Zur Beratungspflicht einer Bank bei Kapitalanlage ohne Zugehörigkeit zu einem Einlagesicherungssystem

LG Hamburg, Urteil vom 23.9.2009, 322 O 134/09

1. Eine Bank verletzt ihre Verpflichtungen aus einem Beratungsvertrag, wenn sie einem Kunden, der eine sichere Kapitalanlage wünscht, eine Inhaberschuldverschreibung einer ausländischen Investmentbank, die durch eine Garantie einer US-amerikanischen Holding abgesichert ist und die keinem Einlagesicherungssystem unterliegt, als sicher empfiehlt.

2. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob sich der Kunde das Eingreifen eines Einlagesicherungssystems (irrtümlich) als gegeben vorgestellt hat oder nicht.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 11.110,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2009 zu zahlen.

II. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger EUR 837,52 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.05.2009 zu zahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist Rentner. Er betrieb zuvor einen Tabakwarenladen mit einer Lotto-Annahmestelle. Er und seine Ehefrau legte im Jahre 2006 bei der Beklagten verschiedene Beträge, zusammen 50.000,00 EUR, in unterschiedlicher Weise an:

1. EUR 10.000,00 Kassenobligationen 4% p.a. bei der Beklagten
2. EUR 10.000,00 Deka-Immobilien Europa
3. EUR 10.000,00 () Multiinvest-Ertrag
4. EUR 10.000,00 ProtectExpress-Anleihe (Lehman)

Auch hinsichtlich des hier streitigen Teilbetrages zu 4.) in Höhe von 10.000,00 EUR ließ er sich von der Beklagten beraten; dies geschah durch deren Mitarbeiterin F.. Der Kläger brachte ihr gegenüber zum Ausdruck, dass dies seine Altersversorgung darstelle und er deshalb an einer sicheren Geldanlage interessiert sei. Die Zeugin F. empfahl die ProtectExpress-Anleihe, weil sie mit einem 100%igen Kapitalschutz ausgestattet sei. Der Kläger und seine Ehefrau kauften deshalb von der Beklagten Anleihen im Nominalwert von 10.000,00 EUR plus einen Ausgabeaufschlag von 100,00 EUR (Wertpapierabrechnung Anlage K 1). Dabei handelte es sich bei der Anleihe um eine Inhaberschuldverschreibung der niederländischen Lehman Bank B.V., für deren Rückzahlung die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc. garantierte (Garantieerklärung in der Anlage B3, in englischer Sprache). Hinsichtlich des Texts wird auf die Übersetzung auf S. 13/14 der Klagerwiderung Bezug genommen (§ 313 Abs.2 ZPO). Die Sicherheit der Anleihe und der Rückzahlung wurde angesprochen; das Risiko wurde als „theoretisch“ bezeichnet und Kläger und Zeugin sahen die Insolvenz von Lehman Inc. als so unwahrscheinlich an wie etwa die der Deutschen Bank AG.

Beide Lehman-Banken brachen 2008 zusammen und wurden insolvent, die vom Kläger erworbenen Wertpapiere sind endgültig wertlos.

Die Ehefrau trat dem Kläger ihre Ansprüche gegen die Beklagte ab.

Der Kläger behauptet: die Beklagte habe ihre Aufklärungspflicht verletzt und ihm und seiner Ehefrau einen Schaden in Höhe der Klagforderung – 11.110 EUR – zugefügt. Die Papiere seien wertlos und würden es bleiben. Damit sei er um den Kaufpreis einschließlich des Ausgabeaufschlags geschädigt. Er hätte den Betrag sicher mit einer Verzinsung von fünf Prozent per annum angelegt; mindestens aber zu jenen vier Prozent, wie bei den Kassenobligationen der Beklagten selbst. Er hätte damit bisher einen risikolosen Gewinn von 1.010,00 EUR erzielt.

