LG Berlin, Urteil vom 11.11.2009 – 42 O 56/09
Wenn ein Fahrgast vor Erreichen einer Bushaltestelle beim Hinabsteigen der Treppe eines Doppeldeckerbusses stürzt, haftet er für seinen Schaden allein, sofern er weder ein abruptes Anfahren noch ein nicht verkehrsbedingtes Abbremsen des Busses beweisen kann (Anschluss KG Berlin, 24. Januar 1994, 12 U 4227/92) (Rn.20)(Rn.21)(Rn.22)(Rn.32).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin macht einen Haushaltsführungsschaden und Schmerzensgeld aus einem Ereignis vom 11. Juni 2008 gegen ca. 22:30 Uhr in einem Bus der Beklagten geltend. Die Klägerin befand sich zum genannten Zeitpunkt als Fahrgast im Oberdeck des Busses und beabsichtigte an der Haltestelle „xxx” bzw. eine Haltestelle davor, den Bus zu verlassen. Während sie über die Treppe wieder in das Unterdeck hinab stieg um auszusteigen, kam es zu einem Sturz der Klägerin, wobei sie sich eine Fraktur der LWK 2 und LWK 5 zuzog. In der Zeit vom 12. Juni bis zum 18. Juni 2008 musste sie stationär im xxx Krankenhaus behandelt werden und anschließend bis zum 28. Juni 2008 noch weiter in der xxx-Klinik. Der Klägerin wurde ein Frakturkorsett angefertigt, das sie über mehrere Wochen, mit zunehmenden Unterbrechungen, bis schließlich zum 31. Oktober tragen musste. Ein weiterer Aufenthalt in der Reha-Klinik xxx war vom 19. November bis zum 10. Dezember 2008 erforderlich. Bis zum 31. Dezember 2008 war die Klägerin arbeitsunfähig.
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Die Klägerin behauptet, sie habe gemeinsam mit den Zeugen xxx und xxx sowie der xxx einen xxx-Bus der Linie xxx zur oben angegebenen Zeit bestiegen, um in Richtung der xxx zu fahren. Sie hätten im Oberdeck Platz genommen. Der Bus sei sehr schnell gefahren und habe an den einzelnen Haltestellen nur kurz gehalten. Weil sie befürchtet hätten, vor der schnellen Weiterfahrt des Busses diesen nicht rechtzeitig verlassen zu können, hätten sie sich auf den alsbaldigen Ausstieg vorbereitet, seien aber noch so lange sitzen geblieben, wie es nötig gewesen sei, um unter Berücksichtigung der nur kurzen Haltezeit an den Haltestellen den Ausstieg zu erreichen. Zum Aussteigen hätten sie die Treppe unmittelbar in der Nähe des Busfahrers benutzt. Die Zeugin xxx sei vorausgegangen und habe sich bereits auf der zweituntersten Stufe befunden. Die Klägerin, die dieser gefolgt sei, sei auf der viert untersten Stufe gewesen, dahinter seien die Zeugen xxx gekommen, die sich jedoch noch im Gang des Oberdecks befunden hätten. Sie habe sich auf der Treppe mit beiden Händen am Geländer festgehalten.
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Wie es dann zu dem Sturz kam, hat die Klägerin unterschiedlich angegeben. In ihrer Klageschrift vom 23. Januar 2009 trägt sie vor, der Bus sei völlig überraschend und unerwartet stark abgebremst und dann sofort ebenso mit einem kräftigem Ruck wieder beschleunigt worden. Infolge dieses abrupten Fahrmanövers hätten die Klägerin und die Zeugin xxx, obwohl sie sich mit beiden Händen am Geländer festgehalten hätten, den Halt verloren und seien gestürzt. In einer schriftlichen Darstellung vom 24. Juni 2008 hat sie über ihren Prozessbevollmächtigten erklärt: „Die AS wollte dann an der nächsten Haltestelle (xxx) aussteigen. Sie begab sich dazu in Richtung Ausgang im Unterdeck des Busses. Dazu musste sie zunächst die Treppe vom Oberdeck zum Unterdeck heruntersteigen. Vor ihr ging noch ihre Schwester. Der Bus hielt dann auch an der Haltestelle. Er fuhr jedoch dann eigentlich sofort wieder an. Die Schwester der AS befand sich zu der Zeit auf der vorletzten Stufe der Treppe. Infolge des abrupten Anfahrens stürzten sowohl die Schwester der AS, als auch die AS selbst nach vorne auf das Unterdeck.”
