Zur Fortbildungspflicht des Heilpraktikers bei invasiven Behandlungsmethoden

BGH, Urteil vom 29. Januar 1991 – VI ZR 206/90

Ein Heilpraktiker, der invasive Behandlungsmethoden bei seinen Patienten anwendet, hat insoweit dieselben Sorgfaltspflichten zu erfüllen, auch bezüglich seiner Fortbildung im Hinblick auf Nutzen und Risiken dieser Therapiearten, wie ein Arzt für Allgemeinmedizin, der sich solcher Methoden bedient.

(Leitsatz des Gerichts)

Tatbestand
1
Die Kläger machen gegen den Beklagten, einen Heilpraktiker, Unterhaltsschadensersatzansprüche geltend.

2
Die damals 40jährige Frau T., Ehefrau des Erstklägers und Mutter der Zweit- und Drittkläger, wurde seit Mitte Januar 1981 vom Beklagten wegen verschiedener Beschwerden mit Ohrakupunktur, Ozoninjektion und Ionenbestrahlung behandelt. Am 4. Februar 1981 injizierte der Beklagte bei Frau T. im Liegen, nachdem er das Blut in ihrem rechten Oberschenkel durch eine Binde gestaut hatte, über einen Zeitraum von 5 bis 7 Minuten 10 ccm eines Ozon-Sauerstoffgemisches in eine oberflächliche Vene in Kniegelenknähe des rechten Beines. Etwa 20 Minuten später wurde die Blutstauung wieder gelöst. Als sich Frau T. daraufhin erhob, brach sie zusammen. Sauerstoffgaben und Herzmassagen konnten den Eintritt des Todes nicht verhindern.

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Durch (rechtskräftiges) Urteil des Schöffengerichts Bremen ist der Beklagte von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden.

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Die Kläger haben behauptet, der Tod von Frau T. sei auf einen Behandlungsfehler des Beklagten zurückzuführen. Sie haben die Auffassung vertreten, die vom Beklagten angewandte Ozontherapie sei wertlos und verbiete sich wegen der mit ihr verbundenen Risiken.

5
Der Beklagte hat behauptet, die Ozontherapie sei von ihm entsprechend den damaligen Erkenntnissen eingesetzt worden. Die inzwischen gegen die intravenöse Anwendung aufgekommenen Bedenken hätten ihm im Februar 1981 noch nicht bekannt sein müssen.

6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht der Feststellungsklage stattgegeben, die bezifferten Zahlungsansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache zur Entscheidung über die Höhe der Forderungen an das Landgericht zurückverwiesen.

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Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe
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Das Berufungsgericht ist aufgrund der in dem vorangegangenen Strafverfahren gegen den Beklagten eingeholten Gutachten davon überzeugt, daß die vom Beklagten vorgenommene Injektion bei Frau T. eine Luftembolie ausgelöst und damit zu deren Tod geführt habe. Dazu stellt es weiter fest, bei Frau T. sei ein offenes foramen ovale des Herzens (Verbindung vom rechten zum linken Herzvorhof) vorhanden gewesen. Dadurch hätten der venöse und der arterielle Kreislauf unter Umgehung der Lungenstrombahn miteinander in Kontakt gestanden, so daß Gasblasen des injizierten Gases direkt in das Gehirn hätten kommen können. Im Gehirn und auch in den Lungen seien nach dem Tod von Frau T. Gasblasen nachgewiesen worden. Verschiedene Organe hätten Anzeichen für das Anfangsstadium eines Schocks aufgewiesen. Pathomorphologische Veränderungen, die eine andere Todesursache hätten erklären können, seien nicht festgestellt worden.