Der Kläger behauptet weiter: er und seine Ehefrau seien an einer sicheren Geldanlage interessiert gewesen (Beweis: Zeugnis …), weil er in der Krise 2001/2002 bereits erhebliche Verluste habe hinnehmen müssen, er habe deshalb das Kreditinstitut gewechselt. Er habe deutlich gemacht, dass er Rentner sei, Einkünfte von EUR 1.500,00 pro Monat habe und die EUR 50.000,00 seine Altersvorsorge seien. Er habe sich Verluste deshalb nicht leisten können. Er habe sich deshalb als konservativen Anleger bezeichnet. Die Beklagte habe ein Insolvenzrisiko der Lehman Bank heruntergespielt und als praktisch ausgeschlossen bezeichnet; darauf hätten er und seine Frau vertraut und die Papiere erworben.

Er habe die Beklagte vorgerichtlich anwaltlich gemahnt, letztmalig am 04.02.2009, dadurch seien nicht anrechenbare Kosten in Höhe von EUR 837,52 entstanden.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 11.110,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2009 zu zahlen;

2. Die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger EUR 837,52 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.05.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet: die Inanspruchnahme durch den Kläger sei widersprüchlich, er habe die Beratung durch seine Kundenberaterin, die Zeugin F., nie beanstandet, ihr sogar Blumen zum Dank geschenkt.

Die Beratung durch die Zeugin sei nicht fehlerhaft gewesen, im Gegenteil sei er über alle relevanten Punkte und auch das Worst-Case-Szenario vollständig und richtig aufgeklärt worden. Die Inhaberschuldverschreibung der Lehmann B.V. sei durch eine Garantie der Lehman Brothers Holding Inc. zu 100% abgesichert gewesen, dies habe aus damaliger Sicht eine tatsächliche hundertprozentige Absicherung des Kapitals dargestellt. Niemand habe mit dem Zusammenbruch der Lehman Bank gerechnet und rechnen müssen, die Insolvenz sei aus damaliger Sicht rein theoretischer Natur gewesen. Das sog. Rating durch unabhängige Agenturen sei 2006 und noch lange danach positiv gewesen. Hinsichtlich des Beklagtenvortrags dazu im Einzelnen wird auf die Seiten 11 und 12 der Klagerwiderung Bezug genommen. Insofern sei sie dem Kläger und seiner Ehefrau gegenüber zu Recht als sicher empfohlen worden. Selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Bankeninsolvenz sei davon auszugehen gewesen, dass eine Bank von der Größe der Lehman Bank vor einer Insolvenz gerettet würde, weil sie, wie es im Amerikanischen heiße, too big to fail gewesen sei. Niemand habe damit rechnen können, dass die US-Regierung ausgerechnet die Lehman Bank nicht vor der Insolvenz rette, wie sie es zuvor und hernach bei anderen Banken getan habe. Aus heutiger Sicht sei dies ein eindeutiger Fehler gewesen.

Das Produkt habe sich stimmig in die weiteren Anlagen des Klägers und seiner Frau eingefügt. Die Laufzeit habe erst 2012 enden sollen; Barrieren für eine Auszahlung des Kapitalbetrags habe es nicht gegeben, bis zur Insolvenz von Lehman habe sich das Papier auch gut entwickelt und sei eine relativ sichere Anlage gewesen. Die Verzinsung, die an den Index der Entwicklung bestimmter DAX-Aktienkurse gekoppelt gewesen sei, sei ausgesprochen günstig gewesen. Es sei sogar eine vorzeitige Rückzahlung der Anleihe zu 110% bzw. 120% des Ausgabekurses vorgesehen gewesen, wozu es aber nicht gekommen sei.

