Zur Frage der Ungeeignetheit eines Bewerbers für den juristischen Vorbereitungsdienst

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 3 M 187/21

Zur Frage der Ungeeignetheit eines Bewerbers für den juristischen Vorbereitungsdienst

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle – 5. Kammer – vom 8. September 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 15. September 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.870,50 € festgesetzt.

Gründe
1
I. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 8. September 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 15. September 2021 ist unbegründet. Die von dem Antragsgegner vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Abänderung des Beschlusses nicht.

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Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zu dem am 1. September 2021 bereits begonnenen juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Sachsen-Anhalt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens 5 A 351/21 HAL zuzulassen und im Übrigen den Antrag abgelehnt.

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Die Beschwerde wendet sich allein gegen die – den Anordnungsanspruch betreffende – Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller nicht als ungeeignet im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Juristenausbildung im Land Sachsen-Anhalt (Juristenausbildungsgesetz – im Folgenden: JAG LSA) anzusehen sei und hiermit über einen Anspruch auf Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst nach § 6 Abs. 1 Satz 1 JAG LSA verfüge. Hierzu trägt die Beschwerde vor, dass es dem Antragsteller – entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts – nicht gelungen sei, Tatsachen glaubhaft zu machen, die es als wahrscheinlicher ansehen ließen, dass er für die Tätigkeit als Rechtsreferendar geeignet sei. Das Verwaltungsgericht habe entscheidende Gesichtspunkte nicht berücksichtigt (1.1 und 1.2) und die gebotene Gesamtwürdigung der Umstände, die gegen die Eignung des Antragstellers sprächen, unterlassen (2). Dem folgt der Senat nicht.

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(1.1) Soweit die Beschwerde geltend macht, dass das Verwaltungsgericht entscheidende Aspekte der Vorstrafe des Antragstellers unberücksichtigt gelassen habe, auch wenn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr für sich allein betrachtet regelmäßig nicht ausreichend sein möge, um Eignungszweifel für die Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst zu begründen, rechtfertigt dies keine Abänderung des Beschlusses.

5
Ausgehend von der alleinigen Eintragung im Bundeszentralregister hinsichtlich der Verurteilung des Antragstellers – mit Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 30. Mai 2017 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei, welche bezüglich des Strafmaßes im Berufungsverfahren durch das Landgericht Dessau-Roßlau mit Urteil vom 16. März 2018 auf eine Freiheitsstrafe von elf Monaten mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren abgeändert worden ist – ist das Verwaltungsgericht zutreffend von einer Einzeltat ausgegangen. Das lediglich pauschale Vorbringen des Antragsgegners, dass sich aus der – dem Senat nicht vorliegenden – Strafakte ergebe, dass dem Antragsteller neben der verurteilten Tat auch weitere Taten zur Last gelegt worden seien, die lediglich aus Gründen der Prozessökonomie nicht zur Anklage gelangt seien, ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen, zumal der Antragsgegner diese zur Einstellung gelangten Straftaten schon nicht näher bezeichnet hat. Es bleibt unklar, welches strafbewehrte Verhalten bei der Eignungsfeststellung des Antragstellers hätte noch Berücksichtigung finden müssen.

6
Auch die Verurteilung des Antragstellers wegen der gewerbsmäßigen Begehungsweise der Tat rechtfertigt für sich betrachtet nicht ohne Weiteres den Schluss auf die fehlende Eignung des Antragstellers. Richtig ist, dass der Antragsteller nach den tatrichterlichen Feststellungen bei der Tatbegehung die Absicht hatte, sich durch die Begehung weiterer ähnlicher Taten eine Einnahmequelle von einigem Gewicht und einiger Dauer zu schaffen, so dass davon auszugehen ist, dass es allein durch die Überführung des Antragstellers zu keiner weiteren Tatbegehung gekommen ist. Gleichwohl kommt die Begehungsweise der Tat bereits im Strafrahmen (Steuerhehlerei [§ 374 Abs. 1 AO]: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, gewerbsmäßige Steuerhehlerei [§ 374 Abs. 2 1. Alt. AO]: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) und in der Folge in der Strafzumessung zum Ausdruck. Das Berufungsgericht hat trotz der gewerbsmäßigen Begehung eine elfmonatige Freiheitsstrafe – und damit eine die Eignung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 3 JAG LSA nicht generell ausschließende Strafe – für tat- und schuldangemessen erachtet. Zwar ist der Beschwerde zuzugeben, dass weitere Straftaten zulasten des Fiskus beabsichtigt waren. Zuvorderst maßgebend dürfte indes sein, ob zwischen der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und dem juristischen Vorbereitungsdienst eine solche besondere Beziehung besteht, die ungeachtet der konkreten Strafzumessung der Eignung eines Bewerbers um den juristischen Vorbereitungsdienst entgegensteht. Dies zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie beschränkt sich darauf, dass ein im Landesdienst befindlicher Rechtsreferendar u.a. die Staatsanwaltschaft im Sitzungsdienst bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu vertreten habe. Dies ist jedoch bei allen Rechtsreferendaren der Fall, die wegen einer Straftat mit einer Haftstrafe von unter einem Jahr verurteilt wurden. Dass allein die Art der Straftat – hier der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei – ungeachtet der konkreten Strafzumessung die Annahme der Ungeeignetheit rechtfertigt, legt weder die Beschwerde dar noch liegt dies für den Senat auf der Hand.

