LG Bonn, Urteil vom 15. Januar 2020 – 1 O 254/19
Zur Frage der Amtshaftung bei Kollision eines PKWs mit einem umgeknickten Verkehrsschild
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten Schadensersatzansprüche gestützt auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Rahmen der Amtshaftung des Beklagten geltend.
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Der Kläger behauptet, er habe am 18.03.2019 gegen 15.30 Uhr mit seinem Pkw X mit dem amtl. Kennzeichen $$-&& #### die M-Straße in K in Fahrtrichtung Z befahren, nachdem er von der A Straße auf die H-Straße (Landesstraße (L) ###) eingebogen sei. An der dort befindlichen Verkehrsinsel habe von dieser aus ein Verkehrszeichen (StVO-Verkehrszeichen 222-20 „Blauer Kreis mit weißem Pfeil nach rechts unten“) in die Fahrbahn hineingeragt, nachdem es offensichtlich einige Zeit zuvor aus ihm nicht sicher bekannten Gründen abgeknickt sei. Nach den ihm bekannt gewordenen Informationen sei das Schild mindestens einen Tag zuvor von einem unbekannten Verkehrsteilnehmer umgefahren worden. Weil das Schild aus seiner Fahrtrichtung für ihn „flach und nicht flächig erschienen“ sei, habe er den Gegenstand aufgrund einer Sonnenreflektion nicht erkennen können, zumal er erst kurz zuvor in die L ### eingebogen sei.
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Der Kläger macht gegenüber dem für den betreffenden Straßenabschnitt verkehrssicherungspflichtigen Beklagten geltend, es seien dort regelmäßige Kontrollen erforderlich, um dieser Verpflichtung zu genügen; diese Kontrollen habe der Beklagte nicht in ausreichendem Maße durchgeführt.
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Aufgrund der Verletzung dieser Pflichten sei ihm der Beklagte zum Ersatz des Schadens an seinem Fahrzeug verpflichtet, den er auf der Grundlage des von ihm eingeholten Kostenvoranschlages der Firma Q GmbH & Co. KG vom 06.04.2019 (Bl. # f. d.A.) mit einem Betrag von brutto 2.642,64 EURO beziffert; hierneben sei der Beklagte zur Zahlung der allgemeinen Aufwandspauschale von 25,00 EURO verpflichtet.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.667,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von
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5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
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Zentralbank seit dem 13.06.2019 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte behauptet, die L ### sei durch die zuständigen Mitarbeiter vor dem streitgegenständlichen Unfallereignis engmaschig kontrolliert worden. Ausweislich des bestehenden Standardleistungskataloges und einer entsprechenden allgemeinen Rundverfügung des Beklagten sei eine Streckenkontrolle einmal wöchentlich vorgesehen. Der Streckenabschnitt sei im fraglichen Zeitraum am 08., 11. und 12.03.2019 und damit zuletzt vier Tage vor dem streitgegenständlichen Ereignis kontrolliert worden, wobei sich der Kläger dieses Vorbringen des Beklagten zu eigen macht. Bei der letzten Kontrolle sei kein umgeknicktes und in die Fahrbahn ragendes Verkehrsschild festgestellt worden, welches zwischen den Parteien nicht im Streit steht.
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Zu vermuten sei, dass das Verkehrsschild durch einen anderen Verkehrsteilnehmer touchiert worden sei und sodann umgefallen sei und sodann in die Fahrbahn hineingeragt habe. Dies vor dem Hintergrund, dass sich in der Nähe ein Reifenhändler befinde und von dort ausfahrende Fahrzeuge mit Überbreite bei ungenügender Aufmerksamkeit der Fahrzeugführer gelegentlich das Verkehrsschild berührten. Schließlich fehle es aufgrund des vom Kläger geschilderten Schadensbildes an seinem Fahrzeug an einer Kompatibilität zum behaupteten Unfallereignis.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 18.12.2019 (Bl. ## f. d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger stehen gegenüber dem Beklagten schon dem Grunde nach keine Schadensersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen vom 18.03.2019 zu, so dass es auf die Höhe der geltend gemachten Ansprüche nicht mehr ankommt.
