Zur Frage der Ortsüblichkeit von Volksfestlärm

BGH, Urteil vom 23.03.1990 – V ZR 58/89

1. Wesentliche Geräuschimmissionen im Sinne von BGB § 906 Abs 1 sind identisch mit den erheblichen Geräuschbelästigungen und damit schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von BImSchG § 3 Abs 1, § 22 Abs 1.

2. Die „Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche“ (sog LAI-Hinweise vgl NVwZ 1988, 135) können den Gerichten als Entscheidungshilfe bei der Beurteilung von Volksfestlärm dienen.

3. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit von Volksfestlärm können gesetzliche Wertungen (hier: LärmschutzVO in Rheinland-Pfalz = juris: LärmV RP) nicht unberücksichtigt bleiben.

4. Hat der Tatrichter auf der Grundlage eines bestimmten Sachverhalts (Zahl der Feste, Öffnungszeit, entwickelte Lautstärke) eine wesentliche Lärmbeeinträchtigung festgestellt, dann ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, durch Beschränkung in der Zahl der Feste mit bestimmten Öffnungszeiten oder sonstigen Auflagen das zulässige Maß der Lärmimmission festzulegen.

5. Zur Frage der Ortsüblichkeit von Volksfestlärm.

6. Der Nachbar von Volksfesten hat grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses keine über BGB § 906 Abs 1 hinausgehenden Duldungspflichten.

(Leitsatz des Gerichts)

Tatbestand

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Der Kläger ist Eigentümer eines Hausgrundstücks in W. (Parzelle 373/2), das er mit seiner Familie bewohnt. Ein Teil des Hauses ist vermietet. Im Norden grenzt sein Grundstück an ein größeres Gelände (Parzelle 379/2), das im Eigentum der Katholischen Kirchengemeinde steht. Von diesem Gelände, auf dem sich auch die Kirche befindet, hat die Beklagte einen Teil gepachtet und zu einem Parkplatz ausgebaut. Das Pachtland wird mehrmals im Jahr als Kirmes- und Festplatz benutzt, wobei das Festzelt 10 bis 20 m vor dem Wohnhaus des Klägers steht.

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Eine vom Kläger veranlaßte Messung der von dem Festzelt ausgehenden Geräusche während der Kirmes am 7. Juni 1987 zwischen 21.10 Uhr und 23.20 Uhr durch das Institut für Energietechnik und Umweltschutz des Technischen Überwachungsvereins Rheinland ergab vor dem Schlafzimmerfenster an der dem Festzelt zugewandten Seite des Hauses einen Mittelungspegel von 76,7 dB(A) und einen Spitzenpegel von 82,7 dB(A).

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Der Kläger hat beantragt, die Beklagte bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, auf der Parzelle 379/2 Veranstaltungen durchzuführen oder Dritten die Durchführung von Veranstaltungen dort zu gestatten, die – gemessen 0,50 m vor dem geöffneten Fenster zur Parzelle 379/2 hin – im Zeitraum zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr einen Beurteilungspegel von 55 dB(A) und/oder einen Maximal-Spitzenpegel von 65 dB(A) überschreiten.

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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte lediglich insoweit Erfolg, als das Unterlassungsgebot nur für Veranstaltungen auf dem Parkplatz und für den Zeitraum von 22 Uhr bis 2 Uhr ausgesprochen wurde. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter; der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet. Rechtsfehlerfrei bejaht das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des Klägers im ausgesprochenen Umfang (§§ 1004, 906 BGB).

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1. Das Berufungsgericht meint, die vom Festzelt ausgehenden Geräusche beeinträchtigten den Kläger in der Benutzung seines Grundstücks nicht nur unwesentlich.

