Zur Haftung des Verfrachters für Transportschaden durch Brand auf Fährschiff

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 14.04.2011 – 6 U 47/10

1. Die Frage, ob sich bei der „Huckepack“-Beförderung eines mit dem Transportgut beladenen Lkw auf einem „Ro-Ro“-Schiff das mit einem Seetransport verbundene typische Risiko i.S.v. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR verwirklicht, wenn auf hoher See an Bord des Schiffes ein Feuer ausbricht, lässt sich nicht generell beantworten, sondern hängt von den Umständen des Schadenshergangs im Einzelfall ab.

2. Ob auf den hypothetischen Vertrag, den der Absender direkt mit dem Huckepack-Beförderer abgeschlossen hätte, zwingende Vorschriften i.S.v. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR Anwendung gefunden hätten, bestimmt sich ausschließlich anhand objektiver Anknüpfungskriterien. Liegt die Huckepack-Teilstrecke auf See, gilt das für den Seetransport anwendbare Haftungsrecht, sofern es auf den Haager Regeln oder den Haag/Visby Regeln beruht. Auf die Ausstellung eines Konnossements kommt es nicht an.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 9 für Handelssachen, vom 28.01.2010 (Az. 409 O 17/09) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf den Ersatz eines Transportschadens in Anspruch.

2

Sie ist der Transportversicherer der Firma G., Türkei, die die Beklagte, ein in Istanbul ansässiges Transportunternehmen, mit der Beförderung von 84 Kartons Textilien mit einem Bruttogewicht von 1.240,00 kg von Istanbul zu ihrer Kundin, der Firma R. GmbH, Hamburg, beauftragte. Die Beklagte stellte für den Transport von Istanbul nach Hamburg unter dem 01.02.2006 einen CMR-Frachtbrief aus (Anl. B 1). Sie gab den Auftrag an den Spediteur Y. weiter, der dafür sorgte, dass der mit der Sendung der Versicherungsnehmerin beladene Sattelzug im sog. Huckepack-Verkehr mit dem Ro-Ro-Seeschiff „U… A…“ der Reederei U. , Istanbul, vom türkischen Hafen Pendik nach Triest, Italien, verschifft wurde. Von Triest aus sollte der Sattelzug den Transport auf der Straße fortsetzen. Auf der Seereise nach Triest brach auf dem Schiff aus Gründen, die im Einzelnen nicht geklärt sind, ein Feuer aus, das das ganze Schiff in Flammen setzte. Die Sendung Textilien wurde total zerstört. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

3

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von € 25.215,00 nur in Höhe der gewichtsbezogenen Höchsthaftungssumme gem. Art. 23 Abs. 3 CMR (Zahlung des Euro-Betrages, der 10.345,86 Sonderziehungsrechten am 28.01.2010 entspricht) sowie in Höhe der gezahlten Fracht von € 710,00 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich aus Art. 31 Abs. 1, S. 1 Nr. 1 b) CMR. Der Anwendbarkeit der CMR stünden die Bestimmungen des Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR zum Huckepack-Verkehr nicht entgegen. Die Voraussetzungen für das Eingreifen von Seefrachtrecht seien nicht erfüllt. Die Beklagte könne nämlich nicht beweisen, dass der Schaden durch ein Ereignis verursacht worden sei, das nur während und wegen der Beförderung durch das Trägertransportmittel, hier einem Seeschiff, eintreten könne. Das sei bei einem Brand an Bord eines Schiffes nicht der Fall. Außerdem bestünden keine zwingenden Vorschriften für die Beförderung durch das andere Verkehrsmittel (Art. 2 Abs. 1 S. 3 CMR).

