Zur Frachtführerhaftung für Transportschaden durch Feuer auf Fährschiff

OLG München, Urteil vom 23.12.2010 – 23 U 2468/10

Bei einer durch ein Feuer auf einem Fährschiff hervorgerufenen Beschädigung von Frachtgut kommt eine Haftungserleichterung des Strassenfrachtführers nach Seefrachtrecht (vgl. Art. 4 Abs. 2, lit. b der „Haager-Regeln“ von 1924 – „IÜK) nicht in Betracht, da das nach dem jeweiligen nationalen Recht heranzuziehende Seefrachtrecht, die sog. „Haager-Regeln“, nicht als „zwingende Vorschriften“ gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR anzusehen ist (Rn. 11).

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 17.02.2010 abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 179.448,39 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % seit 22.07.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 76 %, die Beklagte 24 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Vollstreckungsgläubigerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf € 746.361,23 festgesetzt.


Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte, teilweise aus abgetretenem Recht ihrer Transportversicherung, auf Schadenersatz für Ware in Anspruch, die bei einem Brand auf der R.-Fähre „Und A.“ im Mittelmeer vernichtet wurde.

2

Aufgrund eines bestehenden Logistikrahmenvertrages beauftragte die Klägerin die Beklagte mit dem Transport von Gütern aus der Türkei nach Großbritannien und Spanien. Die Kartons wurden von einem Subunternehmer der Beklagten (der „Y. Transport AS“, Istanbul) zum türkischen Hafen Pendik transportiert und dort samt der Lkws, im Wege des sog. „Huckepack-Verkehrs“, auf das genannte Fährschiff verbracht. Auf dem Weg nach Triest im Mittelmeer brach auf der erst 2001 auf einer F. Werft gebauten Fähre ein Feuer aus, das Schiff und Ladung vernichtete (siehe die Lichtbilder Bl. 107 ff.). Die Ursache dieses Brandes ist ungeklärt; fest steht lediglich, dass die Brandbekämpfungsanlagen nicht funktionierten bzw. nach wenigen Sekunden ausfielen. Bezüglich der Unterlagen zur Ermittlung der Schadensursache wird verwiesen auf die Anlagen K 8, K 9 (AnlH zu Bl. 18/31), B 3 (AnlH zu Bl. 70/76) sowie BB 1 (AnlH zu Bl. 114/127). Die Klägerin ist der Auffassung, der Ausfall der Feuerbekämpfungsanlagen, insbesondere der Stromversorgung für die Wasserpumpen, sei auf ein der Beklagten zuzurechnendes Verschulden des Reeders/Schiffbeförderers zurückzuführen.

3

Ergänzend wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die Feststellungen im angegriffenen Urteil Bezug genommen. Das Landgericht hat darin der Klage unter Heranziehung von Art. 17, 2 Abs. 1 Satz 1 CMR in vollem Umfang stattgegeben; die Haftungserleichterung der Ausnahmevorschrift des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR finde keine Anwendung, weil es sich bei dem Brand auf dem Fährschiff nicht um ein seetypisches Ereignis handle, also ein solches, das „nur während und wegen“ der Schiffsbeförderung eingetreten sein konnte: Feuer sei keine transportträgertypische Gefahr der Seebeförderung, denn brennen könne es auch an Land, wo beispielsweise in einem Tunnel die Brandbekämpfung in gleicher Weise erschwert bzw. unmöglich sein könne wie auf See. Der Streitverkündete Seebeförderer (vgl. Blatt 169 f.) sei nicht als Gehilfe der Beklagten im Sinne von Art. 3 CMR anzusehen, andernfalls die Ausnahmevorschrift des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR leerliefe. Für einen Haftungsausschluss gemäß Art. 17 Abs. 2, 4 CMR bestünden keine Anhaltspunkte.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie insbesondere geltend macht, Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR sei sehr wohl einschlägig, Feuer auf einem Schiff sei seit je her und nach wie vor eine typische Gefahr des Seetransports. Die demzufolge gebotene Anwendung von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR führe zur Heranziehung von türkischem Seefrachtrecht und damit zu den „Haager-Regeln“, nach denen die Beklagte hier von einer Haftung befreit sei.

5

Die Beklagte beantragt daher Aufhebung des Ersturteiles und Abweisung der Klage.

