Zur Haftung des Frachtführers für Beschädigung von Frachtgut durch unerkannt im Auflieger mitreisende Flüchtlinge

LG Hamburg, Urteil vom 17.10.2013 – 415 HKO 71/11

Zur Haftung des Frachtführers für Beschädigung von Frachtgut durch unerkannt im Auflieger mitreisende Flüchtlinge

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Von den Kosten der Nebenintervention trägt die Klägerin 50%; 50% der Kosten der Nebenintervenientinnen tragen diese jeweils selbst.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen den Beklagten im Wege der Drittschadensliquidation einen Anspruch wegen der Beschädigung von Medikamenten bei einem Transport von Griechenland nach Deutschland geltend.

Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit der Durchführung eines Transportes von Arzneimitteln für verschiedene Endempfänger von Aspropyrgos/Athen in Griechenland nach Frankenthal in Deutschland über Italien mit einer Fährüberfahrt von P… nach A…. Der Beklagte stellte die Zugmaschine und mietete von der Klägerin einen Thermoauflieger, der mit einer so genannten spanischen Kralle versehen war, an. Nach dem streitgegenständlichen Vorfall ergaben sachverständige Untersuchungen, dass eine Manipulation der Edelstrahlkralle möglich war, weil die Führung der Verriegelungsstangen nur angeschraubt war.

Als Beladedatum war im Transportauftrag der 26.3.2010, 17.45 Uhr, angegeben (Anlage K 1).

Die Ladung kam beschädigt an, und zwar hatten sich Flüchtlinge im Frachtraum des LKW einen Hohlraum geschaffen, um sich dort zu verstecken, indem sie die Außenwände von Kartonpaletten geöffnet und Innenkartons heraus geräumt haben. Die Flüchtlinge entkamen unerkannt, nachdem der Fahrer des Transportfahrzeuges nach der Fährüberfahrt aus Griechenland in Italien auf einem Rastplatz den Auflieger geöffnet hatte, nachdem er ein Klopfen aus dem Frachtraum vernommen hatte.

Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte die Ladung am 26. März 2010 vollständig und unbeschädigt bei ihrer- der Klägerin -griechischen Niederlassung übernommen habe (Anlage K 2). Der Fahrer des Beklagten habe dies mit der Unterschrift auf der Übernahmebescheinigung bestätigt. Die Flüchtlinge seien nicht bereits beim Beladen, sondern während einer Fahrtunterbrechungund damit in der Obhutszeit des Beklagten in den Auflieger eingedrungen.

Der Fahrer sei gemäß § 1.2. der Rahmen-Vereinbarung (Anlage K 3) und den Ziffern 3.3. und 3.4 des Fahrerhandbuches (Anlagen K 3 und K 4) verpflichtet gewesen, die Ware stückzahlenmäßig zu überprüfen und bei der Verladung anwesend zu sein. Er habe den Laderaum auch nach der Beladung betreten müssen, um einen Temperaturlogger an einer der Paletten anzubringen. Wenn die Flüchtlinge bereits beim Beladen in den Auflieger gelangt wären, hätte der Fahrer dies daher bemerken müssen.

Dafür, dass die Flüchtlinge erst später in den Auflieger eingedrungen seien, spreche auch die geringe Temperatur von nur 4°, die in dem Auflieger geherrscht habe, der Umstand, dass die Flüchtlinge nur 5 l Urin, aber keine Fäkalien hinterlassen hätten, und dass der Verladeort ein gesichertes Industriegebiet in einem Vorort von Athen sei, während Patras dafür bekannt sei, das Flüchtlinge versuchten, sich dort auf LKW zu verstecken, um über den Seeweg nach Italien zu gelangen.