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Die Beklagte könne zwar nicht geltend machen, dass die Zerstörung der Ware für sie unabwendbar gewesen sei (Art. 17 Abs. 2 CMR), auf der anderen Seite müsse sie sich aber auch keine leichtfertige Schadensverursachung i.S.v. Art. 29 CMR entgegenhalten lassen. Sie könne sich deshalb auf die Höchsthaftung von 8,33 Sonderziehungsrechten für jedes fehlende Kilogramm gem. Art. 23 Abs. 3 CMR berufen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

5

Das Urteil ist der Beklagten am 02.02.2010 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 01.03.2010 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 30.04.2010 begründet.

6

Die Beklagte übt Kritik am landgerichtlichen Urteil und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Nach ihrer Auffassung richtet sich ihre Haftung nicht nach der CMR, sondern nach türkischem Seefrachtrecht und damit im Ergebnis nach den Haag-Visby Regeln. Das folge aus Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR. Der Schaden sei während der Beförderung auf dem Ro/Ro-Seeschiff eingetreten. Sie selbst habe den Brandschaden nicht verursacht. Es handele sich auch um ein Schadensereignis, dass nur während und wegen der Beförderung auf einem Seeschiff eintreten könne. Denn ein Feuer auf hoher See sei mit einem Brand an Land vor allem deswegen nicht vergleichbar, weil auf dem Land schnelle Hilfe von außen eingreifen würde und ein Feuer aus sicherer Entfernung ohne Lebensgefahr gelöscht werden könne. Anwendung finde daher das gesetzliche Haftungsrecht, das auf der Grundlage eines fiktiven Frachtvertrages zwischen dem Absender und dem Frachtführer des Trägerbeförderungsmittels eingreifen würde. Ob das gesetzliche Haftungsrecht des Trägertransportmittels zwingend ausgestaltet sein müsse, könne dahinstehen, weil die Reederei U. ihrer ständigen Übung entsprechend für alle Partien Konnossemente ausgestellt habe, so dass die Haag-Visby Regeln zwingend gälten. Das türkische Seefrachtrecht, das nach den Konnossementsbedingungen und aufgrund objektiver Anknüpfung anzuwenden sei, entspreche den Haag-Visby Regeln. Diese Vorschriften würden aber ebenso wie das deutsche Seefrachtrecht in § 607 Abs. 2 HGB die Haftung für Schäden durch Feuer an Bord ausschließen, es sei denn den Verfrachter treffe ein eigenes Verschulden. Daran fehle es aber. Das Schiff mitsamt den eigenen Feuerbekämpfungsanlagen habe sich in einem in jeder Hinsicht ordnungsgemäßen Zustand befunden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage unter Aufhebung des entgegenstehenden Urteils des Landgerichts Hamburg vom 28. Januar 2010 insgesamt abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht habe den Brand auf dem MV „U… A…“ zu Recht nicht als ein Schadensereignis qualifiziert, das i.S.v. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR nur während und wegen der Beförderung durch das Schiff eingetreten sein könne. Es fehle an der erforderlichen verkehrsträgerspezifischen Gefahr. Typische Gefahren des Seetransportes seien Schiffskollisionen, Strandung oder Seegang, nicht aber ein Feuer an Bord eines Schiffes. Zu einem Brand, bei dem das transportierte Gut beschädigt oder zerstört werde, könne es auch auf einem Lkw oder einem Güterzug kommen. Die Löschung eines Feuers auf einem Schiff gestalte sich zwar besonders schwierig. Auch bei einem Brand in einem Straßentunnel sei aber keine oder nur eine sehr überschaubare Hilfe von außen möglich, wie das Feuer im Gotthardtunnel im Jahr 2001 belege.

