Zur Frachtführerhaftung für Schäden durch Feuer auf RO-RO-Fähre

LG Bielefeld, Urteil vom 17.09.2010 – 17 O 18/09

Gemäss Artikel 2 Abs. 1 S. 2 CMR haftet der Straßenfrachtführer grundsätzlich nicht nach der CMR, wenn bewiesen wird, dass während der Beförderung durch das andere Verkehrsmittel (hier: eine RO-RO Fähre) eingetretene Verluste nicht durch eine Handlung oder Unterlassung des Straßenfrachtführers, sondern durch ein Ereignis verursacht worden sind, das nur während und wegen der Beförderung durch das andere Verkehrsmittel (die Fähre) eingetreten sein kann (Rn. 25).

Nach Artikel 4 § 2 b der Haager Regeln haftet der Unternehmer nämlich nicht für Schäden, die aus Feuer entstehen, es sei denn durch eigenes Verschulden des Unternehmers verursacht (Rn. 30).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin ist Transportversicherer der türkischen Firma L. (Anlage A 3). Diese hatte der Firma C. GmbH in 32120 I. 50 Paletten mit Aluminiumgußteilen zum Preise von 24.229,53 € sowie 37.282,78 € verkauft (Anlage K 5). Diese Ware übernahm die Beklagte, ein türkisches Speditionsunternehmen, am 02.02.2008 mit CMR-Frachtbrief Nr. 8132042/341295117 in ordnungsgemäßem Zustand zum Transport per Lkw nach I.. Die Ware ist dort nicht angekommen. Es steht in Rede, dass die Ware auf einem Teil der Strecke von Istanbul nach Triest auf der RO-RO-Fähre „V.“, einem der Streitverkündeten zu 1) gehörenden Schiff befördert wurde. Die Fähre erreichte Triest nicht, sondern geriet am 06.02.2008 vor der kroatischen Küste in Brand und brannte völlig aus. Die Klägerin erstattete ihrem Vortrag nach ihrer Versicherungsnehmerin einen Betrag von umgerechnet 60.897,19 € (Anlage K 4) und verlangt diesen aus nach Artikel 1301 des türkischen HGB gesetzlich übergegangenem sowie durch Abtretungserklärung (Anlage K4) abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin von der Beklagten ersetzt.

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Nachdem die Klägerin in der Klageschrift zunächst vorgetragen hat, die Beklagte habe die Ware auf der genannten Fähre transportieren lassen, bei einem Brand des Schiffes sei die Ware zerstört worden, erklärt sie sich nun zum gesamten Ablauf mit Nichtwissen.

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Sie nimmt die Beklagte als Straßenfrachtführer nach Artikel 17 CMR in Anspruch und verweist darauf, dass die Beklagte die Ware in einwandfreiem Zustand übernommen, aber nicht abgeliefert habe. Sie bestreitet, dass ein Lkw mit der streitgegenständlichen Ware tatsächlich an Bord der Fähre gelangt sei und dort mit der Ware zerstört worden sei. Sie trägt überdies vor, die Versicherungsnehmerin der Klägerin habe nicht damit zu rechnen brauchen, dass die Beklagte die Beförderung teilweise mit Hilfe eines Seeschiffes durchführen werde, da der Landweg der direkte Weg gewesen sei.