Demgegenüber sei unerheblich, dass im Temperaturreport des Kühlaufliegers kein außerplanmäßiges Öffnen der Tür dokumentiert sei, da auch eine von dem Fahrer des LKW behauptete planmäßige Öffnung vor der Überfahrt nach Italien nicht verzeichnet sei und während der Fährüberfahrt keine Aufzeichnung erfolge. Noch vor der Fährüberfahrt sei über einen längeren Zeitraum hinweg keine Ortung möglich gewesen.

Der Beklagte hafte daher für den in seiner Obhut entstandenen Schaden, und zwar unbeschränkt, da dem Beklagten ein qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen sei. Der Fahrer des Beklagten sei daran beteiligt gewesen, dass Flüchtlinge in den Auflieger gelangen konnten. Jedenfalls habe er keine hinreichenden Sicherungsmaßnahmen gegen ein Eindringen der Flüchtlinge ergriffen. Die Klägerin meint, es sei Sache des Beklagten, Umstände vorzutragen, die ein qualifiziertes Verschulden ausschlössen. Das aus ihrer Sicht unzureichende Vorbringen des Beklagten zu den getroffenen Sicherungsmaßnahmen werde zudem bestritten. Schließlich habe der Fahrer des LKW gegen die Pflicht verstoßen, Über außergewöhnliche Vorkommnisse zu informieren. Er habe die Flüchtlinge unerkannt entkommen lassen und habe dadurch Regressmöglichkeiten vereitelt.

Die Beschädigung der Verpackung der Medikamente führe zu einem Totalschaden, da Medikamente mit beschädigter Umverpackung nicht verkehrsfähig seien, weil die Keimfreiheit der Medikamente nicht gewährleistet werden könne.

Der Warenschaden des Endempfängers X GmbH belaufe sich auf 81.135,46 Euro (Anlage K 7). Durch die Beauftragung eines Sachverständigen zur Feststellung des Schadens seien Kosten in Höhe von 1.824,09 Euro entstanden (Anlage K 8). Der Warenschaden der Empfängerin Y GmbH belaufe sich auf 15.578,02 Euro.

Ein Mitverschulden wegen einer unterlassenen Wertdeklaration könne ihr nicht zur Last gelegt werden. Der Beklagte wisse aus langjähriger Geschäftsbeziehung, dass Medikamente befördert würden, deren Sendungswert das Gesamtgewicht erheblich übersteige. Eine unterlassene Deklaration schließe die Haftung auch nur aus, wenn das Unterlassen des Hinweises schadensursächlich gewesen sei.

Der Auflieger sei auch nicht durch eine Alarmanlage gesichert gewesen, die hätte ”scharf’ geschaltet werden können.

Ebenso sei ihr nicht vorzuwerfen, dass wegen der Beladezeit am späten Nachmittag/frühen Abend eine Übernachtung vor der Fährüberfahrt erforderlich gewesen sei. Die Ladezeit sei Gegenstand des Transportauftrages und keine Weisung. Bei der von dem Absender vorgegebenen Beladezeit sei ein Erreichen einer Fähre am Tag der Verladung nicht möglich gewesen, da selbst die Fähre mit der spätestens Abfahrzeit nicht hätte erreicht werden könne. Eine Nachfähre gebe es nicht. Es wäre Sache des Fahrers gewesen, eine sichere Übernachtungsmöglichkeit in der Nähe des Beladeortes -weit entfernt vom Hafen Patras -aufzusuchen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen,