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Außerdem bestünden im Hinblick auf die Haftung des anderen Verkehrsträgers keine „zwingenden Vorschriften“ i.S.d. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR, so dass es ohnehin bei der Haftung der Beklagten nach der CMR bleibe (Art. 2 Abs.1 S. 3 CMR). Das von der Beklagten angeführte Seefrachtrecht sei nicht zwingend. Im Übrigen werde bestritten, dass die Reederei für die streitgegenständliche Partie ein Konnossement ausgestellt habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

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Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

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1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere sind die deutschen Gerichte gem. Art. 31 Abs. 1 S. 1 b) CMR international zuständig. Sowohl der Ort der Übernahme des Transportgutes in der Türkei als auch der für die Ablieferung vorgesehene Ort in Deutschland liegen im Gebiet eines Vertragsstaats (vgl. die Übersicht der Vertragsstaaten bei Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 1 CMR Rn. 6). Der zwischen der Versicherungsnehmerin der Klägerin und der Beklagten geschlossene Vertrag hat auch eine entgeltliche grenzüberschreitende Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen zum Gegenstand (Art. 1 Abs. 1 CMR). Nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 CMR gilt das Übereinkommen auch bei einem streckenweisen Huckepack-Transport für die gesamte Beförderung. Ob sich die Haftung der Beklagten aufgrund der Ausnahmeregelung des Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR möglicherweise nicht nach Art. 17 ff CMR richtet, sondern nach dem Haftungsregime der Huckepack-Strecke, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Denn das ändert nichts daran, dass im Übrigen, ausgenommen die Haftungsregeln, die Bestimmungen der CMR Anwendung finden und es sich damit um eine Streitigkeit aus einer Beförderung handelt, die i.S.v. Art. 31 Abs. 1 CMR dem Übereinkommen unterliegt.

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2. Die Berufung ist begründet. Die Haftung der Beklagten bestimmt sich gem. Art. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR nicht nach der CMR, sondern nach dem türkischen Seefrachtrecht. Danach haftet der Verfrachter ebenso wie nach § 607 Abs. 2 HGB bei einer Schadensverursachung durch Feuer an Bord des Schiffes nur bei eigenem Verschulden, woran es hier fehlt.

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Art. 2 CMR enthält eine Sonderregelung für den sog. Huckepack-Verkehr, also wenn das Gut samt dem Kraftfahrzeug, auf dem es geladen ist, eine Teilstrecke auf einem Seeschiff, Binnenschiff, Eisenbahnwaggon oder in einem Flugzeug befördert wird. Im Grundsatz gelten auch insoweit die Bestimmungen der CMR, einschließlich der Vorschriften über die Haftung des Straßenfrachtführers gem. Art. 17 ff CMR. Eine Ausnahme macht Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR nur im Hinblick auf die Haftung für den Fall, dass das schädigende Ereignis nicht durch eine Handlung oder Unterlassung des Straßenfrachtfrachtführers verursacht wurde, es ausschließlich während und wegen der Huckepack-Beförderung eingetreten ist und ein fiktiver Vertrag des Absenders mit dem Frachtführer des anderen Transportmittels nach den „zwingenden Vorschriften“ des Huckepack-Transports geschlossen worden wäre. Dann soll sich die Haftung des Straßenfrachtführers ausnahmsweise nach jenen Vorschriften richten, die nach dem Sonderrecht des Huckepack-Verkehrsmittels gelten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

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a) Das schädigende Ereignis ist nicht durch eine Handlung oder Unterlassung der Beklagten verursacht worden. Unstreitig hat der Brand auf dem Schiff seinen Ausgang nicht in dem Sattelzug, auf den die für die Versicherungsnehmerin bestimmten Textilien verladen waren. Anhaltspunkte für schadensursächliche Versäumnisse der Beklagten oder des von ihr beauftragten Spediteurs Y. gibt es nicht. Die Schadensursache liegt in dem außerhalb des Einflussbereichs der Beklagten ausgebrochenen Feuer, das sich schnell auf dem Schiff ausbreitete und auf die streitgegenständlichen Textilien der Versicherungsnehmerin der Klägerin übergriff.

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b) Die zweite Voraussetzung für das Eingreifen des Sonderrechts ist gleichfalls erfüllt.

