BGH, Urteil vom 23.03.1999 – VI ZR 53/98
Nehmen an einer tätlichen Auseinandersetzung im Sinne des StGB § 227 F: 1987-03-10 mehr als zwei Personen teil, muß ein als Schädiger in Anspruch genommener Teilnehmer beweisen, daß
a) er weder unmittelbar noch mittelbar, weder physisch noch psychisch durch seine Teilnahme an der Auseinandersetzung zu der schweren Schädigung beigetragen hat oder
b) ihm gegebenenfalls Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe zugute kommen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. Januar 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen seiner bei einer Auseinandersetzung erlittenen Körperschäden.
2
Am Abend des 14. Februar 1993 hielten sich (neben anderen Personen) die Parteien in dem Lokal “K.” in B. auf. Zunächst kam es zwischen dem Kläger und dem gleichfalls anwesenden A. zu einer Auseinandersetzung, die mit einem Gerangel auf dem Boden endete. Anschließend kam es zu einer weiteren tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen, bei der der Kläger, die frühere Beklagte zu 1, gegen die erstinstanzlich Versäumnisurteil ergangen ist, und der Beklagte des vorliegenden Verfahrens anwesend waren. Über Anlaß und Ablauf der Auseinandersetzung streiten die Parteien. Als Folge der Auseinandersetzung trug der Kläger u.a. die Zerstörung des linken Auges mit einem Verlust der Linse und des Augengases sowie einem Hornhautriß davon. Die Sehfähigkeit auf dem Auge ist nur noch in sehr geringem Umfang vorhanden.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
4
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, der Kläger habe Verletzungshandlungen des Beklagten nicht beweisen können. Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 830 Abs. 1 Satz 2 BGB bestünden daher nicht. Der Beklagte hafte ferner nicht gemäß §§ 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB als Mittäter oder Teilnehmer einer Verletzungshandlung der früheren Beklagten zu 1. Die Verletzungen könnten auch durch den möglicherweise ebenfalls an der Auseinandersetzung beteiligten A. verursacht worden sein. Für eine Teilnahme des Beklagten an dessen Handlungen fehlten aber jegliche Anhaltspunkte. Schließlich sei auch nach Beweisaufnahme ungeklärt geblieben, ob sich die beiden Beklagten gegen den Kläger zusammengetan oder einander unterstützt hätten oder ob dies eine Prügelei “jeder gegen jeden” gewesen sei; es könne daher nicht festgestellt werden, daß der Beklagte Mittäter oder Gehilfe der früheren Beklagten zu 1 gewesen sei.
II.
5
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht in jeder Hinsicht Stand.
6
1. a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Entscheidung allerdings, soweit das Berufungsgericht sich in tatrichterlicher Würdigung der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen konnte, daß der Beklagte den Kläger mit einem Barhocker geschlagen oder ihn getreten habe, und deshalb eine Einstandspflicht des Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB verneint hat. Auch die Revision erhebt hierzu keine Rügen im Einzelnen.
7
b) Ohne Rechts- oder Verfahrensfehler hat das Berufungsgericht auch einen Anspruch des Klägers aus § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB verneint. Für eine Anwendung dieser Bestimmung ist kein Raum, denn die frühere Beklagte zu 1 steht aufgrund (rechtskräftiger) Verurteilung bereits als Verursacherin der Schäden des Klägers fest (vgl. BGHZ 67, 14, 19 f.; Senatsurteil vom 18. Dezember 1984 – VI ZR 56/83 – VersR 1985, 268, 269).
8
c) Nicht zu beanstanden sind schließlich die Ausführungen des Berufungsgerichts, daß der Beklagte nicht als Mittäter oder Teilnehmer einer von der früheren Beklagten zu 1 begangenen Verletzungshandlung (§ 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB) eingestuft werden könne, weil die Verletzungen auch von A. als einem weiteren möglichen Beteiligten an der Auseinandersetzung verursacht worden sein könnten, für eine Teilnahme des Beklagten an dessen Handlungen aber keine Anhaltspunkte bestünden. Die Revision zeigt keinen Vortrag des Klägers in den Tatsacheninstanzen dafür auf, daß insoweit ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken des Beklagten mit A. oder ein Wille des Beklagten gegeben war, die Tat des A. gemeinschaftlich mit diesem auszuführen oder sie als fremde Tat zu fördern (Senatsurteil vom 4. November 1997 – VI ZR 348/96 – VersR 1998, 109, 122, zur Veröffentlichung in BGHZ 137, 89 vorgesehen).
