Zur Frage des stillschweigenden Verzichts des Verkäufers auf den Einwand der verspäteten Mängelrüge im kaufmännischen Geschäftsverkehr

BGH, Urteil vom 19.06.1991 – VIII ZR 149/90

1. Zur Frage des stillschweigenden Verzichts des Verkäufers auf den Einwand der verspäteten Mängelrüge im kaufmännischen Geschäftsverkehr.

2. Das formularmäßige Abbedingen der unverzüglichen Untersuchungs- und Rügepflicht (HGB § 377) auch bei offenen Mängeln ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar und damit unwirksam.

(Leitsatz des Gerichts)

Tatbestand
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Die Beklagte, die mit der Klägerin in ständiger Geschäftsverbindung steht, beliefert diese mit Salami zur Herstellung tiefgefrorener Pizzas. Durch „Garantie-Erklärung“ vom 13. Juni 1983 hatte die Beklagte „die volle Gewähr für die einwandfreie Qualität der gelieferten Salami, wobei die sich hieraus ergebenden Anforderungen als zugesicherte Eigenschaften gelten“, übernommen und insbesondere zugesichert, „daß die gelieferte Ware den vereinbarten Spezifikationen sowie aller gesetzlichen, insbesondere lebensmittelrechtlichen Anforderungen auch in geschmacklicher Hinsicht entspricht und hiernach mindestens neun Monate – ab Lieferdatum – haltbar ist“.

2
Im Anschluß an die Lieferungen der Beklagten im Februar und März 1988 stellte die Abteilung Qualitätssicherung der Klägerin im Rahmen der üblichen regelmäßigen Verkostung von Rückhaltemustern der gelieferten Salami am 29. April 1988 fest, daß einige ranzig schmeckten. Bei Fortsetzung der Verkostung am 2. und 3. Mai 1988 – insbesondere auch von Fertigware – wurden weitere ranzige Proben gefunden. Hiervon informierte die Klägerin die Beklagte am 3. Mai 1988 telefonisch sowie mit Fernschreiben vom gleichen Tage, das folgenden Wortlaut hat:

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„betr.: Mängelrüge Salami

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Wie wir Ihnen heute morgen bereits telefonisch mitgeteilt haben, haben wir seit gestern definitive Erkenntnisse darüber, daß in mehreren von Ihnen ausgelieferten Partien Salami Ranzidität aufgetreten ist.

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Die Verkostungen von Rückhaltemustern folgender Anlieferungen ergaben erhebliche organoleptische Beanstandungen:

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03.12.87 11.130 kg
15.02.88 3.003 kg
18.02.88 11.918 kg (flottenstraße + zerp’schl.r)
25.02.88 11.376 kg (flottenstraße + zerp’schl.r)

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Die von uns produzierten Fertigwaren sind in erheblichem Masse betroffen. Ware aus mehreren Produktionen ist betroffen. Wir ermitteln zur Zeit die entsprechenden Mengen.

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Erbitten Ihre Stellungnahme“.

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Nach einer weiteren gemeinsamen Verkostung am 4. Mai 1988, bei der keine eindeutige Klarheit erzielt wurde, verkosteten jeweils mehrere von den Parteien beauftragte Sachverständige am 16. Juni 1988 die aus bestimmten Chargen der beanstandeten „Pizza-Italiana“ gezogenen Proben. Dabei wurde im wesentlichen übereinstimmend bei einer jeweils unterschiedlichen Zahl von Pizzas der Chargen 8072, 8082, 8084, 8093, 8094, 8103, 8105 Ranzidität festgestellt; aufgrund einer weiteren internen Verkostung stellte die Klägerin ferner auch ranzige Salami auf Pizzas der Charge 8102 fest. Mit Schreiben vom 20. September 1988 lehnte die Beklagte es mangels Nachweises des von ihr ab Januar 1988 der Pizza-Salami zugesetzten Identifikationskeimes in den beanstandeten Partien endgültig ab, die Reklamation der Klägerin anzuerkennen.