9
Das Berufungsgericht lastet dem Beklagten einen Behandlungsfehler an. Es ist der Auffassung, der Beklagte habe bedenken müssen, daß bei einem verhältnismäßig großen Anteil der Bevölkerung ein foramen ovale auftrete und in solchen Fällen die Verhältnisse bei intravenöser Gasinsufflation den Verhältnissen bei intraarterieller Gasgabe entsprächen, für die damals zahlreiche Hinweise auf die Möglichkeit lebensgefährdender Hirnembolien bestanden hätten. Hätte er sich entsprechend fortgebildet, dann hätte er erfahren, daß spätestens seit 1978 eine intraarterielle Gastherapie bei periphären Durchblutungsstörungen nicht mehr angezeigt sei. Der Beklagte habe damit nicht die von einem Heilpraktiker bei der Behandlung seiner Patienten zu verlangende Sorgfalt beachtet. Er sei nicht deshalb von der Verantwortung für die mit seinen Therapiemaßnahmen verbundenen Gefahren entbunden gewesen, weil der Gesetzgeber von den Heilpraktikern keine bestimmte Ausbildung fordere. Auch von einem Heilpraktiker müsse vielmehr verlangt werden, daß er die Voraussetzungen fachgemäßer Behandlung kenne und beachte und sich über die Fortschritte der Heilkunde unterrichte. Wenn er auch nicht dieselben Kenntnisse wie ein approbierter Arzt haben könne, so müsse er doch wenigstens aufgrund der von ihm zu verlangenden Fortbildung in der Lage sein, die Gefahren seiner Behandlungsmethoden zu erkennen. Der Beklagte hätte bereits geraume Zeit vor der bei Frau T. angewendeten Ozon-Sauerstofftherapie die Möglichkeit gehabt, sich über deren Gefahren zu informieren. Er hätte sich nicht nur an dem Lehrbuch von Wolff über das medizinische Ozon orientieren dürfen. Obwohl der Beklagte das Ozon bei Frau T. in die Vene injiziert habe und nur einer der beschriebenen Komplikationsfälle der Ozontherapie eine intravasale Applikation in die Vene betreffe, alle anderen aber die Ozongabe in eine Arterie, sei der Beklagte nicht entlastet.

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II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.

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1. Mit Erfolg wendet sich die Revision bereits mit einer Verfahrensrüge gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Ozon-Sauerstoffbehandlung des Beklagten über eine Luftembolie zum Tod von Frau T. geführt hat.

12
Dieser Feststellung steht allerdings noch nicht entgegen, daß der im vorangegangenen Strafverfahren gehörte Sachverständige Prof. W., dessen Gutachten das Berufungsgericht mit zugrundegelegt hat, sich nicht zu einer Feststellung der Todesursache in der Lage gesehen hat. Dies hat das Berufungsgericht erkannt. Gleichwohl hat es im Wege eines Indizienbeweises die Überzeugung gewonnen, daß jedenfalls die Ozon-Sauerstoffinjektion den Tod ausgelöst hat, und zwar durch eine Luftembolie.

13
Gegen eine solche Würdigung wäre aus Rechtsgründen nichts einzuwenden, wenn die Indizienkette geschlossen wäre. Die Revision rügt jedoch mit Recht, daß der Beklagte im zweiten Rechtszug die Kausalität zwischen der vorgenommenen Injektion und dem Tod der Patientin damit bestritten habe, daß er behauptet habe, bis zur Abnahme der Staubinde sei der Sauerstoff bereits im Zellbestandteil der roten Blutkörperchen eingelagert gewesen, so daß ein Transport von nicht gebundenem Sauerstoff in den übrigen Blutkreislauf nicht mehr erfolgt sein könnte. Außerdem hätten die vorgefundenen Gasbläschen im Gehirn nicht von der Injektion stammen können, da sie sich überwiegend im venösen Bereich befunden hätten. Zum Beweis für diese Behauptungen hatte der Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Der vom Berufungsgericht hinzugezogene Sachverständige Prof. C. hat das Vorbringen des Beklagten insoweit bestätigt, als er in seinem Gutachten vom 12. Juni 1989 ausgeführt hat, bei einer intravenösen Gabe könne es zu einem Ansteigen der Gasblasen in das rechte Herz kommen, und wenn der Patient – wie die verstorbene Frau T. – ein offenes foramen ovale habe, ebenso wie bei einer intraarteriellen Gasverabreichung direkt in die Hirngefäße hinein. Feststellungen dazu, wo genau sich die Luftbläschen bei der Obduktion befunden haben, lassen sich dem Sachverständigengutachten nicht entnehmen. Der Sachverständige berichtet auch insoweit nur, sie seien „in den in der weichen Hirnhaut verlaufenden Blutgefäßen“ festgestellt worden. Er äußert sich aber nicht dazu, ob es sich dabei um Venen oder Arterien gehandelt hat.

