BGH, Urteil vom 25. 2. 2014 – VI ZR 299/13
Zur Frage, ob es aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht erforderlich ist, trotz eines auf der gegenüberliegenden Seite vorhandenen Gehwegs in einem Baustellenbereich zusätzlich einen Notweg für Fußgänger offen zu halten, um diesen bei winterlichen Verhältnissen an dieser Stelle ein Überqueren der Straße zu ersparen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Revisionen der Klägerinnen gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 25. Juni 2013 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klägerin zu 1 72 % und die Klägerin zu 2 28 % der Kosten des Rechtstreits trägt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerinnen – ein gesetzlicher Krankenversicherer (Klägerin zu 1) und ein gesetzlicher Pflegeversicherer (Klägerin zu 2) – verlangen von den beiden Beklagten, einer Tief- und Straßenbaugesellschaft (Beklagte zu 1) und einer Stadt (Beklagte zu 2), aus übergegangenem Recht ihres geschädigten Versicherten Schadensersatz wegen eines Glatteisunfalls am 5. Februar 2010 in W.
Der Geschädigte ging an diesem Tag gegen 15.00 Uhr bei winterlichen Verhältnissen von seiner Wohnung in der Lindenstraße in W. kommend durch die Straße Spargelkamp, um nach rechts in die Feldstraße abzubiegen, durch die er seinen Weg in Richtung Bahnhofstraße fortsetzen wollte. In der Feldstraße führte die Beklagte zu 1 im Auftrag der Beklagten zu 2 seit Mitte September 2009 Tiefbauarbeiten durch, die am 19. Dezember 2009 wegen winterlicher Verhältnisse bis Mitte März 2010 unterbrochen wurden. Die Feldstraße war infolgedessen halbseitig gesperrt und nur für den Anliegerverkehr freigegeben. Die Absperrung umfasste auch den im Bau befindlichen Gehweg von der Einmündung der Straße Spargelkamp aus gesehen rechts in Richtung Bahnhofstraße. Der gegenüberliegende Gehweg auf der linken Seite in Richtung Bahnhofstraße war jedoch bereits fertiggestellt, gestreut und für Fußgänger begehbar.
Der Geschädigte kam bei dem Versuch, in Höhe der Einmündung Spargelkamp die Feldstraße zu überqueren, um auf den gegenüberliegenden Bürgersteig zu gelangen, infolge einer unter dem Schnee verborgenen starken Eisglätte zu Fall und schlug dabei mit dem Hinterkopf auf. Die zunächst einsetzenden Kopfschmerzen verstärkten sich und es traten erste Lähmungserscheinungen auf. Der Geschädigte wurde am Folgetag wegen eines Schädelhirntraumas stationär ins Krankenhaus aufgenommen und neurochirurgisch versorgt. Er ist inzwischen ein Pflegefall.
Die Klägerinnen verlangen aus übergegangenem Recht ihres Versicherten Schadensersatz wegen der von ihnen erbrachten Aufwendungen und haben zuletzt beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin zu 1 einen Betrag von 53.203,13 € nebst Zinsen sowie 8.158,72 € nebst Zinsen, an die Klägerin zu 2 einen Betrag von 19.830,33 € nebst Zinsen sowie 2.800 € nebst Zinsen zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, an die Klägerinnen alle ihnen infolge des Unfalls ihres Versicherten noch entstehenden übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen.