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Die Klägerin hat insgesamt 69.060 Pizzas der Chargen 8072, 8082, 8084, 8093, 8094, 8102, 8103 und 8105 vernichten lassen und insoweit im ersten Rechtszug von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 88.396,80 DM sowie Ersatz der Untersuchungs- und Vernichtungskosten von 2.649,36 DM, insgesamt 91.046,16 DM nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im zweiten Rechtszug hat die Klägerin nur noch Zahlung von insgesamt 84.071,10 DM zuzüglich Zinsen begehrt. Das Berufungsgericht hat 76.544,04 DM nebst Zinsen zugesprochen.

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Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die völlige Wiederherstellung des Urteils erster Instanz.

Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin für insgesamt 62.760 vernichtete Pizzas Schadensersatz in Höhe von 73.994,04 DM, ferner Ersatz für aufgewendete Untersuchungskosten von 1.560 DM sowie für anteilige Vernichtungskosten von 990 DM mit der Begründung zugesprochen, der von der Beklagten gelieferten, für die Herstellung der Pizzas verwendeten Salami habe im Zeitpunkt der Übergabe eine mit der „Garantie-Erklärung“ vom 13. Juni 1983 zugesicherte Eigenschaft gefehlt (§ 480 Abs. 2 BGB). Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat es das Berufungsgericht als erwiesen angesehen, daß von der am 11., 18. und 25. Februar sowie am 3. März 1988 gelieferten Salami der Beklagten bestimmte Mengen entnommen und bei der Herstellung der Pizzas der Chargen 8072, 8082, 8084, 8093, 8094, 8102 und 8103 verwendet worden seien; lediglich hinsichtlich der am 11. März 1988 hergestellten Pizzas mit der Code-Nummer 8105 fehlt es nach Ansicht des Berufungsgerichts an einem eindeutigen Beweis, daß diese Pizzas (6.300 Stück) allein mit der von der Beklagten am 7. und 10. März gelieferten Salami belegt worden seien. Aufgrund der am 16. Juni 1988 durch die von den Parteien beauftragten Sachverständigen vorgenommene Verkostung stehe, so führt das Berufungsgericht aus, ferner fest, daß die Salami der Beklagten in einer unterschiedlichen Zahl der von der Fertigware mit den Chargen 8072, 8082, 8084, 8093, 8094 und 8103 entnommenen Proben ranzig gewesen sei.

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Die Beklagte könne der Klägerin auch nicht entgegenhalten, daß diese die Ranzigkeit nicht ordnungsgemäß und/oder rechtzeitig gerügt habe. Das von dem Zeugen H. geschilderte Verfahren bei der Eingangskontrolle sei sachgerecht und hätte im Verdachtsfalle zu seiner Heranziehung als Leiter der Qualitätssicherung geführt. Da das nicht geschehen sei, sei eine etwaige Mangelhaftigkeit der Salami bei der Anlieferung nicht erkennbar gewesen. Im übrigen könne dahinstehen, ob die Klägerin ihrer Untersuchungs- und Rügepflicht gemäß § 377 HGB hinreichend nachgekommen sei, ob die Allgemeinen Einkaufs-, Bestell- und Zahlungsbedingungen der Klägerin Vertragsinhalt geworden seien sowie die völlige Abbedingung der §§ 377, 378 HGB in Nr. 9 der Geschäftsbedingungen der Klägerin gegen § 9 AGBG verstoße und damit unwirksam sei. Denn die Beklagte habe auf den Verspätungseinwand verzichtet. Nachdem die Parteien vereinbart hätten, die Verkostung unter Beiziehung von vereidigten Sachverständigen am 16. Juni 1988 fortzusetzen, habe die Beklagte bei dieser Verkostung mit eigenen Sachverständigen mitgewirkt und dabei die Untersuchung anhand von Chargen-Nummern der Klägerin ohne – sofortige – Zuordnung zu bestimmten Lieferungen akzeptiert und sich danach erst wieder mit Schreiben vom 20. September 1988 gemeldet, ohne jedoch auf das Fehlen einer Mängelrüge hinzuweisen. Dieses Verhalten habe die Klägerin dahin verstehen können und dürfen, daß die Beklagte auch im Rechtsstreit nicht – mehr – geltend machen werde, es sei gar nicht oder verspätet gerügt worden.