an die Klägerin 98.537,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 30.03.2010 zu zahlen;
hilfsweise die Klägerin von Ansprüchen Dritter in Höhe von 98.537,56 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.03.2010 wegen der Beschädigung einer Partie Medikamente während des Transportes von … zu den Empfängerinnen X GmbH und Y GmbH nach … mit dem Thermoauflieger mit dem Kennzeichen — im Zeitraum vom 26.03.2010 bis 29.03.2010 freizuhalten.
Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bestreitet die vollständige und unbeschädigte Übergabe der Güter. Die Flüchtlinge seien bereits bei der Verladung in den Auflieger gelangt (Anlage K 7). Bei der Beladung habe der Fahrer des LKW nicht anwesend sei dürfen. Dafür, dass die Flüchtlinge bereits zum Zeitpunkt der Übernahme durch den Beklagten im Frachtraum gewesen seien, spreche der GPS-gestützte Temperaturreport, der keine Öffnung während der Fahrt aufgezeichnet habe. Auch während der Fährfahrt werde die Aufzeichnung nicht unterbrochen. Auch die beiden im Inneren des LKW befindIichen mobilen Data-Logger zur Temperaturaufzeichnungen hätten Türöffnungen während des Transports erkennen lassen, wenn solche erfolgt wären. Manipulationen an der spanischen Kralle seien von außen für den Fahrer nicht erkennbar gewesen. Erst ein Sachverständiger habe nach Auftreten des Schadens festgestellt, dass die Kralle einen konstruktiven Fehler gehabt habe, da Metallblöcke, durch die die Stange verlaufe, nur angeschraubt gewesen seien, so dass die gesamte Konstruktion manipulierbar gewesen sei.

Der Beklagte hafte auch allenfalls nach Art. 23 Absatz 3 CMR beschränkt auf 8,33 SZR/kg beschädigten Sendungsgewichtes. Das Gewicht der beschädigten Güter betrage 71,95 kg (Anlage K 7). Konkrete Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Verschulden des Beklagten seien von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Erst wenn dies der Fall sei, setze die Recherchepflicht des Beklagten ein. Der Fahrer des LKW sei an dem Eindringen der Flüchtlinge in den LKW nicht beteiligt gewesen. Es sei auch nicht erkennbar, dass grundlegende Sorgfaltspflichten verletzt worden seien. Die Flüchtlinge hätten nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin die spanische Kralle manipuliert. Dass eine Übernachtung vor der Fährüberfahrt erforderlich gewesen sei, habe die Klägerin zu vertreten, da sie nicht so disponiert habe, dass am Tag der Beladung ein Platz auf der Fähre zur Verfügung gestanden habe. Zur Übernachtung habe der Fahrer einen sicheren Rastplatz mit einer Tankstelle aufgesucht. Während der Fährüberfahrt sei dem Fahrer der Aufenthalt im Fahrzeug schließlich strengstens untersagt. Richtig sei, dass der Fahrer die Polizei nicht informiert habe, nachdem die Flüchtlinge entdeckt worden seien. Er habe aber einen Mitarbeiter der Klägerin angerufen, der ihm gesagt habe, er solle seine Fahrt fortsetzen. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin Regressmöglichkeiten gehabt hätte, wenn die Identität der Flüchtlinge festgestellt worden wäre.

Eine Haftung des Beklagten sei auch wegen eines überwiegenden Verschuldens der Klägerin wegen fehlender Wertdeklaration ausgeschlossen. Die Gesamtsendung habe ein Gewicht von 279,20 kg. Der Gesamtwert solle 341.061,14 Euro betragen. Der Wert der Güter sei daher um ein Vielfaches höher als die Grundhaftung nach Art. 23 Abs. 3 CMR. Wegen des Unterlassens des Hinweises auf einen besonders hohen Schaden und unterlassener Wertdeklaration bestehe daher kein Anspruch.

Die Klägerin habe es auch offensichtlich unterlassen, den vorhandenen Alarm für die Türen des LKW scharf zu schalten.

Die Höhe des Schadens und der geltend gemachte Totalverlust würden bestritten, da nur die Außenverpackung beschädigt worden sei.

