BGH, Urteil vom 04.03.1997 – VI ZR 51/96
1. Ein Baugerüst ist ein mit einem Grundstück verbundenes Werk gemäß BGB § 836, das der Gerüsthersteller im Sinne des BGB § 837 auf dem Baugrundstück besitzt.
2. Bricht ein zur Gerüsterstellung verwendetes, zum Begehen durch Gerüstbenutzer bestimmtes Brett durch, wenn es von einem Bauhandwerker betreten wird, spricht typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Anschein dafür, daß dieses Brett objektiv nicht für ein Baugerüst geeignet war und seine Verwendung zu einer objektiv fehlerhaften Gerüsterstellung im Sinne des BGB § 836 geführt hat.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 7. November 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen der Verletzungen in Anspruch, die er am 16. September 1992 infolge Absturzes von einem Baugerüst erlitten hat.
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Der Kläger war seinerzeit als Zimmermann auf einer Baustelle in B. mit Dachstuhlarbeiten beschäftigt. Das Gebäude war vom Beklagten eingerüstet worden. Bei der Gerüsterstellung waren wegen des großen Dachüberstandes zwei parallele Fassadengerüste im Abstand von etwa 2,40 m mit überbrückenden Holzbelagtafeln errichtet worden. Im Bereich der Bauwerkspfeiler war das erste dieser Fassadengerüste jeweils ausgespart; die etwa 60 cm breiten Öffnungen wurden mit Holzbrettern der Größe 3 cm x 20 cm x 80 cm überlegt. Als der Kläger am Unfalltag auf ein derartiges übergelegtes Brett trat, brach dieses durch; der Kläger stürzte etwa 5 m tief ab, wobei er sich erhebliche Verletzungen zuzog.
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Der Kläger hat mit dem Vortrag, das durchgebrochene Brett habe nicht den für die Verwendung im Gerüstbau geltenden Anforderungen entsprochen, die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Verdienstausfall und Schmerzensgeld sowie die Feststellung seiner Schadensersatzpflicht beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB, der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht komme, seien nicht nachgewiesen worden. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Unfall des Klägers auf einer dem Beklagten anzulastenden Verletzung von Verkehrssicherungspflichten beruhe. Daß ein vom Beklagten ausgelegtes Brett auf dem Gerüst zerbrochen sei, als der Kläger es betreten habe, lasse nicht die Schlußfolgerung zu, daß dieses Brett für den Gerüstbau untauglich gewesen sei und der Beklagte verkehrssicherungswidrig gehandelt habe.
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Insbesondere könne hinsichtlich des Bretts nicht von einem Verstoß gegen die in Betracht kommenden DIN-Normen ausgegangen werden; deshalb komme dem Kläger für die Frage der Unfallverursachung auch keine Beweiserleichterung zugute. Vor allem könne weder den Äußerungen des gerichtlichen Sachverständigen B. noch den Bekundungen des Zeugen L. entnommen werden, daß das Brett einen unzulässigen sog. Kantenflächenast aufgewiesen habe.
II.
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Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Das Berufungsurteil leidet bereits im Ausgangspunkt an einem durchgreifenden Rechtsfehler, weil das Berufungsgericht lediglich einen auf § 823 Abs. 1 BGB gegründeten Anspruch des Klägers geprüft hat. In einem Fall wie dem vorliegenden ist jedoch in erster Linie § 836 Abs. 1 BGB i.V.m. § 837 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 1973 – VI ZR 163/71 – VersR 1973, 836, 837 m.w.N.).
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a) Ein Baugerüst ist ein mit einem Grundstück verbundenes Werk im Sinne des § 836 BGB (vgl. Senatsurteile vom 21. April 1959 – VI ZR 74/58 – VersR 1959, 694, 695 und vom 12. Juni 1973 – VI ZR 163/71 – aaO; so auch schon RG JW 1910, 288), das der Gerüstersteller i.S.d. § 837 BGB auf dem Baugrundstück besitzt.
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b) Die Gerüstbretter sind ein Teil dieses Werkes, selbst wenn sie mit ihm nur durch die Schwerkraft verbunden sind. Es kommt nicht auf das Mittel der Verbindung an, sondern auf die sachgerechte Einfügung der Teile zum bestimmungsgemäßen Zweck des Werkes (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1959 – VI ZR 74/58 – aaO).
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c) § 836 BGB setzt zunächst voraus, daß sich ein Teil des Werkes abgelöst hat und hierdurch die Verletzung des Geschädigten eingetreten ist. Auf der Grundlage der im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen ist von einem solchen Sachverhalt auszugehen.
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aa) Unter einer Ablösung von Teilen im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist jede unwillkürliche Aufhebung der Verbindung zum Ganzen zu verstehen, die durch die sachgerechte Einfügung des Werkteils hergestellt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1959 – VI ZR 74/58 – aaO unter Hinweis auf RGZ 133, 1, 6). Vorliegend ist das übergelegte Brett durchgebrochen, als der Kläger es betrat, so daß dieser in die Tiefe stürzte; dieses Geschehen setzt voraus, daß die funktionsgerechte Einfügung des Bretts in das Fassadengerüst aufgehoben worden ist.
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bb) Zwar ist der Kläger nicht unmittelbar durch das gebrochene Brett verletzt worden. Dies ist aber im Rahmen des § 836 BGB auch nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, daß die Verletzung mit dem Durchbrechen des Bretts in ursächlichem Zusammenhang steht und sich als eine bei gewöhnlichem Geschehensablauf eintretende Unfallfolge darstellt (vgl. Senatsurteile vom 8. März 1960 – VI ZR 59/59 – VersR 1960, 426, 427 und vom 12. Juni 1973 – VI ZR 163/71 – aaO m.w.N.).
