Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.02.2014 – 2 Sa 132/13
Zur Arbeitnehmerhaftung wegen abhanden gekommener Paletten.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Im Berufungsverfahren verlangt der klagende Arbeitgeber von seinem ehemaligen Arbeitnehmer Schadensersatz aus zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten. Dem liegt ausweislich des Sachverhalts des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.05.2013 – 3 Ca 1528/12 – folgender Sachverhalt zugrunde, wobei die in dem Tatbestand genannten Reinigungskosten im Berufungsverfahren nicht mehr im Streit sind:
2
Der Beklage war für den Kläger vom 7. November 2011 bis Ende Mai 2012 als Fahrer tätig. Er hat 1.400,00 EUR brutto monatlich verdient zuzüglich Spesen in Höhe von durchschnittlich 200,00 EUR im Monat. Wegen der weiteren Einzelheiten der verabredeten Arbeitsbedingungen wird auf den Arbeitsvertrag, unterzeichnet unter dem 20. Januar 2012 Bezug genommen (Anlage K1, hier Blatt 37 ff).
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Der klagende Arbeitgeber unterhält einen Fuhrbetrieb mit mehreren LKW. Sein Hauptauftraggeber möglicherweise sogar sein ausschließlicher Auftraggeber ist die W. Spedition AG mit Sitz in B. (zukünftig hier abgekürzt mit W. bezeichnet), die den Kläger als Frachtführer einsetzt.
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Die tatsächliche Zusammenarbeit der Parteien endete am 31. Mai 2012, als der Beklagte den ihm anvertrauten LKW weisungswidrig zum Betriebshof des Klägers brachte, ihn beräumte und dem Kläger mitteilte, er werde ab sofort nicht mehr für ihn arbeiten. Rechtlich endete das Arbeitsverhältnis der Parteien spätestens durch die schriftliche Kündigung des Klägers vom 13. Juli 2012 mit Ablauf des 15. August 2012, gegen die sich der Beklagte nicht zur Wehr gesetzt hat.
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Der Kläger verlangt aus drei unterschiedlichen Gesichtspunkten Schadensersatz vom Beklagten in Höhe von rund 5.800 EUR. Es geht um Palettendifferenzen (rund 4.800,00 EUR), um Ladungsdifferenzen (rund 430,00 EUR) und um die Kosten der Reinigung des LKW nach der Rückgabe an den Kläger (rund 550,00 EUR). Unstreitig sind dabei die folgenden Umstände:
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W. macht dem Kläger Vorgaben, wie er als Frachtführer für W. mit Paletten und anderen Lademitteln umzugehen hat. Dabei schreibt W. vor, dass der Frachtführer bzw. sein Fahrer neben den Frachtpapieren zusätzlich sog. Palettenscheine ausfüllt und an der Ladestelle bzw. der Entladestelle gegenzeichnen lässt. Das von W. dafür entwickelte Formular (vom Kläger in der mündlichen Verhandlung überreicht, hier Blatt 152) besteht aus einem Durchschreibesatz mit einem Original und zwei Durchschlägen. Ein Exemplar des ausgefüllten Formulars bleibt vor Ort an der Lade- oder Entladestelle, ein weiteres Exemplar wird an W. weitergeleitet. Dort wird für jeden Frachtführer und jeden von ihm eingesetzten LKW ein Palettenkonto geführt, das – nach Einlassung des Klägers – im Regelfall ausgeglichen sein müsste. Ein Auszug aus diesem Palettenkonto den LKW betreffend, der dem Beklagten anvertraut war, ist als Anlage K2 zur Akte gereicht worden (wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen, hier Blatt 43 ff). Der Kläger hat seine Fahrer zusätzlich angewiesen, jeden Palettenschein noch zu kopieren und ihm die Kopie zuzusenden.
