AG Halle (Saale), Urteil vom 21.07.2011 – 93 C 1407/10
Eine Kfz-Werkstatt hat vor dem Kunden einen Wissensvorsprung. Sie darf sich daher nicht einfach darauf zurückziehen, die Herstellervorgaben umzusetzen. Sie muss den Kunden auch aufklären darüber, dass mit steigender Laufleistung auch die Ausfallwahrscheinlichkeit steigt. Wenn bei einem seltenen Modell die Werkstatt keine ausreichende Erfahrung hat, ab welcher konkreten Laufleistung die Ausfallwahrscheinlichkeit steigt, muss sie auch darüber den Kunden aufklären und ihm den sichersten Weg zur Vermeidung des Ausfalls vorschlagen (Rn. 19).
Tenor
1.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.660,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. September 2009 zu bezahlen.
2.) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
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Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche wegen einer Kfz-Inspektion geltend.
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V… N…, der Vater der Klägerin, ist Nutzer eines im Eigentum seiner Frau M… E…-N… stehenden PKW Hyundai Terracan 2,9 GLI, Erstzulassung am 9. Juni 2004. Dieses Fahrzeug gab er am 15. Juni 2009 zur Beklagten zu der nach 90.000 Kilometern oder sechs Jahren fällig werdenden Inspektion. Der Kilometerstand betrug zu diesem Zeitpunkt 80.129 Kilometer. Bei dieser Inspektion tauschte die Beklagte den Zahnriemen, nicht aber die Spannrolle aus. Nach der Inspektion fuhr V… N… mit dem Fahrzeug in den Urlaub. Nach dem Urlaub blieb das Fahrzeug von V… N… nach einer Laufleistung von weiteren ca. 2.000 Kilometern mit Motorschaden liegen. Ursache war ein Defekt der Spannrolle. V… N… ließ sein Fahrzeug zur Beklagten schleppen. Dort wurde das Fahrzeug repariert, wobei unter anderem auch der Zahnriemen erneut ausgetauscht wurde. Die Beklagte stellte V… N… eine Rechnung für die ausgeführte Reparatur über 2.387,40 €. Diese Rechnung bezahlte V… N… zunächst unter Vorbehalt, damit nicht die Beklagte ihr Werkunternehmerpfandrecht an seinem Fahrzeug geltend macht.
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V… N… trat seine Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Wegen der Einzelheiten wird auf den Abtretungsvertrag Anlage K 1 Bl. 5 d. A. Band I. verwiesen.
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Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die unter Vorbehalt gezahlten Reparaturkosten von 2.387,40 € zurück. Zudem macht sie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend.
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Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte dem V… N… am Telefon zugesichert habe, die Reparatur des Motorschadens kostenlos durchzuführen. Außerdem behauptet die Klägerin, dass bei der Inspektion nach 90.000 Kilometern auch die Spannrolle gewechselt werden müsste. Zudem hätte nach Behauptung der Klägerin der Defekt der Spannrolle, der letztlich zu dem Motorschaden führte, schon bei der Inspektion am 15. Juni 2009 bemerkt werden müssen. Die Klägerin bestreitet, dass die Beklagte die Spannrolle ausreichend visuell und mechanisch überprüft hat. Sie behauptet, dass der Defekt der Spannrolle zum Zeitpunkt der Inspektion schon vorgelegen habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.387,40 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. September 20090 sowie weitere 272,87 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. September 2009 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, nach den Vorgaben von Hyundai sei bei der nach 90.000 Kilometern oder sechs Jahren fällig werdenden Inspektion nur der Zahnriemen, nicht aber die Spannrolle, zu wechseln. Wegen der Einzelheiten wird auf die „Wartungs-Checkliste“ Anlage B 1 Bl. 26 d. A. Band I. verwiesen. Die Beklagte behauptet weiter, bei der Inspektion die Spannrolle ausreichend visuell und mechanisch geprüft zu haben, dabei sei kein Defekt festgestellt worden. Die Beklagte bestreitet, dem V… N… zugesichert zu haben, dass die Reparatur kostenlos erfolge.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2010 verwiesen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen V… N…, M… E…-N… und R… W…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2010 verwiesen.
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Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. U… F… von der DEKRA H… und seine Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten Bl. 124 – 127 Band I. d. A. und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Anspruchsgrundlage ist § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 398 BGB.
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Die Beklagte muss V… N… die Reparaturkosten für den Motorschaden ersetzen, und zwar als Schadensersatz für eine Pflichtverletzung bei der Inspektion am 15. Juni 2009. Hierbei ist unerheblich, dass nicht V… N…, sondern seine Frau M… E…-N… Eigentümer des beschädigten Fahrzeuges ist. Da unstreitig der Kläger Vertragspartner der Beklagten war, kann er nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation (Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Auflage, 112ff. vor § 249) den vertraglichen Schadensersatzanspruch geltend machen und Zahlung an sich verlangen.
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Zwar gibt es, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, von Hyundai keine Vorgabe, dass bei der nach 90.000 Kilometern oder sechs Jahren fällig werdenden Inspektion die Spannrolle ausgetauscht werden muss. Daher stellt die unterlassene Auswechslung der Spannrolle als solche keine Pflichtverletzung der Beklagten dar. Im Gegenteil hätte es V… N… schlimmstenfalls der Beklagten als Pflichtverletzung und „Abzocke“ anlasten können, wenn sie trotz fehlender Vorgabe des Herstellers einfach die Spannrolle gewechselt und damit für V… N… weitere Kosten verursacht hätte.