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Zu der von der Berufung angeschnittenen Frage des Zeitraums, innerhalb dessen die Einlagerung des insufflierten Sauerstoffes abgeschlossen war, hat das Berufungsgericht den Sachverständigen gar nicht befragt.

15
Ohne Klärung dieser Fragen hätte das Berufungsgericht die Kausalitätsfrage nicht in dem Sinne bejahen dürfen, daß der Tod durch eine auf die Gasinsufflation zurückgehende cerebrale Luftembolie ausgelöst worden ist.

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Darüberhinaus hätte das Berufungsgericht ausschließen müssen, daß der Tod von Frau T. nicht, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. W. für möglich gehalten hat, durch einen anaphylaktischen Schock als allergische Reaktion auf das Ozon eingetreten ist, sofern es bei einer solchen Gestaltung dem Beklagten kein Verschulden anlasten will.

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2. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen aber auch nicht seine Annahme, der Beklagte habe bei der Vornahme der Gasapplikation schuldhaft einen Behandlungsfehler begangen.

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a) Rechtlich nicht zu beanstanden sind insoweit die Ausgangserwägungen des Berufungsgerichts zu den Sorgfaltsanforderungen an einen Heilpraktiker.

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aa) Mit Recht lastet das Berufungsgericht dem Beklagten nicht etwa schon deshalb einen Behandlungsfehler an, weil er überhaupt die Ozon-Sauerstofftherapie eingesetzt hat, obwohl sie von der sog. Schulmedizin damals weitgehend nicht anerkannt war, sondern im wesentlichen nur von unkonventionellen ärztlichen und nichtärztlichen Therapeuten vorgenommen worden ist.

20
Bei dieser Therapieform handelte es sich jedenfalls nicht um eine völlige Außenseitermethode. Sie wurde nicht nur von dem von der Revision als „Vater der Ozon-Therapie“ bezeichneten Prof. Dr. Wolff propagiert, bei dem der Beklagte diese Behandlungsweise erlernt hatte; es handelte sich dabei vielmehr – wie der Sachverständige Prof. C. ausgeführt hat – um eine alte Behandlungsmethode, die in der Zeit nach 1950 von zahlreichen Ärzten als optimale Methode zur Behandlung von peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen empfohlen worden war. Sie war auch seit längerer Zeit klinisch erprobt und wurde zum Beispiel, wie aus den vom Berufungsgericht erwähnten Stellen im medizinischen Schrifttum hervorgeht, in den früheren Jahren in den chirurgischen Universitätskliniken Innsbruck (vgl. Judmaier/Bischof, MMW 1953, 936) und Marburg (vgl. Scherer u.a., DMW 1954, 1119) sowie der medizinischen Klinik der Stadt Darmstadt (vgl. Ratschow, Med.Klinik, 1954, 691 und Dembowski/Hasse, DMW 1956, 936) angewendet. Dennoch gab es offenbar viele Vertreter der Schulmedizin, die diese Therapie nicht anwendeten, vor allem, weil sie nicht von ihrer Wirksamkeit überzeugt waren.

21
Die Anwendung solcher nicht allgemein anerkannter Therapieformen und sogar ausgesprochen paraärztlicher Behandlungsformen ist jedoch rechtlich grundsätzlich erlaubt. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies schon deswegen der Fall sein muß, weil sich eine Beschränkung der Methodenfreiheit aus Rechtsgründen als Hemmnis des medizinischen Fortschritts bzw. als Stillstand der Medizin darstellen würde (so z.B. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 87; Eser, ZStW 97 (1985), 9, 12; H. Jung, ZStW 97 (1985), 47, 56; Kohlhaas, Medizin und Recht, 1969, 69; MünchKomm./Mertens, 2. Aufl., § 823 Rdn. 391; Siebert, Strafrechtliche Grenzen ärztlicher Therapiefreiheit, 1983, S. 38 und MedR. 1983, 216, 218; a.A. Schmid, NJW 1986, 2339, 2340).