Die Klägerin hat der … Versicherung AG und der Assekuranzkontor … mit der Klagschrift den Streit verkündet. Die Streitverkündung ist der … Versicherung AG am 14. Juni 2011 und der Assekuranzkontor … am 10. Juni 2011 zugestellt worden. Die Streitverkündeten sind dem Rechtsstreit zunächst auf Seiten der Klägerin beigetreten. Nach der Vernehmung des Zeugen W… hat die Nebenintervenientin Assekuranzkontor … mit Schriftsatz vom 10.1.2013 den Beitritt zurückgenommen und ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Die Nebenintervenientin … Versicherung hat den Beitritt auf Seiten der Klägerin mit Schriftsatz vom 18.2.2013 ebenfalls zurückgenommen und ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.

Die Nebenintervenientinnen machen ein Organisationsverschulden der Klägerin geltend, nachdem sie zunächst das Vorbringen der Klägerin unterstützt hatten.

Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation oder auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen Dritter.

Da es sich bei dem streitgegenständlichen Transport um einen grenzüberschreitenden Transport von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen nach Art. 1, Art. 2 Abs.1 Satz 1 CMR handelt, ist der Anwendungsbereich des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) eröffnet.

Nach Art. 17 Abs. 1 CMR haftet der Frachtführer u.a. für die Beschädigung des Gutes, sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt. Dabei kann er sich nach Art. 29 CMR auf einen Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes vorsatzgleiches Verschulden verursacht hat.

1. Ob die Flüchtlinge, die die Schäden verursacht haben, bereits bei der Beladung in den LKW eingedrungen sind, oder ob sie erst während des Transports in den LKW eingeschmuggelt wurden, und somit der Schaden in der Obhutszeit des Beklagten eingetreten wäre, ist zwischen den Parteien streitig.

Nach dem Transportauftrag in Verbindung mit Ziffern 4.3. und 4.4. des Rahmenvertrages zwischen den Parteien ist der Fahrer verpflichtet, bei der Beladung des Fahrzeuges auf die sorgfältige und transportsichere Verstauung der Ware zu achten und Unregelmäßigkeiten bei der Beladung auf dem Frachtbrief zu quittieren sowie telefonisch bei der Beklagten zu melden. Tatsächlich war der Fahrer bei der Beladung nicht dabei. Dass ihm die Anwesenheit untersagt wurde, hat der Zeuge Weis nicht bestätigt. Er hat vielmehr ausgesagt, dass die Rolltore wegen der ununterbrochenen Kühlung verschlossen gewesen seien und er damals nicht gewusst habe, dass man auf einem anderen Weg in die Hallen gelangen könne. Ungeachtet dessen hat er die Übernahme der Ladung vorbehaltlos quittiert (Anlage K 2). Nach M. 8, 9 CMR obliegt daher dem Beklagten der Gegenbeweis, dass die Sendung bereits bei Übernahme beschädigt war. Der Beklagte hat insoweit einen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Danach soll sich aus den Aufzeichnungen des GPS-gestützten Temperaturreports und der mobilen Data-Logger im Inneren des Trailers ergeben, dass die Türen während des Transportes nicht geöffnet worden sein können, um die Flüchtlingen einzulassen, so dass diese bereits bei Beladung in den Trailer gelangt sein müssten. Andererseits trägt der Beklagte selbst vor, dass vor der Auffahrt auf die Fähre die Tür des Trailers bei einer Kontrolle durch griechische Hafenbeamte geöffnet wurde. Dies wurde auch von dem Zeugen W… mit seiner Aussage bestätigt. Diese Öffnung ist jedoch unstreitig nicht aufgezeichnet worden. Zudem ist der Temperaturreport von der Klägerin im Rahmen des Gutachtens des Sachverständigen … (Anlage K 7) vorgelegt worden. Daraus ergibt sich, dass keine signifikanten Temperaturschwankungen verzeichnet sind. Ob sich nicht schon daraus ergibt, dass die Aufzeichnungen keinen zwingenden Schluss darauf zulassen, ob und wann die Türen geöffnet wurden, so dass ein Sachverständigengutachten nicht einzuholen wäre, kann jedoch offen bleiben.