20

Der Schaden muss durch ein Ereignis verursacht worden sein, das nur während und wegen des Transports mit dem Huckepack-Verkehrsträger eingetreten sein kann. Es muss sich ein für die jeweilige Trägerbeförderung typisches Schadensrisiko realisiert haben. Der Schaden muss auf einer Gefahr beruhen, die gerade der Beförderung etwa mit dem Seeschiff oder der Eisenbahn eigen ist (vgl. Herber/Pieper, CMR, Art. 2 Rn. 18; Koller, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 8; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Bahnsen, HGB, 2. Aufl., Art. 2 CMR Rn. 16; Thume/Fremuth, CMR, 2. Aufl., Art. 2 CMR Rn. 41). Typische Risiken eines Seetransports sind sicher der Untergang des Schiffes, Strandung, starker Seegang und die Berührung mit Salzwasser. Ob sich bei einem Schaden, der durch das Feuer an Bord eines Schiffes verursacht wird, ein für den Seetransport spezifisches Risiko verwirklicht, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet (bejahend Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn-Bahnsen, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 16; Ramming, Hamburger Handbuch Multimodaler Transport, Rn. 101; verneinend: MünchKomm/Jesser-Huß, Transportrecht, 2. Aufl., Art. 2 CMR Rn. 13 f; offenlassend Koller, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 8 Fn. 28). Nach Auffassung des Senats lässt sich die Frage nicht allgemein beantworten, sondern es sind die einzelnen Umstände des Schadenshergangs hinzuzuziehen (vgl. Koller, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 8). Auf dieser Grundlage ist zu untersuchen, ob sich bei dem Feuer eine seeschifffahrtsspezifische Gefahr verwirklicht hat. Denn Güter können auch bei einem Landtransport durch Feuer zu Schaden kommen, etwa wenn ein Lkw in Brand gerät oder sich beigeladene Güter selbst entzünden. Es gibt auch Szenarien, wie bei einem Fahrzeugbrand in einem Straßentunnel, die Rettungsmaßnahmen für Mensch und Ladung in besonderem Maße erschweren. Dennoch kann der Ausbruch eines Feuers an Bord eines Seeschiffes zu einer Gefährdung der Ladungsgüter führen, wie es in vergleichbarer Weise bei einem Brand eines Lkw oder eines Eisenbahnwaggons nicht möglich ist. So liegen die Dinge hier. Der Senat teilt die Auffassung des OLG Düsseldorf in dem zu derselben Havarie ergangenen Urteil vom 12.01.2011, Az. I-18 U 87/10 (Anl. B 15), dass sich eine seetypische Gefahr dadurch realisiert hat, dass sich der Brand ungehindert auf die auf den Decks dicht zusammengeparkten Lkw ausbreiten konnte, ohne dass diese eine Möglichkeit zum Ausweichen hatten. Außerdem kann ein Feuer, das auf einem Schiff auf hoher See ausbricht, jedenfalls am Anfang nur mit Bordmitteln bekämpft werden. Ob eine rasche und wirksame Unterstützung durch Löschflugzeuge oder andere Schiffe erreicht werden kann, hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von der Position des Schiffs auf dem Meer. Solche Unterstützungsleistungen sind aber ohnehin nicht vergleichbar mit dem sofortigen professionellen Einsatz der Feuerwahr bei einem Brand an Land. Bei dem sich rasend über das ganze Schiff ausbreitenden Feuer auf dem MV „U… A…“ gab es jedenfalls keine rechtzeitige Hilfe von außen. Außerdem fielen die Brandbekämpfungsmittel bereits nach ca. 15 Minuten aus, weil das Feuer auch die Kabel zerstört hatte. Die Besatzung des Schiffes konnte sich nicht um die Bekämpfung des Feuers kümmern, weil sie zur Rettung des eigenen Lebens das Schiff verlassen musste. Vor diesem Hintergrund hat sich durch den Brand auf dem MV „U… A… “ ein Risiko verwirklicht, wie es in diesem Ausmaß nur auf einem Schiff auf hoher See auftreten kann.