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a) Zutreffend stellt es in diesem Zusammenhang auf das Empfinden eines durchschnittlichen Menschen ab, wobei Natur und Zweckbestimmung des von der Beeinträchtigung betroffenen Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit eine entscheidende Rolle spielen (sog. differenziert-objektiver Maßstab vgl. z. B. Senatsurteile v. 30. Oktober 1981, V ZR 191/80, NJW 1982, 440, 441 und v. 11. November 1983, V ZR 231/82, NJW 1984, 1242f je m.w.N.). Wesentliche Geräuschimmissionen im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB sind identisch mit den erheblichen Geräuschbelästigungen und damit schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG. Es besteht kein Anlaß, die grundlegenden Maßstäbe, mit denen das private und das öffentliche Immissionsschutzrecht die Grenze für eine Duldungspflicht bestimmen, nämlich einerseits Wesentlichkeit und andererseits Erheblichkeit, unterschiedlich auszulegen (BVerwG NJW 1988, 2396, 2397 und NJW 1989, 1291; Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 906 Rdn. 15).

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Ob Geräuschimmissionen die Benutzung eines Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, ist zunächst eine Tatfrage (Senatsurt. v. 6. Juni 1969, V ZR 53/66, WM 1969, 1042, 1044; BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 906 Rdn. 36). Revisionsrechtlich nachprüfbar ist, ob das Berufungsgericht die nötigen Tatsachenfeststellungen verfahrensfehlerfrei getroffen und bei ihrer Würdigung die zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat. Dieser Nachprüfung hält das Berufungsurteil stand.

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b) Das Berufungsgericht orientiert sich zunächst an den Richtwerten der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 16. Juli 1968 und kommt so zu Grenzwerten von tagsüber 55 dB(A) und nachts 40 dB(A), weil es feststellt, es handle sich im vorliegenden Fall um ein Gebiet, in dem vorwiegend Wohnungen „untergebracht“ sind (TA-Lärm Nr. 2321 lit d). Das Berufungsgericht hat diese Richtwerte nicht schematisch angewendet, sondern trägt dem Charakter dieser Richtlinie als Rahmen Rechnung. Es hält sich damit an die Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. BGHZ 46, 35, 38; Senatsurteile v. 17. November 1967, V ZR 143/66, WM 1968, 123, 124; v. 6. Juni 1969, V ZR 53/66, WM 1969, 1042, 1044; v. 20. November 1970, V ZR 51/68, WM 1971, 134, 135).