2. Der Beklagte ist nämlich jedenfalls gemäß M. 17 Abs. 2 CMR von seiner etwaigen Haftung nach M. 17 Abs. 1 CMR befreit.

Auf eine Haftungsbefreiung nach Art. 17 Abs. 2 CMR kann sich der Beklagte auch berufen. Vorsatz oder ein vorsatzgleiches Verschulden im Sinne des M. 29 CMR ist nicht bewiesen.

a) Dass die Flüchtlinge mit Hilfe des Fahrers des LKW- des Zeugen W…- in den Auflieger gelangt sind, hält die Kammer aufgrund der Aussage des Zeugen W… für nicht bewiesen. Der Zeuge W.. hat glaubhaft ausgesagt, dass er in Kenntnis der Problematik aus seiner Sicht alles getan habe, um ein Eindringen von Flüchtlingen zu verhindern, so dass er sich nicht erklären könne, wie die Flüchtlinge dennoch in den Auflieger gelangen konnten. So hat hat er die Situation in … anschaulich geschildert und dargelegt, dass er sich vor diesem Hintergrund vor der Auffahrt auf die Fähre vergewissere, dass sich keine Flüchtlinge unter dem Fahrzeug, etwa auf den Achsen, versteckten. Für die Übernachtung habe er eine beleuchtete Raststätte mit Tankstelle 40 km vor … gewählt. Auch seine Reaktion auf das Klopfen aus dem Frachtraum, nach­ dem er Italien erreicht hatte, hat der Zeuge glaubhaft geschildert. Er hat freimütig eingeräumt, dass er die Flüchtlinge selbst dann hätte fliehen lassen, wenn er schon vor dem Öffnen der Türen des Aufliegers daran gedacht hätte, dass sich Flüchtlinge im LKW verbergen könnten. Begründet hat er dies mit seinen Befürchtungen, bei der italienischen Polizei in Verdacht geraten und möglicherweise sogar festgenommen werden zu können. Er habe von einem solchen Fall von einem Kollegen gehört. Aus diesem Grund habe er auch die italienische Polizei nicht informiert, nachdem die Flüchtlinge aus dem Auflieger entkommen seien. Diese Aussage ist glaubhaft. Aus dem Verhalten des Fahrers kann daher nicht der Schluss gezogen werden, er sei an dem Einschmuggeln der Flüchtlinge nach Italien beteiligt gewesen. Auch sonst gibt es hierfür keine sachlich begründeten Anhaltspunkte. Insgesamt hat der Zeuge einen glaubwürdigen Eindruck auf die Kammer gemacht.

b) Soweit die Klägerin geltend macht, der Fahrer der Beklagten haben seine Kontrollpflichten nicht erfüllt und zudem die Flüchtlinge unerkannt entkommen lassen, kann darin ein vorsatzgleiches Verschulden nicht gesehen werden.

Voraussetzung hierfür ist ein Verstoß gegen Pflichten, der leichtfertig in dem Bewußtsein begangen wird, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Dabei muss die vorsätzliche oder qualifiziert leichtfertige Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden kausal geworden sein.