9
2. Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob dem Kläger gegen den Beklagten Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem hier noch anwendbaren § 227 StGB a.F. zustehen. Es hat zwar eine Beteiligung des Beklagten an einer Schlägerei von mindestens drei Personen nicht ausdrücklich festgestellt. Auch ist die bloße Anwesenheit mehrerer Personen nicht ausreichend, um den Tatbestand des § 227 StGB a.F. zu verwirklichen (vgl. BGHSt 15, 369, 371; BGHR-StGB § 227 – Beteiligung 2, 3). Zu einer Prüfung bestand aber Anlaß, weil nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils eine körperliche Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen stattgefunden hatte und das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Möglichkeit einer “Prügelei jeder gegen jeden” in Betracht gezogen hat. Angesichts dieser Feststellungen greift die Rüge der Revisionserwiderung, der Vortrag in der Klageschrift für sich genommen enthalte zu den Voraussetzungen des § 227 StGB a.F. keine Anhaltspunkte, nicht durch.
10
Das Berufungsgericht hätte daher Feststellungen zu einer Beteiligung des Beklagten im Sinne des § 227 StGB a.F. unter Berücksichtigung der Beweisangebote beider Parteien treffen müssen, denn die übrigen Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 227 StGB a.F. lagen vor. § 227 StGB a.F. ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGHZ 103, 197). Die geringe Sehfähigkeit des linken Auges bei einem behaupteten Visus von 0,01 steht einer Annahme der Voraussetzungen der §§ 227, 224 Abs. 1 StGB a.F. nicht entgegen (vgl. Tröndle, StGB 48. Auflage, § 224 Rdn. 5 m.w.N.). Zudem beanstandet die Revision mit Recht, daß sich das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft über den unstreitigen Vortrag des Klägers hinweggesetzt habe, sein linkes Auge sei durch die Schlägerei zerstört worden.
11
Daß der Beklagte in die Schlägerei “ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist” (§ 227 StGB a.F.), ist nicht festgestellt. Es wäre nach allgemeinen Regeln Sache des Beklagten gewesen, derartige Entlastungsgründe darzulegen und zu beweisen (vgl. Senatsurteil vom 18. November 1980 – VI ZR 151/78 – NJW 1981, 745 rechte Spalte). Hiernach kommt ein schuldhafter Verstoß gegen § 227 StGB a.F. in Betracht.
12
Die Kausalität der körperlichen Auseinandersetzung für den Verlust des linken Auges und damit der Sehfähigkeit als Schutzgut der strafrechtlichen Bestimmung ist zwischen den Parteien nicht umstritten. Auf die Ursächlichkeit des möglichen Tatbeitrages des Beklagten für die Zerstörung der Sehfähigkeit kommt es dagegen nicht an, denn § 227 StGB a.F. ist als abstrakter Gefährdungstatbestand ausgebildet (BGHZ 103, 197, 200 f.). Den ihm offenstehenden Beweis, daß sein Tatbeitrag den Schaden nicht herbeigeführt hat (BGHZ 103, 197, 201), hat der Beklagte bislang nicht erbracht. Ferner wird vermutet, daß der jeweilige Teilnahmebeitrag an der Schlägerei für die durch sie verursachte schwere Verletzungsfolge auch in einem haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang mit seinem Unrechtsgehalt steht (BGHZ aaO 202 f.). Auch den hiernach ihm obliegenden Beweis, daß er weder unmittelbar noch mittelbar, weder physisch noch psychisch durch seine Teilnahme an der Schlägerei zum Verlust des linken Auges des Klägers beigetragen hat, hat der Beklagte bislang nicht erbracht. Nach allem hätte das Berufungsgericht eine Haftungsverantwortlichkeit des Beklagten nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 227 StGB a.F. in Betracht ziehen müssen.
III.
13
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO), damit dieses die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen kann. In diesem Zusammenhang wird der Beklagte Gelegenheit haben, zu seiner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgebrachten Rüge fehlender ordnungsgemäßer Protokollierung der Zeugenaussagen (§§ 160, 162 ZPO) näher vorzutragen.