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Anlässlich ihrer persönlichen Anhörung vor dem Gericht hat sie sich dahin eingelassen, dass sie noch während der Fahrt des Busses aufgestanden sei um nach unten zu gehen. Sie habe gedacht, sie hätten die Haltestelle, an der sie hätten aussteigen wollen, erreicht. Während sie sich auf der Treppe befunden habe, habe der Bus angehalten. Sie sei der Meinung, dies sei an der Haltestelle gewesen, an der sie habe aussteigen wollen. Plötzlich sei der Bus wieder abrupt losgefahren. Dadurch sei sie gestürzt.
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Wegen der durch den Sturz erlittenen Verletzungen stellt sie sich ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 Euro vor. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Heilungsverlauf mehr als 6 Monate betragen habe und ein zweiwöchiger stationärer Krankenhausaufenthalt sowie eine vierwöchige Reha-Maßnahme erforderlich gewesen sind. Außerdem habe sie ein Gipskorsett tragen müssen, das besonders in den Sommermonaten unangenehm gewesen sei und sie in die ersten drei Wochen kaum habe schlafen lassen.
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Zudem sei sie wegen der Verletzungen in dem gesamten Zeitraum von Unfall bis zum 31. Dezember 2008 in ihrer Fähigkeit, den Haushalt führen zu können, eingeschränkt gewesen.
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Wegen der Einzelheiten der Beeinträchtigungen wird auf die Klageschrift vom 23. Januar 2009 verwiesen. Bei einer veranschlagten wöchentlichen Arbeitszeit im Haushalt von 32,33 Stunden errechnet sich die Klägerin unter Beachtung der von ihr angegebenen Beeinträchtigungsgraden, einem veranschlagten Stundenlohn für eine fiktive Haushaltskraft von 7,50 Euro und einer hälftigen Teilung des Haushalts mit ihrem Ehemann einen Schaden von insgesamt 2.538,11 Euro.
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Sie macht folgende Positionen geltend:
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– Kostenpauschale | 25,00 Euro |
– Haushaltsführungsschaden: | 3.448,00 Euro |
– Schmerzensgeld: | 25.000,00 Euro |
  | 27.563,11 Euro |
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 27.563,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. November 2008 sowie 1.196,43 Euro nicht anrechenbare vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, der Bus, den die Klägerin befahren hat, sei nicht ermittelbar. Zur fraglichen Zeit seien auf der Linie xxx nur Gelenkbusse eingesetzt gewesen, die über kein Oberdeck mit Treppe verfügen würden. Sie bestreitet, dass der Bus, in welchem die Klägerin gestürzt ist, ruckartig angefahren ist. Da die auf den Linien xxx und xxx eingesetzten Busse über ein Automatikgetriebe verfügen würden, sei ein ungewöhnlich starker Ruck beim Anfahren technisch nicht nachvollziehbar, denn die Automatik würde das Beschleunigen des Busses regulieren. Zudem habe die Klägerin widersprüchlich zu den Ursachen ihres Sturzes vorgetragen. Weiter bestreitet die Beklagte, dass sich die Klägerin mit beiden Händen festen Halt verschafft hat.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin xxx sowie der Zeugen xxx und xxx. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11. November 2009 (Bl. 63 bis 56 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin stehen gegen die Beklagte weder Ansprüche auf Schadensersatz noch Ansprüche auf Schmerzensgeld aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, §§ 823, 253 BGB gegenüber der Beklagten wegen des Unfalls vom 11. Juni 2008 zu.
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Die Beklagte haftet weder aus dem zwischen ihr und der Klägerin abgeschlossenen Personenbeförderungsvertrag auf Schadensersatz wegen Schlechterfüllung nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, noch aus der Betriebsgefahr ihres Busses. Denn sie hat keine ihr obliegende Pflicht aus dem Personenbeförderungsvertrag verletzt.