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Die Klägerin nimmt die Beklagte im Gerichtsstand des Artikels 31 Ziffer 1 b CMR in Anspruch und beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 60.897,19 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte rügt vorab die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Hinsichtlich der Zuständigkeit macht sie geltend, Artikel 31 CMR sei hier nicht anwendbar, weil ein Fall des Artikels 2 Ziffer 1 Satz 2 CMR vorliege. Das Transportfahrzeug, und zwar der Auflieger mit Ladung, sei von ihr im Hafen Q. / Türkei auf die RO-RO Fähre „V.“ geschafft worden. Hierüber sei das Konnossement Nr. 08/014/00048/0006169 vom 03.02.2008 (Anlage B3) ausgestellt worden. Das Fahrzeug sei auf dem vierten Deck (obersten Deck) der Fähre befördert worden. Im Laufe der Seereise sei im Inneren der Fähre ein Brand ausgebrochen, der das ganze Schiff erfasst und auch das Fahrzeug der Beklagten mit der für die Firma C. bestimmten Ladung völlig vernichtet habe. Mit diesem Brand habe die Beklagte als Straßenfrachtführer nichts zu tun. Der Brand sei im Sinne des Artikels 2 Abs. 1 S. 2 CMR ein Ereignis, das ausschließlich wegen und während der Beförderung mit der Fähre eingetreten sei. Es seien deshalb nicht die Vorschriften der CMR, sondern das allgemeine Seerecht und zwar die Haag-Visby-Regeln anwendbar; der Ausschluss der CMR ergreife auch die Zuständigkeitsregel des Artikel 31 CMR. denn grundsätzlich sei im Fall multimodaler Transporte die CMR nicht anwendbar; lediglich für Huckepack-Transporte werde eine eng begrenzte Ausnahme gemacht; wenn die Voraussetzungen dieser Ausnahme nicht vorlägen, sei wiederum die CMR nicht mehr anwendbar. Zuständig sei deshalb hier das Seegericht in Istanbul.

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In der Sache bestreitet die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin, sowohl, dass die Klägerin Versicherin der Firma L. sei als auch, dass sie dieser einen Transportschaden erstattet habe, als auch schließlich, dass die Firma L. Ansprüche gegen die Beklagte habe, und zwar jeweils dem Grunde und der Höhe nach. Sie beruft sich auch auf Verjährung.

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Die Beklagte macht geltend, ein Brand des Schiffes sei für die Beklagte ein unabwendbares und damit haftungsbefreiendes Ereignis gewesen. Eine Beförderung auf dem Seewege sei auf dem Weg von der Türkei nach Deutschland durchaus üblich und der Beklagten nach einem Schreiben der Firma L. vom 01.01.2008 ausdrücklich gestattet gewesen (Anlage B1). Die Voraussetzungen für eine Haftung nach dem Recht des Huckepack-Frachtführers, nämlich nach Seerecht, seien hier nach Artikel 2 Abs. 1 S. 2 CMR gegeben. Der Verlust der Ladung sei nicht durch eine sozial inadäquate Handlung des Straßenfrachtführers, beispielsweise das Abstellen des Fahrzeugs ohne angezogene Handbremse entstanden, sondern durch einen auf dem Schiff ausgebrochenen Brand. Dieser sei ein nur während und wegen der Beförderung durch die Fähre eingetretenes Ereignis. Das Gesetz verlange nicht, dass sich eine Gefahr verwirklicht habe, die ausschließlich der Beförderung zur See zu eigen sei, wie etwa eine Strandung eines Schiffes. Es schade deshalb auch nicht, dass Brände auch außerhalb von Schiffen ausbrechen und eine Sendung vernichten können. Rechtsfolge sei, dass nach dem Recht des Seebeförderungsmittels gehaftet werde, und zwar nach den Regeln, die gelten würden, wenn zwischen dem Absender und dem Seefrachtführer ein Vertrag nur über die Beförderung des Gutes (ohne Lkw) geschlossen worden wäre. Zwingend brauchten nach der englischen Fassung der CMR im Gegensatz zur französischen diese gesetzlichen Bestimmungen nicht zu sein. Selbst wenn man insoweit anderer Auffassung sei, seien die Regeln im vorliegenden Fall deshalb zwingend, weil ein Konnossement ausgestellt worden sei. Der Seefrachtführer hafte nach Artikel 4 § 2b der Haag-Visby-Regeln bei einem Brand gerade nicht.