21

c) Hat sich mithin die typische Gefahr eines Seetransports realisiert, hängt die Frage, ob sich die Haftung der Beklagten nach den Bestimmungen der CMR richtet oder nach den Vorschriften über den Seetransport, nach Art. 2 Abs.1 S. 2 CMR in der deutschen Übersetzung davon ab, ob der Huckepack-Beförderer, die Reederei U., Istanbul, nach „zwingenden Vorschriften“ haften würde, hätte die Versicherungsnehmerin der Klägerin direkt mit der Reederei einen Vertrag über die Seebeförderung von Pendik nach Triest geschlossen. Wäre das der Fall, würden die Haftungsbestimmungen der CMR verdrängt durch das auf den hypothetischen Seefrachtvertrag anzuwendende Haftungsregime.

22

Was unter den „zwingenden Vorschriften des für die Beförderung durch das andere Verkehrsmittel geltenden Rechts“ i.S.v. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR zu verstehen ist, ist umstritten. Das liegt zunächst daran, dass unklar ist, welcher genaue Wortlaut zugrunde zu legen ist. Auf die deutsche Übersetzung „zwingende Vorschriften“ kann nicht abgestellt werden, weil gem. Art. 51 Abs. 3 CMR nur der französische und der englische Wortlaut verbindlich sind, und zwar im gleichen Maße (vgl. Koller, a.a.O., vor Art. 1 CMR Rn. 4). Die französische und die englische Fassung deuten allerdings darauf hin, dass ihnen ein unterschiedliches Verständnis über die Voraussetzungen der hypothetisch anwendbaren Haftungsvorschriften zugrunde liegt. Denn während es in der französischen Textfassung heißt „conformément aux dispositions impératives“ spricht die englische Fassung von „conditions prescribed by law“. Der französische Wortlaut, dem die deutsche Übersetzung folgt, legt nahe, dass die auf den anderen Verkehrsträger anwendbaren Vorschriften zwingend sein müssen. Demgegenüber soll nach der englischen Fassung jede gesetzliche Regelung genügen, unabhängig davon, ob sie zwingend ist oder nicht.

23

Nach der Rechtsprechung des BGH ist im Fall mehrerer verbindlicher Texte eines internationalen Übereinkommens davon auszugehen, dass sämtliche Texte ihrer Idee nach jeweils dasselbe aussagen und der in ihnen zum Ausdruck kommende Wille der Vertragspartner nur einer sein soll und sein kann. Zur Ermittlung des Willens der Vertragspartner ist neben dem besondere Bedeutung aufweisenden Wortlaut auch auf die Materialien (vorbereitende Arbeiten) und den Zusammenhang der Einzelvorschriften zurückzugreifen (BGH NJW 1992, 621, 622 ebenfalls zur CMR; vgl. auch Koller, a.a.O., vor Art. 1 CMR Rn. 4).

24

Die Entstehungsgeschichte des Art. 2 CMR im Jahr 1956 spricht dafür, auf die englische Fassung abzustellen, weil diese besondere Bestimmung für den „Huckepack“-Transport auf einen englischen Antrag zurückgeht. Denn wegen der fehlenden Landverbindung zum Kontinent machte England einen Beitritt zur CMR davon abhängig, dass eine befriedigende Lösung für den Ro/Ro-Fährverkehr auf dem Seeweg gefunden wurde (dazu ausführlich Herber, TranspR 1994, 375, 378 ff; Thume/Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 95).

25

Selbst wenn man sich bei der Auslegung eher am französischen Wortlaut anlehnt und verlangt, dass die auf den anderen Verkehrsträger anwendbare Haftungsvorschriften zwingender Natur sein müssen, so ist doch zu beachten, dass insoweit nicht ein innerstaatliches Verständnis maßgeblich sein kann, sondern die genauen Anforderungen auch an dieser Stelle wieder autonom aus dem Übereinkommen zu ermitteln sind. Eine Auslegung, die sich an Sinn und Zweck der Vorschrift orientiert, ist dabei zulässig und notwendig (vgl. Koller, a.a.O., vor Art. 1 CMR, Rn. 4).