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Ein schuldhaftes Fahrverhalten des Busfahrers lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Zwar müsste die Beklagte für eine entsprechende Pflichtverletzung des Fahrers ihres Busses nach § 278 Satz 1 BGB einstehen, da dieser als ihr Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 Satz 1 BGB angesehen werden muss. Allerdings kann diesem ein schuldhafter Pflichtverstoß nicht nachgewiesen werden. Ein Fahrgast, der geltend macht, durch ein Fehlverhalten des Fahrers eines Linienbusses infolge eines Sturzes auf der Treppe eines Doppeldeckerbusses zu Schaden gekommen zu sein, trägt die Beweislast für den tatsächlichen Geschehensablauf und die Unfallursächlichkeit. Aus dem zwischen Fahrgast und Verkehrsbetrieb geschlossenen Beförderungsvertrag folgt zwar die Verpflichtung des Busfahrers, jedes Fahrverhalten zu vermeiden, durch welches Fahrgäste unnötig gefährdet werden können. Da die normale Fahrweise aber ruckartige Bewegungen einschließt, kommt eine Haftung nur dann in Betracht, wenn durch einen Fahrfehler, etwa durch grundlos übermäßiges Beschleunigen beim Anfahren oder durch grundlos übermäßig scharfes Abbremsen Fahrgäste zu Schaden kommen (vgl. KG, Urteil vom 16. Oktober 1995 – 12 U 1438/94 -).
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Die Behauptung der Klägerin, ihr Sturz sei durch ein abruptes Anfahren ausgelöst worden, steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichtes fest. Zwar hat die Zeugin xxx ausgesagt, sie sei der Meinung, der „starke Sog”, den sie verspürt habe und der auch bei ihr einen Sturz verursacht habe, sei dadurch entstanden, dass der Bus erst gebremst und dann beschleunigt habe. Aber schon diese Aussage stimmt nicht mit der Angabe der Klägerin überein, wonach der Bus angehalten, also gestanden haben und plötzlich wieder losgefahren sein soll. Weitere Zweifel an der zutreffenden Beschreibung der Zeugin xxx der Unfallursache ergeben sich aus den Aussagen der weiteren Zeugen xxx und xxx. Denn diese haben ihrerseits insoweit übereinstimmend ausgesagt, dass der Bus stark gebremst habe und, dass diese Bremsung auch zum Anhalten des Busses geführt habe. Von einem anschließenden Anfahr- oder Beschleunigungsvorgang haben sie nichts erwähnt. Die Zeugin xxx hat überdies in einer früheren schriftlichen Angabe vom 11. August 2008 gegenüber einer Versicherung angegeben, dass sich ihr Sturz während einer sehr starken Bremsung ereignet habe.
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Mithin kann ein Anfahr- oder Beschleunigungsvorgang als Ursache für den Sturz der Klägerin nicht festgestellt werden.
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Soweit als Alternativursache eine Bremsung in Betracht kommt – wovon nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auszugehen ist – kann nicht festgestellt werden, dass diese grundlos bzw. verkehrswidrig und somit schuldhaft war. Denn der Anlass der Bremsung steht ebenfalls nicht fest. Die Klägerin selbst hat dazu keine Wahrnehmungen getroffen oder diese jedenfalls nicht mitgeteilt. Mithin kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Bremsung verkehrsbedingt, also ohne schuldhaftes Verhalten des Busfahrers erfolgte. Überdies hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass es sich tatsächlich um ein übermäßig scharfes Bremsen gehandelt hat. Allein der Unfall ist kein hinreichender Nachweis dafür. Eine untypische, besonders ruckartige Fahrweise des Busfahrers kann nicht bereits daraus hergeleitet werden, dass ein Fahrgast im Bus zu Fall kommt (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 1992 – VI ZR 27/92 = NJW 1993,654). Zwar haben die Zeugen xxx und xxx die Bremsung jeweils als sehr stark bezeichnet. Dennoch hat das Gericht Bedenken hinsichtlich deren geäußerter Einschätzung, da sich alle drei Zeugen während des Bremsvorganges bereits von ihren Sitzen erhoben hatten und jeweils standen, die Zeugin xxx sogar auf der Treppe. Da der Halt naturgemäß im Stehen wesentlich geringer ist, als beim Sitzen, können daher die Zeugen die Bremsung subjektiv als stärker empfunden haben, als diese tatsächlich war. Zudem haben die Zeugen xxx und xxx zu verstehen gegeben, dass ihrer Ansicht nach Busse generell in Berlin wohl eher zügig fahren würden. Möglicherweise sind die Zeugen an einen „normalen” Großstadtverkehr weniger gewöhnt und empfinden durchschnittliche Bremsvorgänge bereits als besonders heftig.
