Zur Frage des Selbsthilferecht des Grundstückseigentümers bei unberechtigt abgestelltem E-Scooter

LG Berlin, Urteil vom 29. April 2022 – 39 S 21/21

Zur Frage des Selbsthilferecht des Grundstückseigentümers bei unberechtigt abgestelltem E-Scooter

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, zwei eScooter der Marke „…“ mit den amtlichen Kennzeichen 4… und 1…, welche sich im Besitz der Verfügungsbeklagte befinden, an die Verfügungsklägerin herauszugeben.

2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe
I.

1
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 313a Abs.1, 540 Abs.2, 544 Abs. 2 Nr.1 ZPO abgesehen.

II.

2
A. Die nach § 511 Abs.1 ZPO statthafte Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig. Sie ist gem. §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

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B. Die Berufung ist begründet. Das Amtsgericht hat die erstrebte einstweilige Verfügung zu unrecht versagt.

1.

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Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gem. § 861 BGB zu, denn der Besitz ist der Verfügungsklägerin durch verbotene Eigenmacht entzogen worden.

5
1.1 Die Verfügungsklägerin ist als – jedenfalls mittelbare (§§ 868, 869 BGB) – Besitzerin der eScooter aktivlegitimiert, die Verfügungsbeklagte aktuelle Besitzerin der streitgegenständlichen Scooter.

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1.2 Gem. § 858 Abs.1 BGB handelt widerrechtlich (verbotene Eigenmacht) wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet. Die Besitzentziehung durch die Verfügungsbeklagte ist unstreitig.

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1.3 Ohne Erfolg beruft sich die Verfügungsbeklagte auf das Selbsthilferecht des Besitzers gem. § 859 Abs.1 BGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist zwar anerkannt, dass unbefugtes parken auf einem Privatgrundstück eine verbotene Eigenmacht darstellt, dem das Selbsthilferecht nach § 859 BGB entgegengehalten werden kann (BGH, Urt. v. 5.6.2009 – V ZR 144/08,NJW 2009, 2530, beck-online).

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Stets ist allerdings zu beachten, dass die angewendete Gewalt das zur Abwehr der verbotenen Eigenmacht erforderliche Maß nicht überschreiten darf. Kommen mehrere Mittel zur Abwehr der Beeinträchtigung des Besitzes in Betracht, muss der Besitzer zuerst das mildere Mittel versuchen. Ob im Einzelfall das Maß des Erforderlichen überschritten ist, beurteilt sich wie die übrigen Voraussetzungen der Besitzwehr allein objektiv und ohne Berücksichtigung der Vorstellungen des Besitzers und des Angreifers. Überschreitet der Besitzer das erforderliche Maß, ist sein Handeln nicht mehr als Besitzwehr gerechtfertigt (BeckOGK/Götz, 1.1.2022, BGB § 859 Rn.27 – 29, m.w.N.).

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So liegt der Fall hier, denn dass und aus welchem Grund es nicht möglich gewesen sein sollte, die eScooter auf einen für Zweiräder vorgesehen Abstellplatz oder öffentliches Straßenland umzusetzen, sondern deren Inbesitznahme zur Abwehr der Störung notwendig gewesen sein soll, ist durch die Verfügungsbeklagte – auch nach Hinweis des Gerichts – weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden. Für die in diesem Zusammenhang angeführte „sichere Verwahrung“ bestand schon deshalb keine Veranlassung, weil die Scooter im öffentliche Raum zur Anmietung angeboten worden sind und schon deshalb ersichtlich keinerlei Interesse der Eigentümerin an einer sicheren Verwahrung bestand.

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Ob zudem, wie die Verfügungsklägerin einwendet, das Abstellen der Scooter auf den öffentlichen Flächen der Wohnanlage, wie in den Anlagen A3 und A4 dokumentiert, nach den Bestimmungen der Hausordnung oder sonstigen Vorgaben überhaupt widerrechtlich gewesen ist, kann offen bleiben.

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1.4 Der Verfügungsbeklagten steht wegen der von ihr geltend gemachten Aufwendungen auch kein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB zu, das sie dem Besitzschutzanspruch entgegenhalten könnte. Gem. § 863 BGB können sog. petitorische Einwände, d.h solche aus materiellem Recht, dem Besitzschutzanspruch aus § 861 BGB nicht entgegengehalten werden. Dies gilt grundsätzlich auch für das Zurückbehaltungsrecht, dessen Berücksichtigung dem Ziel der Beschleunigung der Besitzschutzverfahren und der Generalprävention widerspräche.

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Gesondert zu betrachten sind lediglich Zurückbehaltungsrechte, die der beklagte Täter der verbotenen Eigenmacht wegen solcher Ansprüche entgegen hält, die gerade aufgrund der Besitzbeeinträchtigung entstanden sind. Insoweit gelten gem. § 273 Abs. 2 BGB und § 1000 BGB Sonderregeln. So hat nach § 273 Abs. 2 BGB der zur Herausgabe eines Gegenstandes Verpflichtete ein Zurückbehaltungsrecht, wenn ihm ein fälliger Anspruch wegen Verwendungen auf den Gegenstand oder eines ihm durch diesen verursachten Schadens zusteht, es sei denn, dass er den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erlangt hat (BeckOGK/Götz, 1.4.2022, BGB § 863 Rn. 23, 24). Auch danach ist der Verfügungsbeklagten indessen ein Zurückbehaltungsrecht zu versagen, denn im Hinblick darauf, dass keine sachlich nachvollziehbaren Gründe für eine Inbesitznahme (und nicht lediglich Umsetzung) der Scooter vorgebracht worden sind, qualifiziert sich das Vorgehen der Verfügungsbeklagten als bedingt vorsätzliche Eigentums- und Besitzverletzung zu Lasten der Verfügungsklägerin. Darauf, ob und ggf. in welcher Höhe der Verfügungsbeklagten wegen der Entfernung der Scooter vom Grundstück überhaupt Ansprüche zustünden, kommt es daher nicht mehr an

2.

13
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen verbotene Eigenmacht setzt keine besondere Feststellung eines Verfügungsgrundes gem. §§ 935, 940 ZPO voraus. Er liegt in den Besitzschutzansprüchen selbst, deren schleunige Durchsetzung das Ziel des Gesetzes, insbesondere des § 863 BGB, ist (Staudinger/Gutzeit (2018) BGB § 859, Rn. 24, m.w.N.).

III.

14
Nebenentscheidungen:

15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.

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