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass der Fahrer das Eindringen durch Kontrollen hätte bemerken müssen, fehlt es bereits an einer Pflichtverletzung. Wie von dem Zeugen Weis glaubhaft ausgesagt wurde, hat er vor der Auffahrt auf die Fähre Kontrollen vorgenommen. Eine Manipulation an der spanischen Kralle war für ihn, wie sich aus den eingeführten Gutachten ergibt, nicht erkennbar. Den Auflieger selbst hat er zwar nicht geöffnet. Eine Kontrolle des Aufliegers hat insoweit jedoch durch die griechischen Behörden und später der italienischen Behörden stattgefunden. Dass der Fahrer selbst verpflichtet oder überhaupt berechtigt gewesen wäre, den Auflieger zu öffnen, ist nicht ersichtlich. Sowohl in Griechenland als auch in Italien ist zudem von den Mitarbeitern der Behörden nicht bemerkt worden, dass sich Flüchtlinge in dem Auflieger befinden. Dass der Fahrer des LKW dies hätte bemerken können und müssen, ist daher ebenfalls nicht ersichtlich. Auf jeden Fall wäre ein Pflichtenverstoß auch nicht kausal für den geltend gemachten Schaden. Der Schaden ist nämlich durch die Beschädigung der Verpackung entstanden und diese wiederum dadurch, dass sich die Flüchtlinge einen Hohlraum geschaffen haben. Der Schaden wäre daher auch dann eingetreten, wenn das Eindringen früher bemerkt worden wäre. Nicht die Dauer des Aufenthaltes der Flüchtlinge im Auflieger, sondern das Eindringen selbst hat den Schaden verursacht. Aus demselben Grund ist auch eine kausale Leichtfertigkeit nicht darin zu sehen, dass der Fahrer des LKW vor dem Öffnen des Aufliegers nicht die italienische Polizei nicht informiert hat und sonst dafür Sorge getragen hat, dass die Flüchtlinge festgehalten werden konnten. Der geltend gemachte Warenschaden war zu diesem Zeitpunkt bereits eingetreten und hätte durch eine Festnahme der Flüchtlinge nicht mehr verhindert werden können. Ein etwaiger Regreßanspruch ist mit dem geltend gemachten Schaden nicht zwangsläufig deckungsgleich. Ob und gegen wen möglicherweise Regreßansprüche hätten bestehen und geltend gemacht werden können, wenn die Flüchtlinge hätten festgenommen werden können, ist zudem rein spektulativ. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich der Fahrer des Beklagten mit seinem Verhalten leichtfertig über die Vermögensinteressen der Geschädigten hinweggesetzt hat, indem er den Auflieger geöffnet hat, ohne Vorkehrungen gegen ein Entkommen etwaiger Flüchtlinge getroffen zu haben. Dass der Zeuge nach dem Öffnen und dem Herausspringen der Flüchtlinge einen Mitarbeiter der Klägerin informiert hat und dieser ihm gesagt hat, er solle “nach Hause kommen”, hat der Zeuge wiederum glaubhaft bekundet.

c) Ist davon auszugehen, dass Dritte den Flüchtlingen geholfen haben, in den Auflieger einzudringen, ist die wahrscheinlichste Zeit hierfür die Fährüberfahrt. Dies ergibt sich zum einen aus den Feststellungen bzw. Einschätzungen des Sachverständigen …, die die Klägerin eingeführt hat (Anlage K 10.1), wonach die Kontrollen der griechischen Sicherheitsorgane vergleichsweise leicht zu überwinden sind, und Flüchtlinge auf die Fähren gelangen können, indem sie im Hafengebiet in leichter zu besteigende Fahrzeuge (z.B. Planenfahrzeuge) eindringen, um so­ dann auf der Fähre in ein Fahrzeug “umzusteigen”, das- wie der Kühlauflieger der Klägerin- gegen Kontrollen der italienischen Behörden besser gesichert ist (S. 22 des Gutachtens).

Hinzu kommt, dass jedenfalls nach dem Vorbringen der Klägerin während der Fährüberfahrt ein Öffnen der Türen nicht aufgezeichnet wird.

Ob dies ausreicht, um mit Sicherheit feststellen zu könnnen, dass die Flüchtlinge, wenn sie während des Transportes in den Auflieger eingedrungen sind, dies während der Fährüberfahrt getan haben, und zu keinem anderen Zeitpunkt eingedrungen sind, kann jedoch ebenfalls dahingestellt bleiben

Gleiches gilt für die Frage, ob und ggfs. welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die mehr­ fache Aufzeichnung “iBox- Alarm” im Temperaturreport (S. 7) von 12.45 Uhr bis 13.22 Uhr (Orts­ zeit: 13.45 Uhr bis 14.22 Uhr) hat, die dem Gericht erst bei Absetzen des Urteils aufgefallen ist, und nicht Gegenstand der Erörterungen war.