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Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung, dass der Transport der CMR unterliege. Für die gerichtliche Zuständigkeit gelte zwingend Artikel 31 CMR, da die Ausnahmevorschrift des Artikels 2 Abs. 1 S. 2 CMR, auf die die Beklagte sich berufe, ohnehin nur die Haftung nach der CMR betreffe, aber nicht die übrigen Vorschriften der CMR. In der Sache bleibe es bei der Haftung nach der CMR, weil nicht alle Voraussetzungen der Ausnahme nach Artikel 2 Abs. 1 S. 2 CMR vorlägen, selbst wenn die Fracht auf der Fähre im Huckepack-Verkehr befördert worden sein sollte. Die Klägerin bestreitet, dass die Ware durch einen Brand und nicht durch ein Verschulden der Beklagten verloren gegangen sei und dass der Brand ohne Zutun der Beklagten ausgebrochen sei. Die Klägerin ist der Auffassung, ein Brand sei ohnehin kein in Artikel 2 Abs. 1 S. 2 CMR gemeintes Ereignis, weil er auch zu Lande ausbrechen und die Fracht vernichten könne. So könne etwa beim Transport auf der Straße in einem Tunnel ein Brand auf den Lkw und die Ladung von außerhalb übergreifen. Ein Brand sei keine dem Seetransport eigene Gefahrenlage. Aber auch an den Voraussetzungen für das eventuell anzuwendende Seefrachtrecht fehle es, weil dessen Vorschriften nicht zwingend seien. Allenfalls bei Ausstellung eines Konnossementes sei das Recht zwingend; nach dem fiktiven Vertrag zwischen Absender und Seefrachtführer sei aber die Ausstellung eines Konnossementes nicht erforderlich gewesen; die Klägerin bestreitet ferner, dass das von der Beklagten vorgelegte Konnossement die streitgegenständliche Beförderung betreffe.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

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Das Gericht hat zu den Fragen, ob die beförderte Ware am 03.02.2008 mit dem Auflieger, aber ohne Sattelzugmaschine auf die Fähre „V.“ gebracht wurde, wo sie dort abgestellt war, ob sich weitere Ware auf dem Auflieger befand außer der streitgegenständlichen, ob das vorgelegte Konnossement den Transport der streitgegenständlichen Ware betrifft und ob die Ware durch einen auf dem Schiff ausgebrochenen Brand vernichtet wurde, Beweis erhoben und den Zeugen D. L. uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 03.09.2010 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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I. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus Artikel 31 Abs. 1 Ziffer b CMR.

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Die Beförderung, mit der die Beklagte beauftragt wurde, unterliegt grundsätzlich der CMR; zuständig sind die Gerichte des Staates, in dem der für die Ablieferung vorgesehene Ort (I.) liegt.

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Nach Artikel 2 Abs. 1 S. 1 CMR gilt die CMR für die gesamte Beförderung, auch wenn – was hier nach der Behauptung der Beklagten geschehen ist – das Straßenfahrzeug auf einem Teil der Strecke im Huckepack-Verkehr zur See befördert wird. Der Huckepack-Verkehr wird als unimodaler Verkehr behandelt.

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Die Parteien streiten, ob hier der Ausnahmefall des Artikels 2 Abs. 1 S. 2 CMR vorliegt und sich die Haftung nach Seerecht bemisst. Auf diese Frage kommt es aber für die Zuständigkeit nicht an. Nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift bestimmt sich – wenn die Voraussetzungen der Vorschrift vorliegen – die Haftung des Straßenfrachtführers nicht nach der CMR, sondern nach anderen Regeln. Die Anwendung derjenigen Vorschriften der CMR, die nicht die Haftung betreffen, ist damit nicht ausgeschlossen. Nach Auffassung des Gerichtes ist der Wortlaut der Vorschrift wörtlich zu nehmen; d.h., die CMR wird nicht insgesamt in ihrer Anwendung ausgeschlossen, sondern nur bezüglich der Haftung. Die Nichtanwendung der gesamten CMR wäre auch nicht sinnvoll, nachdem doch in Satz 1 der Vorschrift die CMR gerade auch auf den Huckepack-Verkehr erstreckt worden ist. Im Verhältnis zu Satz 1 enthält Satz 2 eine Änderung der Haftung mit dem Ergebnis, dass regelmäßig der Straßenfrachtführer dem Absender so haftet, wie der Seefrachtführer ihm haftet. Hingegen wird der Huckepack-Verkehr nicht wieder zu einem multimodalen Verkehr, auf den die CMR nicht anwendbar wäre.