26

Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR soll vor allem verhindern, dass sich der Straßenfrachtführer, der dem Absender gegenüber gem. Art. 17 ff CMR haftet, sich nicht im gleichen Maße im Regress bei den von ihm beauftragten Unterfrachtführer erholen kann (vgl. Herber, TranspR 1988, 645, 646). Dieses Risiko taucht in besonderem Maße auf, wenn der Huckepack-Transport auf dem Seeweg stattfindet. Denn die Haftung des Verfrachters nach den Haag/Visby-Regeln ist im Vergleich zur Haftung des CMR-Frachtführers deutlich schwächer ausgebildet, nicht nur was die Höchsthaftung angeht, sondern auch wegen der weitgehenden Entlastungsmöglichkeiten bei nautischem Verschulden und Feuer (vgl. § 607 Abs. 2, § 660 HGB). Dann ist aber eine Auslegung problematisch, die dazu führt, dass der Straßenfrachtführer in dieser für den Huckepack-Verkehr wohl wichtigsten Konstellation ganz oder teilweise im Regress gegen den von ihm beauftragten Reeder ausfällt. Das ist aber die Konsequenz der Argumentation, nach der die Haftungsvorschriften nach den Haager Regeln und den Visby Regeln nicht zwingend sind (so Ramming, a.a.O., Rn. 105, 108; OLG München, Urteil vom 23.12.2010, Az. 23 U 2468/10, zur selben Havarie / Anl. K 5). Es ist zwar richtig, dass die Haftungsvorschriften der Haager Regeln nur dann zwingend gelten, wenn ein Konnossement ausgestellt worden ist (vgl. § 662 HGB). Das ändert aber nichts daran, dass unter diesen Voraussetzungen zwingende Haftungsvorschriften Anwendung finden.

27

Allerdings dürfte es auch nicht sachgerecht sein, darauf abzustellen, ob bei dem hypothetischen Vertrag, den der Absender direkt mit dem Verfrachter, der die Huckepack-Teilstrecke zur See ausgeführt hat, abgeschlossen hätte, ein Konnossement ausgestellt worden wäre oder nicht. Denn diese Frage lässt sich nur im Wege der Spekulation beantworten. Ein Anhaltspunkt zur Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens könnte zwar sein, ob in dem Unterfrachtvertragsverhältnis zwischen dem CMR-Hauptfracht-führer und dem Verfrachter ein Konnossement vorlag (so der Senat in einer älteren Entscheidung vom 15.09.1983 (VersR 1984, 534); zustimmend, aber weiter differenzierend: Koller, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 8). Dagegen spricht aber, dass es von den Verhandlungen der Parteien im Einzelfall abhängen kann, ob der Reeder ein Konnossement ausstellt oder sich darauf nicht einlässt. Gegen diese Lösung spricht ferner, dass sie im Ergebnis auf den tatsächlichen Unterfrachtvertrag zwischen dem CMR-Frachtführer und dem Huckepack-Frachtführer abstellt. Das tut Art. 2 Abs. 2 S. 2 CMR aber gerade nicht, wenn auf einen hypothetischen Vertrag verwiesen wird, den der Absender unmittelbar mit dem Huckepack-Frachtführer geschlossen hätte.

28

Vorzugswürdig erscheint demgegenüber der Ansatz, den der Oberste Gerichtshof der Niederlande (Hoge Raad) bereits in einem Urteil vom 29.06.1990 entwickelt hat (TranspR 1991, 132). Danach präzisieren die Worte „dispositions impératives“ / „conditions prescribed by law“ den Inhalt der fiktiven Vereinbarung zwischen Absender und Huckepack-Frachtführer gem. Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR dahingehend, dass sie auf objektives Recht verweisen. Die objektivierende Konstruktion über eine fiktive Vereinbarung passe dazu, dass Art. 1 Abs. 1 CMR den Anwendungsbereich des Übereinkommens ausschließlich anhand objektiver Anknüpfungskriterien festlege, um damit insbesondere auch die Haftung des Straßentransportunternehmers in einheitlicher Weise zu regeln.

