Zur Haftung Anlageberater wegen unterlassener Aufklärung über Erhalt von Vertriebsprovisionen

Landgericht Aachen, Urteil vom 28.01.2010 – 1 O 129/09

Zur Haftung Anlageberater wegen unterlassener Aufklärung über Erhalt von Vertriebsprovisionen

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Abtretung von 30 von der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. begebenen Inhaberschuldverschreibungen GLOBAL CHAMPION ZERTIFIKAT (ISIN DE000A0MJHE1) und von 30 von der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. begebenen Inhaberschuldverschreibungen BONUS EXPRESS ZERTIFIKAT DJ EURO STOXX 50 (ISIN DE000A0MHVVO) an den Kläger 57.683,70 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2009.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Abtretungsangebotes zu Ziffer 1. im Verzug befindet.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kapitalanlagegeschäfts.

Er ist bei der Beklagten Kunde und unterhält ein Wertpapierdepot, in dem sich auch Zertifikate befinden.

Der Kläger erwarb im am 06.02.2007 von der Beklagten nach Beratung durch deren Mitarbeiterin, Frau G, und nach Übergabe der sog. „Key-Facts“ (Bl. 54 und 60 d.A.) die im Tenor näher benannten Zertifikate der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. für insgesamt 60.308,70,- €. Auf die Kaufmitteilungen vom 06.02.2007 wird Bezug genommen (Bl. 67 d.A.). Die Wertstellung erfolgte zum 15.02.2007. Eine Aufklärung über die Tatsache, dass die Beklagte aus den Erträgen des Emittenten eine Vertriebsprovision in Höhe von 3,5 % bzw. 3 % erlangte, erfolgte nicht.

Der Kläger erhielt am 13.05.2008 eine Bonuszahlung in Höhe von 2.625,- €.

Die Lehman Brothers Holding Inc. und deren sämtliche Tochterfirmen fielen im September 2008 in Insolvenz. Infolgedessen ist der gegen die Gesellschaft gerichtete Rückzahlungsanspruch des Klägers nicht mehr realisierbar.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2009 forderte der Kläger die Beklagte zur Rückzahlung des investierten Betrages Zug-um-Zug gegen Rückgabe der Zertifikate unter Fristsetzung bis zum 18.02.2009 auf. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 91 d.A. Bezug genommen.

Der Kläger behauptet, die Mitarbeiterin der Beklagten habe ihm gegenüber die Zertifikate als absolut sicheres Produkt angepriesen. Auf das Emittentenrisiko sei er nicht hingewiesen worden.

Anlässlich eines Telefonats im August 2008 habe ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten, Herr P, ihm zudem vom Verkauf der streitgegenständlichen Zertifikate abgeraten.

Er beantragt,

1.

Die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Abtretung von 30 von der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. begebenen Inhaberschuldverschreibungen GLOBAL CHAMPION ZERTIFIKAT (ISIN DE000A0MJHE1) und von 30 von der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. begebenen Inhaberschuldverschreibungen BONUS EXPRESS ZERTIFIKAT DJ EURO STOXX 50 (ISIN DE000A0MHVVO) an die Klagepartei 57.683,70 € zu zahlen nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2009.

2.

Festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Abtretungsangebotes zu Ziffer 1. im Verzug befindet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der erfahrene Kläger sei mittels des Verkaufsprospektes und nicht nur der Kurzbeschreibung umfänglich beraten worden. Die Kurzbeschreibungen seien ihm im Anschluss an das Gespräch angeboten worden, er habe die Annahme jedoch abgelehnt.

Die Beklagte behauptet weiter, jeder Kunde wisse um das Entstehen von Vertriebskosten, die in den Preis einkalkuliert würden. Über die Höhe der Vergütung sei der Kläger zudem in der Broschüre „Informationen zum Wertpapiergeschäft“ aus September 2007 informiert worden. Diese habe er auch erhalten und danach weitere Anlagegeschäfte getätigt. Dies lasse schon den Schluss darauf zu, dass der Kläger, hätte er um die Vertriebsprovision gewusst, das streitgegenständliche Geschäft trotzdem getätigt hätte. Im Übrigen ist die Beklagte der Ansicht, dass eine Aufklärungspflicht über die von ihr erzielten Erträge nicht bestehe. Die Rechtsprechung zu den Rückvergütungen im Falle des Erwerbs von Fondsanteilen sei auf den hiesigen Fall nicht anwendbar sei. Schließlich greife die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Geschäfts wegen Verletzung der Pflichten aus einem Anlageberatungsvertrag aus §§ 611, 675, 280 Abs. 1 BGB zu.