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Die Klägerin hat ein pflichtwidriges Überziehen des Busfahrers beim Bremsen daher nicht bewiesen. Abgesehen davon, dass – wie oben erwähnt – ein verkehrsrechtlicher Grund für die Bremsung nicht ausgeschlossen werden kann, würde es die Anforderungen an einen Busfahrer überspannen, der in erster Linie die Verkehrsvorgänge zu beobachten und ihren besonderen Gefahren im regen Stadtverkehr entgegenzuwirken hat, wenn von diesem verlangt würde, jede Bremsung nur mit Bedacht und möglichst schonend durchzuführen. Die vorrangige Aufgabe eines Busfahrers besteht darin, auf Fahrbahn und Verkehrszeichen zu achten, weshalb es einer Betrachtungsweise widerstreitet, ihn als Hüter seiner Fahrgäste anzusehen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 06. Juli 1999 – 5 U 62/99 -, auch LG Wiesbaden, VersR 1975, 481; Geigel, Haftpflichtprozeß, 17. Aufl., § 27 Rn. 662). Ein Fahrgast kann daher regelmäßig nicht davon ausgehen, dass der Fahrer auf ihn besonders acht gibt, solange – wie hier – besondere Anhaltspunkte nicht bestehen, die ihn zu besonderer Aufmerksamkeit geradezu drängen. Die Überwachungspflichten eines Busfahrers sind nur generell festzulegen. Ohne zwingende andere Anhaltspunkte kann er davon ausgehen, dass die Fahrgäste sich mit Erfolg um einen sicheren Halt bemühen und auf die Möglichkeit eines Bremsvorgangs eingestellt haben. Vorliegend fehlt es an jedem Anzeichen, die einen vorwerfbaren Verstoß gegen die so umschriebenen Überwachungspflichten eines Busfahrers stützen könnten.
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Verschuldensabhängige Ersatzansprüche scheiden mithin aus.
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Darüber hinaus scheidet auch eine Haftung aus § 831 BGB oder aus §§ 7, 8a StVG aus. Zwar ist die Klägerin während eines Fahrvorgangs des Busfahrers zu Fall gekommen und hat sich dabei verletzt, so dass die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aus § 831 Abs. 1 BGB grundsätzlich vorliegen. Unabhängig von der Frage einer möglichen Entlastung der Beklagten scheitert eine solche Haftung aber an einem anspruchsausschließenden Mitverschulden der Klägerin.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Fahrgast eines Linienbusses in aller Regel sich selbst überlassen ist und nicht damit rechnen kann, dass der Fahrer, der mit Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer seine Aufmerksamkeit auf das Verkehrsgeschehen lenken muss, sich um ihn kümmert (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 1992 – VI ZR 27/92 – NJW 1993, 654 f). Nur ausnahmsweise muss sich der Fahrer vergewissern, ob der Fahrgast einen Platz oder Halt im Wagen gefunden hat (BGH, NJW 1993, 654 f.; s. auch OLG Oldenburg, MDR 1999, 1321 f.; OLG Frankfurt NZV 2002, 367; LG Kassel, VersR 1995, 111; AG Remscheid, NZV 2002, 185 und VRS 102, 22 ff.; AG München, VRS 108, 21 f.). Ein Busfahrer ist nach diesen Grundsätzen in aller Regel nicht verpflichtet, sich ständig zu vergewissern, ob sämtliche Fahrgäste sitzen oder sich auf andere Art festen Halt verschafft haben. Jeder Fahrgast eines Busses muss nämlich selbst dafür Sorge tragen, dass er nicht durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses zu Fall kommt (OLG Frankfurt, NZV 2002, 367; LG Kassel, VersR 1995, 111; AG Remscheid, VRS 102, 22 ff.).