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Dessen ungeachtet hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22. Oktober 2017 – 1 BvR 1822/16 – juris, zur Unwürdigkeit für die Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf) die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 JAG LSA im Lichte der Berufsfreiheit einschränkend ausgelegt und eine einzelfallbezogene Abwägung unternommen. Hiermit setzt sich die Beschwerde weder auseinander noch zeigt sie auf, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Einzelnen (konkrete Strafzumessung, Tat liege knapp sieben Jahre zurück; Antragsteller im Strafverfahren geständig; Steuerschuld sei beglichen, keinerlei weitere strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen; Ablauf der zweijährigen Bewährungszeit ohne ersichtliche Verletzung der Bewährungsauflagen; keine anderweitige Verfehlung; Reue; Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende oder weiter bestehende kriminelle Energie des Antragstellers weder ersichtlich noch vom Antragsgegner geltend gemacht; kein Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung durch das Delikt und damit keine verfassungswidrigen Auffassungen erkennbar; Resozialisierungsgedanke; keine Interessen der Öffentlichkeit ersichtlich, welche zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts die Zulassung des Antragstellers zum juristischen Vorbereitungsdienst geböten) mit Blick auf die Art der Straftat nicht (mehr) tragfähig sind.

8
Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang vorträgt, dass es sich bei der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei um eine Straftat aus dem Bereich der organisierten Kriminalität handele, folgt dies allein aus der – bereits strafschärfend berücksichtigten – Gewerbsmäßigkeit der Begehung und rechtfertigt insoweit keine andere Bewertung. Dass sich die verhängte Strafe von elf Monaten sehr nah an der Grenze von einem Jahr befinde, bei der die Eignung allein aufgrund der Vorstrafe versagt werden könne, führt ebenfalls nicht weiter, wenn weitere Umstände, die die Eignung des Antragstellers in Frage stellen, nicht hinzutreten.

9
(1.2) Mit der Beschwerde wird auch nicht die Bewertung des Verwaltungsgerichts in Zweifel gezogen, wonach keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Antragsteller aufgrund der Nichtangabe der Vorstrafe in der seiner Bewerbung beigefügten Erklärung bewusst wahrheitswidrig gehandelt habe. Der Antragsgegner trägt hierzu im Wesentlichen vor, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass das Verwaltungsgericht der Einlassung des Antragstellers gefolgt sei, er sei rechtsirrig davon ausgegangen, die Vorstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit nicht mehr angeben zu müssen. Dass diese Erklärung vom Verwaltungsgericht als glaubhaft, d.h. überwiegend wahrscheinlich habe angesehen werden können, erschließe sich nicht und sei mit den Fakten nicht in Einklang zu bringen. Die im Bewerbungsformular gestellte Frage, ob ein Strafverfahren, welches nicht der Regelung des § 51 Abs. 1 BZRG unterfalle, anhängig gewesen sei, sei unmissverständlich. Bei verständiger Würdigung sei davon auszugehen, dass der Antragsteller seine Vorstrafe gezielt verschwiegen habe und seine Einlassung eine bloße Schutzbehauptung sei, weil ein Bewerber, der das 1. juristische Staatsexamen abgelegt habe, unschwer erkenne, dass die Begriffe „Tilgung“ und „Straferlass“, nicht gleichbedeutend seien, was schon die Regelung in unterschiedlichen Gesetzen verdeutliche. Hinzu komme, dass der Antragsteller keine Nachfrage beim Antragsgegner gestellt habe, was jedoch zu erwarten gewesen wäre, wenn ihm die Beantwortung der Fragestellung tatsächlich Schwierigkeiten bereitet hätte.