Ist nämlich offen, wann die Flüchtlinge in den LKW gelangt und Kartons beschädigt haben, kommt eine Haftungsbefreiung auch dann in Betracht, wenn sich der Beklagte hinsichtlich aller denkbaren Abläufe entlastet (vgl. Hans. OLG Hamburg, Urteil vom 18.10.1990, Az.. 6 U 253/89, zitiert in der juris-Datenbank; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 18 Rdn. 2). Dabei haben ganz unwahrscheinliche, rein theoretisch mögliche Abläufe, für die es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt, außer Betracht zu bleiben (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.2.2007, TranspR 2007, 199 f).

Wenn die Flüchtlinge weder bei der Beladung noch während der Überfahrt in den LKW gelangt sind, kommt danach nur noch in Betracht, dass sie während der Übernachtung des Fahrers in A… in den Auflieger eingedrungen sind. Eine andere Gelegenheit eines Einschmuggelns jedenfalls durch Dritte ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist angesichts der auch nach dem Vorbringen der Klägerin erforderlichen Manipulationen an der Verriegelung des Aufliegers und der Anzahl der Flüchtlinge gänzlich unwahrscheinlich, dass sie etwa in der Zeit in den LKW eingeschmuggelt worden sind, in der der Zeuge W… das Ticket für die Fähre besorgte und auf die Überfahrt wartete, d.h. tagsüber im belebten Hafengebiet von P…s.

Für beide denkbaren Geschehensabläufe- Einschmuggeln während der Fährfahrt oder während der nächtlichen Wartezeit- wäre der Beklagte entlastet.

Sollte das Einschmuggeln während der Überfahrt stattgefunden haben, würde es sich um Umstände handeln, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht hätte abwenden können.

Dass der Verlust des Transportgutes für den Beklagte bei dieser denkbaren Sachverhaltsvariante unvermeidbar, d.h. auch bei äußerst möglicher und zumutbarer Sorgfalt nicht zu vermeiden war, ergibt sich aus den unstreitigen Umständen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Ob ein Schaden im Sinne des Art. 17 Abs.2 CMR unvermeidbar ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach dem Maßstab eines “idealen” Frachtführers, der eine über den gewöhnlichen Durchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Rahmen des Menschenmöglichen an den Tag legt. Der ideale Frachtführer berücksichtigt Erkenntnisse, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden.

Auch nach diesen strengen Maßnahmen wäre das Einschmuggeln von Flüchtlingen auf der Fähre und die damit verbundene Beschädigung der Kartons für den Beklagten unvermeidlich gewesen.

Dem Vorbringen des Beklagten, dass sich der Fahrer während der Überfahrt nicht auf dem Fahrzeugdeck habe aufhalten dürfen, ist die Klägerin nicht entgegengetreten; dies hat der Zeuge W… im Übrigen glaubhaft bestätigt. Der Fahrer des Beklagten hatte somit während der Zeit der Überfahrt keinen Zugriff auf den LKW und keine Kontrollmöglichkeit. Dass der Fahrer der Beklagte zumutbare Maßnahmen hätte treffen können, die den Zustieg zum Fahrzeug in dieser Zeit dennoch zuverlässig hätte verhindern können, wie die Klägerin geltend macht, ist nicht ersichtlich.