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Die Klägerin habe die gesamten – noch nicht veräußerten – Bestände der Chargen 8072, 8082, 8084, 8093, 8094 und 8103 vernichten lassen dürfen. Zwar habe die Verkostung nur für einzelne der von diesen Chargen gezogenen Proben Ranzigkeit der darauf befindlichen Salami aus den Lieferungen vom 11., 18. und 25. Februar sowie vom 3. März 1988 ergeben. Dies genüge jedoch, um – zumindest – den Verdacht zu begründen, daß die Salami auch auf weiteren Pizzas dieser Chargen ranzig gewesen sei; damit seien die Pizzas sämtlich schlechthin unverkäuflich gewesen.

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II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

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1. Die Klägerin kann von der Beklagten wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft der von dieser am 11., 18., 25. Februar und 3. März 1988 gelieferten Salami Schadensersatz gemäß § 480 Abs. 2 BGB – wie das Berufungsgericht nicht verkennt – nur verlangen, wenn die Ware nicht durch Versäumung der Rügefrist nach § 377 Abs. 2 und 3 HGB als genehmigt gilt.

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a) Das Berufungsgericht geht aufgrund der von dem Zeugen H. geschilderten Eingangskontrolle davon aus, daß die später beanstandete Salami bei ihrer Anlieferung in dem erforderlichen Umfang untersucht worden ist; hiergegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Soweit demgegenüber die Revision die von dem Zeugen angegebene Rohwarenkontrolle, bei welcher u.a. Kaliber, Konsistenz und Geschmack der Wurst geprüft wurde, als ungeeignet beanstandet und zumindest stichprobenweise die Vornahme labortechnischer Untersuchungen fordert, kann dem nicht gefolgt werden. Bei Lebensmitteln ist regelmäßig eine chemische oder technische Untersuchung, solange nicht ein sonstiger Verdacht auf Genußuntauglichkeit nahegelegt ist, nicht erforderlich, wenn die einfache Untersuchung nach Aussehen, Geruch und Geschmack keine Beanstandungen oder Verdachtsgründe ergibt (BGH, Urteil vom 20. April 1977 – VIII ZR 141/75 = WM 1977, 821 unter II 3 c; Staub/Brüggemann, HGB, Großkommentar, 4. Aufl., § 377 Rdnr. 97). Zeigten sich bei der von dem Zeugen H. geschilderten Rohwarenkontrolle keine Auffälligkeiten, bedurfte es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt keiner weiteren Untersuchungsmaßnahmen.

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b) Das Berufungsgericht hat allerdings offengelassen, ob die Klägerin im Hinblick auf das Ergebnis der Verkostung von Rückhaltemustern am 29. April, 2. Mai und 3. Mai 1988 ihrer Rügepflicht hinreichend nachgekommen (vgl. dazu BGHZ 101, 337, 339) und ob die von der Klägerin erhobene Rüge rechtzeitig erfolgt ist.

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c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts konnte dies nicht mit der Begründung dahingestellt bleiben, die Beklagte habe auf den Verspätungseinwand verzichtet.