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d) Ein Schadensersatzanspruch aus § 836 BGB erfordert weiter den vom Geschädigten zu führenden Nachweis, daß – rein objektiv gesehen – der Schadenseintritt auf einer fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung des Werkes beruht. Hierzu gehört nicht der Nachweis, daß der Gefahrenzustand auf ein Verschulden irgendwelcher Personen zurückzuführen ist; die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt steht vielmehr allein zur Beweislast des Verpflichteten, hier des Beklagten als Gerüsterstellers (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1952 – III ZR 142/50 – LM Nr. 4 zu § 836 BGB; Kreft in: BGB-RGRK, Randnr. 23 zu § 836 BGB m.w.N.).
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e) Ob der Kläger den ihm danach obliegenden Nachweis einer schadensursächlichen objektiven Mangelhaftigkeit des durchgebrochenen Bretts zu führen vermag, kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden; das Berufungsurteil befaßt sich nur mit der hiervon zu unterscheidenden Frage des Nachweises einer Verkehrssicherungspflichtverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Verwendung dieses Brettes. Dem Kläger kann jedoch insoweit die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zugute kommen (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. März 1993 – VI ZR 176/92 – VersR 1993, 759, 760; s. auch Mertens in: MünchKomm., Rdn. 35 zu § 836 BGB).
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aa) In diesem Zusammenhang kommt es nicht entscheidend darauf an, ob – was das Berufungsgericht in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt hat – hinsichtlich der Verwendung des Brettes ein Verstoß gegen DIN-Vorschriften festgestellt werden kann; diese Frage wäre nur im Rahmen eines dem beklagten Gerüstersteller gegebenenfalls offenstehenden Entlastungsbeweises von Bedeutung. Vielmehr ist – worauf die Revision zu Recht hinweist – vorliegend wesentlich, daß der Beweis des ersten Anscheins auch dann einzugreifen vermag, wenn aus einem eingetretenen Erfolg nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden kann (vgl. z.B. Senatsurteil vom 3. Juli 1990 – VI ZR 239/89 – VersR 1991, 195 m.w.N.; s. auch BGHZ 100, 31, 33).
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bb) Ein Baugerüst muß den Anforderungen standhalten, die durch seine bestimmungsgemäße Benutzung an seine Konstruktion gestellt werden. Ein zur Gerüsterstellung verwendetes, zum Begehen durch Gerüstbenutzer bestimmtes Brett muß so beschaffen sein, daß es nicht durchbricht, wenn es von einem Bauhandwerker betreten wird. Geschieht dies dennoch, so spricht typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Anschein dafür, daß dieses Brett von seiner Beschaffenheit her objektiv nicht für ein Baugerüst geeignet war, seine Verwendung daher zu einer insoweit objektiv fehlerhaften Gerüsterstellung geführt hat, auf der das Unfallgeschehen beruht.
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cc) Allerdings greift der Anscheinsbeweis nicht durch, wenn das Schadensereignis Umstände aufweist, die vom typischen Geschehensablauf abweichen und konkret eine andere, ernsthaft ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit für die Entwicklung des Unfalls nahelegen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 20. Juni 1978 – VI ZR 15/77 – VersR 1978, 945 f.; vom 11. Oktober 1983 – VI ZR 141/82 – VersR 1984, 44, 45 und vom 3. Juli 1990 – VI ZR 239/89 – aaO, 196). Derartige besondere Umstände könnten sich hier aus dem im Berufungsurteil wiedergegebenen Vorbringen des Beklagten herleiten lassen, zum Unfall sei es gekommen, weil die vom Arbeitgeber des Klägers unzulässigerweise abgesetzten Kanthölzer aufgrund ihres Gewichtes von jeweils etwa einer Tonne beim Absetzen zu einer dynamischen Belastung des Brettes und dessen Bruch geführt hätten. Solche zur Erschütterung des Anscheinsbeweises geeignete Umstände müssen vom Beklagten zur Überzeugung des Tatrichters nachgewiesen werden (vgl. BGHZ 6, 169, 170; Senatsurteile vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 223/87 – VersR 1989, 54, 55 und vom 3. Juli 1990 – VI ZR 239/89 – aaO, 196). Zu dieser Frage sind bisher vom Berufungsgericht keine abschließenden Feststellungen getroffen worden.
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2. Sollte unter Berücksichtigung dieser Überlegungen nach weiterer Sachaufklärung davon auszugehen sein, daß die Verletzungen des Klägers auf einer objektiv mangelhaften Errichtung des Gerüstes im dargestellten Sinne beruhen, so wird es Sache des Beklagten sein, gemäß § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB darzutun und zu beweisen, daß er die zur Abwendung der Gefahren im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Dies setzt den Nachweis voraus, daß bei Verwendung des später durchgebrochenen Brettes alle einschlägigen bautechnischen Regeln und Erfahrungssätze, insbesondere die DIN-Normen, in vollem Umfang eingehalten worden sind und für den Beklagten bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung die objektive Ungeeignetheit des Brettes in keiner Weise erkennbar gewesen ist. Insoweit verbleibende Zweifel müßten zu Lasten des beweispflichtigen Beklagten gehen.
III.
19
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im erneuten Berufungsdurchgang wird der Kläger Gelegenheit haben, noch zu seinen weiteren die bisherige Beweiswürdigung des Berufungsgerichts betreffenden Rügen vorzutragen.Baug