BGH, Urteil vom 20. Dezember 1977 – VI ZR 190/75
Zur Frage der Verjährung von später eintretenden Schäden
Tatbestand
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Die VEBEG-Verwertungsgesellschaft mbH in F. (im folgenden: VEBEG) verkaufte als Treuhänderin der klagenden Bundesrepublik am 30. Oktober 1968 an die Firma LEVY A. P.-Company in Kanada (im folgenden: LEVY) von der Bundeswehr nicht mehr benötigtes militärisches Material, ua Panzerfahrzeuge des Typs M 41 nebst dazugehörigen Ersatzteilen. Die Abwicklung des Vertrages besorgte für die LEVY als deren Angestellter der Zweitbeklagte. Dieser ließ kurz vor Weihnachten 1968 das auf dem Depot J. bereitgestellte Material abtransportieren und zunächst nach B. bringen. Darunter befanden sich auch 27 Stahlbehälter (Container) mit Motoren für den Panzer M 47, die nicht in den dem Kaufvertrag beigefügten Listen enthalten waren.
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Am 28. Dezember 1968 gründete die LEVY die Erstbeklagte in B. als ihre Tochtergesellschaft; der Zweitbeklagte wurde deren Geschäftsführer. Am 23. Januar 1969 vereinbarten sodann die LEVY, die Erstbeklagte und die VEBEG, daß alle Rechte und Pflichten der LEVY aus dem Kaufvertrag vom 30. Oktober 1968 auf die Erstbeklagte übergehen sollten. Am 19. Juni 1969 ließ der Zweitbeklagte die 27 Stahlbehälter mit den Motoren M 47 nach Kanada verschiffen. Dort wurden sie am 14. März 1973 bei einem Brand auf dem Gelände der LEVY vernichtet.
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Mit ihrer am 15. März 1974 bei Gericht eingegangenen und am 4. April 1974 den Beklagten zugestellten Klage verlangt die Klägerin, die sich etwaige Ansprüche der VEBEG hat abtreten lassen, von den Beklagten 830.961,48 DM als Schadensersatz für die 27 Motoren und weiteres, angeblich von den Beklagten außerdem noch zu Unrecht beiseite geschafften Material. Dazu behauptet sie, der Zweitbeklagte habe in Kenntnis dessen, daß sie nicht mitverkauft waren, die Mitlieferung der streitigen Motoren durch Bestechung von Bundeswehrangehörigen bewirkt.
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Die Beklagten bestreiten jede Unregelmäßigkeit beim Erwerb und Abtransport des Materials und halten hilfsweise die Ersatzansprüche für verjährt (§ 852 BGB).
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Das Landgericht hat durch Teilurteil die Beklagten zur Zahlung von 84.222,16 DM nebst Zinsen als Schadensersatz für die 27 Motoren verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung beider Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen diese ihren Antrag auf Klagabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht läßt offen, ob der Zweitbeklagte in der Tat durch Bestechung an die Motoren gelangt ist, ist jedoch der Auffassung, er habe rechtswidrig und vorsätzlich das Eigentum der Klägerin an ihnen verletzt. Die Motoren seien, so stellt es fest, nicht Gegenstand des Kaufvertrages vom 30. Oktober 1968 gewesen. Ihre Zuordnung zu dem übrigen verkauften Material durch Angehörige der Bundeswehr sei, wenn nicht unredliches Verhalten im Spiel gewesen sei, allenfalls irrtümlich erfolgt. Der Zweitbeklagte habe aber gewußt, daß die Motoren nicht mitverkauft waren und habe den Irrtum der anderen Seite durchschaut. Er habe sie im Dezember 1968 der Klägerin zugunsten der LEVY entziehen wollen. Auch die Erstbeklagte sei an dieser Eigentumsverletzung beteiligt gewesen: sie habe im Jahre 1969 die Motoren von der LEVY übernommen und nach Kanada verschifft, obwohl ihr durch ihren Geschäftsführer, den Zweitbeklagten, die Umstände bekannt gewesen seien, durch die sie in deren Besitz gekommen sei.
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Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung hält das Berufungsgericht nicht für verjährt. Dazu erwägt es: Der Schaden sei erst durch den Brand vom 14. März 1973 entstanden. Erst mit der Kenntnis davon habe für die Klägerin die Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Daß sie schon vorher von der Verletzungshandlung gewußt habe, die zu einem Vorenthaltungsschaden geführt habe, sei für die Verjährung des auf Ausgleich eines durch den eingetretenen Entziehungsschaden gerichteten Anspruch ohne Belang.
II.