Das Landgericht hat der Zahlungsklage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 30 % dem Grunde nach stattgegeben und festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, den Klägerinnen 70 % der noch entstehenden übergangsfähigen unfallbedingten Aufwendungen ihres Versicherten zu ersetzen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage unter Zurückweisung der Berufung der Klägerinnen insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihr Klagebegehren weiter.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte zu 1 habe keine gegenüber dem Geschädigten bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Eine solche folge insbesondere nicht aus § 45 Abs. 2, Abs. 6 StVO i.V.m. Teil A Abschn. 1.3 Abs. 11 der Richtlinie für Sicherheit von Arbeitsstellen (RSA). Soweit die Beklagte zu 1 der Verpflichtung, einen 1 m breiten Gehweg für Fußgänger zur Verfügung zu stellen, nicht nachgekommen sei, stelle dies keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar, weil gegenüber ein gestreuter Bürgersteig vorhanden gewesen sei. Die RSA diene vorrangig der Sicherung des Verkehrs vor Gefahren, die von der Arbeitsstelle selbst und den direkt angrenzenden Verkehrsflächen ausgingen, wie aus der Vorbemerkung Ziffer 1.1 Abs. 2 folge. Danach dienten die Sicherungsmaßnahmen unter anderem dem Schutz der Verkehrsteilnehmer. Fußgänger sollten mithin vor den Gefahren der Baustelle selbst und davor geschützt werden, dass sie aufgrund des Umfangs der Baustelle die Straße benutzen müssten und dort den von Fahrzeugen und Radfahrern ausgehenden Gefahren ausgesetzt seien. Hier habe für den Geschädigten aber die Möglichkeit bestanden, den der Baustelle gegenüberliegenden, gestreuten Bürgersteig in der Feldstraße zu benutzen, so dass es zur Verkehrssicherung nicht erforderlich gewesen sei, daneben einen Notweg auf der anderen Straßenseite außerhalb des eigentlichen Verkehrsbereichs bereitzustellen. Aus dem Bauvertrag ergebe sich nichts Gegenteiliges. Danach habe der Fußgängerverkehr während der Bauarbeiten in beschränktem Maße aufrechterhalten werden sollen. Zwar sei der Geschädigte durch die Sperrung des rechten Gehwegs beim Überqueren der Feldstraße wegen der dort reduzierten Anforderungen an die Räum- und Streupflicht einem erhöhten Sturzrisiko ausgesetzt gewesen. Diesem Risiko seien aber auch die Fußgänger ausgesetzt gewesen, die nach links hätten abbiegen wollen. Zudem bestehe beim Passieren einer Kreuzung stets ein erhöhtes Sturzrisiko infolge einer im Fahrbahnbereich herabgesetzten Räum- und Streupflicht. Bejahe man eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 1, fehle es jedenfalls an der Kausalität für den eingetretenen Schaden, denn dem Geschädigten habe eine sichere Alternativroute zur Verfügung gestanden. Er hätte den 200 m längeren Weg über den geräumten Kronskamp nehmen können. Dies sei für einen im 67. Lebensjahr befindlichen Geschädigten zumutbar, zumal Menschen in diesem Alter heutzutage deutlich mobiler und rüstiger seien als noch vor 30 bis 40 Jahren. Eine Obergrenze sei in den von den Klägerinnen genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht festgelegt. Ein höheres Sturzrisiko aufgrund des längeren Wegs bestehe nicht. Eine Haftung der Beklagten zu 2 entfalle, da bereits eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 1 nicht vorliege. Ob ein Anspruch der Klägerinnen nicht ohnehin wegen des Mitverschuldens ihres Versicherten zu versagen sei, könne dahinstehen.
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagten verneint.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. Senatsurteile vom 6. März 1990 – VI ZR 246/89, VersR 1990, 796, 797; vom 8. November 2005 – VI ZR 332/04, VersR 2006, 233 Rn. 9; vom 6. Februar 2007 – VI ZR 274/05, VersR 2007, 659 Rn. 14; vom 3. Juni 2008 – VI ZR 223/07, VersR 2008, 1083 Rn. 9; vom 9. September 2008 – VI ZR 279/06, VersR 2008, 1551 Rn. 10; vom 2. März 2010 – VI ZR 223/09, VersR 2010, 544 Rn. 5; vom 15. Februar 2011 – VI ZR 176/10, VersR 2011, 546 Rn. 8; vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 6, und vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 13; jeweils mwN). Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 1985 – VI ZR 193/83, NJW 1985, 1773, 1774; vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11, aaO; vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 369/12, aaO; BGH, Urteile vom 2. Februar 2006 – III ZR 159/05, VersR 2006, 803 Rn. 12, und vom 16. Februar 2006 – III ZR 68/05, VersR 2006, 665 Rn. 13).
2. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senatsurteile vom 6. März 1990 – VI ZR 246/89, aaO; vom 8. November 2005 – VI ZR 332/04, aaO Rn. 10; vom 6. Februar 2007 – VI ZR 274/05, aaO Rn. 15; vom 3. Juni 2008 – VI ZR 223/07, aaO; vom 9. September 2008 – VI ZR 279/06, aaO; vom 2. März 2010 – VI ZR 223/09, aaO Rn. 6; vom 15. Februar 2011 – VI ZR 176/10, aaO Rn. 9; vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11, aaO Rn. 7, und vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 369/12, aaO Rn. 14). Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (vgl. Senatsurteile vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11, aaO Rn. 8, und Urteil vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 369/12, aaO Rn. 15). Er hat ein „Unglück“ erlitten und kann dem Schädiger kein „Unrecht“ vorhalten (vgl. Senatsurteile vom 15. April 1975 – VI ZR 19/74, VersR 1975, 812; vom 15. Juli 2003 – VI ZR 155/02, VersR 2003, 1319; vom 8. November 2005 – VI ZR 332/04, aaO Rn. 11; vom 16. Mai 2006 – VI ZR 189/05, VersR 2006, 1083 Rn. 8, und vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 369/12, aaO).