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Zwar hat die Regelung in dieser Auslegung die missliche Auswirkung, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine Vielzahl von Gerichten zuständig ist und dass es sich zweitens dabei um Gerichte im Binnenland handelt, die über Seerecht befinden müssen. Indessen wird dieser Sachverhalt nicht besser, wenn man Artikel 2 Abs. 1 S. 2 CMR nicht nur auf die Haftung, sondern auch auf die Zuständigkeitsregeln der CMR anwendet, mit dem Ergebnis, dass die vielen binnenländischen Gerichte nach Prüfung aller Voraussetzungen der Vorschriften sowie der infrage kommenden seerechtlichen Bestimmungen möglicherweise zur Verneinung der Anwendung und damit zur Abweisung der Klage als unzulässig statt unbegründet kommen.

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II. Die Klage ist aber in der Sache unbegründet.

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1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Aufgrund der vorgelegten Versicherungspolice (Anlage K3, K7) steht fest, dass die Klägerin als Versicherer der Firma L. den Transport einer am 01.02.2008 zu ladende Menge von 14.601 Kilogramm Aluminiumgussteilen mit einer Versicherungssumme von 61.512,31 € versichert hat; aus der Urkunde über den Rechtsübergang (Anlage K4, K8) ergibt sich, dass die Klägerin ihrer Versicherungsnehmerin 60.897,19 € Entschädigung ausgezahlt hat und die Versicherungsnehmerin den Übergang ihrer Schadensersatzansprüche auf die Klägerin bestätigt. Danach steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass nach der von der Klägerin zitierten und von der Beklagten nicht konkret bestrittenen gesetzlichen Regelung des Artikels 1301 des türkischen HGB die Schadensersatzforderung gegen die Beklagte aufgrund Gesetzes auf die Klägerin übergegangen ist.

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2. Die Beklagte haftet aber nicht nach Artikel 17 CMR.
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a) Zwar hat die Beklagte mit der Versicherungsnehmerin der Klägerin einen CMR-Frachtvertrag geschlossen. Nach Artikel 2 Abs. 1 S. 1 CMR, die auch in der Türkei gilt, gilt CMR-Recht für den Vertrag insgesamt, auch wenn auf einem Teil der Strecke ein Huckepack-Verkehr zur See stattfand. Dieser Huckepack-Verkehr war der Beklagten erlaubt. Nach dem vorgelegten Rahmenvertrag vom 01.01.2008 (Anlage B1) hatte die Beklagte das Recht, die Fahrtroute zu bestimmen; es heißt ausdrücklich, das Ladegut sei für einen kombinierten Transport (See- und Landweg) geeignet. Diese vertragliche Vereinbarung schließt einen Huckepack-Verkehr zur See ein.

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b) Grundsätzlich haftet die Beklagte damit für einen Verlust der Ware zwischen der Übernahme des Gutes – die Beklagte hat das Gut unstreitig in einwandfreiem Zustand übernommen – und der vorgesehenen Ablieferung in I., gleich ob der Verlust auf dem Land- oder auf dem Seeweg eintritt.

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c) Es liegt hier jedoch die Ausnahme des Artikels 2 Abs. 1 S. 2 CMR vor. Nach dieser Vorschrift haftet der Straßenfrachtführer grundsätzlich nicht nach der CMR, wenn bewiesen wird, dass während der Beförderung durch das andere Verkehrsmittel (die RO-RO Fähre) eingetretene Verluste nicht durch eine Handlung oder Unterlassung des Straßenfrachtführers, sondern durch ein Ereignis verursacht worden sind, das nur während und wegen der Beförderung durch das andere Verkehrsmittel (die Fähre) eingetreten sein kann.