29

Außerdem habe es zur Zeit des Zustandekommens der CMR bereits einheitliches Recht für Transportverträge mit internationalem Charakter gegeben, nämlich für den Seetransport das Brüsseler Konnossementsübereinkommen vom 25.08.1924 (Haager Regeln), das Übereinkommen vom 25.10.1952 über den Gütertransport mit der Eisenbahn (CMI) sowie das Warschauer Übereinkommen über den internationalen Lufttransport vom 12.10.1929. Offenbar hätten die vertragsschließenden Staaten bei der Ausnahmeregelung des Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR vor Augen gehabt, dass die anderen internationalen Verträge einheitliches Recht enthielten, das auf die spezifischen Risiken der jeweiligen Transportformen abgestimmt sei. Der Gerichtshof folgert daraus, dass die Worte „dispositions impératives“ / „conditions prescribed by law“ auf einen gesetzlichen Haftungsgrundsatz gemünzt seien, der auf international vereinbartem, einheitlichen Transportrecht beruhe oder daraus abgeleitet sei. Der Hoge Raad gelangt damit im Wege der Auslegung dazu, dass die CMR, die für den reinen Straßentransport objektives und zwingendes Recht vorsieht, auch beim Einsatz anderer Transportträger im Huckepack-Verkehr entsprechendes objektives und zwingendes Recht dieser anderen Trägerbeförderungsmittel angewendet wissen will, wenn der Schaden lokal und kausal mit diesem Beförderungsmittel zusammenhängt (vgl. Thume/Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 134). Die Argumentation des Niederländischen Gerichtshofs überzeugt und führt vor allem für den Huckepack-Verkehr über See, der überhaupt Anlass für die Ausnahmeregelung war, zu sachgerechten Ergebnissen. Denn objektiv ist jenes Recht, das unabhängig von subjektiven und individuellen Besonderheiten des Einzelfalles gilt. Liegt die Huckepack-Teilstrecke auf der See, ist das für den Seetransport anwendbare Haftungsrecht, sofern es auf den Haager Regeln oder den Haag/Visby Regeln beruht, demnach immer anwendbar. Die Frage der Ausstellung eines Konnossements stellt sich nicht. Das gleiche gilt für die Frage einer vereinbarten Decksverladung (vgl. § 663 Abs. 2 Nr. 1 HGB). Spekulationen über den hypothetischen Parteiwillen bei Abschluss des fiktiven Vertrages erübrigen sich damit. Stattdessen lässt sich das anwendbare Recht anhand objektiver Kriterien leicht und für alle Beteiligten von Anfang an vorhersehbar feststellen. Das Regressinteresse des CMR-Frachtführers wird dadurch gewahrt, dass er dem Absender für seetypische Schäden nur nach den im Vergleich zur CMR für ihn günstigeren Bestimmungen der Haager Regeln oder der Haag-Visby Regeln haftet, so dass er mit seinen Rückgriffsansprüchen gegen den Reeder regelmäßig durchdringen wird. Sollte die Haftung des Verfrachters im Einzelfall aufgrund der im Unterfrachtverhältnis zulässigerweise getroffenen Vereinbarungen unter dem Mindeststandard der Haag-Visby Regeln liegen, hat sich der CMR-Frachtführer das daraus resultierende Regressproblem selbst zuzuschreiben, weil er sich auf eine solche Vereinbarung eingelassen hat. Dieses abstrakt generelle Verständnis des Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR findet daher zu Recht auch vermehrt die Zustimmung in der Literatur (vgl. Herber/Pieper, a.a.O., Art. 2 Rn. 22; Staub/Helm, Großkommentar HGB, 4. Aufl., Art. 2 CMR Rn. 34; Thume/Fremuth, a.a.O., Art. 2 RN. 95 a.E., 128, 138; MünchKomm / Jesser-Huß, a.a.O., Art. 2 CMR, Rn. 20 f; Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn-Bahnsen, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 19 ff, 25).