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Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass die Beklagte die Spannrolle bei der Inspektion nur unzureichend geprüft hat. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass nach eine Laufleistung von weiteren 2.000 Kilometern durchaus ein Defekt an der Spannrolle auftreten könne, welcher vorher noch nicht vorhanden war. Daher kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte bei der Inspektion einen Defekt an der Spannrolle übersehen hat.
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Eine Pflichtverletzung der Beklagten liegt aber darin, dass die Beklagte den V… N… bei der Inspektion nicht ausreichend beraten hat. Die Beklagte hätte V… N… darauf hinweisen müssen, dass bei steigender Laufleistung die Wahrscheinlichkeit, dass die Spannrolle ausfällt, steigt, und dass es mangels konkreter Erfahrungen mit dem Hyundai Terracan angesichts der mit höherer Laufleistung steigender Ausfallwahrscheinlichkeit empfehlenswert ist, trotz fehlender Herstellervorgabe die Spannrolle zu wechseln. Dies steht fest durch die überzeugenden mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Findeisen. Dieser hat ausdrücklich bekundet, dass viele Werkstätten auch unabhängig von Herstellervorgaben einen Wechsel der Spannrolle empfehlen und dass es auch im konkreten Fall angebracht gewesen wäre, eine derartige Empfehlung zu geben. Ob dann trotz fehlender Herstellervorgabe die Spannrolle tatsächlich gewechselt werden solle, müsse der Kunde entscheiden.
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Dies überzeugt das Gericht. Die Werkstatt hat vor dem Kunden einen Wissensvorsprung. Sie darf sich daher nicht einfach darauf zurückziehen, die Herstellervorgaben umzusetzen. Sie muss den Kunden auch aufklären darüber, dass – wie der Sachverständige ausgeführt hat – mit steigender Laufleistung auch die Ausfallwahrscheinlichkeit steigt. Wenn bei einem seltenen Modell die Werkstatt keine ausreichende Erfahrung hat, ab welcher konkreten Laufleistung die Ausfallwahrscheinlichkeit steigt, muss sie auch darüber den Kunden aufklären, denn in diesem Fall ist es der sicherste und von der Werkstatt deshalb vorzuschlagende Weg, die Spannrolle auszutauschen.
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Insoweit wird, nicht anders als auch sonst, vermutet, dass der Kunde sich aufklärungsgerecht verhält, im vorliegenden Fall also eine Auswechslung der Spannrolle in Auftrag gegeben hätte. Da der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, dass nach eine bestimmten, nicht konkret bezifferbaren, Laufleistung die Ausfallwahrscheinlichkeit steige, geht das Gericht davon aus, dass der Motorschaden nicht eingetreten wäre, wenn die Spannrolle gewechselt worden wäre.
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Auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 17. Dezember 2010 (Az. 4 U 171/09, zitiert nach juris) entschieden, dass es im Rahmen einer Kfz-Inspektion Hinweispflichten der Werkstatt gibt und dass es eine Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens des Kunden gibt. Wenn es dort auch um andere Fragestellungen ging – Hinweis auf eine Maßnahme, die zwar noch nicht notwendig ist, deren Notwendigkeit aber unmittelbar bevorsteht –, während vorliegend gerade um die Notwendigkeit des Spannrollenwechsels gestritten wird, so ist doch auf den allgemeinen Rechtsgedanken abzuheben, dass Werkstätten auch auf sinnvolle Maßnahme hinweisen müssen, wenn diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom Hersteller noch nicht vorgegeben sind.
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Dass vorliegend das Fahrzeug des V… N… weder sechs Jahre alt war noch eine Laufleistung von 90.000 Kilometern hatte, als die Inspektion durchgeführt wurde, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass die bei einem Fahrzeugalter von sechs Jahren bzw. einer Laufleistung von 90.000 Kilometern fällige Inspektion durchgeführt wurde.
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Da bereits nach dem Gesagten die Klage begründet ist, kommt es auf die weiteren Ausführungen der Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 14. Juli 2011 ebenso wenig an wie darauf, ob die Beklagte dem V… N… eine kostenlose Reparatur zugesichert hat oder nicht.
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Den nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 14. Juli 2011 hat das Gericht zur Kenntnis genommen. Er rechtfertigt aber keine andere Entscheidung. Insbesondere ist es unerheblich, ob bei zwei anderen Hyundai Terracan die Beklagte die Spannrolle nach 90.000 Kilometern und 180.000 Kilometern ebenfalls nicht ausgetauscht hat und dort kein Defekt an der Spannrolle eingetreten ist. Bei derart wenigen Fahrzeugen kann man keinesfalls von einer ausreichenden Erfahrung dahingehend sprechen, dass bei der Inspektion nach 90.000 Kilometern ein Austausch der Spannrolle nicht erforderlich ist.
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Die vorgerichtlichen Anwaltskosten, die der Höhe nach schlüssig vorgetragen und nicht bestritten sind, muss die Beklagte ebenfalls als Schadensersatz leisten, sodass es nicht darauf ankommt, ob sich die Beklagte bei Beauftragung des Rechtsanwaltes in Verzug befand.
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Die Beklagte muss daher sowohl die Hauptforderung von 2.387,40 € als auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten von 272,87 €, mithin insgesamt 2.660,27 € bezahlen.
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Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.