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aa) Es ist bewiesen, dass die für die Firma C. bestimmte Ladung von 50 Paletten Alugußteilen auf dem Lastzug auf die später verunglückte Fähre gebracht worden ist. Hierfür spricht schon das von der Beklagten vorgelegte Konnossement vom 03.02.2008, das allerdings eine Sammelladung von 68 Colli betrifft und zwei Fahrzeugkennzeichen aufführt: A. und B.. Letzteres Kennzeichen ähnelt stark dem im von der Klägerin vorgelegten CMR-Frachtbrief aufgeführten Kennzeichen des Aufliegers C.. Letztlich hat der Zeuge D. L., Vizedirektor der Beklagten, die Verschiffung aus eigener Kenntnis zur vollen Überzeugung des Gerichtes bestätigt. Er hat bekundet, die Beklagte habe die Fracht nicht mit einem eigenen Lastzug befördert, sondern einen Lastzug mit Fahrer angemietet, der komplett mit Zugmaschine und Auflieger und Ladung auf die Fähre gebracht worden sei. Im Konnossement seien die Kennzeichen der Zugmaschine und des Aufliegers erfasst worden, wobei bei letzterem das Kennzeichen versehentlich um eine Ziffer verkürzt wiedergegeben sei. Dass im Konnossement 68 Packstücke erwähnt sind, während die Firma C. nur 50 Paletten zu bekommen hatte, hat der Zeuge glaubhaft damit erklärt, dass noch Ware für einen weiteren Empfänger auf dem Lastzug geladen war, wobei es sich um Metallteile und Autoersatzteile gehandelt habe. Das im Konnossement angegebene Gewicht von 25.353 Kilogramm umfasste nicht nur die für die Firma C. bestimmte Ladung mit einem Gewicht von 14.601 Kilogramm, sondern auch die Ladung für den zweiten Empfänger. Es ist ferner aufgrund der Aussage des Zeugen, der bei der Verladung auf der Fähre vor Ort war, nachgewiesen, dass der Lastzug mit der Ladung auf dem obersten Deck, dem Wetterdeck, abgestellt wurde.

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bb) Es ist ferner bewiesen, dass Verlust auf der Seereise eingetreten ist. Unstreitig ist, dass die Fähre mit der gesamten Ladung vor der kroatischen Küste völlig ausgebrannt ist. Der Zeuge L. hat glaubhaft bekundet, die Reederei habe seinem Unternehmen mitgeteilt, es habe einen sehr großen Brand gegeben, von der Ladung, um die es in diesem Prozess geht, sei nichts gerettet worden. Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Ladung komplett zerstört worden ist; nach dem von der Beklagten vorgelegten Foto des brennenden Schiffes und den Schwarz-weiß Kopien, die das oberste Deck des Schiffes zeigen, ist dort nur noch Schrott verblieben.