6

Die Klägerin, die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das Urteil des Landgerichts: Die Beklagte habe bereits den Entlastungsbeweis im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR nicht geführt (keine Handlung oder Unterlassung des Straßenfrachtführers). Feuer auf einem Schiff sei überdies keine transportträgertypische Gefahr des Seeverkehrs, da Schiffe nicht mehr wie früher aus Holz gebaut seien und überdies über moderne Brandmelde- und Bekämpfungsanlagen verfügten. Im Übrigen müsse die Beklagte auch bei Heranziehung der Haag-Visby-Regeln haften, denn auf dem Schiff hätte massive Sicherheitsmängel geherrscht, insbesondere sei die Besatzung nicht mit den entsprechenden Gerätschaften vertraut gemacht worden (vgl. im Einzelnen Schriftsatz der Klägerin vom 21.06.2010, Seite 7 ff., = Bl. 120 ff.).

7

Eine Beweisaufnahme war nicht veranlasst.

II.

8

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg:

9

Die Beklagte haftet zwar nicht nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1, 2 CMR, wohl aber nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1, 3, Art. 17, 23, 27 CMR.

10

Für eine Haftungserleichterung nach Seefrachtrecht (vgl. Art. 4 Abs. 2, lit. b der „Haager-Regeln“ von 1924 – „IÜK“) ist kein Raum, weil Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR deren Anwendungsbereich hier nicht eröffnet.

11

1. Jedenfalls eine der Voraussetzungen dieser von der strengen Haftung nach der CMR wegführenden Ausnahmevorschrift ist nicht gegeben; es kommt deshalb nicht auf die von den Parteien im Laufe des Rechtsstreits breit erörterte und vom Landgericht zu Unrecht verneinte Frage an, ob Feuer an Bord eines Schiffes eine „transportträgertypische“ Gefahr im Sinne dieser Bestimmung ist, ebensowenig auf den Vortrag der Beklagten zu einer Entlastung gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2, 1. HS CMR (Verluste nicht durch ein Verhalten des Straßenfrachtführers entstanden). Maßgeblich ist vielmehr, dass das – nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien – über das türkische Recht heranzuziehende Seefrachtrecht, die sog. „Haager-Regeln“, nicht als „zwingende Vorschriften“ gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR anzusehen sind.

12

a) Was unter „zwingenden Vorschriften“ in diesem Sinne zu verstehen ist, ist umstritten: Der Wortlaut der französischen Fassung („dispositions impératives …“) legt nahe, dass nur unabdingbare Bestimmungen gemeint sind, während der – gemäß Art. 51 Abs. 3 CMR gleichermaßen verbindliche – englische Text („conditions prescribed by law …“) offensichtlich dispositives Recht genügen lässt (vgl. näher etwa Thume-Fremuth, CMR, 2. Aufl., Art. 2 Rn. 90 ff.; anschauliche Problemdarstellung auch im Urteil des Obersten Gerichtshofes der Niederlande – „Hoge Raad -, TranspR 1991, 132).

13

b) Nach Ansicht des Senates ist, trotz nicht unbeachtlicher Gegenargumente, auf die französische Fassung abzustellen und damit davon auszugehen, dass nur die Existenz „zwingender“ Vorschriften im Sinne von Art. 41 CMR zu der Haftungserleichterung des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR führen kann:

14

aa) Das hier in Betracht kommende Seefrachtrecht in Gestalt der „Haager-Regeln“ ist – was nicht umstritten ist – nicht zwingend in diesem Sinne (näher Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 126; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Bahnsen, HGB, 2. Aufl., Art. 2 CMR Rn. 21; offengelassen von OLG Celle, TranspR 1987, 275, 276).

15

bb) Hieran ändert nichts, dass im konkreten Fall die als Anlage B 1 und B 2 vorgelegten Konnossemente ausgestellt wurden: Nach herrschender und richtiger Auffassung kommt es bei der Bestimmung des auf den fiktiven Vertrag zwischen Absender und Seebeförderer anwendbaren Rechts auf subjektive Umstände wie die Ausstellung eines Konnossements oder etwa die Verladung der Güter an Deck nicht an (Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 138; Müko/HGB-Jesser-Huß, 2. Aufl., Art. 2 CMR Rn. 20 f.). Diese Ansicht überzeugt abgesehen von Praktikabilitätsgründen schon deshalb, weil andernfalls die Haftung auseinanderlaufen würde, je nachdem ob ein Konnossement ausgestellt ist oder nicht bzw. – falls nicht -, ob es womöglich zwingend auszustellen gewesen wäre etc. (siehe hierzu die Erwägungen in dem erwähnten Urteil des OLG Celle, TranspR 1987, 275, 276 li. Sp.). Die Heranziehung des Seerechts kann nicht davon abhängen, ob im Einzelfall ein – dann zur zwingenden Anwendung dieses Rechts führendes – Konnossement ausgestellt wurde, dies umso weniger, als im „Huckepack-Verkehr“ in der Regel keine Konnossemente ausgestellt werden (Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 133).

