Zur Frage der Haftung bei einem durch Rauferei herbeigeführten Schulunfall

OLG Hamm, Urteil vom 8. April 2014 – 9 U 29/14

Bei einem vorsätzlich herbeigeführten Schulunfall ist es zur Haftungsbegründung erforderlich, dass sich der Vorsatz nicht nur auf die vorsätzliche Handlung, sondern auch auf die vorsätzlich herbeigeführte Schadensfolge beziehen muss.

Tenor

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 4 ZPO.

Gründe

I.

Die Parteien waren Schüler der Städtischen Gem. Hauptschule H. Am 20.01.2012 rangelten der Kläger und der Zeuge T nach Ende der Pause vor dem noch verschlossenen gemeinsamen Klassenraum freundschaftlich miteinander. Der Beklagte kam hinzu und versetzte dem Kläger mehrere Tritte mit dem beschuhten Fuß gegen dessen rechtes Bein und traf dabei das Kniegelenk. Der Kläger erlitt einen Kreuzbandriss, der operativ durch eine vordere Kreuzbandersatzplastik des rechten Kniegelenks versorgt werden musste. Nach Beendigung der stationären Behandlung am 24.02.2012 setzte der Kläger die verordnete Krankengymnastik bis zum 04.06.2012 fort. Ein wesentlich verbleibender Schaden des gut stabilisierten rechten Kniegelenks ist nicht feststellbar. Ein durch eine möglicherweise veränderte Statik des Kniegelenks bedingter Zukunftsschaden ist derzeit nicht absehbar. Der Kläger verlangt von dem Beklagten Zahlung eines Schmerzensgeldes, Ersatz der geltend gemachten materiellen Schäden und begehrt Feststellung eines materiellen und immateriellen Vorbehalts. Wegen Säumnis des Beklagten hat das Landgericht antragsgemäß Versäumnisurteil erlassen, gegen das der Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Das Landgericht hat die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bielefeld beigezogen und nach Anhörung des Klägers und der Vernehmung der Zeugen T und I das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 ZPO auf das angefochtene Urteil verwiesen, soweit sich aus dem Nachstehenden nichts anderes ergibt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers mit der dieser die Wiederherstellung des Versäumnisurteils begehrt. Er rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts, das einen zumindest bedingten Vorsatz des Beklagten betreffend die Herbeiführung des Verletzungserfolgs nicht hat feststellen können. Hätte das Landgericht in dem eigens hierzu bestimmten Fortsetzungstermin auch den Kläger persönlich angehört, dessen Nichterscheinen dadurch begründet sei, dass er von dem Termin keine Kenntnis gehabt habe, so hätte sich das Landgericht die Überzeugung verschaffen können, dass der Beklagte in Bezug auf den Verletzungserfolg bedingt vorsätzlich gehandelt habe. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist nach dem einstimmigen Votum im Senat unbegründet.

Dem Kläger steht der gem. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 229 StGB, §253 Abs. 2 BGB geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch wegen des Haftungsausschlusses gem. § 105 Abs.1 Satz 1 SGB VII nicht zu.

Gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem – was hier ausscheidet – nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.

Unstreitig ist, dass der Beklagte durch mehrere Fußtritte mit dem beschuhten Fuß gegen das Knie des Klägers die Kreuzbandruptur ausgelöst, und dadurch den Kläger in dessen Gesundheit verletzt hat. Das reicht aber bei einem Schulunfall wegen der anzuwendenden Vorschriften der §§ 104ff SGB VII nicht aus, um Ersatzansprüche zu begründen. In Abweichung vom üblichen, im Zivilrecht geltenden Vorsatzbegriff, bei dem sich das Wissen und Wollen des Verletzers nur auf die Verletzungshandlung, nicht aber auf den konkret eingetretenen Schaden beziehen muss, ist es bei einem vorsätzlich herbeigeführten Schulunfall zur Haftungsbegründung erforderlich, dass sich der Vorsatz nicht nur auf die vorsätzliche Handlung, sondern auch auf die vorsätzlich herbeigeführte Schadensfolge beziehen muss (BGH VersR 2003, 595, U. v. 08.03.2012 – III ZR 191/11 -, juris, OLG Hamm U. v. 08.11.2013 – 26 U 31/13 -, BeckRS 2013, 22201).

