Zur Frage der Haftung des Versicherers wegen Regulierung eines Unfallschadens nach gerichtlichem Vergleichsvorschlag und dadurch verursachter Rückstufung des Schadensfreiheitsrabatts

AG Völklingen, Urteil vom 24.06.2009 – 5C C 15/09

Zur Frage der Haftung des Versicherers wegen Regulierung eines Unfallschadens nach gerichtlichem Vergleichsvorschlag und dadurch verursachter Rückstufung des Schadensfreiheitsrabatts

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Pkw …. Das Fahrzeug ist bei der Beklagten haftpflichtversichert. Mit dem Fahrzeug ereignete sich am 18.10.2007 ein Unfall auf dem Parkplatz des Verbrauchermarktes W in Völklingen. Das klägerische Fahrzeug ist dabei in eine freie Parkbucht neben dem Pkw der Beklagten eingebogen. Es kam zu einer Kollision mit der Fahrertür des Fahrzeugs der Beklagtenseite. Wegen des Unfalls liefen gegenseitige Zivilprozesse, nämlich zum einen die Klage der Klägerin gegen den Unfallgegner (Az.: 5 C C 193/08) und zum anderen die Klage des Unfallgegners gegen die Klägerin und die hinter ihr stehende Versicherung, die Beklagte des vorliegenden Verfahrens (Az.: 5 C C 303/08). Im Verfahren 5 C C 193/08 wurden die der Klägerin durch den Unfall entstandenen Schäden durch die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners vollständig ausgeglichen. Das Verfahren 5 C C 303/08 wurde nach einem entsprechenden gerichtlichen Vergleichsvorschlag durch den Abschluss eines Vergleichs (50:50) beendet.

2
Die Klägerin behauptet, dass es in dem Verfahren 5 C C 303/08 für die Beklagte keinen Grund zum Nachgeben gegeben habe. Deswegen habe die gegnerische Versicherung auch den Schaden der Klägerin vollständig bezahlt. Hinzu komme, dass die Beklagte der Klägerin überhaupt keine Gelegenheit gegeben habe, den Sachverhalt vor dem Abschluss des Vergleiches mit ihr zu erörtern. Durch die Rückstufung sei der Klägerin ein Schaden in Höhe der Klageforderung entstanden, der mit dem gestellten Leistungsantrag einklagbar sei.

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Die Klägerin beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, die Rückstufung des Schadenfreiheitsrabattes ihrer Haftpflichtversicherung gemäß Versicherungsscheinnummer … wegen des Unfalls der Klägerin vom 18.10.2007 in Völklingen auf dem Parkplatz des Verbrauchermarktes …, zu unterlassen;

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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 186,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2009 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie behauptet, dass der Beklagten eine fehlerhafte Regulierung des Unfalls nicht vorzuwerfen sei. Der Hergang des Unfalls sei nicht mehr aufklärbar gewesen. Jedenfalls habe ein Prozessrisiko bestanden. Deswegen habe sich die Beklagte in dem Verfahren entschlossen, den schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts anzunehmen.

9
Die Akte 5 C C 303/08 lag in der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2009 vor und war Gegenstand der Verhandlung zu Beweiszwecken.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet.

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Die Beklagte ist wegen der von ihr durchgeführten Regulierung, Abschluss eines Vergleiches im Verfahren 5 C C 303/08, gegenüber der Klägerin nicht zum Schadensersatz verpflichtet.

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Richtig ist, dass dem Versicherungsnehmer ein Schadenersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung zustehen kann, wenn er durch die Regulierung des Versicherers einen Schaden, z. B. durch die Rückstufung des Schadenfreiheitsrabattes, erleidet.

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Ein solcher Anspruch des Versicherungsnehmers besteht aber nur dann, wenn der Versicherer bei der Regulierung die gegenüber dem Versicherungsnehmer zu beachtenden Vertragspflichten verletzt.

15
Die Pflicht des Haftpflichtversicherers aus dem Versicherungsvertrag geht nach Eintritt des Schadenfalls dahin, begründete Schadenersatzansprüche im Rahmen des übernommenen Risikos zu befriedigen und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Ob der Versicherer freiwillig zahlt oder ob er die Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, ob der geschädigte Dritte seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entscheidet er grundsätzlich nach eigenem Ermessen. Diesem Ermessen sind lediglich dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden und wo diese deshalb die Rücksichtnahme des Versicherers verlangen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn ein Schadenfreiheitsrabatt des Versicherungsnehmers auf dem Spiel steht. Der Versicherer ist in einem solchen Fall jedenfalls gehalten, sich ein hinreichend genaues, umfassendes Bild über die Umstände zu verschaffen, aus denen die drohenden Ansprüche hergeleitet werden, die Rechtslage sorgfältig zu prüfen und die Aussichten für eine Abwehr der Ansprüche nach Grund und Höhe möglichst zuverlässig einzuschätzen. Unterlässt der Versicherer eine solche Prüfung völlig und zahlt gewissermaßen „auf gut Glück“ oder unterlaufen ihm bei seiner Prüfung Fehler, die als schuldhafte Verletzung seiner Pflichten zu werten sind, dann braucht der Versicherungsnehmer das Verhalten des Versicherers gegenüber dem Verletzten im Innenverhältnis nicht gegen sich gelten zu lassen (BGH VersR 81, 180, 181).