30

d) Das Statut des hypothetischen Vertrages bestimmt sich nach Art. 28 Abs. 4 EGBGB a.F. (MünchKomm/Jesser-Huß, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 19; Herber/Pieper, a.a.O., Art. 2 Rn. 27). Das führt hier zum türkischen Recht, weil die Reederei UN Ro-Ro ihre Hauptniederlassung in Istanbul hat und sich dort auch der Verladeort befand. Die Art. 17 ff CMR werden mithin durch die Haftungsregeln des türkischen Seefrachtrechts verdrängt.

31

Geht es um einen internationalen Seetransport, richtet sich die Haftung des Verfrachters für Schäden oder Verluste von Ladungsgütern nach türkischem Recht unmittelbar nach Art. 4 § 2 b) der Haager Regeln (abgedruckt bei Rabe, Seehandelsrecht, 4. Aufl., Anhang I zu § 663 b) HGB). Das Brüsseler Übereinkommen über Konnossemente vom 25.08.1924 ist für die Türkei am 04.01.1956 in Kraft getreten und gilt dort unmittelbar, da die Türkei, anders als die Bundesrepublik, nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Regeln in innerstaatliches Recht umzusetzen (Atamer, TranspR 2010, 50, 51 f; vgl. auch die Übersicht über die Mitgliedsstaaten bei Rabe, a.a.O., Anhang I zu § 663 b Rn. 1). Nach Art. 4 § 2 b) der Haager Regeln haftet der Verfrachter nicht für Verluste oder Beschädigungen der Güter, die durch Feuer entstanden sind, es sei denn er hat die Schäden durch eigenes Verschulden verursacht (vgl. für die entsprechende Umsetzung in § 607 Abs. 2 HGB: Rabe, a.a.O., § 607 Rn. 2, 19 ff). Soweit die Beklagte auf Art. 1062 Abs. 2 des türkischen Handelsgesetzbuchs verweist (Anl. B 12), dürfte diese Bestimmung wohl nur für innerstaatliche Seetransporte Anwendung finden (vgl. Atamer, TranspR 2010, 50, 51 und 53). Das kann aber offen bleiben, weil Art. 1062 Abs. 2 des türkischen Handelsgesetzbuchs den Haftungsausschluss für Feuerschäden ebenso regelt wie die Haager Regeln in Art. 4 § 2 b).

32

Konkrete Anhaltspunkte für ein Verschulden der Geschäftsführung der Reederei U. sind nicht vorgetragen und sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Damit kann sich die Beklagte mit Erfolg auf den Haftungsausschluss für Feuerschäden gem. Art. 4 § 2 b) der Haager Regeln berufen.

33

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

34

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, was unter den in Art. 2 Abs. 1 S. 2 CMR genannten „zwingenden Vorschriften“ zu verstehen ist, fehlt. Außerdem weicht der Senat sowohl von der Auffassung des OLG München als auch von der Auffassung des OLG Düsseldorf ab. Während das OLG München meint, Art. 2 Abs. 1 S. 1 CMR greife niemals ein, wenn die Huckepack-Beförderung zur See erfolge, weil das Seefrachtrecht nach den Haag-Visby Regeln kein zwingendes Recht sei (Anl. K 5), stellt das OLG Düsseldorf darauf ab, ob im konkreten Unterfrachtverhältnis ein Konnossement vorliegt, was eine hinreichend tatsächliche Vermutung für den fiktiven Vertrag zwischen Absender und Verfrachter darstelle (Anl. B 15).

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