10
Dem folgt der Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar ausgeführt, dass für die Annahme eines bewusst wahrheitswidrigen Handelns nicht ausreichend sei, dass sich die Länge der Tilgungsfristen aus dem Bundeszentralregister ergebe und eine diesbezügliche Prüfung dem Antragsteller mit bereits erfolgreich abgelegten 1. juristischen Staatsexamen möglich sein müsste. Eine derartige fehlerhafte Angabe ließe sich – so das Verwaltungsgericht – auch mit dem hier vom Antragsteller geltend gemachten Irrtum oder dem schlichten Unterlassen der Prüfung des Vorliegens eines Verwertungsverbots begründen. Sodann hat das Gericht zutreffend darauf abgehoben, dass die rechtsirrige Annahme vor dem Bildungshintergrund des Antragstellers zwar fernliegend sei und deutliche juristische Kenntnislücken offenbare, aber trotz dessen möglich erscheine und sich nicht ohne weiteres entkräften ließe, da weder in der Verwaltungsakte noch im gerichtlichen Eilverfahren Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Antragsteller vor Einholung des Führungszeugnisses von einer bestehenden Eintragung positive Kenntnis gehabt habe. Zu Letzterem verhält sich die Beschwerde nicht, so dass jedweder Anhalt für einen nur vorgeschobenen Rechtsirrtum weiterhin fehlt. Zwar dürfte dem Antragsteller vorzuhalten sein, dass er seinen Rechtsirrtum durch eine – ohne weiteres mögliche – Nachfrage beim Antragsgegner hätte beseitigen können. Hiermit ist jedoch keine bewusste Täuschung/kein bewusstes Verschweigen von Tatsachen verknüpft. Vielmehr handelte der Antragsteller insoweit allenfalls fahrlässig. Gegen das dem Antragsteller durch den Antragsgegner vorgeworfene gezieltes Verschweigen der Vorstrafe dürfte zudem sprechen, dass dem Antragsteller davon ausgegangen sein dürfte, dass erst bei einer einjährigen Haftstrafe (zur Bewährung) sein berufliches Fortkommen gehemmt sei (vgl. Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 16. März 2018, S. 4 [3. Absatz] des Urteilsabdrucks).

11
Soweit die Beschwerde einwendet, der Täuschungsvorsatz werde entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht dadurch widerlegt, dass der Antragsteller bereits das Führungszeugnis beantragt habe, fehlt es an der hinreichenden Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Begründung. Zutreffend führt der Antragsgegner zwar aus, dass die Vorlage des Führungszeugnisses zwingende Voraussetzung für die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst ist. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es hielt jedoch ein bewusstes Verschweigen aller Voraussicht nach für nicht geeignet, durch diese Falschangabe die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst (überhaupt) zu erlangen (vgl. Beschlussabdruck, S. 14). Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.

12
Der Antragsgegner setzt sich auch nicht mit den weiteren Begründungselementen des Verwaltungsgerichts zum Fehlen einer bewusst wahrheitswidrigen Erklärung des Antragstellers (Zurückliegen der Tat, Dauer des Strafverfahrens, konkrete Fragestellung und die damit verbundene Notwendigkeit der – fehlerfreien – Rechtsprüfung durch den Bewerber) auseinander (vgl. Beschlussabdruck S. 4 [letzter Absatz]).

13
(2) Das von der Beschwerde gerügte Fehlen einer nachvollziehbaren Gesamtschau aller relevanten Umstände rechtfertigt die Abänderung des Beschlusses ebenfalls nicht. Entgegen der Einschätzung des Antragsgegners hat das Verwaltungsgericht eine solche Gesamtschau unternommen und auch bei gemeinsamer Betrachtung der einmaligen Straftat und der unterlassenen Angabe in der Erklärung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt den Schluss gezogen, dass sich kein derart charakterlicher Mangel beim dem Antragsteller feststellen lasse, welcher den mit der Versagung des juristischen Vorbereitungsdienstes verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsausbildungs- und Berufsfreiheit des Antragstellers rechtfertigen würde (im Einzelnen: vgl. Beschlussabdruck S. 10 [2. und 3. Absatz]). Der Antragsgegner beschränkt sich darauf, sein Vorbringen zur abgeurteilten Straftat und der aus seiner Sicht vorliegenden versuchten Täuschung des künftigen Dienstherrn zu wiederholen. Damit lassen sich durchgreifende charakterliche Mängel beim Antragsteller jedoch nicht begründen (siehe Ausführungen unter [1.1 und 1.2]), so dass diese Umstände auch in ihrer Zusammenschau kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen vermögen.

14
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

15
III. Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG i. V. m. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung.

16
IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

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