3. Von einer Fallgestaltung im letzteren Sinne ist das Berufungsgericht im vorliegenden Fall ohne Rechtsfehler ausgegangen.
a) Im Streitfall hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Gefahr verwirklicht, die von der Baustelle als solcher ausgegangen ist, denn diese war durch Absperrgitter für Fußgänger vollständig gesperrt. Es hat sich vielmehr eine Sturzgefahr verwirklicht, die von der nicht geräumten und gestreuten Feldstraße ausging. Hieraus leitet die Revision aber keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht her. Eine solche hätte in diesem Zusammenhang allenfalls der Beklagten zu 2 oblegen und bestand wegen der untergeordneten Bedeutung der wegen der Baumaßnahme nur für den Anliegerverkehr zugänglichen Feldstraße offensichtlich nicht. Die Revision macht hingegen geltend, die Beklagten hätten ihre Verkehrssicherungspflicht deshalb verletzt, weil auf der rechten Seite der Feldstraße im Bereich der Baustelle kein Notweg für Fußgänger vorhanden gewesen sei und deshalb Fußgänger bei winterlichen Verhältnissen die Feldstraße überqueren mussten, um zu dem auf der anderen Seite befindlichen Bürgersteig zu gelangen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht aus diesem Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht jedoch mit Recht verneint.
b) Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen des fehlenden Notwegs lässt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht aus § 45 Abs. 2, Abs. 6 StVO i.V.m. der Richtlinie für Sicherheit an Arbeitsstellen (RSA) und den in diesem Zusammenhang ergangenen Anordnungen der Beklagten zu 2 herleiten.
aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob überhaupt im Verhältnis zur Beklagten zu 2 eine Verpflichtung der Beklagten zu 1 bestand, im maßgeblichen Baustellenbereich einen 1 m breiten Gehweg für Fußgänger offen zu halten. Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich dies nicht aus den Vorgaben des Regelplans B I/5 herleiten. Die Revisionserwiderungen weisen insoweit zutreffend darauf hin, dass entsprechende Regelpläne nicht Arbeitsstellen auf Gehwegen, sondern auf Fahrbahnen betreffen. Der Regelplan B I/5 bestimmt dabei für zweistreifige Fahrbahnen mit halbseitiger Sperrung und geringer Verkehrsstärke die einzurichtende Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen. Da sich der Regelplan mithin auf die Fahrbahn bezieht, war der auf der in Bezug genommenen Skizze vorhandene Fußweg von der Straßenbaumaßnahme selbst nicht betroffen und blieb daher offen. Die Einbeziehung der Gehwege ergab sich hingegen aus dem Bauvertrag. Nach dessen Vereinbarungen sollten auch die Gehwege in die Baumaßnahme einbezogen und der Fußgängerverkehr dabei in einem beschränkten Maße während der Bauarbeiten aufrechterhalten werden, wobei die notwendigen Sicherungen wie Absperrungen und Bauzaun von der Beklagten zu 1 zu stellen waren. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass dieser vertraglichen Vorgabe mit dem Offenhalten eines Gehwegs auf einer Straßenseite Rechnung getragen war und es nicht zusätzlich der Vorhaltung eines Notwegs im Bereich der Baustelle bedurfte.
bb) Auch im Übrigen sehen die RSA nicht vor, dass ein in den Bereich einer Baustelle fallender Gehweg unter allen Umständen offen gehalten werden muss. In Teil A 10 Verkehrsführung und -regelung heißt es unter 10.0 Allgemeines Abs. 1 Satz 1:
„In welcher Form (z.B. Teilsperrung, Überleitung) und in welchem Umfang Kraftfahrzeug-, Rad- und Fußgängerverkehr im Bereich einer Arbeitsstelle geführt werden kann, ist aufgrund der örtlich verfügbaren Flächen zu entscheiden.“
Ein Anspruch auf unveränderte Nutzungsmöglichkeit der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs besteht nicht (Teil A 1.3.3 Abs. 2 RSA). Den Fußgängern kann zugemutet werden, während einer Baumaßnahme die Straßenseite zu wechseln und den gegenüberliegenden Gehweg zu benutzen. Dies gilt grundsätzlich auch bei winterlichen Verhältnissen.
c) Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht und der Revision davon ausgehen wollte, die behördliche Anordnung vom 15. Dezember 2009 in Verbindung mit der RSA hätte die Einrichtung eines Notwegs für Fußgänger im Bereich der Gehwegbaustelle auf der rechten Seite der Feldstraße vorgesehen, könnte aus dessen Fehlen keine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hergeleitet werden.
aa) Die Sicherungspflichten bei Straßenbaustellen richten sich nach dem allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsatz, wonach derjenige, der eine Gefahrenquelle für den Verkehr schafft, alles ihm Zumutbare zu tun hat, um eine Verwirklichung dieser Gefahr zu verhindern (vgl. etwa Senatsurteil vom 8. Februar 1977 – VI ZR 217/74, VersR 1977, 543, 544). Ein Bauunternehmer, der auf öffentlichen Straßen Arbeiten durchführt, hat die Baustelle kenntlich zu machen und abzusichern, wobei jeweils die konkreten örtlichen Verhältnisse, die Art und Weise der Benutzung des betroffenen Verkehrsraums und die durch diese Umstände bedingte Gefahrenlage im Einzelfall für den Inhalt und Umfang der zu treffenden Maßnahmen ausschlaggebend sind (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 2006, 855 f.). Die RSA bieten zwar Anhaltspunkte für die Verkehrsregelung in Baustellenbereichen und können in Einzelfällen auch Anhaltspunkte für die Verkehrsanschauung über Absicherungsmaßnahmen enthalten (vgl. etwa OLG Düsseldorf, VersR 2006, 666, 667). Nach allgemeinen Grundsätzen stellen sie jedoch als untergesetzliche Norm keine verbindliche Regelung der Sorgfaltsanforderungen des Sicherungspflichtigen dar. Die RSA (vgl. Ziffer A.1.3.1 Abs. 1 RSA) weisen ausdrücklich darauf hin, dass neben den speziellen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts bei der Einrichtung und Absicherung von Arbeitsstellen auf Straßen eine Reihe verwaltungsrechtlicher und zivilrechtlicher Vorschriften, insbesondere die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, zu beachten sind. Dementsprechend bleibt nach wie vor die Gefahrensituation vor Ort maßgebend, wie sie sich für einen verständigen Beobachter darstellt (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, 857; MünchKommBGB-Wagner, 6. Aufl., § 823 Rn. 496). Stellt sich die konkrete Gefahrenlage an der betreffenden Baustelle so dar, dass die Absicherung dem entspricht, was ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Gefahren zu bewahren (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 2004 – VI ZR 95/03, NJW 2004, 1449, 1450), muss sich ein Verstoß gegen eine Vorschrift der RSA unter Verkehrssicherungsgesichtspunkten nicht notwendigerweise haftungsbegründend auswirken (vgl. OLG München, Urteil vom 16. Februar 2012 – 1 U 3409/11, juris Rn. 40).
bb) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler in der vollständigen Absperrung des im Bau befindlichen Gehwegs im Baustellenbereich keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zu 1 gesehen, weil auf der gegenüberliegenden Seite ein Gehweg zur Verfügung stand. Die Beklagten waren – selbst wenn die Anordnung der Beklagten zu 2 und der Bauvertrag dies vorgesehen hätten – aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht nicht gehalten, trotz des auf der gegenüberliegenden Seite vorhandenen Gehwegs im Baustellenbereich zusätzlich einen Notweg für Fußgänger zur Verfügung zu stellen, um diesen bei winterlichen Verhältnissen an dieser Stelle ein Überqueren der Feldstraße zu ersparen. Dass eine nicht der Räum- und Streupflicht unterfallende Straße bei winterlichen Verhältnissen überquert werden muss, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko eines Fußgängers.
d) Da das Berufungsgericht bereits ohne Rechtsfehler eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen des fehlenden Notwegs im Baustellenbereich verneint hat, kommt es nicht mehr darauf an, ob – wie das Berufungsgericht mit seiner Hilfsbegründung angenommen hat – eine Haftung der Beklagten auch deshalb zu verneinen wäre, weil dem Geschädigten eine um 200 m längere, aber sichere und deshalb zumutbare Alternativroute – ohne gesperrten Gehweg – außerhalb des Baustellenbereichs zur Verfügung gestanden hätte.