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aa) Es ist zwar in der Rechtsprechung und im Schrifttum anerkannt, daß der Verkäufer jederzeit – auch stillschweigend – auf die Rechtsfolgen aus § 377 Abs. 2 und 3 HGB verzichten kann; ein solcher Verzicht kann u.U. dann angenommen werden, wenn der Verkäufer die beanstandeten Waren vorbehaltslos zurückgenommen oder vorbehaltslos Nachbesserung versprochen oder den Einwand der verspäteten Mängelanzeige nicht erhoben hat (RG WarnRspr. 1929 Nr. 97; BGH, Urteil vom 18. März 1952 – I ZR 77/51 = LM § 377 HGB Nr. 1; BGH, Urteil vom 14. Oktober 1952 – I ZR 20/52 = BB 1952, 902; BGH, Urteil vom 26. Februar 1964 – VIII ZR 176/62 = LM § 377 HGB Nr. 9; BGH, Urteil vom 29. März 1978 – VIII ZR 245/76 = WM 1978, 725 unter IV 1 und 2; Baumbach/Duden/ Hopt, HGB, 28. Aufl. § 377 Anm. 1 G; Staub/Brüggemann, § 377 Anm. 172; Heymann/Emmerich, HGB, § 377 Rdnr. 63). In der bloßen Aufnahme von Verhandlungen über die vom Käufer gerügten Mängel ist freilich in der Regel noch kein derartiger Verzicht zu sehen, da hierin auch nur der Wunsch des Verkäufers liegen kann, zunächst eine gütliche Beilegung des Streits über die Mängel zu versuchen (RG LZ 1917, 795; BGH, Urteil vom 18. März 1952 aaO; BGH, Urteil vom 26. Februar 1964 aaO); eine andere Beurteilung würde zudem im Handelsverkehr dazu führen, daß jede Verhandlungsbereitschaft – auch aus Kulanzgründen – für den Verkäufer die Gefahr mit sich brächte, den Verspätungseinwand zu verlieren (BGH, Urteil vom 29. März 1978 aaO). Ebenso läßt sich aus dem Umstand, daß der Verkäufer den Verspätungseinwand erst im zweiten Rechtszug erhoben hat, noch nicht ein vorangegangener Verzicht entnehmen (BGH, Urteil vom 18. März 1952 aaO; BGH, Urteil vom 26. Februar 1964 aaO; Staub/Brüggemann aaO m.w.Nachw.).

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bb) Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß nach dem vorliegenden Sachverhalt die erforderlichen eindeutigen Umstände (BGH, Urteil vom 29. März 1978 aaO; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, 5. Aufl., § 377 Anm. 86), welche auf einen Verzicht der Beklagten auf die Geltendmachung der Mängelrüge schließen lassen, nicht gegeben sind. Die Teilnahme an mehreren gemeinsamen Verkostungen mit eigenen Sachverständigen diente lediglich der Feststellung, ob überhaupt und in welchem Umfang ranzige Salami verarbeitet worden war. Sowenig die Beklagte sich durch die Teilnahme an den Verkostungen des später auch tatsächlich erhobenen Einwands begeben hat, die ranzige Salami sei nicht von ihr geliefert worden, sowenig bedeutet das einen Verzicht auf Rechtsfolgen aus § 377 Abs. 2 und 3 HGB. Auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 20. September 1988 kann nicht hergeleitet werden, sie wolle Gewährleistungsansprüche der Klägerin allein mit dem fehlenden Nachweis, sie, die Beklagte, habe ranzig gewordene Salami geliefert, bekämpfen. Wenn auch andererseits in den vorprozessualen Verhandlungen die Beklagte das Fehlen einer Mängelrüge nicht eingewandt hat, ist von ihr jedenfalls im zweiten Rechtszug geltend gemacht worden, daß die Klägerin nicht rechtzeitig und nicht ordnungsgemäß gerügt habe, wobei die Beklagte insbesondere bestritten hat, daß mit Ausnahme der Rüge vom 3. Mai 1988 eine weitere Rüge seitens der Klägerin ausgesprochen worden sei. Bei dieser Sachlage konnte aber die Klägerin nach den vorgenannten Grundsätzen nicht davon ausgehen, daß die Beklagte, auch wenn sie sich auf gemeinsame Untersuchungen zur Feststellung der Ranzigkeit der beanstandeten Ware einließ und zusätzlich weitere eigene Untersuchungen zur Identifikation der beanstandeten Chargen vornahm, im Streitfall nicht von sämtlichen ihr zur Verfügung stehenden Verteidigungsmitteln, damit auch von dem Verspätungseinwand, Gebrauch machen werde. Wird dieser Einwand nicht schon dadurch abgeschnitten, daß er nicht im ersten Rechtszug erhoben worden ist, lassen sich auch daraus, daß er vorprozessual nicht geltend gemacht worden ist, keine sicheren Schlüsse auf einen entsprechenden Verzichtswillen ziehen.