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cc) Es steht ferner fest, dass der Verlust nicht durch eine Handlung oder Unterlassung der Beklagten oder ihres Straßenunterfrachtführers, sondern durch ein Ereignis verursacht worden ist, das nur während und wegen der Beförderung zur See eingetreten sein kann. Nach den Umständen, wie sie durch die vorgelegten Fotos belegt sind, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die bei der Klägerin versicherte Ladung durch den Schiffsbrand und nicht durch irgendeinen anderen Umstand, etwa unzureichende Ladungssicherung, völlig zerstört worden ist. Während der Seereise kann der Fahrer der Fahrzeuge keine schadensursächliche Handlung begangen haben, da er nach der Aussage des Zeugen L. nicht an Bord war. Es steht ferner zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Schiffsbrand nicht von der Ladung oder den Fahrzeugen der Beklagten bzw. ihres Unterfrachtführers ausgegangen ist. Beweispflichtig hierfür ist zwar nach der Fassung des Artikels 2 Abs. 1 S. 2 CMR grundsätzlich die Beklagte. Nach Auffassung des Gerichtes greift aber bei der Situation dieses Schiffsbrandes eine Beweiserleichterung ein. Die Situation ist die, dass auf der Fähre etwa 200 Fahrzeuge waren. Nach der Fassung des Gesetzes müsste im Verhältnis zwischen dem jeweiligen Geschädigten und den ca. 200 Straßenfrachtführern jeweils der letztere sich entlasten. Es kann aber bei einer Gesamtbetrachtung nicht sein, dass vermutet wird, dass alle 200 Straßenfrachtführer durch eine Handlung oder Unterlassung den Schiffsbrand verursacht haben. Bei einem Großereignis wie diesem Schiffsbrand müssen ebenso wie etwa bei einem Massenauffahrunfall die Beweisgrundsätze abgewandelt werden. Auf dieser Grundlage reicht zur Überzeugung des Gerichtes davon, dass die Beklagte und ihre Fahrer oder Unterfrachtführer den Brand nicht verursacht haben, der Umstand aus, dass die Ladung fast ausschließlich aus Aluminum- und anderen Metallteilen bestand, die sich also nicht entzünden können, und dass nach den über den Schiffsbrand verlautenden Informationen den Brand auf dem Hauptdeck, also zwei Decks unter dem Wetterdeck, ausgebrochen sein soll. Der nicht von der Beklagten verursachte Schiffsbrand ist ein Ereignis, das nur während und wegen der Beförderung zur See eingetreten sein kann. Wie diese gesetzliche Voraussetzung zu verstehen ist, ist umstritten. Nach einem Teil der Literatur und der deutschen und ausländischen Rechtsprechung (Münchener Kommentar-HGB, 2. Aufl., Artikel 2 CMR RN 13 f. m.w.N.) muss es sich um ein Ereignis handeln, in dem sich eine ausschließlich diesem Beförderungsmittel eigene Gefahr verwirklicht hat. Ein Brand soll zu solchen Gefahren nicht gehören, weil er auch anderswo ausbrechen kann. Dieser einschränkenden Auslegung des Gesetzes ist jedoch nicht zu folgen; sie ist vom Wortlaut der Bestimmung nicht geboten. Vielmehr ist vom Wortlaut her ein Schiffsbrand zwanglos als ein während und wegen der Schiffsbeförderung eintretendes Ereignis einzuordnen, weil ein Schiffsbrand eben nur auf einem Schiff vorkommen kann (so auch Koller, Transportrecht 6. Auflage, Artikel 2 CMR RN 8; Ebenroth-Boujong-Joost-Strohn-Bahnsen, HGB 2. Auflage, Band II Artikel 2 CMR RN 16). Der Schiffsbrand bringt für den verladenen Lastzug nicht beherrschbare besondere Gefahren mit sich, insbesondere die, dass der Lastzug auf dem Schiff festsitzt und dem beginnenden Brand nicht ausweichen kann, anders als wenn auf oder neben einer Straße ein Brand zu bemerken ist, den ein Lastzug umfahren kann oder vor dem er umkehren kann. Zuzugeben ist, dass insoweit die Situation auf dem Schiff mit einer Situation in einem Straßentunnel verglichen werden kann; letztere ist aber nicht für den Straßenverkehr typisch und führt im übrigen im allgemeinen zu einer Haftungsfreiheit des Straßenfrachtführers nach Artikel 17 Abs. 2 CMR, während bei einer Nichtanwendung des Artikels 2 Abs. 1 S. 2 CMR eine Haftung des Straßenfrachtführers nach Artikel 17 CMR in Betracht kommt, falls man nämlich ein Verschulden der Seeleute über Artikel 3 CMR dem Straßenfrachtführer zurechnet und er dieses widerlegen muss. Das Gericht betrachtet deshalb den Schiffsbrand als während und wegen des Transportes eintretendes Ereignis.