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Freilich betreffen diese Richtwerte unmittelbar nur die Geräuschimmissionen von gewerblichen und industriellen Anlagen und sind nicht ohne weiteres aussagekräftig zur Beurteilung der von Freizeitanlagen verursachten Geräusche. Ohne Rechtsverstoß hält sich das Berufungsgericht aber insoweit an die Ausführungen des vorgelegten Lärmgutachtens, das die Geräusche nach den „Hinweisen zur Ermittlung und Beurteilung des durch Freizeitaktivitäten verursachten Lärms“ (herausgegeben vom Minister für Soziales, Gesundheit und Umwelt Rheinland-Pfalz) vom 24. Januar 1983 beurteilt. Dort wird unterschieden zwischen Freizeitanlagen mit regelmäßigem Betrieb (Einwirkungen mehr als 5% der Tage und Nächte eines Jahres) und einem nicht regelmäßigem Betrieb (unter 5% der Tage und Nächte eines Jahres). Bei letzteren – und damit seltenen Ereignissen – wird den Bewohnern betroffener Grundstücke eine deutlich höhere Belastung zugemutet. Um den der Emissionsquelle am nächsten gelegenen Wohnungen aber die Wohnfunktion (Einschlafen zur Nachtzeit, Kommunikation) bei geschlossenen (!) Fenstern zu gewährleisten, werden als maximal zulässige Beurteilungspegel vor dem Fenster (im Freien) während der Nachtzeit 55 dB(A) angesehen, wobei auftretende Maximalpegel nachts um nicht mehr als 10 dB(A) höher liegen sollen. Von insoweit völlig gleichen Grundsätzen und Grenzwerten gehen die „Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche“ aus, die vom Länderausschuß für Immissionsschutz unter Berücksichtigung der Beratungsergebnisse der Vorsitzenden der Sportministerkonferenz und der Umweltministerkonferenz erstellt worden sind (sog. LAI-Hinweise NVwZ 1988, 135 = Ule/Laubinger BImSchG, Rechtsvorschriften der Länder SchlH 13; vgl. auch BVerwG NJW 1989, 1292). Sie wurden in Rheinland-Pfalz durch Rundschreiben des Ministers für Umwelt und Gesundheit vom 26. April 1988 bekannt gemacht mit der Empfehlung, sie bei Ermittlung und Beurteilung der von Freizeitanlagen ausgehenden Geräusche heranzuziehen (vgl. Ule/Laubinger aaO RhPf 26). Diese von Sachverständigen ausgearbeiteten und von allen Ländern mitgetragenen Hinweise können auch den Gerichten als Entscheidungshilfe dienen. Sie stellen – ähnlich wie die TA-Lärm – ein sogenanntes antizipiertes Sachverständigengutachten dar (vgl. auch BVerwG GewArch 78, 232; Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 1). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, eine Überschreitung der einschlägigen Richtwerte grundsätzlich als wesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB anzusehen, zumal hier die gemessenen Mittelungspegel um über 20 dB(A) und der Spitzenpegel um nahezu 20 dB(A) über dem jeweiligen Grenzwert liegen. Es geht im vorliegenden Fall allein um die Lärmbeeinträchtigung ab 22.00 Uhr und damit um die Nachtzeit, für die ein besonderes Ruhebedürfnis besteht. Demgemäß dürfen – worauf das Berufungsgericht ebenfalls abhebt – nach § 5 Abs. 1 der Landesverordnung zur Bekämpfung des Lärms in Rheinland-Pfalz (LärmSchutzVO) Tonwiedergabegeräte und Musikinstrumente von 20.00 Uhr bis 7.00 Uhr nur benutzt werden, wenn sichergestellt ist, daß unbeteiligte Personen nicht gestört werden. Die Beklagte hat weder behauptet noch unter Beweis gestellt, daß insoweit Ausnahmegenehmigungen (§ 5 Abs. 5 LärmSchutzVO) erteilt wurden. Die Beurteilung der Erheblichkeit oder Wesentlichkeit von Lärm setzt eine „Güterabwägung“ im Rahmen der konkreten Gegebenheiten voraus. Dabei können gesetzliche Wertungen (hier: LärmSchutzVO) nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BVerwG NJW 1988, 2396, 2397).

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Ergänzend sei in diesem Zusammenhang auch noch auf folgendes hingewiesen: Würden die Volksfeste (vgl. § 60b Abs. 1 GewO) auf Antrag des Veranstalters nach Gegenstand, Zeit, Öffnungszeit und Platz für jeden Fall der Durchführung öffentlich-rechtlich festgesetzt (§ 60b Abs. 2 i.V.m. § 69 Abs. 1 GewO), so wäre die Festsetzung abzulehnen, wenn die Durchführung der Veranstaltung dem öffentlichen Interesse widerspricht, insbesondere erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu befürchten sind (§ 69a Abs. 1 Nr. 3 GewO). Der Veranstalter müßte insbesondere eine Prüfung nach landesrechtlichem Sperrzeitrecht (vgl. GaststättensperrzeitVO von Rheinland-Pfalz) und Immissionsschutzrecht (vgl. etwa LärmSchutzVO RhPf) hinnehmen und eine Ablehnung des Antrags gewärtigen, falls die Öffnungszeiten mit den entsprechenden Bestimmungen nicht vereinbar sind (BVerwG NVwZ 1987, 494; vgl. auch Friauf/Wagner, GewO § 69 a Rdn. 12-19). Es ist nicht vorstellbar, daß bei der Lage des Festzelts Öffnungszeiten mit Tanzmusik der hier gemessenen dB(A)-Werte bis 2.00 Uhr nachts festgesetzt werden könnten, wie dies die Beklagte auf privatrechtlicher Ebene für sich in Anspruch nehmen will. Der Kläger könnte sich auch gegen eine Festsetzung wehren, die § 69a Abs. 1 Nr. 3 GewO widerspricht (vgl. BVerwG aaO S. 495). Im Interesse einer Vereinheitlichung zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Beurteilungsmaßstäbe (vgl. Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 906 Rdn. 15) erscheint es geboten, die Beklagte in bezug auf die Zulässigkeit von Lärmemissionen privatrechtlich nicht günstiger zu stellen als sie öffentlich-rechtlich stehen würde.