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cc) In gleicher Weise ist es der Beklagten auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf eine etwaige Verspätung der Mängelrüge zu berufen. Um den Einwand aus § 242 BGB zu begründen, müßte das angeblich treuwidrige Verhalten der Beklagten ursächlich für die verspätete Rüge gewesen sein (BGH, Urteil vom 30. Mai 1984 – VIII ZR 20/83, insoweit in BGHZ 91, 293, 298 nicht abgedruckt; siehe auch Paulusch, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Kaufrecht, WM 1986, Sonderbeilage Nr. 10 S. 43). Die Klägerin hat jedoch nichts dafür vorgetragen, daß sie nach endgültiger Feststellung der Ranzigkeit der gelieferten Salami am 3. Mai 1988 durch das Verhalten der Beklagten von der Erhebung einer Mängelrüge, die sich auf sämtliche beanstandete Lieferungen der Beklagten bezog, abgehalten worden ist.

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2. Kann somit nicht davon ausgegangen werden, daß die Beklagte stillschweigend auf die Rechtsfolgen aus § 377 Abs. 2 und 3 HGB verzichtet hat, kommt es auf die vom Berufungsgericht offengelassene Frage an, ob die Klägerin ihrer Untersuchungs- und Rügepflicht rechtzeitig und in dem erforderlichen Umfang nachgekommen ist (siehe oben II 1 b). Dabei werden folgende Gesichtspunkte zu beachten sein:

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Soweit die Parteien darüber streiten, ob die „Allgemeinen Einkaufs-, Bestell- und Zahlungsbedingungen“ der Klägerin den Vertragsbeziehungen zugrunde gelegt worden sind oder die Klägerin zwar nach diesen Bedingungen bestellt, die Beklagte jedoch zu ihren „Allgemeinen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen“ geliefert hat, ist dies entscheidungsunerheblich.

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a) Im erstgenannten Fall kommt jedenfalls eine Anwendung der Nr. 9 der Geschäftsbedingungen der Klägerin, nach welcher „die §§ 377 und 378 HGB … ausgeschlossen“ werden, nicht in Betracht. Diese Regelung ist nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam. Durch den uneingeschränkten formularmäßigen Ausschluß der §§ 377, 378 HGB würde dem Käufer die unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht auch dann abgenommen, wenn die Mängel offen zu Tage liegen, der Käufer sie bei der gebotenen unverzüglichen Untersuchung festgestellt hat oder hätte feststellen können (sogenannte offene Mängel). Der Gesetzgeber hat aber mit den Vorschriften der §§ 377, 378 HGB eine eindeutige Risikoverteilung für den kaufmännischen Verkehr getroffen. Im Handelsverkehr soll möglichst schnell Klarheit darüber geschaffen werden, ob das Geschäft ordnungsgemäß abgewickelt worden ist; der Verkäufer, dessen Interessen nach der vom Gesetz getroffenen Wertentscheidung der Vorrang zu geben ist, soll durch die den Käufer treffende Obliegenheit zur unverzüglichen Mängelrüge in die Lage versetzt werden, entsprechende Feststellungen und notwendige Dispositionen zu treffen, insbesondere einen möglichen Schaden abwenden zu können, der sich aus Gewährleistungs-, Schadensersatz- oder Nachlieferungsansprüchen des Käufers ergeben könnte (BGHZ 66, 208, 213; 91, 293, 299 f; BGH, Urteil vom 31. Januar 1966 – VII ZR 43/64 = LM § 377 HGB Nr. 10; BGH, Urteil vom 13. Mai 1987 – VIII ZR 157/86 = WM 1987, 902 unter II 1 a bb; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1987 – VIII ZR 324/86 = BGHR HGB § 377 Abs. 1 Mängelrüge 1). Das Abbedingen der unverzüglichen Untersuchungs- und Rügepflicht auch bei offenen Mängeln ist daher mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar und damit unwirksam (Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 2. Aufl., § 9 E Rz. 69; § 11 Nr. 10 e Rz. 21; Hensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 6. Aufl., § 11 Nr. 10 e Rdnr. 76; Anh. §§ 9-11 Rdnr. 299; Graf von Westphalen in Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, Großkommentar zum AGB-Gesetz, 2. Aufl., Band III, Einkaufsbedingungen Rdnr. 13; Bunte, Handbuch der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1982, S. 190; Palandt/Heinrichs, BGB, 50. Aufl., AGBG, § 9 Rdnr. 81; Schlegelberger/Hefermehl, § 377 Anm. 81; Thamm/Hesse, BB 1979, 1583, 1586; Lehmann, BB 1990, 1849, 1851).