ln diesem Zusammenhang ist unstreitig, dass der Auflieger mit der vereinbarten Sicherung durch eine sogenannte spanische Kralle von der Klägerin angernietet worden ist. Weiter ergibt sich sowohl aus dem Gutachten des Sachverständigen … als auch aus dem Gutachten des Sachverständigen …, die beide von der Klägerin eingeführt worden sind, das an der Spanischen Kralle selbst keine Manipulationsspuren festzustellen waren, das aber eine beschädigungsfreie Entfernung der Kralle durch eine Manipulation der nur aufgeschraubten vertikalen Verriegelungsstangen möglich ist. Dass diese Manipulationsmöglichkeit für einen “idealen” Frachtführer erkennbar gewesen wäre, so dass dieser möglicherweise verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin auf die Schwachstelle hinzuweisen, um so ein Eindringen von Flüchtlingen auszuschließen, ist indessen durch die von der Klägerin eingereichten Gutachten widerlegt. Danach ist diese Manipulationsmöglichkeit erst nach dem Vorfall durch gezielte Untersuchung durch einen Sachverständigen festgestellt worden und war nicht schon aufgrund allgemeiner Erfahrung eines besonders sorgfältig agierenden Frachtführers erkennbar. Dass ein Frachtführer einen Sachverständigen einschaltet, um mögliche Schwachpunkte der Sicherung eines von dem Versender gestellten Aufliegers festzustellen, geht jedoch über das einem Frachtführer Zumutbare hinaus. Wenn die Flüchtlinge mit Hilfe von Dritten während der Überfahrt in den LKW eingestiegen sein sollten, wäre dies für den Beklagten bzw. dessen Fahrer nicht vermeidbar gewesen.

Sollten die Flüchtlinge demgegenüber nachts bei dem Halt in A… eingeschmuggelt worden sein, könnte fraglich sein, gilt entsprechendes.

Da er allein war, hätte er ein Einsteigen von Flüchtlingen allenfalls dann vermeiden können, wenn er die ganze Nacht über wach geblieben wäre und regelmäßige Kontrollgänge um das Fahrzeug herum unternommen hätte. Unter den gegebenen Umständen war dies auch von einem “idealen” Frachtführer nicht zu erwarten gewesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Aufiieger mit einer spanischen Kralle gesichert war, deren Manipulierbarkeit von dem Zeugen nicht zu erkennen war. Dass Flüchtlinge mit Hilfe von Dritten trotz der spanischen Kralle durch bloße Manipulation der Kralle in den Auflieger gelangen könnten, war daher von vornherein keine naheliegende Möglichkeit. Der Zeuge hat darüber hinaus glaubhaft ausgesagt, dass er wegen der Flüchtlingsproblematik nicht in P… übernachtet hat, sondern einen beleuchteten Rastplatz mit Tankstelle 40 km entfernt von P… gewählt habe. Damit hat er die Maßnahmen ergriffen, die von einem besonders sorgfältigen Frachtführer in der gegebenen Situation und bei der vorhandenen Sicherung des Aufliegers zu erwarten waren, um ein Eindringen von Flüchtlingen zu verhindern.

Offen bleiben kann daher, ob eine Haftung des Beklagten auch nach Art. 17 Absatz 2 1. oder 2. Alternative CMR ausgeschlossen ist, weil eine Übernachtung vor der Überfahrt nach Italien nur wegen der von der Klägerin vorgegebenen Beladezeit am späten Nachmittag/frühen Abend erforderlich geworden ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf§ 91; die Entscheidung über die Kosten der Nebenintervention beruht auf §§ 101 ZPO, 92 II, 269 Abs. 3 ZPO entsprechend. Die Kostenentscheidung bei einem Wechsel der Unterstützung einer Partei durch den Nebenintervenienten ist streitig. Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass bei einem Wechsel der Partei eine Kostenquote zu bilden hat, die den Rechtsgedanken der §§ 92 II, 269 Abs. 3 ZPO berücksichtigt. Ist der Streitgegenstand vor und nach dem Wechsel wie hier identisch, führt dies zu einer Quote von jeweils 50% (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 11.4.2008, 13 W 210/08; LG Bamberg, Beschluss vom 15.4.2011, Az. 2 0 624/09, veröffentlicht in der juris- Datenbank).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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