Zwischen den Parteien ist ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Anlageberatung liegt dann vor, wenn der Kapitalanleger selbst keine ausreichenden wirtschaftlichen Kenntnisse und keinen genügenden Überblick über wirtschaftliche Zusammenhänge hat. Er erwartet dann nicht nur die Mitteilung von Tatsachen, sondern insbesondere deren fachkundige Bewertung und Beurteilung (Palandt, Kommentar zum BGB, 69. Aufl., § 675, Rn. 49). Ein solcher wurde zwischen den Parteien konkludent geschlossen, als der Kläger sich am 06.02.2007 von der Beklagten, vertreten durch die Mitarbeiterin derselben, Frau G, über mögliche Anlagen beraten ließ. Die Beklagte war daher verpflichtet, eine an den gewonnenen Erkenntnissen orientierte, vollständige und richtige, anleger- und objektgerechte Aufklärung und Beratung zu erbringen und entsprechende Empfehlungen zu erteilen (BGHZ 123, 126).

Unabhängig von der streitigen Frage der konkreten Angaben der Mitarbeiterin der Beklagten im Anlagegespräch, folgt die Haftung der Beklagten hier bereits aus der fehlenden Aufklärung über die erlangte Vertriebsprovision. Die Beklagte erhielt von dem Emittenten aus dessen Erträgen eine Vertriebsprovision von 3,5 bzw. 3 %, über die sie den Kläger hätte ungefragt aufklären müssen. Sie hat die ihr insoweit obliegende Verpflichtung schuldhaft verletzt.

Der Bundesgerichtshof hat für den Fall eines Anlageberatungsvertrages über den Kauf von Aktienfonds- bzw. Medienfondsanteilen entschieden, dass eine beratende Bank ungefragt darauf hinweisen muss, dass und in welcher Höhe sie Rückvergütungen aus Ausgabeaufschlägen und Verwaltungskosten von der Fondsgesellschaft erhält (BGH, NJW 2007, 1876, NJW 2009, 2298). Die Aufklärung über die Rückvergütung (sog. Kick-Backs) ist notwendig, um dem Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der Bank offen zu legen. Erst durch die Aufklärung wird der Kunde in die Lage versetzt, das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen und unter Berücksichtigung dessen eine Anlageentscheidung zu treffen.

Die Aufdeckung eines solchen Interessenkonflikts des Anlageberaters ist jedoch nicht nur auf den Anwendungsbereich des WpHG beschränkt beziehungsweise für den Fall des Erwerbes von Fondsanteilen angezeigt, sondern lässt sich auf den Erwerb jeder Kapitalanlage übertragen. Dies folgt aus dem zivilrechtlich allgemein anerkannten Grundsatz der Vermeidung von Interessenkonflikten. Der Kunde hat bei jeder Kapitalanlage ein Interesse daran, zu beurteilen, ob und wie weit die Beratung seitens der Bank auch von deren eigenen Interessen geleitet ist.

Aus dem gleichen Grund kann es auch keinen Unterschied machen, dass es sich vorliegend nicht um Rückvergütungen im eigentlichen Sinne handelt, wie der Bundesgerichtshof in seinem jüngsten Urteil klargestellt hat, da es sich bei diesen um Teile der Ausgabeaufschläge und Verwaltungsgebühren handelt, die hinter dem Rücken des Kunden von der Gesellschaft umsatzabhängig wieder an die beratende Bank zurück fließen (BGH, WM 2009, 2306). Denn auch im vorliegenden Fall besteht die konkrete Gefahr, dass die Bank Anlageempfehlungen nicht allein im Kundeninteresse nach den Kriterien anleger- und objektgerechter Beratung abgibt, sondern auch in ihrem eigenen Interesse, möglichst hohe Provisionen zu erlangen. Die Zahlungen erfolgten auch ohne Kenntnis des Kunden hinter dessen Rücken. Demnach war hier über die Provisionen, die die Beklagte von dem Emittenten erhielt, aufzuklären und zwar unabhängig von der Höhe derselben.