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Eine Amtshaftung des Beklagten aus § 893 BGB iVm §§ 9, 9a, 47 StrWG NW, Art. 34 GG, die allein Haftung für den Ersatz der geltend gemachten Schäden begründen könnte, ist gegenüber der beklagten Landesbehörde – als dem verkehrssicherungspflichtigen Straßenbaulastträger – nicht gegeben. Nach § 9 a des Landesstraßengesetzes von Nordrhein-Westfalen (LStrGNW) obliegen die mit dem Bau und der Unterhaltung der öffentlichen Straßen einschließlich der Landes- und Bundesfernstraßen sowie die mit der Erhaltung der Verkehrssicherheit zusammenhängenden Aufgaben den Bediensteten der damit befassten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit.
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Nach dem unbestrittenen Vorbringen des Beklagten ist eine wöchentliche Kontrolle des Streckenabschnitts vorgesehen und im betreffenden Zeitraum auch durchgeführt worden. Bei dieser – zuletzt sechs Tage vor dem streitgegenständlichen Ereignis durchgeführten – Kontrolle der L ### konnte ein umgeknicktes Verkehrsschild nicht festgestellt werden. Hieraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Beklagte die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt hat.
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Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (Urt. v. 13.08.1999 – 9 U 39/99 -, juris), der sich die erkennende Kammer anschließt, haben die für die Sicherung von öffentlichen Straßen und Wegen verantwortlichen Kommunen dafür Sorge zu tragen, dass sich die (öffentlichen) Verkehrsflächen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand befinden, der eine möglichst gefahrlose Nutzung zulässt. Dabei müssen die Straßen und Wege zwar nicht völlig frei von Gefahren sein, da ein solcher Zustand sich mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht erreichen lässt. Der Verkehrssicherungspflichtige hat jedoch solche Gefahrenquellen zu beseitigen bzw. vor ihnen zu warnen, von denen entweder typischerweise besonders einschneidende Körperverletzungen drohen, bei denen besonders häufig Schadensfälle auftreten (Unfallschwerpunkte) oder die für die Verkehrsteilnehmer bei Anwendung der von ihnen vernünftigerweise zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die sie sich nicht ohne weiteres rechtzeitig einzustellen vermögen (vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 18.12.1998 -9 U 184/98- unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 21.06.1979 – III ZR 58/78, VersR 1979, 1055).
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Darlegungs- und beweispflichtig ist grundsätzlich der Anspruchsteller. Ihm, d.h. hier dem Kläger, obliegt auch der Nachweis, dass bei der zumutbaren Überwachung der Straßen eine Gefahrenquelle entdeckt worden wäre. Ein Straßenbenutzer muss sich grundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und hat die Straße so hinzunehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Die Verkehrssicherungspflicht beinhaltet allerdings nicht, jede überhaupt nur denkbare Gefahr auszuräumen; dem Betroffenen obliegt die Fürsorgepflicht, auf seine Sicherheit in zumutbarem Maße selbst zu achten. Die Verkehrssicherungspflicht dient nicht dazu, das allgemeine Lebensrisiko auf den Sicherungspflichtigen abzuwälzen. Eine solche Verkehrssicherungspflichtverletzung kann erst dann bejaht wird, wenn die Fahrbahn gemäß den konkreten Umständen und örtlichen Verkehrsverhältnissen durch die verkehrssicherungspflichtige Straßenbauverwaltung nicht bzw. nicht häufig genug kontrolliert wird. Der straßenrechtlich Verkehrssicherungspflichtige muss sich um die Beseitigung (auch) solcher Gefahren bemühen, wenn ohne sein Zutun durch Naturgewalten oder durch Dritte Hindernisse oder gefährliche Gegenstände auf den Straßenkörper gelangen, wenn dazu auch der – hier unbekannte – Störer, die Polizei oder sonstige Stellen in erster Linie verpflichtet sind (OLG Koblenz, Urt. v. 28.01.2002 – 12 U 1295/00 -, juris; vgl. auch BGH VersR 1957, 109). Zwar braucht insoweit nicht gegen alle denkbaren Möglichkeiten eine Schadenseintrittsvorsorge getroffen zu werden. Haftungsbegründend wird eine Gefahr aber dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (OLG Koblenz a.a.O.).