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Soweit der Zweitbeklagte zum Ersatz des Schadens verurteilt worden ist, hält das der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Allerdings hat er, wie die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ergeben, vorsätzlich das Eigentum der Klägerin an den 27 Panzermotoren M 47 verletzt, indem er ihr den Besitz daran entzogen und die Weiterverschiffung nach Kanada veranlaßt hat; denn das Eigentum an einer Sache kann schon durch bloße Entziehung, also ohne ihre Beschädigung oder Zerstörung, im Sinne des § 823 Abs 1 BGB verletzt werden (Senatsurteil vom 21. Juni 1977 – VI ZR 58/76 – VersR 1977, 966). Wenn dann später das Eigentum der Klägerin durch den Brand endgültig verloren gegangen ist, so muß der Beklagte jetzt für den vollen Schaden der Klägerin nach § 848 BGB einstehen.
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Die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen des Zweitbeklagten sind unbegründet. Das Berufungsgericht hat fehlerfrei festgestellt, daß Bundeswehrangehörige, mithin auch der bei der Auslieferung des Materials in J. anwesende Oberstabsfeldwebel St., nicht befugt waren, den Rahmen des Kaufvertrages vom 30. Oktober 1968 zu erweitern. In möglicher tatrichterlicher Würdigung des Sachstoffes und Streitstoffes hat das Berufungsgericht ferner festgestellt, der Zweitbeklagte habe gewußt, daß die Panzermotoren M 47 nicht mitverkauft waren und auch erkannt, daß sich Motoren dieses Typs in den 27 Stahlbehältern befunden hatten. Danach hat er sich gerade nicht für berechtigt gehalten, diese Gegenstände zu übernehmen und abzutransportieren, und er hat auch nicht an eine Vertretungsbefugnis des St. geglaubt. Unter diesen Umständen ist es unerheblich, ob St., wie die Beklagten unter Beweisantritt behauptet haben, dem Zweitbeklagten gegenüber sogar ausdrücklich darauf bestanden hat, er möge auch die 27 Stahlbehälter mitnehmen.
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2. Nicht frei von Rechtsirrtum sind indessen die Erwägungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob Ansprüche der Klägerin gegen den Zweitbeklagten aus unerlaubter Handlung (die diesem gegenüber allein in Betracht kommen) gemäß § 852 BGB verjährt sind.
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a) Der Schaden, den die Klägerin mit der Klage ersetzt verlangt, ist nicht erst durch den Brand auf dem Lagerplatz der LEVY in Kanada am 14. März 1973 entstanden.
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Die Vernichtung der Motoren war vielmehr eine Folge ihres unberechtigten Abtransportes von J. nach B. und der späteren Verschiffung nach Kanada. Aus dem Schaden, der zunächst nur in der Entziehung des Besitzes bestand, hat sich so als Folgeschaden der endgültige Verlust des Eigentums entwickelt. Das Berufungsgericht selbst hat das zunächst richtig gesehen, wenn es zu Beginn der Entscheidungsgründe seines Urteils erwogen hat, die Vernichtung der Motoren in Kanada stehe noch in einem „adäquaten Kausalzusammenhang“ mit der Entziehung des Besitzes. Kenntnis des Schadens iS des § 852 BGB ist nun aber nicht gleichbedeutend mit der Kenntnis des Schadensumfanges. Der gesamte, einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden stellt eine Einheit dar (RGZ 119, 204, 208; Senatsurteil vom 20. Oktober 1959 – VI ZR 166/58 – VersR 1959, 1045, 1046). Deswegen braucht der Verletzte von den einzelnen Schadensfolgen keine Kenntnis erlangt zu haben; volle Übersehbarkeit von dessen Umfang und Höhe ist nicht erforderlich. Vielmehr genügt die allgemeine Kenntnis vom Eintritt eines Schadens; wer diese erlangt hat, dem gelten auch solche Schadensfolgen als bekannt, die im Zeitpunkt der Kenntniserlangung nur als möglich voraussehbar waren (BGHZ 33, 112, 116; Senatsurteil vom 30. Januar 1973 – VI ZR 4/72 – VersR 1973, 371 mwN; st Rspr). Wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang richtig erkannt hat, ist eine Schadensentwicklung, wie sie hier eingetreten ist, vorhersehbar gewesen. Es ist keine ganz entfernte Möglichkeit, mit der nicht zu rechnen ist, daß Gegenstände, die dem berechtigten Eigentümer entzogen werden, um sie für sich zu verwerten, endgültig derart außerhalb der Einwirkungsmöglichkeit des Eigentümers verbracht werden, daß sie praktisch nicht mehr zurückerlangt werden können; ebensowenig ist es ungewöhnlich, daß ausrangiertes militärisches Material, das auf einem Schrottplatz lagert, aus irgend einem Grunde, und sei es auch durch einen Brand, verlorengeht. Auch die Klägerin hat nie vorgebracht, daß die Verjährungsfrist erst seit diesem Ereignis (März 1973) zu laufen begonnen habe, weil erst da überhaupt ihr „Schaden“ eingetreten sei. Insbesondere ist ihrem Vortrag nicht zu entnehmen, daß der Zweitbeklagte an der Zerstörung der Motoren durch den Brand mittels einer neuen, selbständigen Handlung beteiligt gewesen wäre.