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dd) Damit tritt grundsätzlich an die Stelle einer Haftung nach der CMR eine Haftung nach den gesetzlichen Vorschriften für das Trägertransportmittel, die auf einen nur das Gut betreffenden fiktiven Beförderungsvertrag zwischen dem Absender und dem Trägerfrachtführer anzuwenden wären. Insoweit ist streitig, ob es sich bei solchen gesetzlichen Vorschriften um zwingende Vorschriften handeln muss, wie die französische Fassung und ihr folgend der deutsche Text der CMR verlangt, oder um nicht zwingende gesetzliche Vorschriften, wie der englische Text nahelegt. Schon eine geschichtliche Betrachtung legt die englische Fassung als die richtige nahe; denn die Regelung des Art. 2 CMR ist überhaupt auf englischen Wunsch geschaffen worden, weil Transporte nach England den Ärmellandkanal überqueren müssen und solche Transporte in die CMR einbezogen werden sollten. Hinzukommt, dass die Vorschrift wohl leer liefe, wenn man zwingende Vorschriften für den Seetransport verlangte; die Haager Regeln sind nur bei Ausstellung von Konnossementen zwingend; nicht auf jeder Seereise aber werden Konnossemente ausgestellt. Ob für den fiktiven Vertrag zwischen dem Seebeförderer und dem Absender ein Konnossement ausgestellt worden wäre, lässt sich nie feststellen; die tatsächliche Ausstellung eines Konnossementes im vorliegenden Fall für den Beförderungsvertrag einen Lastzug betreffend lässt wenig Schlüsse auf einen anders gearteten Beförderungsvertrag zu. Es kommt hinzu, dass ohnehin eine RO-RO Fähre nie Güter ohne Fahrzeug aufnimmt und deshalb der Vertrag zwischen Seebeförderer und Absender über lediglich das Gut ohnehin reine Fiktion ist. Das Gericht sieht den Sinn des Gesetzes insoweit darin, dass die Fiktion eines Vertrags über das Gut nicht so weit getrieben werden darf, dass man über die etwaige Abbedingung dispositiver Vorschriften im Verhältnis zwischen Seebeförderer und Absender Spekulationen anstellt, sondern dass die für einen derartigen Vertrag geltenden Vorschriften als zwingend und nicht abbedungen zugrunde zu legen sind (ebenso Ebenroth-Bahnsen aaO RN 22). Nach türkischem Seerecht, zu dem auch die Haager Regeln gehören, gibt es im besprochenen Sinne Haftungsregeln für den Schiffsunternehmer (Artikel 3 der Haager Regeln) sowie auch Haftungsbefreiungen (Artikel 4 der Haager Regeln). Da solche Vorschriften vorhanden sind, treten sie an die Stelle einer Haftung nach der CMR.

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3. Die Beklagte haftet auch nicht nach den Haager Regeln. Nach Artikel 4 § 2 b der Haager Regeln haftet der Unternehmer nämlich nicht für Schäden, die aus Feuer entstehen, es sei denn durch eigenes Verschulden des Unternehmers verursacht. Für ein eigenes Verschulden des Schiffsunternehmers – ein Verschulden seiner Seeleute wird ihm nicht zugerechnet – ist hier nichts ersichtlich und von den Parteien auch nicht vorgetragen. Die in der letzten mündlichen Verhandlung geäußerte Vermutung der Klägerin, der Qualm vom Brand eines Trailers auf einem Deck (dem Hauptdeck?) sei in den Maschinenraum gelangt und habe dort zu einem Ausfall der Maschinen und der Sprinkleranlagen geführt, ist eine nicht näher substantiierte Mutmaßung. Selbst wenn hierin aber die Brandursache liegen sollte, ergibt sich daraus kein Verschulden des Unternehmers bei der Ausrüstung des Schiffes. Denn dass der Unternehmer bei gehöriger Sorgfalt einen derartigen Konstruktionsmangel hätte erkennen und beheben müssen, dafür ist nichts ersichtlich.

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III. Nach alledem ist die Klage abzuweisen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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