Nach den gem. § 529 ZPO grundsätzlich bindenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts hat der Beklagte in Bezug auf den Verletzungserfolg aber nicht mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt. An diese tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gem. § 529 ZPO grundsätzlich gebunden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen begründen und es deshalb geboten ist, neue Feststellungen zu treffen. Der Kläger hat solche konkreten Anhaltspunkte für Zweifel mit seiner Berufung weder aufgezeigt, noch ergeben sich solche aus dem Akteninhalt. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Sicht des Senats zutreffend.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der bedingt vorsätzlich handelnde Täter die Gefahr deshalb in Kauf nimmt, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch durch das unerwünschte Mittel verwirklichen will (BGH U. v. 08.03.2012 – III ZR 191/11 -, juris). Das Landgericht hat nicht verkannt, dass Tritte mit dem beschuhten Fuß gegen das Knie einer Person eine nicht unerhebliche Verletzungsgefahr in sich bergen, und solche Handlungen nicht Bestandteil der üblichen Raufereien an der von den Parteien besuchten Schule waren. Allerdings gehörten nach den Angaben der Zeugen „freundschaftliche“ Raufereien in wechselnder Beteiligung zur Tagesordnung. Dem Landgericht ist darin zuzustimmen, als es in diesen Rangeleien das pubertär bedingte ständige Kräftemessen gesehen hat, bei dem die Beteiligten nicht beabsichtigen, ihren Kontrahenten ernstlich zu verletzen. Dass der Beklagte von einer anderen Motivation geleitet gewesen ist, als er in die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Zeugen T eingegriffen hat, hat das Landgericht mit nicht angreifbarer Begründung nicht festzustellen vermocht. Dabei fällt auf, dass die Beteiligten nicht darüber verwundert waren, dass der Beklagte überhaupt in den Ringkampf des Klägers mit dem Zeugen T eingegriffen hat. Anlass zur Verwunderung hat dem Zeugen T nur gegeben, dass nach seiner Einschätzung die Tritte schon heftig gewesen seien und die Grenze zum Spaß überschritten hätten. Es bestanden im Vorfeld zwischen den Parteien andererseits keine Unstimmigkeiten, die ein überhartes Einsteigen gegen den Kläger mit dem Vorsatz, diesem ernsthafte Verletzungen zuzufügen, erklären könnten. Der Beklagte hat zudem mit den Tritten aufgehört, als der Kläger zu erkennen gegeben hat, eine schmerzhafte Verletzung erlitten zu haben. Nicht zuletzt aufgrund des jugendlichen Alters des Beklagten mit 15 Jahren und 10 Monaten und dem damit einhergehenden Übermut im Rahmen der Rauferei ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Ausführung seiner Tritte weder eine Verletzung des Knies des Klägers in Form des Kreuzbandrisses in sein Vorstellungsbild aufgenommen noch sich mit dem als möglich erscheinenden Erfolgseintritt einverstanden erklärt hat. Dass das Landgericht den Kläger wegen dessen Fernbleibens im Termin vom 07.01.2014 nicht hat persönlich anhören können, rechtfertigt keine abweichende Bewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Dass und warum sich nach Anhörung des Klägers als Partei die erforderliche Überzeugung ergeben hätte, dass der Beklagte hinsichtlich des Verletzungserfolgs mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, vermag die Berufung nicht aufzuzeigen. Der Kläger hätte nur zu dem äußeren Geschehensablauf, nicht aber zu dem Vorstellungsbild des Beklagten Angaben machen können. Den Geschehensablauf hatte der Kläger aber bereits im Rahmen seiner Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren dargestellt. Die Ermittlungsakten lagen dem Landgericht vor und sind, wie sich aus entsprechenden Vorhalten daraus im Zuge der Zeugenvernehmung entnehmen lässt, auch ausgewertet worden. Das im Wesentlichen unstreitige Geschehen vermochte aus Sicht des Landgerichts aber nicht den Vorwurf eines bedingt vorsätzlichen Vorgehens des Beklagten in Bezug auf den Eintritt des Verletzungserfolgs zu begründen.

Mit der vorstehenden Begründung stehen dem Kläger auch keine Ansprüche auf Ersatz des geltend gemachten materiellen Schadens gem. § 249 BGB zu, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die allgemeine Unkostenpauschale nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohnehin nur in Verkehrsunfallangelegenheiten angesetzt werden kann. Da dem Kläger gegen den Beklagten keine Ansprüche zustehen, geht die begehrte Feststellung, wonach der Beklagte aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung haftet, ins Leere. Auch die begehrte Feststellung der Eintrittspflicht für zukünftige Schäden ist unbegründet.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, zu dem vorstehenden Hinweis innerhalb von 2 Wochen Stellung zu nehmen.

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