22
Entscheidend ist, daß jeder Patient, bei dem eine von der Schulmedizin nicht oder noch nicht anerkannte Methode angewendet wird, innerhalb der durch die §§ 138 BGB, 226a StGB gezogenen Grenzen eigenverantwortlich entscheiden kann, welchen Behandlungen er sich unterziehen will. Schließt aber das Selbstbestimmungsrecht eines um die Tragweite seiner Entscheidung wissenden Patienten die Befugnis ein, jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode zu wählen, so kann aus dem Umstand, daß der Heilbehandler den Bereich der Schulmedizin verlassen hat, nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden.

23
bb) Das Berufungsgericht bestimmt – ausgehend von dem Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 Abs. 1 BGB – im Grundsatz auch zutreffend die Sorgfaltspflichten, die ein Heilpraktiker bei der Behandlung seiner Patienten anzuwenden hat.

24
Wie auch die Revision nicht bezweifelt, muß nicht nur ein Arzt, sondern auch ein Heilpraktiker, für den keine besondere medizinische Ausbildung vorgeschrieben ist, und der nur nach einer Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten durch das zuständige Gesundheitsamt zur Heilbehandlung zugelassen wird (zur geschichtlichen Entwicklung vgl. BVerfGE 78, 155ff), die Voraussetzungen fachgemäßer Behandlung kennen und beachten (so schon RGSt 59, 355, 357). Er ist also verpflichtet, sich eine ausreichende Sachkunde über die von ihm angewendeten Behandlungsweisen einschließlich ihrer Risiken, vor allem die richtigen Techniken für deren gefahrlose Anwendung anzueignen. Demgemäß verstößt er in gleicher Weise wie ein Arzt gegen die gebotene Sorgfalt, wenn er eine Therapie wählt, mit deren Handhabung, Eigenarten und Risiken er sich zuvor nicht in erforderlichem Maße vertraut gemacht hat. Über die ihm durch Einzelgesetze ausdrücklich verbotenen Behandlungsmaßnahmen hinaus darf der Heilpraktiker Methoden, deren Indikationsstellung oder Risiken die medizinisch-wissenschaftliche Ausbildung und Erfahrung eines approbierten Arztes verlangen, nicht anwenden, solange er sich nicht ein entsprechendes Fachwissen und -können erworben hat. Zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gehört ferner, daß er sich – ähnlich wie ein ärztlicher Berufsanfänger (vgl. insoweit BGHZ 88, 248, 258) – im Einzelfall jeweils selbstkritisch prüft, ob seine Fähigkeiten oder Kenntnisse ausreichen, um eine ausreichende Diagnose zu stellen und eine sachgemäße Heilbehandlung einzuleiten und bei etwaigen diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen beachten zu können. Sind diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht vorhanden, dann muß er den Eingriff unterlassen (vgl. für einen Heilpraktiker OLG München, Urteil vom 26. April 1989 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 26. Juni 1990 – VI ZR 193/90 – zur Veröffentlichung in AHRS unter Kennzahl 3150/2 vorgesehen; für einen ärztlichen Berufsanfänger: Senatsurteil vom 26. April 1988 – VI ZR 246/86NJW 1988, 2298 = VersR 1988, 723, 724; OLG Hamm, Urteil vom 27. April 1981 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 14. Dezember 1982 – VI ZR 134/81 – AHRS 2500/9 und OLG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1984 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 28. Mai 1985 – VI ZR 178/84 – AHRS 2500/12).

25
Darüberhinaus ist er selbstverständlich auch verpflichtet, sich über die Fortschritte der Heilkunde und auch über anderweitig gewonnene Erkenntnisse von Nutzen und Risiken der von ihm angewendeten Heilverfahren zu unterrichten.

26
b) Das Berufungsgericht überspannt jedoch die an einen Heilpraktiker zu stellenden Anforderungen an seine Sorgfaltspflicht.