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c) Das Berufungsgericht hat sich nicht mit Überlegungen zur Überschreitung der oben angeführten Richtwerte begnügt, sondern ausgeführt, daß erfahrungsgemäß bei Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen Musik fast ausschließlich mit Hilfe elektrischer Lautverstärker dargeboten werde, die auch ein durchschnittlich empfindlicher Mensch als sehr laut empfinde. Es hebt auch darauf ab, daß musikalische Darbietungen bedingt durch ihre Frequenz von besonderer Eindringlichkeit seien und die Unregelmäßigkeit der Musikgeräusche besondere Aufmerksamkeit errege, wobei insbesondere das in keiner Tanzkapelle fehlende Schlagzeug wegen seines Impulscharakters sich als störend erweise. Das Berufungsgericht durfte die eigenen Erfahrungen mit den üblicherweise von einem Festzelt ausgehenden Musikgeräuschen seiner Beurteilung zugrunde legen (vgl. Senatsurt. v. 16. Oktober 1970, V ZR 10/68, WM 1970, 1460, 1461). Es hätte zusätzlich darauf abstellen können, daß auch die genannten LAI-Hinweise den besonderen Informationsgehalt von Lautsprechern und Musikdarstellungen hervorheben und deshalb einen Zuschlag von 3 oder sogar 6 dB(A) auf den Mittelungspegel empfehlen (Ziff. 3.2).

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Zu Unrecht macht die Revision geltend, der Kläger habe die Art der beanstandeten Musikdarbietungen und die dabei verwendeten technischen Hilfsmittel nicht näher konkretisiert. Das war nicht seine Aufgabe, vielmehr war die Beklagte als Störerin dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß die vom Festzelt ausgehenden Geräusche die Benutzung des Nachbargrundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen (vgl. Senatsurt. aaO S. 1461), insbesondere nachdem die Messungen eine erhebliche Überschreitung der oben dargestellten Richtwerte ergeben hatten. Die Beklagte hat jedoch in tatsächlicher Hinsicht nichts vorgetragen.

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d) Bei dieser Sachlage versucht die Revision vergeblich, entgegen den Ausführungen im Berufungsurteil die Wesentlichkeit der Geräusche allein damit in Frage zu stellen, daß die Veranstaltungen nur an wenigen Wochenenden übers Jahr verteilt und jeweils nur einige Stunden dauern. Dabei ist schon verkannt, daß die Beklagte dem Kläger im Jahre 1987 beispielsweise vier jeweils über das ganze Wochenende, einmal sogar drei Tage dauernde, Veranstaltungen angekündigt hat, die nur in den Monaten Juni, Juli und August stattfinden. Der Besonderheit von seltenen Störereignissen tragen die LAI-Hinweise (Ziff. 4.2) im übrigen damit Rechnung, daß sie den Betroffenen eine über die Immissionsregelwerte der TA-Lärm hinausgehende Belastung zumuten. Diese Hinweise konnten in den von der Revision angezogenen Urteilen des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 16. April 1984 (VBl BW 1985, 60ff) und vom 28. Mai 1985 (NVwZ 1986, 62ff) noch nicht berücksichtigt werden. Im übrigen übersieht die Revision, daß die Sachverhalte in diesen Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sind. Im Urteil vom 16. April 1984 ging es um Veranstaltungen, die regelmäßig nur bis 22.00 Uhr (einmal bis 23.00 Uhr) dauerten; im vorliegenden Fall handelt es sich aber gerade um die Zeit nach 22.00 Uhr, für die auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim ausführt, das Interesse der Bevölkerung an ungestörter Nachtruhe habe Vorrang gegenüber Volksfesten, zumal wenn die Bewohner der Umgebung bereits tagsüber einem hohen Lärmpegel ausgesetzt seien. Das Urteil vom 28. Mai 1985 betraf die Abwehr von Geräuschen, die von einem Waldfestplatz ausgingen. Auf diese Lage im Außenbereich stellt das Urteil maßgeblich ab.