Der Kläger habe dem Basisprospekt der Emission (Anlage B 1), dem Geschäftsbericht von Lehman Brothers für 2006 (Anlage B 2) und der Garantieerklärung (Anlage B 3) entnehmen können, welches Risiko bestehe und in welchem Umfang die Rückzahlung der Anleihe gesichert sei. Schließlich habe er anlässlich eines Gesprächs am 11.12.2006 (in der Klageerwiderung S. 23 irrtümlich als „2007“ datiert) anlässlich der Eröffnung eines Depotkontos die „Basisinformationen über die Vermögensanlage in verzinslichen Wertpapieren besonderer Art“ erhalten, Darin habe der Kläger und seine Frau die nötigen Informationen finden können. Hinsichtlich des Vortrags der Beklagten hierzu im Einzelnen wird auf die Seiten 23 bis 30 der Klagerwiderung Bezug genommen (§ 313 Abs.2 ZPO).

Der Kläger sei also gemäß seinem Anlegerprofil vollständig und korrekt beraten worden. Eine Aufklärung darüber, dass die Anleihe nicht den – jeweils unterschiedlichen – Einlagesicherungssystemen der deutschen Kreditinstitute bzw. den Sicherungsvorschriften des ESEAG unterlägen, sei nicht erforderlich gewesen, dies sei eine allgemein bekannte Tatsache gewesen, schon weil Anleihen nicht als „Einlagen“ anzusehen seien. Gegenteiliges ergäbe sich nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2009. Hinsichtlich des Vortrags der Beklagten im Einzelnen zu den verschiedenen Sicherungssystemen nach dem ESEAG, für private Banken, Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Finanzdienstleistungsinstitute und ihrer Relevanz wird gemäß § 313 Abs.2 ZPO Bezug genommen auf die Seiten 34-43 der Klagerwiderung.

Gegenstand der Aufklärung sei insbesondere gewesen:

– Erläuterung der Funktionsweise der Anlage;
– Voraussetzung einer möglichen vorzeitigen Auszahlung des Kapitals;
– Voraussetzungen der Auszahlung zum zweiten Bewertungsstichtag (2009);
– Laufzeit:
– Auszahlung zum Endfälligkeitstermin und Kapitalschutz von 100% des Nominalwertes aufgrund der Kapitalgarantie;
– Möglichkeit einer vorzeitigen Veräußerung;
– Rating der Emittentin bzw. der Garantin
(Beweis: Zeugnis der Frau F., Frau S.).

Die Beklagte bestreitet, dass dem Kläger bzw. seiner Ehefrau ein Gewinn von 1.010,00 EUR entgangen sei und dass der Kläger den Betrag festverzinslich zu den be-haupteten fünf Prozent hätte anderweitig anlegen können. Dieser Zinssatz sei im Dezember 2006 nicht erzielbar gewesen.

Die Beklagte bestreitet, Provisionen für den Verkauf der Wertpapiere erhalten zu haben. Sie habe vielmehr eine übliche Gewinnmarge von 2,75 % erlöst. Dies habe sie seinerzeit nicht offenbaren müssen. Diese Marge sei üblich und bei einem Wertpapierkauf müsse der Käufer damit auch rechnen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze einschließlich der Anlagen sowie die Niederschrift der Sitzung vom 7. August 2009 Bezug genommen (§ 313 Abs.2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif, der Klage ist vollumfänglich stattzugeben.

Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach den §§ 276, 278, 280, 675, 249, 252 BGB sind gegeben. Der Kläger ist durch die Anlageempfehlung der Beklagten an seinem Vermögen in Höhe des eingesetzten und verlorenen Kapitals sowie des bei anderweitiger Anlage bei der Beklagten entgangenen Gewinns geschädigt worden. In der durch die Insolvenz der Lehman-Bank(en) eingetretenen Wertlosigkeit der auf Grund der Beratung der Beklagten gekauften Wertpapiere hat sich nicht das allgemeine Anlegerrisiko realisiert, dass der Kläger als Kunde zu tragen hat, sie ist vielmehr adäquate Folge einer Falschberatung durch die Mitarbeiter der Beklagten, für die diese einzustehen (§§ 280, 276, 278 BGB) hat.