27
aa) Das Maß und der Umfang der von ihm zu verlangenden Sorgfalt bestimmt sich dabei allerdings wie allgemein im Zivilrecht nach der Größe der übernommenen Gefahr und ist weitgehend abhängig von der Verkehrserwartung. Dabei ist, auch wenn es eine homogene „Heilpraktikerschaft“ gäbe, nicht – wie das Berufungsgericht anscheinend (unter Bezugnahme auf Eberhardt, VersR 1986, 110, 114) meint – auf deren Verkehrsauffassung abzustellen. Maßgebend ist vielmehr der Erwartungshorizont eines durchschnittlichen Patienten, der einen Heilpraktiker aufsucht (vgl. für einen Fall der Produzentenhaftung Senatsurteil vom 17. Oktober 1989 – VI ZR 258/88VersR 1989, 1307). Dieser wird mitgeprägt u.a. durch die allerdings nicht stets gerechtfertigte allgemeine Vorstellung des Laien, daß die Methoden des Heilpraktikers, insbesondere wo er sich solcher aus der Natur- und Volksheilkunde bedient, in aller Regel risikolos oder wenig belastend sind. Hierauf muß sich der Heilpraktiker in seinem medizinischen Vorgehen und insbesondere auch bei der Aufklärung eines Patienten über etwaige Risiken der Behandlung einstellen.

28
Andererseits sind bei der Beantwortung der Frage, ob der Beklagte fahrlässig gehandelt hat, nicht die Maßstäbe anzulegen, an denen das Verschulden eines Facharztes, z.B. eines Angiologen, in vergleichbarer Situation gemessen wird. Zwar gilt im Zivilrecht ein objektiver Fahrlässigkeitsbegriff (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juni 1953 – VI ZR 88/52 – Arterienklemme – VersR 1953, 338 und vom 13. Juni 1960 – III ZR 54/59 – Röntgen-Schirmbild-Untersuchung – VersR 1960, 906 = AHRS 1220/10; OLG Hamm, Urteil vom 4. Mai 1987 – Sprunggelenksfraktur – mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. April 1988 – VI ZR 218/87 – AHRS 2440/40), doch sind bei seiner Auslegung auch gewisse Differenzierungen unter dem Gesichtspunkt der Gruppenfahrlässigkeit (vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 1. Band, S. 282), sowie aufgrund der Verkehrserwartung geboten. So schuldet ein Facharzt ein anderes Maß an Sorgfalt und Können als ein Arzt für Allgemeinmedizin (OLG Celle, Urteil vom 1. Dezember 1980 – AHRS Kennzahl 1220/20). Auch von einem Heilpraktiker kann, wie die Revision mit Recht geltend macht, nicht dasselbe Maß von allgemeiner Ausbildung und Fortbildung verlangt werden wie von einem Facharzt. Wenn und soweit er invasive Behandlungsmethoden anwendet, müssen an ihn aber auch bezüglich seines Wissens und seiner Fortbildung die Sorgfaltsanforderungen wie an einen Allgemeinmediziner gestellt werden, der solche Methoden ebenfalls anwendet.

29
Aber auch von einem Arzt verlangt die Rechtsprechung nicht in jedem Fall, daß er alle medizinischen Veröffentlichungen alsbald kennt und beachtet (vgl. OLG Düsseldorf, Urteile vom 28. Dezember 1984 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 29. Oktober 1985 – VI ZR 37/85 – AHRS 1220/25 und vom 19. Dezember 1985 – 8 U 155/84 – mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 21. Oktober 1986 – VI ZR 23/86 – VersR 1987, 414 = AHRS 1952/2; OLG Celle, Urteil vom 4. Mai 1987 – AHRS 1220/36); gefordert wird nur das regelmäßige Lesen einschlägiger Fachzeitschriften auf dem entsprechenden Gebiet (z.B. von Fachärzten nicht die Lektüre medizinischer Spezialliteratur eines anderen Fachgebietes; von Ärzten, die sich mit der Behandlung einer bestimmten Krankheit, z.B. Tuberkulose, befassen, aber auch die Lektüre von Zeitschriften, welche über die medikamentöse Behandlung dieser Krankheit und deren Risiken berichten: Senatsurteil vom 27. Oktober 1981 – VI ZR 69/80VersR 1982, 147 = AHRS 2715/2; OLG Bamberg, Urteil vom 19. September 1975 mit Beschluß des Senats vom 14. Dezember 1976 – VI ZR 72/76 – nach dem BGH-Entlastungsgesetz – AHRS 2705/3; von Allgemeinmedizinern aber zum Beispiel nicht die Lektüre von ausländischen Fachzeitschriften: Senatsurteil vom 20. Oktober 1961 – VI ZR 39/61VersR 1962, 155 = AHRS 1220/12).