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Im Gegenzug darf der Fahrer eines Linienbusses, der seinen Fahrplan einzuhalten hat, darauf vertrauen, dass die Fahrgäste ihrer Verpflichtung, sich stets einen festen Halt zu verschaffen, nachkommen. Auch vor dem Anfahren von einer Haltestelle ist es allein Sache des Fahrgastes, für einen sicheren Halt zu sorgen und so eine Sturzgefahr zu vermeiden (OLG Oldenburg, Urteil vom 06. Juli 1999 – 5 U 62/99 -).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen war es von der Klägerin bereits grob fahrlässig während der Fahrt vom Oberdeck über die Treppe hinab zusteigen. Ihre Behauptung, der Bus habe gestanden, während sie sich auf der Treppe befunden habe, ist durch die Beweisaufnahme eindeutig widerlegt. Alle drei Zeugen haben übereinstimmend und glaubhaft ausgesagt, dass sie während der Fahrt aufgestanden und sowohl die Klägerin als auch die Zeugin xxx während der Fahrt die Treppe hinab gestiegen seien. Die Klägerin kann sich diesbezüglich auch nicht darauf berufen, dass sie deshalb während der Fahrt habe nach unten steigen müssen, weil der Anhaltevorgang an den jeweiligen Haltestellen für ein Hinabsteigen während dieses Haltes zu kurz gewesen sei. Denn Entsprechendes haben die Zeugen nicht bestätigt. Die Zeugen xxx, xxx und xxx haben übereinstimmend als Grund für das Hinabsteigen während der Fahrt angegeben, dass man der Meinung gewesen sei, die richtige Haltestelle verpasst zu haben und man sich nunmehr habe beeilen müssen, um wenigstens die folgende Haltestelle zum Aussteigen nutzen zu können. Davon, dass der Bus schon an den vorhergehenden Haltestellen ungewöhnlich kurz angehalten hat, haben die Zeugen nichts erwähnt. Selbst auf die Frage, ob ihnen an dem vorherigen Fahrverhalten des Busfahrers etwas Besonderes aufgefallen sei, haben sie jeweils angegeben, er sei zügig, schnell oder vielleicht etwas ruppig gefahren; zu kurze Anhaltephasen hat jedoch keiner erwähnt.
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Deshalb war es der Klägerin beim Aussteigen grundsätzlich zumutbar und auch möglich, den Halt der nächsten Haltestelle zu nutzen, um sich vom Oberdeck in das Unterdeck zu begeben. Die bloße Befürchtung, dann an dieser Haltestelle den Bus nicht mehr rechtzeitig verlassen können, begründet keine Rechtfertigung für das Hinabsteigen während der Fahrt. Außerdem hat die Klägerin auch nicht bewiesen, dass sie sich während des Treppenabstiegs ununterbrochen mit beiden Händen festgehalten hat. Keiner der Zeugen hat dazu Wahrnehmungen getroffen, weshalb auch keiner diese Behauptung der Klägerin bestätigen konnte.
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Schließlich kann eine Haftung auch nicht aus der bloßen Betriebsgefahr angenommen werden. Stürzt ein Fahrgast, ohne dass eine Pflichtverletzung des Fahrers vorliegt, überwiegt das Verschulden des Fahrgastes am Unfall so weit, dass die Betriebsgefahr des Busses vollständig zurücktritt. Vorliegend steht überdies fest, dass die Klägerin grob fahrlässig während der Fahrt die Treppe zum Hinabsteigen benutzt hat, wobei sie nicht bewiesen hat, sich mit beiden Händen festen Halt verschafft zu haben.
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„Weist der verletzte Fahrgast nicht nach, dass er, nachdem der Bus die Haltestelle verlassen hatte, während eines Fahrvorgans beim Hinaufsteigen auf der Treppe zum Oberdeck gestürzt ist, sondern kommt vielmehr als ernsthafter Geschehensablauf in Betracht, dass der Geschädigte während des Hinuntersteigens der Treppe vom Ober- auf das Unterdeck zu Fall kam, so scheidet jede Verschuldens- oder Gefährdungshaftung des Busfahrers aus, weil ein solches Verhalten eines Fahrgastes auch ein sogenannter Idealfahrer nicht voraussehen und rechtzeitig erkennen kann” (KG, Urteil vom 24. Januar 1994 – 12 U 4227/92 -).
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Vorliegend ist es unstreitig, dass die Klägerin während des Hinabsteigens gestürzt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die prozessuale Nebenentscheidung folgt § 709 ZPO.