Zwischen dem Kläger und der Beklagten ist (u.a.) ein Beratungsvertrag im eigentlichen Sinne zustande gekommen. Der Kläger wandte sich an die Beklagte nicht mit konkreten Kaufwünschen, was Wertpapiere anging, sondern suchte um Anlageberatung in seinem Interesse nach. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGHZ 123, 126, 128; 178, 149; Urteil vom 21. März 2006 – XI ZR 63/05, WM 2006, 851, Tz. 10 beide mit weiteren Nachweisen).

Die aus dem Beratungsvertrag emanierenden Pflichten hat die Beklagte verletzt. Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein (BGHZ 123, 126, 128 f.). Maßgeblich sind einerseits der Wissenstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarktes, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben (BGHZ 123 a.a.O.; 178, a.a.O.; Urteil vom 21. März 2006 – XI ZR 63/05, WM 2006 a.a.O). Die Aufklärung über diese Umstände müssen richtig und vollständig sein (BGH Urt. vom 9. Mai 2000 – XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1442), die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjektes unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein. Das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde (BGH, Urt. vom 21. März 2006 – XI ZR 63/05, WM 2006, a.a.O).

Ausgehend von diesen Maßstäben war auf Grundlage des unstreitigen Vorbringens die Empfehlung der Beklagten zum Kauf der von der Lehman Bank B.V. emittierten und von der Lehman Inc. garantierten Inhaberschuldverschreibungen nicht anlegergerecht und stellt ein zum Schadensersatz verpflichtendes Beratungsverschulden dar.

Nach der unstreitigen Behauptung des Klägers hatte er der Kundenberaterin der Beklagten bei den einzelnen Anlagegesprächen erläutert, vor allem an einer „sicheren“ Geldanlage interessiert zu sein. Dies versteht der Bundesgerichtshof in dem Sinne, dass nur eine Anlage empfohlen werden darf, bei der in jedem Fall das eingezahlte Kapital erhalten bleibt (Urt. v. 14.07.2009 [XI ZR 152/08] WM 2009, 1647ff, und juris ). Dieses Anlageziel war mit den von der Kundenberaterin der Beklagten empfohlenen Geldanlagen nicht zu erreichen, da die emittierende und die garantierende Lehman Bank zusammengebrochen sind. Dies ist nicht etwa erst in der ex-post-Betrachtung festzustellen, sondern dieses Anlageziel einer sicheren Geldanlage war bereits in der ex-ante-Sicht bei Zeichnung nicht gewährleistet. Es ist festzustellen, dass nicht eine nach menschlichem Ermessen sichere Anlage aus unerfindlichen Gründen gleichwohl verloren ging, vielmehr war die Anlage nie eine wirklich sichere Anlage. Eine „Garantie der Garantie“ der Lehman Brothers Holdings Inc. für den Rückzahlungszeitpunkt gab es nicht, die Anlage war nie (wirklich) sicher, es war nie sicher, dass Lehman Inc. zum Rückzahlungszeitpunkt (spätestens 2012) dieses Geld haben würde, selbst wenn es 2006 (noch) so aussah. Die Garantie von Lehman Inc. für Lehman B.V. war erklärt , aber was sie über das Papier hinaus wert war, musste sich zeigen (und tat es). Aber genau das war das Risiko, über das die Beklagte den Kläger zutreffend aufklären musste. Dieses Risiko war nicht Null, wie sie es ihm gegenüber darstellte, wenn sie einen sicheren Kapitalschutz von nominal einhundert Prozent durch die Garantie behauptete.

Das Gericht muss vorliegend keine Feststellungen dazu treffen, was den Zusammenbruch der Lehman-Bankengruppe wirklich verursachte und von welchem Zeitpunkt an dies als konkretes Risiko auch dem letzten Kundenberater deutscher Banken und Sparkassen klar sein musste. Der Vortrag beider Parteien dazu liegt weit gehend neben den Streit entscheidenden Gesichtspunkten. Entscheidend ist nicht, warum und wieso die Lehman-Bank zusammenbrach, sondern ob der Rückzahlungsanspruch aus der Inhaberschuldverschreibung gegen die Lehman B.V. oder die Garantie dieses Anspruchs durch Lehman Inc. überhaupt je als „sicher“ bezeichnet werden konnte, wie es die Beklagte tat. Diese so gestellte Frage ist zu verneinen.

Die Entwicklung zum Zusammenbruch von Lehman war nämlich keineswegs atypisch. Es ist (lediglich) eine verfehlte Geschäftsstrategie der Lehman Bank gescheitert, die die Märkte überforderte und die diese nicht hergaben. Es ist kein unerwartetes und von außen wirkendes Ereignis – etwa eine Naturkatastrophe – Ursache des Zusammenbruchs des Immobilienmarkts der USA und damit des Wertverlusts der die Lehmann-Kredite besichernden Grundstücke geworden, sondern schlicht Missmanagement. Auf diese Weise konnte bislang noch jedes, auch das glänzendst dastehende Unternehmen in kürzester Zeit heruntergewirtschaftet werden. Ob dies in dem spektakulären Ausmaß vorhersehbar war, wie es sich nun darstellt oder nicht, bedarf keiner Entscheidung – es handelt sich jedenfalls um ein normales Unternehmensrisiko, mit dem zu rechnen ist; dagegen gab und gibt es keine Absicherung. Niemand konnte garantieren, dass der Lehman-Vorstand nicht mehr Kredite aufkauft, als durch Anleihen finanziert werden können und durch Immobilien ausreichend besichert werden konnten, so dass Lehman überschuldet wurde. Ob sich dies in der Endphase rasant vollzog oder noch nachvollziehbar entwickelte – es war keine Naturkatastrophe, sondern Missmanagement eines Unternehmens, dessen Spitze insbesondere nicht rechtzeitig reagierte und keine ausreichenden Absicherungen vorgenommen hatte. Was immer im Einzelnen geschah, die Insolvenz ist ein typisches Unternehmensrisiko in der Marktwirtschaft, insbesondere wenn es Geschäftspolitik von Lehman war, Kredite aufzukaufen. Dies lediglich als „theoretisch“ anzusehen, wie es die Beklagte tat und dem Kläger kommunizierte, ist fahrlässig. Dass eine Immobilienbesicherung der von Lehmann erworbenen Kredite dann nichts wert ist, wenn der Immobilienmarkt, wie es geschah, nicht mehr wächst, sondern schrumpft, ist alles andere als systemfremd oder force majeure , es war nichts als die u.a. von Lehman energisch immer weiter vorangetriebene Entwicklung der Märkte selbst, die dazu führte, dass ihre Kreditsicherungen nicht mehr ausreichten, selbst der Rückgang der Immobilienpreise war nicht Teufelswerk, sondern hat sich konsequent entwickelt. Dass dessen Tempo möglicherweise unterschätzt wurde, ist ein Fehler der Unternehmen, die auf ein immerfortes Steigen der Immobilienpreise gesetzt, keine ausreichenden Vorkehrungen gegen ein mögliches Fallen getroffen hatten und nicht rechtzeitig gegensteuerten. Die Beklagte trägt nicht vor, inwieweit sie sich mit dem speziellen Geschäftsmodell der Lehman Bank wirklich auseinander gesetzt hatte. Der Verweis auf das positive Rating sich als „unabhängig“ verstehender Agenturen reicht nicht aus, um eine Anlage als sicher empfehlen und den Fall einer Insolvenz ausschließen zu können.

Die Pleite auch einer „großen“ Bank war und ist nie ein nur theoretisch zu befürchtendes Ereignis gewesen, wie die Beklagte vorträgt und damit glauben machen will, sie habe eine Bankenpleite und die Gefahr für eine ungesicherte Garantie der Inhaberschuldverschreibung bei der Beratung des Klägers nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen gehabt und die Anlage daher als sicher empfehlen dürfen.

Bankeninsolvenzen sind regelmäßig selbst in den Jahrzehnten wirtschaftlicher Prosperität eingetreten, nicht nur in Zeiten allgemeiner, gravierender Krisen. Immer wieder sind Banken, selbst solche mit gutem Renommée in der Geschichte nicht nur theoretisch, sondern real insolvent geworden und mussten selbst große Geschäftsbanken im Wege der Übernahme durch konkurrierende Häuser vor der Insolvenz gerettet werden, ohne dass es dazu einer allgemeinen wirtschaftlichen Krise als Voraussetzung bedurfte. Es muss noch nicht einmal der Rekurs auf die bekanntermaßen schmale Eigenkapitalausstattung gerade ausländischer Banken bemüht werden, um festzustellen, dass auch „große“ Banken durch Missmanagement überschuldet sein können und es oft waren. Nicht umsonst sieht der deutsche Gesetzgeber im ESEAG deshalb diese Mindestsicherungen vor und existiert für darüber hinaus gehende Einlagebeträge ein Sicherungsfonds deutscher Banken, und sieht der Gesetzgeber also ein reales Risiko der Insolvenz auch von Banken.

Deshalb liegt der Verweis der Beklagten auf die allerletzte Reißleine des Fallschirms für eine weiche Ladung der Lehman Bank – nämlich des „too big to fail“ – neben der Sache. Sicher, die US-Administration hat andere Banken gerettet und Lehman nicht; das mag, wie die Beklagte vorträgt, ein Fehler gewesen sein, weil man die Lehman-Rettung zu dem Zeitpunkt für einen Bruchteil der Summen bekommen hätte, die später zur Abwendung des Zusammenbruchs des Finanzmarktes aufzuwenden waren und noch aufzuwenden sein werden. Gleichwohl führt diese Argumentation nicht weiter: eine Garantie für eine Inhaberschuldverschreibung einer US-Amerikanischen Bank (nur) deshalb als „sicher“ bezeichnen zu wollen im Vertrauen darauf, dass die US-Administration eine große Investmentbank ganz gleich, wann und unter welchen Umständen (des Missmanagements) die Insolvenz droht und ohne Rücksicht darauf, wie das gesamtwirtschaftliche Umfeld aussieht und was politisch opportun erscheint – immerhin müssen in Demokratien die Parlamente diese (Un)Summen bewilligen – in jedem Fall „retten“ wird, dies müsste wohl als leichtfertig bezeichnet werden. Eine Garantie der Garantie durch die USA lag nicht vor. Die Geschäftspolitik von Lehman – US-Immobilienkredite aufzukaufen und weiter zu veräußern und sich das Geld dafür von Anlegern wie dem Kläger zu leihen – war nie risikolos, es war alles andere als eine „Kernschmelze“ des Finanzsystems erforderlich, wie die Beklagte geltend macht, wenn Lehman die übernommenen Verbindlichkeit irgendwann nicht mehr abdecken konnte und auch die Hypotheken auf den US-Immobilien zur Absicherung nicht mehr ausreichten. Das ist ein völlig normaler wirtschaftlicher Vorgang, nämlich der Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt. Das Risiko, dass in diesem Kontext Lehman das Geld für die Bedienung ihrer Garantien für von Tochtergesellschaften ausgegebene Anleihen bis 2012 ausgehen konnte, war nie ausgeschlossen.

Deshalb war nicht ausreichend, dass die Mitarbeiterin F. der Beklagten lediglich auf ein theoretisches Insolvenzrisiko der Lehman-Bank Inc. als Guarantor hinwies, wobei unstreitig ist, dass sie diesen Fall als praktisch ausgeschlossen und nicht ernst zu nehmen beurteilte und darstellte. Damit wurde die Anlage als so sicher hingestellt, dass die Anlage nur theoretisch, aber das soll eben heißen und so hat es der Kläger verstanden und verstehen dürfen, in der Wirklichkeit nie gefährdet war und die Rückzahlung zu 100% sicher ist.

Diese Falschberatung war auch schuldhaft; das Verschulden der Beklagten bezieht sich auf diesen letzten Punkt, dass es eine Garantie für die Garantie von Lehmann insbesondere auch durch die US-amerikanische Regierung nicht gab, nicht darauf, wann und ob und wodurch Lehman insolvent werden konnte, dafür ist die Beklagte in der Tat nicht verantwortlich. Wenn sich Frau F. mit dem Kläger nach dem Vortrag der Beklagten einig war, dass die Insolvenz von Lehmann „so unwahrscheinlich ist wie die der Deutschen Bank AG“, zeigt das nur, dass eine ausreichende Aufklärung nicht erfolgte, sich der Kläger des Risikos erkennbar nicht ausreichend bewusst war und ihm dies eben nicht bewusst gemacht wurde, denn zu einer deutschen Großbank bestanden hinsichtlich des Kapitalerhalts, aber auch hinsichtlich der Bankenaufsicht und der Struktur einer Investmentbank gegenüber einer Geschäftsbank erhebliche Unterschiede; der Vergleich mit der Deutschen Bank AG war deshalb keineswegs zutreffend, sondern schief und irreführend. Ob die Mitarbeiterin das Risiko dabei bewusst eskamotierte, um die Anleihen vor Ablauf der Zeichnungsfrist loszuschlagen, oder selbst für gerechtfertigt hielt, naheliegende Bedenken mit einem solchen schiefen Vergleich vom Tisch zu wischen, bedarf hier keiner Entscheidung. Was Frau F. über Lehman wirklich verlässlich wusste, trägt die Beklagte nicht vor.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Kläger nicht festgelegt war auf den Erwerb von Inhaberschuldverschreibungen, sondern bei der Beklagten auch andere, wesentlich sicherere Formen der Geldanlage wählte. Wenn die Beklagte ihm von sich aus stattdessen eine Inhaberschuldverschreibung einer ausländischen Bank empfiehlt, muss der Hinweis auf das Risiko – nämlich dass allein die Geschäftspolitik von Lehmann, die keineswegs die einer deutschen Geschäftsbank war, entscheiden wird, ob er das Geld tatsächlich zurückerhalten werde – umso klarer vor Augen führen.

Vorliegend ist weiter zu beachten, wie die Beklagte zutreffend vorträgt, dass die streitgegenständlichen Schuldverschreibungen gar keine „Einlagen“ im Sinne der (deutschen) Einlagensicherungssysteme sind und deshalb unabhängig von der Tatsache der ausländischen Domizilierung der Emittentin wie der Garantin schon per se von diesen Einlagensicherungen nicht erfasst wären und es nicht waren. Schon aus diesem Grund ist eine solche Inhaberschuldverschreibung nicht nur nicht so sicher wie abgesicherte deutsche (Spar-)Einlagen, sondern sie sind als solche nicht sicher.

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2009 (IX ZR 152/08, WM 2009, 1547ff.) ist es in diesem Zusammenhang nicht erheblich und insofern vorliegend neben der Sache, ob sich der Kläger eine Einlagensicherung für die Lehman-Anleihe positiv als gegeben vorstellte. Dies muss vorliegend nicht festgestellt werden. Der Kläger trägt vor, sich darüber keine Gedanken gemacht zu haben, Gegenteiliges trägt die Beklagte nicht vor und stellt es auch nicht unter Beweis, gesprochen wurde darüber unstreitig nicht. Insoweit kommt es nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs nur darauf an, ob die empfohlene Geldanlage dem Anlageziel des Klägers entsprach und ihm als „sicher“ angeboten werden durfte. Eine Einlage, die einem Sicherungssystem unterliegt, darf als „sicher“ empfohlen werden. Das war vorliegend wie die Beklagte zutreffend vorträgt, nicht der Fall, und nicht nur, weil die Lehman-Banken im Ausland domizilierten, sondern weil Inhaberschuldverschreibungen den (deutschen) Sicherungssystemen als solche nicht unterliegen. Die Beklagte kann sich deshalb auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich der Kläger aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften des ESEAG oder dem Flyer der Emittentin oder den allgemeinen Informationen zu Geldanlagen die richtige Information hätte herauslesen können – wenn er sie denn gelesen hätte. Dazu war er nicht verpflichtet, denn der Kläger hatte die Beratung der Beklagten in Anspruch genommen, um diesbezüglich im Hinblick auf sein Anlageziel „sicher“ vollständig, umfassend und richtig beraten zu werden. Er verließ sich und er durfte sich darauf verlassen, dass die Anlage, die die Beklagte ihm als „sicher“ im dargestellten Sinne anpries, sicher war. Insofern ist der Beklagten zuzugeben, dass aus der zitierten BGH-Entscheidung nicht folgt, dass sie von sich aus darüber aufklären musste, dass die Anleihe nicht als Einlage den deutschen Einlagesicherungssystemen unterliege. Nach dem BGH darf eine solche Anleihe aber nicht als sicher empfohlen werden, wie es hier geschah, wenn sie es – u.a. mangels Einlagensicherung – tatsächlich nicht ist (so auch Veil, WM 2009, 1585 (1592 r. Sp).

Auf die weitere Frage, ob die Beklagte auch über die von ihr erzielten Verkaufsgewinne hätte aufklären müssen, kommt es vorliegend nicht mehr an; das Gericht weist aber zur Vermeidung von Missverständnissen darauf hin, dass gegenüber dem dem Urteil der Kammer vom 25.03.2009 (Geschäftsnummer 322 O 183/08, veröffentlich in juris ) zugrundeliegenden Sachverhalt erhebliche Unterschiede bestehen und die dort vertretene Auffassung hinsichtlich der Aufklärung über sog. Innenprovisionen beim Vertrieb von Filmfondsanteilen auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres übertragbar ist. Der Anleger in jener Konstellation brauchte mit der Vereinnahmung von Provisionen durch die Bank ohne einen entsprechenden Hinweis der Bank nicht zu rechnen und dadurch war der bestehende Interessenkonflikt der Bank bei der Beratung für ihn nicht einmal ansatzweise erkennbar. Demgegenüber dürfte ein Kunde einer Bank, die offen als Verkäuferin auftritt, mit einer Gewinnmarge jedenfalls prinzipiell zu rechnen haben und deshalb auch ein Absatzinteresse der Bank berücksichtigen können.

Die Beklagte ist dem Kläger deshalb zum Schadensersatz verpflichtet. Der Schaden besteht in der Gegenleistung für die gekauften wertlosen Wertpapiere, also einschließlich des Aufschlags 10.100 EUR. Dass der Kläger und seine Ehefrau um diesen Betrag im Sinne des § 249 BGB geschädigt sind, steht fest, da unstreitig ist, dass die gekauften Wertpapiere wertlos sind und wertlos bleiben. Deshalb kann die Beklagte mit Erfolg auch kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Eine Zug-um-Zug-Verurteilung ist nicht erforderlich, da kein Rücktritt vorliegt, sondern Schadensersatz im Wege der Differenzrechnung geltend gemacht wird und feststeht, dass die Papiere keinen Wert haben und je erlangen werden.

Der Kläger hat weiter Anspruch auf entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). Der Kläger hätte den aufgewendeten Betrag für eine andere gewinnbringende Anlage eingesetzt, er hätte dies etwa bei der Beklagten mit einer Verzinsung in Höhe von vier Prozent p.a. tun können, dies rechtfertigt die weitere Klagforderung von 1010 EUR in jedem Falle, ohne dass hierfür festgestellt werden muss, ob es dem Kläger gelungen wäre, andernorts einen Jahreszinssatz von fünf Prozent zu erlangen, was die Beklagte bestreitet.

Die Nebenforderungen ergeben sich aus §§ 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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