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bb) Der Beklagte, der eine zunächst von verschiedenen Ärzten, auch Hochschullehrern, empfohlene Therapie angewendet und dabei über mehrere Jahre keinerlei Komplikationen erlebt hat, war lediglich gehalten, sich über die Ergebnisse der (auch die Heilpraktiker ansprechenden) Kongresse von Ozontherapeuten in Deutschland zu erkundigen, ohne zeitliche Verzögerung die einem Allgemeinmediziner verständliche und zugängliche Literatur zu sichten und vor allem alle organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, daß ihn die aus schulmedizinischer Sicht gegen eine intravenöse Injektion eines Ozon-Sauerstoff-Gemischs aufkommenden Bedenken unverzüglich erreichten. Für letzteres wäre etwa in Betracht gekommen, daß der Beklagte – unmittelbar oder über eine berufsständische Organisation – Kontakt mit der Ärztlichen Gesellschaft für Ozontherapie aufgenommen hätte (vgl. Strafakten StA Bremen 10 Js 25/81, Bl. 205; GA Bl. 395) und diese – deren Bereitschaft hierzu revisionsrechtlich unterstellt – um entsprechende Unterrichtung ersucht hätte. Er war dagegen nicht verpflichtet, so vorzugehen wie der Sachverständige, Prof. C., nämlich Literaturrecherchen durch „Zuhilfenahme des Deutschen Instituts für medizinische Dateninformationen“ vorzunehmen. Er brauchte deshalb auch nicht den vom Berufungsgericht erwähnten Aufsatz von Pencz in der Zeitschrift „diagnostik und intensivtherapie“ aus dem Jahre 1978 zu kennen, in dem vor der Behandlung von Frau T. erstmals über einen Zwischenfall bei einer intravenösen Ozon-Sauerstoff-Injektion berichtet worden ist (die allerdings in die Kubitalvene erfolgt ist und mit 20 ccm doppelt so hoch war wie diejenige, die der Beklagte bei Frau T. vorgenommen hat).

31
Das Gleiche gilt für den Diskussionsbeitrag von Ratschow in den „acta neurovegetativa“ aus dem Jahre 1956, in welchem dieser, der früher selbst die Applikation von Sauerstoff-Gasen empfohlen hatte (Med.Klinik 1954, 691, 693), nach den Angaben des Sachverständigen Prof. C. auf Gefahren der Applikation von Sauerstoffgasen hingewiesen und das schwere Bild einer cerebralen Embolie erwähnt haben soll, sowie für die Beschreibung einer cerebralen Gasembolie als Folge einer Sauerstoffinsufflation von Schmidt in der „Zeitschrift für Kreislaufforschung“ aus dem Jahre 1962. Ob ein Allgemeinmediziner damals das Lehrbuch der Angiologie von Ratschow aus dem Jahre 1959 sowie den Hinweis von Perlick und Enger in der Zeitschrift „Der Internist“ 1961, 717ff. kennen und daraus Bedenken gegen die weitere Insufflation von Ozon-Sauerstoffgemischen bei seinen Patienten herleiten mußte, vermag der erkennende Senat nicht zu entscheiden. Die Frage des Kennenmüssens des medizinischen Schrifttums kann nur nach Einholung sachverständigen Rats durch den Tatrichter beurteilt werden, und die Frage nach den Folgerungen aus diesen Schrifttumshinweisen nur nach Einsichtnahme in den Originaltext, aus denen sich auch die Zusammenhänge ergeben, in welche die vom Berufungsgericht daraus erwähnten Zitate gestellt sind.

