

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