Diese erforderliche Aufklärung ist vorliegend nicht erfolgt. Aus den einzig unstreitig überreichten „Key-Facts“ lässt sich die Vertriebsprovision nicht entnehmen, da der Zusatz „inkl. 3,5 % FA“ bzw. „inkl. 3 % FA“ genügte hierfür jedenfalls nicht, da dem Kunden daraus nicht ersichtlich wurde, dass die Beklagte aus den Erträgen des Emittenten diese Summe zurück erhielt. Die nachträgliche (7 Monate später!) Übersendung einer Broschüre, deren Erhalt zudem streitig und nicht unter Beweis gestellt ist, genügt ebenfalls nicht, da die für die Anlageentscheidung des Kunden wesentlichen Informationen diesem zum Entscheidungszeitpunkt vorliegen müssen.

Die Pflichtverletzung hat die Beklagte auch aus dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens zu vertreten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Den ihr obliegenden Entlastungsnachweis hat sie nicht erbracht. Vielmehr war ihr Verhalten zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung im Februar 2007 fahrlässig im Sinne des § 276 BGB. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes – schon aus dem Jahre 2001 – folgt die Verpflichtung zur Aufklärung aus dem zivilrechtlich allgemein anerkannten Grundsatz der Vermeidung von vertragswidrigen Interessenkonflikten, welcher seit langem anerkannt und in § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nicht abschließend, sondern nur beispielhaft normiert ist. Auch wird die Frage der Aufklärungspflicht über Rückvergütungen und deren Anwendungsbereich seit Jahren in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert, so dass die Beklagte jedenfalls von einer unsicheren Rechtslage ausgehen musste und fahrlässig handelte, wenn sie sich in dieser Situation darauf verließ, dass sich die Auffassung, die eine Aufklärungspflicht verneint, durchsetzen werde (Vgl. OLG Köln, Urt. v. 18.11.2009, 13 U 25/09).

Es greift entgegen der Auffassung der Beklagten vorliegend auch die Vermutung für aufklärungsrichtiges Verhalten (BGH, NJW 2009, 2298), das heißt es wird vermutet, dass der Kläger die streitgegenständlichen Zertifikate bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erworben hätte. Diese hat die Beklagte schließlich nicht widerlegt. Die vom Kläger bestrittene Tatsache, dass die Aufklärung später durch Übermittlung der Broschüre erfolgt wäre, hat die Beklagte – unabhängig davon, ob dies zur Widerlegung der Vermutung genügt hätte, da dort konkrete Kosten nicht ausgewiesen werden – bereits nicht unter Beweis gestellt. Dass der Kläger später noch Kapitalanlagen erworben hat, ist zudem schon deshalb nicht von Relevanz, weil die Beklagte selbst nicht vorträgt, dass dort ein hinreichender Hinweis auf die konkrete Vergütung erteilt worden wäre. Im übrigen lässt die Entscheidung des Anlegers im Einzelfall auch nicht zwingend den Schluss darauf zu, dass er ein anderes Geschäft in Kenntnis der Provisionen des Beraters ebenfalls getätigt hätte, da für eine Anlageentscheidung eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielt.

Der gemäß § 249 BGB zu ersetzende Schaden des Klägers besteht daher in dem eingebrachten Vermögen in Höhe von 60.308,70 € abzüglich der am 13.05.2008 erlangten Bonuszahlung in Höhe von 2.625,- €, denn er ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er das streitgegenständliche Geschäft nicht getätigt hätte. Dann hätte er den genannten Betrag nicht aufgewendet. Er muss sich aber im Wege der Vorteilsausgleichung die Bonuszahlung abziehen lassen, so dass ihm ein Betrag in Höhe von 57.683,70 € gebührt, und hat die Zertifikate unabhängig von deren Werthaltigkeit Zug-um-Zug zurück zu gewähren.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Denn mit ihrer Rückzahlungspflicht befand die Beklagte sich ab dem 19.02.2009 in Verzug, nachdem sie unter Fristsetzung bis zum 18.02.2009 durch Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 03.02.2009 hierzu aufgefordert worden war.

Der Feststellungsantrag ist ebenfalls begründet aus § 293 BGB, da die Beklagte sich im Annahmeverzug befindet.

Im den nicht nachgelassenen Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten der Parteien vertiefen und ergänzen diese lediglich ihre bisherige Rechtsauffassung, so dass kein Grund zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Sinne des § 156 ZPO bestand.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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