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Der Versicherer ist aber berechtigt, in Zweifelsfällen, zur Vermeidung umfangreicher Ermittlungen oder der Führung eines Prozesses, die Schadenersatzforderungen des Geschädigten zu befriedigen (Bauer, Die Kraftfahrtvers., 4. Aufl., Rdnr. 727; Stiefel/Hofmann § 10 Rdnr. 178). Dabei darf er sich auch von wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen (Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtvers., § 10 AKB Rdnr. 90). Pflichtwidrig ist eine Schadenregulierung nur dann, wenn die geltend gemachten Schadenersatzansprüche eindeutig und nachweisbar unbegründet sind (Bauer aaO; Stiefel/Hofmann aaO).

17
Ausgegangen werden muss dabei von der Sach- und Rechtslage, wie sie sich für den zuständigen Sachbearbeiter des Versicherers dargestellt hat (Feyock/Jacobsen/Lemor § 10 Rdnr. 92).

18
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände kann der Beklagten eine Verletzung der ihr gegenüber der Klägerin obliegenden Vertragspflichten nicht vorgeworfen werden.

19
Die von der Beklagten vorgenommene Regulierung ist nicht ohne jede Prüfung der Rechtslage erfolgt.

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Festzustellen ist vielmehr, dass der Regulierung ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag vorausging. In diesem schriftlichen Vergleichsvorschlag wurde vom Gericht darauf hingewiesen, dass zur Entscheidung des Rechtsstreits auch ein sehr kostenintensives Sachverständigengutachten eingeholt werden muss. Weiter wurde vom Gericht in dem Vergleichsvorschlag darauf hingewiesen, dass sich der tatsächliche Hergang des Unfalls auch durch diese notwendige Beweisaufnahme unter Umständen nicht vollständig aufklären lässt.

21
Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten und wegen der möglichen Unaufklärbarkeit des Unfalls wurde vom Gericht eine hälftige Schadensteilung als Vergleich vorgeschlagen.

22
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte diesen Vergleichsvorschlag des Gerichts angenommen hat.

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Wie oben dargelegt, ist die Beklagte als Versicherer zur Vermeidung hoher Prozesskosten insbesondere auch berechtigt, sich von wirtschaftlichen Gesichtspunkten leiten zu lassen. Die Beklagte muss sich als Versicherer nicht auf kostenintensive Beweisaufnahmen einlassen, wenn die Gefahr besteht, dass hiermit Unfälle nicht vollständig aufgeklärt werden können.

24
Unter Berücksichtigung der bestehenden Sach- und Rechtslage, dem schriftlichen Vergleichsvorschlag und den zur Verfügung stehenden Beweismitteln war der Abschluss des Vergleichs für den Sachbearbeiter der Beklagten auch unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin eine geeignete Regulierung des Schadensfalles.

25
Die Beklagte war vor dem Abschluss des Vergleichs auch nicht verpflichtet, die Klägerin entsprechend zu befragen. Als Versicherer ist die Beklagte nämlich berechtigt, Schadensfälle im eigenen Ermessen zu regulieren.

26
Die Beklagte musste vor dem Abschluss des Vergleichs auch keine Hinweise gegenüber der Klägerin erteilen, dass mit dem geplanten Abschluss eines Vergleichs eine Rückstufung des Schadenfreiheitsrabattes einhergeht.

27
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, nach dem Abschluss des Vergleichs nicht ausreichend darauf hingewiesen worden zu sein, dass sie die Rückstufung des Schadenfreiheitsrabattes durch eine Übernahme der von der Beklagten aufgewandten Kosten abwenden kann.

28
Dieser Hinweis der Beklagten musste erst nach der Regulierung des Schadensfalles erfolgen. Mit dem zur Akte gereichten Schreiben der Beklagten vom 06.11.2008 ist dieser Hinweis aber nach der Auffassung des Gerichts ausreichend erfolgt. Vergleichsberechnungen musste die Beklagte mit dieser schriftlichen Aufklärung nicht übersenden.

29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 708 Nr. 11, 2. Alt, 711 ZPO.

30
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 1.334,95 Euro festgesetzt.

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