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Die der Klägerin zurechenbare Kenntnis vom Eintritt des Schadens, die die Verjährungsfrist aus § 852 BGB in Lauf setzte, begann mithin zu dem Zeitpunkt, als sie von dem unberechtigten Abtransport der Motoren aus ihrem Gerätedepot erfuhr. Diese Kenntnis aber hatte die Klägerin, wie sie nicht bestreitet, bereits erheblich früher als am 14. März 1973.
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b) Das Berufungsgericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine weiteren Feststellungen darüber getroffen, wann die Klägerin Kenntnis von dem (Entziehungsschaden) Schaden und der Personen der Ersatzpflichtigen erlangt hat, dh diejenigen tatsächlichen Umstände gekannt hat, die es ihr gestattet hätten, mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg eine Schadensersatzklage gegen den Zweitbeklagten zu erheben. Da der Vortrag der Parteien zu diesem Punkte auseinandergeht und die erforderlichen Feststellungen nicht ohne eine dem Tatrichter obliegende Würdigung dieses Vortrages und des Inhalts der herbeigezogenen Strafakten möglich ist, muß das angefochtene Urteil, soweit es gegen den Zweitbeklagten ergangen ist, aufgehoben und zur erneuten Prüfung der Verjährungsfrage an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
III.
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Die Revision der Erstbeklagten erweist sich indessen schon jetzt als unbegründet.
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1. Die Erstbeklagte haftet der Klägerin auf Ersatz des Schadens, der durch den Verlust der 27 Panzermotoren M 47 entstanden ist, bereits deswegen, weil sie Nebenpflichten aus dem Kaufvertrag vom 30. Oktober 1968, in den sie Anfang 1969 eingetreten ist, verletzt hat. Auf diesen Klagegrund hatte sich die Klägerin schon in ihrer Klageschrift gestützt. Dabei mag es dahinstehen, ob sie bei ihrem Eintritt in den Vertrag auch schon bestehende Schadensersatzverpflichtungen der LEVY wegen der im Dezember 1968 geschehenen Entziehung des Besitzes an den Motoren durch den Abtransport von J. nach B. übernommen hatte. Jedenfalls hat sie alsbald eigenen vertraglichen Verpflichtungen zuwidergehandelt. Der Zweitbeklagte wußte, daß die in B. lagernden Motoren nicht Gegenstand des Kaufvertrages vom 30. Oktober 1968 und somit noch Eigentum der Klägerin geblieben waren. Diese Kenntnis ihres Geschäftsführers muß sich die Erstbeklagte zurechnen lassen. Aus ihrem Vertrag mit der VEBEG, die als Treuhänderin der Klägerin gehandelt hatte, ergaben sich für sie Treuepflichten und Fürsorgepflichten. Dazu gehörte die selbstverständliche Verpflichtung, im Rahmen des Kaufvertrages versehentlich (oder sogar unberechtigt) mitgelieferte Gegenstände, die der Klägerin gehörten, dieser alsbald zurückzugeben, sie jedenfalls einstweilen sorgfältig aufzubewahren. Statt dessen hat sie die der Klägerin gehörenden Motoren für sich verwertet, indem sie sie nach Kanada zu ihrer Muttergesellschaft verschiffen ließ. Damit hat sie vorsätzlich ihre vertraglichen Verpflichtungen verletzt und ist der Klägerin deshalb zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet (§§ 433, 276,280 BGB). Die VEBEG kann, da sie als offene Treuhänderin für die Klägerin verkauft hatte, diesen Schaden liquidieren (vgl BGHZ 40, 91, 100); diesen ihren Schadensersatzanspruch hat sie an die Klägerin abgetreten.
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Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Vernichtung der Motoren durch den Brand in Kanada noch als eine zurechenbare Folge der Entziehung des Besitzes der Klägerin an den Motoren durch die Verschiffung nach Kanada anzusehen ist. Wie schon ausgeführt, ist es keine ganz entfernte Möglichkeit, die nach allgemeiner Lebenserfahrung außer Betracht bleiben müßte, daß auf einem Lagerplatz mit militärischem Schrott abgestellte Gegenstände durch Brand oder andere Ereignisse verloren gehen. Es ist nämlich nicht gewährleistet, daß solche Gegenstände stets sorgfältig gewartet, gepflegt und bewacht werden; vielmehr hängt ihr weiteres Schicksal und die Frage, ob sie überhaupt noch einmal verwertet werden können, häufig vom Zufall ab.
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2. Ansprüche des Verkäufers aus positiver Vertragsverletzung, die er neben etwaigen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung geltend machen kann, verjähren nach allgemeinen Regeln erst in 30 Jahren (vgl BGHZ 47, 312, 319). Wenn sich die Erstbeklagte auf den Eintritt der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 BGB beruft, so geht dies deshalb ins Leere. Sie ist vielmehr im Ergebnis mit Recht zum Ersatz des der Höhe nach nicht streitigen Teilbetrages des geltend gemachten Schadens verurteilt worden.