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e) Das Berufungsgericht stellt für seine Überlegungen fest, daß die Grundstücke im vorliegenden Fall in einem Gebiet liegen, in dem sich vorwiegend Wohnungen befinden (vgl. TA-Lärm Nr. 2321 lit d). Diese Feststellung greift die Revision nicht an. Sie macht nur geltend, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Beklagten über eine Lärmvorbelastung des Gebiets nicht berücksichtigt. Zutreffend führt das Berufungsgericht jedoch aus, dieser sei unschlüssig. Die Beklagte hebt auf den Verkehrslärm von der Straße L 208 und zwei Bushaltestellen in unmittelbarer Nachbarschaft ab. Dazu fehlt aber eine nähere Konkretisierung, daß dieser Lärm für die Zeit nach 22.00 Uhr überhaupt noch eine nennenswerte Rolle spielt und damit die Lästigkeit der Geräusche aus dem Festzelt beeinflußt (vgl. BGHZ 46, 35, 41). Die Revision übersieht im übrigen, daß das vorgelegte Lärmgutachten ausdrücklich auf die straßenabgewandte Lage der beiden Meßpunkte und den geringen Abstand zum Festzelt abstellt und gerade deshalb hervorhebt, die vom Zelt ausgehenden Geräusche seien „pegelbestimmend“ gewesen.

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f) Zu Unrecht wendet sich die Revision auch gegen die Verwertung der Ergebnisse über die Messungen am 7. Juni 1987. Die Beklagte behauptet nicht, die entsprechenden Messungen seien unzutreffend, sondern verweist allein darauf, daß nach dem Gutachten am Abend des Meßtages eine Diskoveranstaltung stattgefunden habe und während der Meßzeit kontinuierlich Musik über eine Lautsprecheranlage abgespielt worden sei. Soweit die Revision nunmehr eine „Diskoveranstaltung“ für besonders laut und nicht für repräsentativ hält, bleibt sie jeden Hinweis auf entsprechenden Vortrag in den Tatsacheninstanzen schuldig. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, darzulegen und zu beweisen, daß die Musikbeeinträchtigungen unwesentlich sind und die Veranstaltung am 7. Juni 1987 wegen ihrer Lautstärke Ausnahmecharakter gehabt habe.

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g) Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger sei nicht verpflichtet, während der Festveranstaltungen die Fenster seines Wohnhauses geschlossen zu halten oder gar noch die Rolläden herabzulassen. Der Senat hat bereits früher ausgeführt, daß der durch eine Geräuschimmission beeinträchtigte Grundstückseigentümer sein Eigentum so nutzen darf, wie es ihm richtig erscheint, und nicht seinerseits Schutzmaßnahmen ergreifen muß, um eine rechtswidrige Lärmbelästigung abzuwehren oder herabzumindern (vgl. Senatsurteile v. 6. Juni 1969, V ZR 53/66, WM 1969, 1042, 1045 und v. 11. November 1983, V ZR 231/82, NJW 1984, 1242). Die Revision übersieht insbesondere, daß die oben erwähnten LAI-Hinweise mit einer Grenze von 55 dB(A) für den Beurteilungspegel und einer solchen von 65 dB(A) für den Maximalpegel ohnehin von geschlossenen Fenstern ausgehen. Dafür, daß hier unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses wegen eines besonderen Ausnahmefalls etwas anderes gelten könnte, sind weder Tatsachen vorgetragen noch festgestellt.