16

cc) Die französische Textfassung ist gegenüber der englischen spezieller und im Gegensatz zu dieser eindeutig: Insofern lässt sich ein „Einklang“ im Sinne von Art. 33 Abs. 4 des Wiener Abkommens über Vertragsrecht – vorausgesetzt, dass dieses auch für die Auslegung der früher entstandenen CMR beachtlich ist, weil nur bereits gültiges Völkerrecht kodifiziert wurde (vgl. Hoge Raad, TranspR 1991, 132, 134, unter 3.7 a.E.) – nicht dadurch herstellen, dass die speziellere französische Fassung übergangen wird.

17

Abgesehen davon, dass die englische Fassung „conditions prescribed by law “ keineswegs so eindeutig ist, wie dies zum Teil angenommen wird (vgl. Jesser-Huß, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 18), ist der in Art. 41 CMR zum Ausdruck kommenden Bedeutung und Gewichtung dieses Abkommens dadurch zu entsprechen, dass auch eine Ausnahmevorschrift wie Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR nur dann zum Tragen kommt, wenn das danach heranzuziehende Recht ebenso zwingend ist (vgl. Hoge Raad, a.a.O., 132, 134, unter 3.7; man mag hier mit Koller, TranspR, 7. Aufl., Art. 2 Rn. 8 von einem „besonders hohen Gerechtigkeitsgehalt“ sprechen). Zu Recht weist letzterer a.a.O. darauf hin, andernfalls sei nicht einzusehen, wieso man den Straßenbeförderer von vorne herein voll nach der CMR haften lasse (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 CMR) und nicht stattdessen lediglich angeordnet habe, dass er im Fall des dispositiven Rechts bis zur Grenze des dispositiven Rechts des Huckepack-Beförderers, maximal bis zur Grenze der Art. 17 ff. CMR haften soll.

18

dd) Soweit die anders lautenden Auffassungen mit der „Entstehungsgeschichte“ der Ausnahmevorschrift des Art. 2 CMR argumentieren, überzeugt dieser – wohl überbewertete – subjektive Ansatz den Senat nicht (siehe etwa die ausführliche Darstellung bei Herber TranspR 1994, 375; Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 95 ff., 125 ff.). Die Motive für Art. 2 CMR liegen im Dunkeln, offizielle Dokumente existieren nicht. Im Wesentlichen steht lediglich fest, dass diese Vorschrift auf Betreiben Englands in die CMR aufgenommen wurde (offensichtlich um die damals, 1956, noch zwingend auf den Schiffstransport angewiesenen britischen Lkw -Unternehmen vor der strengen Haftung nach der CMR zu bewahren). Letztlich führt die Entstehungsgeschichte allenfalls zu dem verbreitet vorgebrachten Argument, Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR liefe bei einem Abstellen auf die französische Textfassung („zwingend“) völlig leer, weil es beidseitig zwingendes Seerecht nicht gebe und man nicht annehmen dürfe, dass die Verfasser der CMR eine von vorneherein leerlaufende Regelung schaffen wollten, obwohl zur Zeit der Ausarbeitung der CMR bekannt war, dass die Seestrecken nur von den – nicht zwingenden – Haager Regeln erfasst sein konnten (Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 38, Herber, a.a.O., 375, 377). Angesichts der Schilderung von Herber (a.a.O., 375, 378, unter 5.) überzeugt dieser Gedanke indes wenig: Ganz offensichtlich gab es erhebliche Einwände gegen die Vorstellungen und Wünsche Großbritanniens, so dass diese bis zuletzt auf Ablehnung stießen. Von der ihm schließlich nachgelassenen Möglichkeit, noch verbesserte Vorschläge einzureichen, hat das Land offenbar keinen Gebrauch mehr gemacht (Herber, a.a.O., 379 li. Sp.).

19

Diesbezüglich fragt die Klägerin vorliegend zu Recht, welchen Anwendungsbereich Art. 2 Abs. 1 Satz 3 CMR noch hätte, wenn man in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR dispositive Vorschriften ausreichen lassen würde. Die Argumentation mit einem möglichen „Leerlaufen“ erscheint deshalb angreifbar.