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Im Grundsatz gilt demnach, dass für einen Straßenbaulastträger (bzw. einen sonstigen Verfügungsberechtigten), der die Benutzung einer Straße, eines Weges oder eines Platzes durch die Öffentlichkeit zulässt, dieser gegenüber auch eine Verkehrssicherungspflicht entsteht. Die Verkehrssicherungspflicht verlangt, dass der Verpflichtete in geeigneter und zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen oder ggf. vor ihnen warnen muss, die der Zustand der Straße im dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand für den Verkehrsteilnehmer in sich birgt. Er ist insoweit verpflichtet, diejenigen Gefahrenquellen auszuschließen, die für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung des Verkehrsweges nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht ohne Weiteres einzustellen und einzurichten vermag. Wie weit diese Pflicht reicht, hängt dabei vom Einzelfall, d.h. von den konkreten örtlichen Verhältnisses und der jeweiligen Verkehrsintensität ab. Für verkehrswichtige Straßen sind insoweit die Anforderungen strenger als auf unbedeutenden Wegen. Seiner Pflicht kommt der Straßenbaulastträger durch regelmäßige Kontrollen, Warnhinweise und durch die Beseitigung von Gefahrenstellen nach. Ergeben sich bei der Durchführung von Kontrollen Anhaltspunkte für Schäden und Gefahrenstellen, sind genauere Untersuchungen vorzunehmen (vgl. Rebler, „Verkehrssicherungspflicht, Straßenzustand, Bauarbeiten Bäume“, ZfSch 2019, 185 ff. Anm. E. m.w.N.)
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Hier ist der Beklagte seiner ihm obliegenden Kontrollpflicht hinreichend nachgekommen. Ausgehend von einer Kontrolle im einwöchigen Abstand, ist diese Pflicht im Streitfall ausreichend erfüllt. Bei innerörtlichen Straßen genügt die Gemeinde ihre Verkehrssicherungspflicht in der Regel, wenn sie eine monatliche Kontrolle der Fahrbahnoberflächen in solcher Art und Weise durchführt, dass der betreffende Gemeindebedienstete geeignete Möglichkeiten hat, Anhaltspunkte für Schäden zu erkennen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.05.2017 – 4 U 146/16 -; vgl. auch Zimmerling in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, juris PK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 839 BGB, Rn. 465 ff. m. zahl. Rspr.-Nachw.).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Beklagten selbst vorgetragenen Umstand, dass „bisweilen“ ein Berühren des Verkehrsschildes durch Verkehrsteilnehmer erfolgt, die den in der Nähe von der Unfallstelle befindlichen Reifenhändler mit übergroßen Fahrzeugen verlassen. Dieser Umstand allein erforderte keine engmaschigere Kontrolle des Straßenabschnitts, weil nicht dargetan ist, dass das betroffene Verkehrsschild in der Vergangenheit auf diese Weise schon einmal „umgefahren“ worden wäre. Dass es sich um einen insoweit besonderes gefahrenträchtigen Straßenabschnitt handeln würde, der eine engmaschigere Kontrolle erfordern würde bzw. erfordert hätte, ist damit nicht anzunehmen.
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Im Übrigen wäre der Verkehrsunfall auch durch ein Alleinverschulden des Klägers verursacht, welches eine Haftung des Beklagten ebenfalls ausschließt.
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Der Kläger trägt selbst nicht vor, dass er das Schild vor der Kollision überhaupt wahrgenommen hätte. Mit Rücksicht auf § 3 Abs. 1 S. 4 StVO darf der Kraftfahrer nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke – und damit auch rechtzeitig vor einem Hindernis auf seiner Fahrspur – halten kann. Deshalb ist grundsätzlich nur so schnell zu fahren, dass der Anhalteweg im Sichtbereich d.h. in dem Bereich, in dem nach den konkreten Umständen Hindernisse für den jeweiligen Fahrer erkennbar werden, nach der jeweils gegebenen besonderen Sachlage (Witterungsverhältnisse, technische Einrichtungen der Fahrzeuge, persönliche Fähigkeiten des Fahrers) garantiert bleibt.
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Wenn dem Kläger hier die Sicht durch Sonnenreflektion tatsächlich erschwert gewesen sein sollte oder er – seinem vorprozessualen Vorbringen entsprechend – einem erkennbaren Fahrzeug aus dem Querverkehr hätte ausweichen müssen, bot sich für ihn eine Situation, in der er seine Fahrgeschwindigkeit den widrigen Umständen hätte anpassen, d.h. verringern müssen, um gefahrlos vor einem Hindernis anhalten zu können. Schon dieser Umstand allein würde eine Alleinhaftung des Klägers für die Kollision mit dem Verkehrsschild begründen und eine (auch nur anteilige) Haftung des Beklagten auch unter diesem Gesichtspunkt ausschließen.
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Damit war die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.
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Die prozessuale Nebenentscheidungen beruhen im Übrigen auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.