18
h) Hat der Tatrichter auf der Grundlage eines bestimmten Sachverhalts (Zahl der Feste, Öffnungszeit, entwickelte Lautstärke) eine wesentliche Lärmbeeinträchtigung festgestellt, so ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, durch Beschränkung in der Zahl der Feste mit bestimmten Öffnungszeiten oder sonstige Auflagen das zulässige Maß der Lärmimmissionen festzulegen. Grundsätzlich hat der Störer zu entscheiden, ob und wie er seine Emissionen auf das nach § 906 BGB zulässige Maß begrenzt (Erman/Hagen aaO Rdn. 28). Die Beklagte hat dazu auch in der Berufungsinstanz keine genauen Vorschläge unterbreitet, insbesondere nicht vorgetragen, auf welche Feste mit welchen Öffnungszeiten oder sonstigen Auflagen (Verzicht auf Verstärker u.a.m.) sie sich beschränken wolle, damit das Grundstück des Klägers nur unwesentlich beeinträchtigt werde. Schon deshalb hatte auch das Berufungsgericht keine Veranlassung, sich mit derartigen Varianten zu befassen und etwa die Beklagte nur in beschränktem Umfang zu verurteilen.

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2. Das Berufungsgericht hält die Festplatznutzung im vorliegenden Fall auch nicht für ortsüblich. Es geht dabei zutreffend von der Frage aus, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der Umgebung mit einer nach Art und Maß einigermaßen gleichbleibenden Einwirkung benutzt wird (BGHZ 30, 273, 277, 279; Senatsurt. v. 17. Dezember 1982, V ZR 55/82, NJW 1983, 751) und stellt fest, dies treffe für den fraglichen Platz auf der Parzelle 379/2 nicht zu. Diese weitgehend auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung (BGHZ 30, 273, 277; Senatsurt. v. 17. Dezember 1982 aaO S. 752) hält den Revisionsangriffen jedenfalls im Ergebnis stand. Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß es in W. keinen anderen gleich oder ähnlich benutzten Platz gibt. Die Grenze des Vergleichsgebiets kann je nach Lage des Falles im Einzelfall enger oder weiter gezogen werden und braucht sich auch nicht unbedingt mit der Gemeindegrenze zu decken (vgl. Senatsurt. v. 28. April 1967, V ZR 216/64, WM 1967, 727, 728). Offen bleiben kann, ob man der Revision darin folgen könnte, daß es auf das Vorhandensein vergleichbar genutzter Grundstücke nicht nur innerhalb der Gemeinde W., sondern darüber hinaus in einem großen Bereich von Ortsgemeinden an Rhein und Mosel ankäme. Auch dann ergäben sich hier noch keine Bedenken gegen die Verneinung der Ortsüblichkeit durch den Tatrichter. Die Revision verkennt, daß es nicht darum geht, ob Kirchweih und Winzerfeste in anderen Ortsgemeinden allgemein üblich sind, sondern darum, ob sie nach 22.00 Uhr nach Art und Maß eine Lärmbelästigung der hier festgestellten Art in unmittelbarer Nähe einer Wohnbebauung entwickeln. Dazu hat die insoweit ebenfalls darlegungs- und beweispflichtige Beklagte (vgl. Senatsurt. v. 30. November 1970, V ZR 51/68, LM BGB § 906 Nr. 38) nichts vorgetragen. Das Berufungsgericht hätte auch noch darauf abstellen können, daß das Festzelt hier einen besonders geringen Abstand zum Wohngebäude des Klägers hat und darüber hinaus die Beklagte weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt hat, für die Veranstaltungen seien in zeitlicher oder sonstiger Hinsicht Auflagen gemacht worden (z.B. keine Verwendung von Lautsprechern und Verstärkern), die eine Minderung der Lärmbelästigung nach 22.00 Uhr gewährleisten könnten (vgl. BGHZ 38, 61, 62; Senatsurt. v. 17. Dezember 1982, V ZR 55/82, NJW 1983, 751, 752).

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Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, daß unter Umständen einzelne überragend große Anlagen oder Betriebe unter dem Gesichtspunkt der mit ihnen verbundenen Emissionen den Charakter der Umgebung in der Weise prägen können, daß von ihnen ausgehende Beeinträchtigungen sich als ortsüblich darstellen (vgl. BGHZ 59, 378, 381; 69, 105, 111). Für einen solchen Fall fehlt es hier an jeden tatsächlichen Anhaltspunkten. Der Gebietscharakter wird hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von der Kirche und der umliegenden, überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Bebauung geprägt. Daran kann die gelegentliche Nutzung des Parkplatzes als Festplatz nichts ändern. Im übrigen bleibt auch im vorliegenden Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß es hier allein um die besonders schädliche Störung der Nachtruhe durch eine massive Lärmbeeinträchtigung geht. Unter diesen Umständen stellt es keinen Rechtsverstoß dar, wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, diese Art der Einwirkung sei nicht gewöhnlich (vgl. BGHZ 15, 146, 149; 30, 273, 277ff).

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Selbst wenn man von einer Ortsüblichkeit der festgestellten Lärmimmission ausginge, wäre die Klage begründet, weil sich nicht feststellen läßt, der Beklagten sei eine wirtschaftlich zumutbare Abhilfe unmöglich. Der Kläger hat mit einer detaillierten Planskizze vorgeschlagen, das Festzelt auf einen in der Nähe liegenden Mehrzweckplatz aufzustellen, wodurch ein durchschnittlicher Abstand von 50 bis 60 m zu jeder Art Wohnbebauung gewährleistet werde. Die auch insoweit darlegungspflichtige und beweisbelastete Beklagte (Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 906 Rdn. 27; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 906 Rdn. 60) hat nicht schlüssig dargelegt, daß die Verlegung des Festzelts mit wirtschaftlich unzumutbaren Aufwendungen verbunden wäre. Ihr pauschaler Vortrag in der Berufungsbegründung ist dazu nicht ausreichend; auf den spezifizierten Vortrag des Klägers in der Berufungserwiderung hat sich die Beklagte nicht mehr geäußert.

22
3. Erfolglos wendet sich die Revision schließlich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger müsse auch nicht unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses die Geräuschimmissionen dulden. Grundsätzlich stellt § 906 BGB in seinem Anwendungsbereich eine abschließende Regelung dar, die mit ohnehin ausfüllungsbedürftigen Begriffen einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen anstrebt. Daneben ist es grundsätzlich weder möglich noch geboten, den Nachbarn über den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben besondere Duldungspflichten abzuverlangen (BGHZ 38, 61, 65). Im übrigen versucht die Revision vergeblich, das Berufungsurteil als Schlag gegen die Dorfgemeinschaft darzustellen, indem sie hervorhebt, es verhindere künftig die Abhaltung von Dorffesten. Dies ist eine falsche Sicht. Es soll nur erreicht werden, die Lärmbelästigung ab 22.00 Uhr auf ein zumutbares Maß zurückzuführen. Ebensowenig wie die Sportausübung sind die für eine Dorfgemeinschaft sicher wünschenswerten Feste von der Rücksichtnahme auf das Ruhebedürfnis anderer Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen, freigestellt (vgl. BVerwG NJW 1989, 1291, 1292).

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