OLG Bamberg, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 8 U 88/11
Zur Haftung bei Verletzung eines Jägers durch einen abgeprallten Schuss
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 03.05.2011 (Az.: 11 O 319/06) durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern.
II. Der Senat beabsichtigt weiterhin, dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 13.142,06 Euro festzusetzen.
III. Der Kläger erhält gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO Gelegenheit, zu Ziff. I. und II. bis spätestens zum 22.08.2011 Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
1
Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 513 Abs. 1, §§ 529, 546 ZPO).
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Die Rechtsordnung sieht für fehlerhaftes Verhalten bei einer Jagd keine Gefährdungshaftung vor. Eine Haftung des Beklagten erfordert deshalb ein schuldhaftes, d.h. zumindest fahrlässiges Verhalten. Als Ansatzpunkte für eine Haftung kommen das Verhalten des Beklagten zum Zeitpunkt der Schussabgabe und sein Verhalten im Vorfeld als Leiter der Jagd in Betracht.
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1. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Beklagte bei Abgabe des Schusses die im Verkehr erforderliche Sorgfalt i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB beachtet hat.
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a) Für die Bemessung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auf dem besonderen Verkehrsgebiet der Jagd können die in J.kreisen herrschenden Auffassungen und Übungen von Bedeutung sein, wenn sie den Niederschlag vieljähriger Erfahrungen über Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit einer bestimmten Handlungsweise des J.s oder über die Mittel und Wege, einer Gefahr vorzubeugen, darstellen und sich in der Praxis bewährt haben. Im Hinblick auf die hohe Gefahr, die das Scharfschießen in der Nähe von Menschen mit sich bringt, ist an die vom Schützen zu beobachtende Sorgfalt ein strenger Maßstab anzulegen (BGH VersR 1959, 206). Zur Bestimmung der Anforderungen, die an den Schützen zu stellen sind, kann auch auf die Bestimmungen der. Unfallverhütungsvorschriften Jagd (im Folgenden: UVV-Jagd) zurückgegriffen werden (BGH VersR 1969, 751, 752; NJW-RR 1998, 1397). Nach § 3 Abs. 4 UVV-Jagd darf ein Schuss erst abgegeben werden, wenn sich der Schütze vergewissert hat, dass niemand gefährdet wird.
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b) Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts, die der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen hat, ist der Kläger nicht durch einen Direktschuss des Beklagten getroffen worden, sondern durch einen Abpraller. Zum Zeitpunkt der Schussabgabe betrug der Sicherheitswinkel, d.h. der Winkel zwischen der Schussrichtung des Beklagten und der Linie zwischen dem Beklagten und dem Kläger, mindestens 41 Grad. Der Ablenkwinkel des Geschosses betrug mindestens 62 Grad.
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Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Auswertung zahlreicher Jagdunfälle der Vergangenheit durch die einschlägigen Fachkreise ergeben hat, dass ein Sicherheitswinkel von mindestens 30 Grad bei Schussabgabe einzuhalten ist, um der Änderung der Flugbahn abgelenkter Geschosse Rechnung zu tragen. Mit der Wahl eines derartigen Winkels steht man „auf der sicheren Seite“. Dies gilt nach dem schriftlichen Gutachten auch bei Verwendung eines Geschosses, wie es der Beklagte im vorliegenden Fall benutzt hat. Ein Ablenkwinkel von 62 Grad ist zudem sehr unwahrscheinlich.
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c) Der vom Sachverständigen dargelegte Sicherheitswinkel von 30 Grad entspricht der in den maßgeblichen J.kreisen nach Auswertung einer Vielzahl von Unfällen der Vergangenheit bewährten Handhabe. Er ist daher entgegen der Ansicht der Berufung von Bedeutung für die Frage, ob dem Beklagten ein Sorgfaltsverstoß angelastet werden kann (BGH VersR 1959, 206). Davon kann nach den im Streitfall gegebenen Umständen nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hat zum Zeitpunkt der Schussabgabe nach den Berechnungen des Sachverständigen sogar einen deutlich größeren Winkel von 41 Grad eingehalten.
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Die Tatsache, dass der Beklagte den Kläger zum Zeitpunkt der Schussabgabe nicht sehen konnte, und dass der Kläger sich in einem Abstand von 20 bis 25 m von dem erlegten Wild befand, ändert nichts an dem vom Beklagten eingehaltenen Sicherheitswinkel. Dieser bot nach den in den maßgeblichen Verkehrskreisen bestehenden Übungen eine nach menschlichem Ermessen ausreichende Gewähr dafür, dass ein Unfall wie der Vorgefallene vermieden werden konnte. Der Beklagte durfte daher ohne Verschulden davon ausgehen, dass er bei Einhaltung eines derartigen Winkels den Kläger nicht gefährden werde.
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Es kommt hinzu, dass der Sachverständige bei seinen Feststellungen von den für den Beklagten ungünstigsten Werten ausgegangen ist. Die Beweislast für ein sorgfaltswidriges Verhalten des Beklagten liegt jedoch beim Kläger, so dass zugunsten des Beklagten von der Einhaltung eines noch deutlich größeren Sicherheitswinkels auszugehen ist.
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2. Ob der Beklagte als Jagdleiter vor der Jagd hinreichende Anweisungen i.S. von § 4 Abs. 6 UW-Jagd erteilt hat, kann letztlich dahinstehen. Aus den Aussagen der vom Landgericht einvernommenen Zeugen A. und B. kann allerdings entnommen werden, dass er den Schützen vor der Jagd ihre Positionen, ihre anschließende Bewegungsrichtung und den Schusskorridor vorgegeben hat.
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Selbst wenn dies jedoch nicht der Fall gewesen wäre, hätte sich eine derartige Pflichtverletzung im konkreten Fall nicht unfallursächlich ausgewirkt. Der Kläger ist nicht deshalb getroffen worden, weil der Beklagte seine Position oder Schussrichtung nicht eingehalten hat, sondern weil der Schuss, den er in eine Richtung abgegeben hat, die er übersehen konnte, abgeprallt ist. Zum konkreten Zeitpunkt der Schussabgabe standen die Parteien nach dem oben ausgeführten aber in einem Winkel zueinander, der dem Beklagten die Schussabgabe erlaubte und bei dem er mit Abprallern in die Richtung des Klägers nicht rechnen musste.
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3. Da nach dem Gesagten bereits kein Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten vorliegt, kommt es auf die weiteren Ausführungen des Landgerichts zu der Frage, ob der Kläger einen stillschweigenden Haftungsverzicht erklärt hat, nicht mehr an.
II.
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Die beabsichtigte Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Auf die bei einer Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen.