Zur Aufklärungspflicht des Arztes über Gefahren bei vom Patienten verweigerter Behandlung

OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.06.2001 – 4 U 28/00

Zur Aufklärungspflicht des Arztes über Gefahren bei vom Patienten verweigerter Behandlung

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 07. Januar 2000 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer für den Kläger beträgt 13.500,07 DM.

Tatbestand
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Aufgrund einer Verletzung des linken Zeigefingers, vermutlich von dem Stich einer Rose etwa am 20. Mai 1997, begab sich die Zeugin K., Ehefrau des Klägers, am 26. Mai 1997 in die Behandlung ihres praktischen Arztes Dr. S., der die Wunde kühlte und das Antibiotikum Isocillin Mega 1.2 verschrieb. Am 28. Mai 1997 wurde sie an den Beklagten, einen niedergelassenen Chirurgen, zur Weiterbehandlung überwiesen. Dieser röntgte die Wunde, nahm einen Hautschnitt vor und legte der Zeugin eine Unterarmschiene an; einen operativen Eingriff unternahm er am 28. Mai 1997 nicht und verschrieb kein anderes Antibiotikum.

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Nach weiteren Konsultationen an den beiden darauffolgenden Tagen überwies der Beklagte die Zeugin K. am 30. Mai 1997 in die Chirurgische Abteilung des Klinikums Nord in Hamburg, wo sie noch am selben Tag operiert wurde.

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Wegen behaupteter Dauerschäden der Zeugin K. (Vernarbung, Krümmung des Fingers, Gelenkschmerzen, Angstzuständen, Schlafstörungen, erhöhter Blutdruck, streßbedingte Neurodermitis und zeitweilige Depressionen), die auf die Verzögerung der Operation zurückzuführen seien, macht der Kläger gegen den Beklagten einen materiellen Schadensersatz in Höhe von 3.500,07 DM (im wesentlichen Fahrtkosten zum Krankenhaus bzw. zur Krankengymnastik sowie Kosten für die Stornierung eines bereits gebuchten Wohnanhängers) zuzüglich 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit und ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 10.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 11. April 1998 geltend. Die Zeugin K. hatte ihm ihre Ansprüche abgetreten, damit sie als Zeugin aussagen kann.

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Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sie in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe
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Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

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Der Kläger nimmt aus abgetretenem Recht den Beklagten gem. §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB und aus positiver Vertragsverletzung in Anspruch. Behandlungsfehler des Beklagten lassen sich jedoch nicht feststellen.

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I. Die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe der Zeugin K. die Durchführung eines operativen Eingriffs trotz (unstreitiger) Erforderlichkeit nicht empfohlen, ist durch die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme widerlegt worden. Vielmehr ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zeugin K. die Durchführung der angeratenen Operation verweigert hatte. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und die dortige umfassende und erschöpfende Beweiswürdigung verwiesen. Sie hat auch insofern Bestand, als der Beklagte für die Weigerung der Zeugin K. – unabhängig von eventuellen Beweiserleichterungen zu Gunsten des Klägers wegen Dokumentationsversäumnissen des Beklagten – die Beweislast trägt, was indessen das Landgericht offen gelassen hat; die Behandlungsverweigerung fällt in den Bereich des Mitverschuldens des Patienten, wenn der den Arzt treffende Vorwurf gerade darin besteht, eine bestimmte Behandlungsmaßnahme unterlassen zu haben (vgl. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl. 2001, Rn 129).

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Die Berufung vermag keinen Gesichtspunkt aufzuzeigen, der eine erneute Vernehmung der Zeugen erforderlich macht (§ 398 Abs. 1 ZPO). Demnach ist trotz vorhandener Mängel in der Dokumentation des Beklagten davon auszugehen, dass die Zeugin K. einen vom Beklagten angeratenen operativen Eingriff abgelehnt hat. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Behauptung des Klägers, der Beklagte habe seine PC-Dokumentation nachträglich verändert, bedarf es schon von daher nicht.

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II. Auch ein Verstoß des Beklagten gegen die therapeutische Aufklärungspflicht ist nicht festzustellen. Zwar trifft den Arzt die Verpflichtung, den Patienten auf mögliche, dem Laien nicht ohne weiteres bekannte Gefahren hinzuweisen. Er hat also im Falle der Erforderlichkeit eines notwendigen operativen Eingriffs wegen akuter Gesundheitsgefährdung dem Patienten den Eingriff in der gebotenen Form eindringlich nahe zu legen. Gegen diese Aufklärungspflicht hat der Beklagte aber nicht verstoßen, auch wenn davon auszugehen ist, dass der Beklagte die Zeugin K. nicht auf die schwersten Folgen einer Blutvergiftung (nämlich Amputation oder gar Tod) bei Unterbleiben des operativen Eingriffs in den entzündeten Finger hingewiesen hatte, weil er – so der Beklagte – die ohnehin verängstigte Zeugin nicht weiter habe verschrecken wollen. Offen ist auch geblieben, ob der Beklagte mit der Zeugin und dem Kläger über etwaige leichtere Folgen der Entzündung gesprochen hatte. Gleichwohl hat er seine therapeutische Aufklärungspflicht damit noch nicht verletzt.

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Denn über allgemein bekannte Krankheitsverläufe, die im Falle der Nichtdurchführung gebotener ärztlicher Behandlung zu erwarten stehen, braucht der Patient nicht aufgeklärt zu werden (vgl. zur Risikoaufklärung: OLG Stuttgart VersR 1999, 1500 = NJW-RR 1999, 751). So drängt sich selbst für den medizinischen Laien bei dem vorliegenden Bild einer sich auf die Hand ausbreitenden Entzündung des Fingers auch ohne ärztlichen Hinweis auf, dass bei Nichtdurchführung der angeratenen Behandlung die weitere Ausbreitung eines Entzündungsherdes etwa zu einer Blutvergiftung und dauerhaften Schädigungen des angegriffenen Körperteils und insgesamt der Gesundheit des Patienten führen kann.

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Hinzu kommt vorliegend noch, dass der Beklagte mit der Zeugin K. und dem Kläger am 28. Mai 1997 und an den darauffolgenden Tagen – wie die erstinstanzliche Beweisaufnahme ergeben hat – längerdauernde, auf ein ambulantes Operieren ausgerichtete Gespräche geführt und schon am 28. Mai auch darauf hingewiesen hatte, dass über den Wundbereich hinaus eine Entfernung angegriffenen Gewebes erforderlich sein, mithin der operativ zu behandelnde Bereich sich bereits ausgedehnt haben könnte. Dies hat der Beklagte, dessen Glaubwürdigkeit auch auf dem Umstand beruht, dass er zur Frage des Aufzeigens eventueller nachteiliger Folgen des Unterlassens der Operation nicht etwa für sich günstigere Behauptungen in den Raum gestellt hat, in seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft und nachvollziehbar im Hinblick auf die Dauer des Gesprächs bestätigt.

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Aus den intensiven Hinweisen des Beklagten auf die Dringlichkeit war auch für die Zeugin als medizinischer Laie unübersehbar, dass eine die Gesundheit beeinträchtigende Ausbreitung des krankhaften Zustands drohte. Dann bedurfte es aber nicht mehr eines gesonderten Hinweises des behandelnden Arztes auf dem Patienten ohnehin vor Augen stehende Risiken.

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III. Ein Behandlungsfehler des Beklagten ist auch nicht darin zu erblicken, dass er der Zeugin K. kein – gegenüber dem von dem Arzt Dr. S. verschriebenen Antibiotikum Isocillin 1.2 Mega – stärkeres Antibiotikum verschrieben hatte.

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Der zu dieser Frage hinzugezogene Sachverständige Dr. med. T., an dessen Sachkunde und Erfahrung der Senat keine Zweifel hat, hat im Verhandlungstermin vor dem Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die Weitergabe dieses Medikaments nicht fehlerhaft gewesen sei. Hätte er, der Sachverständige, diese Verschreibung vom Vorbehandler vorgefunden, hätte er es ebenfalls nicht abgesetzt. Denn nach einem Tag sei noch nicht erkennbar, ob ein Antibiotikum wirke. Beginne man nun mit einer neuen Medikation, müsse man wieder warten, um zu sehen, ob das neue Antibiotikum greift (man habe aber vor einem operativen Eingriff nur „einen Schuß“ frei). Diese Verzögerung sei dann nicht mehr gerechtfertigt. Auch bei weiterhin bestehender oder gar zunehmender Schwellung, der für sich gesehen wegen des tags zuvor angelegten Verbands eine übermäßige Bewertung nicht zukomme, bedeute die Faltung um die Einritzstelle eine Besserung, denn daraus lasse sich schließen, dass der Körper begonnen habe, die Entzündung abzubauen. Der Umstand, dass am 30. Mai 1997 ein ganz massives Krankheitsbild aufgetreten sei, lasse demgegenüber nicht darauf schließen, dass am 29. Mai eine Besserungstendenz nicht bestanden habe. Denn eine so kurzzeitige verschlimmernde Entwicklung sei erfahrungsgemäß durchaus möglich.

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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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