20

ee) Auch ein Verweis auf Sinn und Zweck der Haftungserleichterung im Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR führt nicht zur Notwendigkeit, von der vergleichsweise eindeutigen und spezielleren französischen Textfassung abzuweichen:

21

Die Haftungserleichterung in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR dürfte zwei unterschiedlichen Zwecken dienen: Zum einen Schutz des Straßenbeförderers vor der strengen CMR-Haftung bei gleichzeitig eingeschränkten Regressmöglichkeiten gegen den Frachtführer des anderen Verkehrsmittels, hier des Seebeförderers (Jesser-Huß spricht a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 2, 24 von einer „Haftungsklemme“), zum anderen dem Schutz des Absenders vor haftungserleichternden Vereinbarungen zwischen Straßen- und Seebeförderer, die letzterer dem Absender gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR entgegenhalten könnte. Diesen Zwecken indes dürfte die französische Fassung eher entsprechen.

22

Soweit der Hoge Raad gleichfalls auf Bedeutung und Zweck von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR abstellen möchte (TranspR 1991, 132, 133, unter 3.3), bleibt es bei einem bloßen Ansatz hierzu und wird schließlich doch nur mit dem aus der Entstehungsgeschichte abgeleiteten Gedanken argumentiert, es sei nicht anzunehmen, dass die vertragsschließenden Staaten gerade hinsichtlich des Stapeltransports über See das einheitliche Seetransportrecht hätten unbeachtet lassen wollen (a.a.O. 134, unter 3.7).

23

Die Behauptung von Bahnsen, Grund der Verweisung auf das Recht des Trägerbeförderungsmittels sei nicht, dass zwingendes Recht zur Anwendung kommen solle, vielmehr sei das Recht des Trägerbeförderungsmittels bei der Huckepack-Beförderung „sachgerechter“ (a.a.O. Art. 2 Rn. 20), wird nicht näher belegt, sondern setzt das gewünschte Ergebnis voraus.

24

Immerhin bestand im vorliegenden Fall für den Subunternehmer der Beklagten durchaus auch die Möglichkeit, die Güter nicht den Gefahren des Seetransports auszusetzen sondern auf dem Landweg, also durchgängig per Lkw, zumindest bis Spanien und – durch den Kanaltunnel – auch nach Großbritannien zu befördern (wenngleich ein nicht restlos überzeugender Gesichtspunkt, denn womöglich hätten auf dem Landweg andere und größere Gefahren – Diebstahl z. B. – bestanden und wäre durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal auch eine Verladung auf Schienen erforderlich geworden).

25

ff) Schließlich vermag sich der Senat auch nicht den Bemühungen anzuschließen, den Text der französischen Fassung dadurch im Sinne einer Ausweitung von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR zu umgehen, dass man den Begriff „zwingend“ als nur teilweise zwingend bzw. als Vorgabe bloßer „Mindeststandards“ ansieht (siehe etwa Jesser-Huß, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 20). Unter diesen Umständen würden irgendwelche, gerade auch dispositive, Bestimmungen – auch die Haager oder die späteren „Haag-Visby-Regeln“ – genügen. Den o. g. Normzwecken von Art. 2 CMR ließe sich dann dadurch entsprechen, dass der fiktive Vertrag zwischen Absender und Seebeförderer, aufgrund dessen letzterer haften soll, sich ausschließlich nach diesem Haftungsregime richten würde, wobei denkbare und womöglich naheliegende individualvertragliche Absprachen wie Haftungserleichterungen etc. aber außer Betracht zu bleiben hätten (z.B. Fremuth, a.a.O., Art. 2 Rn. 138; Bahnsen, a.a.O., Rn. 22 a.E.). Nach Auffassung des Senates entfernt sich diese Ansicht ohne Notwendigkeit und ohne zwingenden Beleg aus der Entstehungsgeschichte, sofern man auf diese abstellt, zu weit von der französischen Textfassung, wobei auch die oben erwähnte Unklarheit im englischen Text beachtlich ist (Jesser-Huß, a.a.O., Art. 2 CMR Rn. 18).

26

2. Demnach haftet die Beklagte mangels Einschlägigkeit der Ausnahmevorschrift des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR nach Art. 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3, 17 Abs. 1, 23 CMR:

27

Für die vom Landgericht, das der Klage voll umfänglich stattgegeben hat, offensichtlich zugrunde gelegte Haftung nach Art. 29 CMR besteht vorliegend mangels vorsatzgleichen Verschuldens im Sinne dieser Vorschrift kein Raum. Selbst wenn man gemäß Art. 29 Abs. 2 CMR auf ein vorsatzgleiches Verschulden des Seebeförderers abheben würde (wodurch Wertungswidersprüche mit Art. 2 Abs. 1 Satz 2 CMR entstünden, denn diese Vorschrift soll den Straßenbeförderer ja von einer Haftung für von ihm kaum beherrschbare Risiken der Seebeförderung frei halten), fehlt es hier an ausreichenden Anhaltspunkten für eine derartiges qualifiziertes Verschulden:

28

Nach den vorliegenden Untersuchungsberichten (vgl. oben I.) lässt sich eine Ursache für das Feuer nicht benennen und auch nicht mehr aufklären, was zwischen den Parteien unstreitig ist (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 21.06.2010, S. 2, = Bl. 115 d.A.). Unklar bleibt weiter, wie es zu dem Stromausfall gekommen ist, der offensichtlich ein Funktionieren der Pumpen und damit eine Brandbekämpfung verhinderte. Die Erwägungen der Klägerin, Grund hierfür könne nur sein, dass das Schiff nicht seetüchtig gewesen sei, „massive Sicherheitsmängel“ bestanden hätten, etwa weil die Besatzung mit den Feuerbekämpfungsgerätschaften nicht vertraut gewesen sei, lassen sich nicht belegen. Diese Möglichkeit mag bestehen, anhand der vorliegenden Berichte kann von derartigen Umständen jedoch nicht ausgegangen werden:

29

Ausweislich des türkischen Sachverständigenberichts (B 3) ist ein chronologischer Nachvollzug des Brandes nicht möglich (vgl. S. 3, unter 3.) und sollen Notfallübungen durchgeführt und das Schiff insgesamt bei Auslaufen seetüchtig und verkehrstüchtig gewesen sein (näher S. 4 des Berichtes).

30

Der nur in englischer Sprache vorgelegte – vom Senat gleichwohl berücksichtigte – Bericht eines „emt“, Anl. BB 1, widerspricht teilweise den anderen Darstellungen, taugt als belastbares Beweismittel für das von der Klägerin behauptete Verschulden des Reeders jedoch schon deshalb nicht, weil er Monate nach dem Feuer verfasst wurde und weitgehend Mutmaßungen enthält („it is assumed“, „it appears“, „I suspect“, „I cannot verify“ usw. usw., weshalb es auch sinnlos wäre, den als Zeugen angebotenen Verfasser zu vernehmen – der Senat sieht von eigenen Spekulationen zur Brandursache und dem Verlauf des Feuers ab).

31

Die Beweislast für ein vorsatzgleiches Verschulden, sei es der Beklagten, sei es des Schiffsbeförderers, jedenfalls liegt – worauf der Senat im Termin hingewiesen hat – bei der Klägerin (etwa Jesser-Huß, a.a.O., Art. 29 Rn. 41, 43). Nicht erkennbar ist, inwiefern sich die in Deutschland ansässige Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer Beweisnot der Klägerin und im Sinne einer sekundären Beweislast hier sollte entlasten müssen: Sie verfügt bezüglich des Brandes über keine weitergehenden Erkenntnisse, ein Informationsgefälle ist nicht erkennbar.

32

Für ein Verschulden (der Subunternehmerin der Klägerin) bei der Auswahl des Reeders liegen keine Anhaltspunkte vor; ob eine Zurechnung über Art. 3 oder 29 Abs. 2 CMR in Betracht käme, bedarf keiner Erörterung.

33

Die Beklagte haftet damit gemäß Art. 17, 23 Abs. 3, 7 CMR:

34

Ausweislich der beiden Frachtbriefe (K 1 und K 2) betrug das Gesamtgewicht der Ware 11.174,08 kg zuzüglich 7.426,48 kg, zusammen 18.600,56 kg. Bei Multiplikation mit 8,33 Rechnungseinheiten gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR ergibt sich bei einem Umrechnungskurs von 1 XDR = 1,15816 € am maßgeblichen Stichtag der Urteilsverkündung (Art. 23 Abs. 7 Satz 2 CMR) der zuerkannte Betrag von € 179.448,39.

35

Für die Annahme einer Haftungsbefreiung nach Art. 17 Abs. 2, insbesondere für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses, bestehen weder im Vortrag der Beklagten noch sonst Anhaltspunkte.

36

Der Zinsanspruch folgt aus Art. 27 Abs. 1 CMR, ohne dass daneben Raum für eine Anwendung der §§ 286 ff. BGB ist (Fremuth, a.a.O., Art. 27 Rn. 26 m.w.N.).

37

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

38

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision, § 543 Abs. 2 ZPO, sind gegeben, insbesondere im Hinblick auf die Auslegung von Art. 2 CMR.

Dieser Beitrag wurde unter Transportrecht abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.