32
Hätte sich der Beklagte anhand der gängigen medizinischen Zeitschriften vergewissert, dann hätte er, wie der Sachverständige Prof. C. in seinem Gutachten ausgeführt hat, in der Literatur vor 1981 keinen Hinweis jedenfalls darauf gefunden, daß unter der Applikation eines Ozon-Sauerstoff-Gemisches allergische Reaktionen auftreten können (GA Bl. 400). Ihm hätten allerdings die vom Berufungsgericht erwähnten Berichte von Scherer und Mitarbeitern (DMW 1954, 1619), von Dembowski und Hasse (DMW 1956, 936) sowie von Judmaier und Bischof (MMW 1953, 936) auffallen müssen. In dem erstgenannten Bericht war aber hervorgehoben, man wisse, daß die intravenöse Zufuhr von Sauerstoff gefahrlos ist und daß intraarterielle Insufflationen zu Komplikationen führen, wenn sie in die Arteria subclavia, die Schlüsselbeinarterie, vorgenommen werden. In gleicher Weise eher verharmlosend wirkte die Kasuistik von Dembowski und Hasse, auf welche sich das Berufungsgericht weiterhin beruft. Dort sind zwar cerebrale Gasembolien und intraarterielle Sauerstoffinsufflationen beschrieben. Es wird aber zugleich darauf hingewiesen, daß Gefahren bei Insufflationen von 20 ccm bestanden (während der Beklagte nur 10 ccm verabreichte) und daß seit Einführung strenger Vorsichtsmaßregeln keine Zwischenfälle mehr festgestellt worden sind. In dem weiteren von dem Berufungsgericht zitierten Bericht von Judmaier und Bischof ist lediglich eine Komplikation beschrieben, die sich bei 1.000 intraarteriellen Sauerstoffinsufflationen ereignet hat. Aus dem Bericht geht aber hervor, daß man ähnliche Zwischenfälle vermeiden könne, wenn man das Bein hochlagere und den Patienten länger liegen lasse. In dem von dem Sachverständigen Prof. B./Dr. L. erwähnten Aufsatz von Prof. Oepen im Hessischen Ärzteblatt 1985, 231 wird zudem darauf hingewiesen, der in dem Strafverfahren gehörte Sachverständige Dr. D. habe zusammen mit anderen Autoren noch im Jahre 1976 die Auffassung vertreten, bei sachgemäßer Anwendung könne eine Gasembolie sicher vermieden werden.

33
Soweit das Berufungsgericht schließlich darauf verweist, das Lehrbuch von Wolff, an dem sich der Beklagte orientiert hat, habe schon die Möglichkeit eines gewissen Maßes von Komplikationen erwähnt, so begründet auch das allein noch keinen Fahrlässigkeitsvorwurf gegen den Beklagten. Wie dem Gutachten von Prof. W. aus dem Strafverfahren zu entnehmen ist (Strafakten Bd. II Bl. 18), soll Wolff zwar in seinem Buch auf S. 408 erwähnt haben, die Methode sei „mit einem gewissen Maß von Komplikationen behaftet“ (vgl. auch GA Bl. 265). Andererseits ist dem Gutachten aber die Kopie der Seiten 394 und 395 (vgl. auch GA Bl. 260) beigefügt, auf denen die Technik der intravenösen Sauerstoffinjektion beschrieben und angegeben wird, wie Zwischenfälle ausgeschlossen werden können. Auch die Kläger sind im ersten Rechtszug davon ausgegangen (vgl. GA Bd. I Bl. 108), daß nach dem Lehrbuch von Wolff die Emboliegefahr auszuschließen ist, wenn die Behandlung „kunstgerecht“ erfolgt.

34
Das Berufungsgericht erkennt selbst, daß massivere Warnungen vor den Gefahren der Ozon-Sauerstoff-Therapie erst nach der im Streitfall zu beurteilenden Insufflation veröffentlicht worden sind. Es trifft jedoch keine konkreten Feststellungen dazu, daß die seit dem Ozonkongreß im November 1981 in Baden-Baden veröffentlichten Erkenntnisse über Gefahren, insbesondere bei der arteriellen Insufflation vorher mündlich in einer Weise verbreitet worden sind, daß ein Allgemeinmediziner in der Lage des Beklagten davon Kenntnis erhalten mußte. Bei der Annahme des Berufungsgerichts, es sei einleuchtend, daß diese Erkenntnisse nicht von heute auf morgen entstanden, sondern schon längere Jahre hindurch bekannt gewesen seien, handelt es sich um eine reine Spekulation. Die Kläger haben zwar, wie dem Tatbestand des Berufungsurteils zu entnehmen ist, in ihrer Berufungsbegründung vorgetragen, auf der Ozontagung der Österreichischen ärztlichen Gesellschaft für Ozontherapie vom Mai 1980 habe eine Doktorandin eine Untersuchung über Ozonzwischenfälle mit dem Hinweis auf Todesfälle angestellt. Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, daß davon etwa ein deutscher Arzt und damit auch der Beklagte Kenntnis erhalten mußte.