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b) Sofern, wie die Beklagte behauptet hat, die Klägerin zu ihren Bedingungen bestellt und die Beklagte zu ihren Verkaufsbedingungen geliefert haben sollte, sind die sich widersprechenden Regelungen der Untersuchungs- und Rügepflicht nicht Vertragsinhalt geworden; es gelten dann entsprechend § 6 Abs. 2 AGBG die gesetzlichen Vorschriften, mithin auch die §§ 377, 378 HGB (BGH, Urteil vom 20. März 1985 – VIII ZR 327/83 = NJW 1985, 1838 unter II 2 a und b; BGH, Urteil vom 5. März 1986 – VIII ZR 97/85 = WM 1986, 643 unter 1; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 2 Rz. 79; Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, § 2 Rdnr. 103). Aus der Unwirksamkeit der Nr. 9 der Geschäftsbedingungen der Klägerin (siehe oben II 2 a) kann die Beklagte nicht herleiten, daß ihre Klausel, wonach „Schlecht-, Falsch- oder Minderlieferungen … spätestens binnen 12 Stunden nach Warenankunft, verdeckte Mängel spätestens 24 Stunden nach Entdeckung dem Verkäufer schriftlich oder fernschriftlich anzuzeigen“ sind, Geltung beanspruchen kann; dies wird jedenfalls durch die vorangestellte allgemeine Abwehrklausel der Klägerin verhindert. Hierdurch hat die Klägerin unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß ihre Bedingungen für sämtliche Bestellungen bzw. Aufträge gelten sollen und für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Lieferanten kein Raum sei; ebenso wie im Falle einseitig geregelter Allgemeiner Geschäftsbedingungen ergibt sich hieraus der Wille der Klägerin, die Verkaufsbedingungen ihrer Lieferanten und damit auch der Beklagten auszuschließen (BGH, Urteil vom 20. März 1985 aaO; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 2 Rz. 80; Erman/Hefermehl, BGB, 8. Aufl., § 2 AGBG Rz. 49).

27
III. Da das angefochtene Urteil bereits aus den vorgenannten Gründen aufzuheben war, bedarf es keines Eingehens auf die weiter hilfsweise vorgebrachten Angriffe der Revision mehr, mit denen sie sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, daß es sich bei der Salami, die sich auf den vernichteten Pizzas der Chargen 8072, 8082, 8084, 8093, 8094, 8102 und 8103 befand, um von der Beklagten gelieferte Ware handelt. Der Beklagten bleibt unbenommen, nach Zurückverweisung der Sache diese Einwendungen vor dem Berufungsgericht erneut geltend zu machen.

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