35
Im übrigen muß es auch einem Heilpraktiker ebenso wie einem Arzt gestattet sein, neue medizinische Veröffentlichungen und Auffassungen an den eigenen Kenntnissen und Erfahrungen zu messen und zu beobachten, ob diese in der übrigen Fachwelt auf Zustimmung oder Ablehnung stoßen (vgl. für einen Arzt OLG Koblenz, Urteil vom 26. November 1975 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 28. September 1976 – VI ZR 23/76 – AHRS 1220/19).

36
III. Aus den vorstehenden Erwägungen muß das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

37
Für das neue Verfahren wird noch auf folgendes hingewiesen:

38
1. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, daß gegen den Beklagten kein Schuldvorwurf daraus hergeleitet werden kann, daß er im Februar 1981 bei Frau T. überhaupt ein Ozon-Sauerstoff-Gemisch von 10 ccm in eine Beinvene injizierte, so kann ein Behandlungsfehler jedoch darin liegen, daß er nach der Injektion möglicherweise, wie dies die Kläger behauptet haben, die Blutstauung zu früh gelöst und der Patientin gestattet hat, sich von der Liege zu erheben. Nach dem Gutachten der Sachverständigen Prof. B./Dr. L. (GA Bl. 169f) kann nach dem Lehrbuch von Wolff zwar der Oberschenkelstau bereits nach 10 bis 15 Minuten aufgehoben werden; nach ihrer eigenen Auffassung (GA Bl. 179) ist jedoch bei jedweder Injektion von Gas eine dauerhafte Kompression der Venen bis zur vollständigen Resorption des Gases indiziert. Sie kommen deshalb im Streitfall zu dem Ergebnis, daß die Binde zu früh gelöst worden ist. Der Beklagte will, wie das Berufungsgericht bisher offenbar als richtig unterstellt hat, die Staubinde erst nach 20 Minuten gelöst haben. Ob das zutreffend und gegebenenfalls schuldhaft war, ist noch aufzuklären. Jedenfalls hatte Ratschow bereits 1954 darauf hingewiesen (Med.Klinik 1954, 691, 692), daß er in seiner Klinik die Patienten „für die nächsten Stunden“ nach der Injektion nicht aus der Horizontallage herauslasse, und Judmaier und Bischof (aaO) ließen die Patienten mit hochgelagertem Bein jedenfalls so lange liegen, bis die Gefäßauskultation das Verschwinden des Gasgeräusches erkennen ließ, während Scherer u.a. (aaO) die Patienten allerdings nur „noch einige Minuten nach Abschluß der Insufflation auf dem Behandlungstisch liegen“ gelassen haben.

39
2. Solange nicht feststeht, daß dem Beklagten bekannt sein mußte, daß auch bei vollständiger Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen mit der Ozon-Sauerstoff-Behandlung spezifische Gefahren verbunden waren, kann ihm auch kein Aufklärungsversäumnis angelastet werden. Die Aufklärungspflicht eines Heilpraktikers ist zwar grundsätzlich mit der eines Arztes vergleichbar (vgl. Eberhardt, VersR 1986, 110, 115). Daraus folgt aber nicht, daß er bei Anwendung der Ozon-Sauerstoff-Therapie allein schon deshalb, weil sie damals nicht allgemein anerkannt war, seine Patienten in jedem Fall darauf hinweisen mußte, daß die Therapie möglicherweise noch nicht erforschte und auch ihm nicht bekannte Gefahren mit sich bringen könne. Ärzte und Heilpraktiker haben auch bei solchen Behandlungsarten nur über diejenigen Gefahren aufzuklären, die für sie im Bereich des Möglichen liegen (vgl. Senatsurteil vom 25. Juni 1966 – VI ZR 25/65 – Bogomoletz-Seruminjektion – VersR 1967, 80 = AHRS 4210/1). Nichts anderes ergibt sich aus dem Senatsurteil vom 27. September 1977 (VI ZR 162/76 – Analfistel – VersR 1978, 41 = AHRS 5230/1).

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