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Von W. besteht die Anweisung für die Frachtführer, sämtliche Be- und Entladevorgänge sozusagen packmittelneutral durchzuführen. Werden also beispielsweise an einer Beladestelle 40 bepackte Euro-Paletten aufgenommen, sollte der Frachtführer bzw. der von ihm eingesetzte Fahrer im Gegenzug 40 Leer-Paletten an der Ladestelle abgeben. Wenn der Frachtführer oder sein Fahrer dann an der Entladestelle die 40 vollen Paletten ablädt, soll bzw. muss er dort wieder 40 Leer-Paletten aufnehmen, damit auch dieser Vorgang packmittelneutral abgewickelt wird.
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Das von W. ausgegebene Formular „Palettenschein“ sieht aber auch Ausnahmen vom Regelfall vor. Im unteren Viertel sind vier Situationen skizziert, die man durch Ankreuzen auswählen kann. Wörtlich heißt es dort:
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“Der Empfänger übergibt keine bzw. keine ausreichenden Paletten/Lademittel aus folgenden Gründen:
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– keine bzw. ausreichenden tauschfähigen Paletten/Lademittel vorhanden
– Empfänger führt mit dem Versender Palettenkonto
– kein Paletten- / Lademitteltausch mit der W. Spedition AG vereinbart
– Frachtführer lehnt Entgegennahme von Paletten / Lademitteln ab”
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Im Packmittelkontoauszug, den W. für die Frachtführer und deren LKW führt, wird unter dem Kürzel “Bel.” (Belastung) vermerkt, wie viele Paletten an den Frachtführer herausgegeben wurden. Unter dem Kürzel “Gut.” (Gutschrift) ist vermerkt, wie viele Paletten der Frachtführer wieder in den Machtbereich der W. zurückgegeben hat. Mit jeder Zeile in dem Kontoauszug wird jeweils ein Be- oder Entladevorgang dokumentiert. Ergänzend finden sich dort Angaben zum Datum des aufgeführten Geschäftsvorfalls, zur Tour-Nummer und zur Auftragsnummer sowie zum “Empfänger/Absender”.
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Zählt man die Einzelwerte in den Spalten „Bel.“ und „Gut.“ für den LKW des Beklagten und für die Zeit seiner Beschäftigung zusammen und subtrahiert die aufsummierten Gutschriften von den aufsummierten Belastungen, ergibt sich – wenn der Kläger richtig gerechnet hat, was das Gericht nur überschlägig geprüft hat – ein negatives Saldo zu Lasten des Klägers bzw. zu Lasten des Beklagten als Fahrer im Umfang von 395 Euro-Paletten. Euro-Paletten werden bei W. vergleichbar mit den Regeln beim Flaschenpfand pauschal mit 12,00 EUR pro Palette bewertet und zwar unabhängig vom konkreten Zustand der einzelnen Palette.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger seine Fahrer spätestens anlässlich der Weihnachtsfeier am 3. Dezember 2011 (Protokoll als Anlage K5 überreicht, hier Blatt 56 ff) dazu verpflichtet hat, die Palettenscheine nach den Wünschen der W. auszufüllen und entsprechend abzuliefern.
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Der Schadensposten mit den Ladungsdifferenzen bezieht sich auf 20 Kartons Bügel-Bikini, die vom abnehmenden Kunden an der Entladestelle in den Papieren als nicht geliefert bezeichnet worden sind. Der Beklagte hat die Sendung, die nach den Frachtpapieren insgesamt 115 Kartons umfasst hat, am 27. April 2012 hier im Norden übernommen und sie sodann nach B. (Baden-Württemberg) transportiert. Beim Abladen wurde lediglich der Empfang von 95 Kartons quittiert und 20 Kartons als nicht geliefert moniert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ohne Widerspruch durch den Kläger dazu ergänzend vorgetragen, bei der Übernahme der Ware sei mindestens eine Palette mit Kartons aufgelöst worden, da es keinen Stellplatz dafür mehr auf dem LKW gegeben habe. Die Kartons der aufgelösten Palette(n) seien auf die anderen Paletten dieser Sendung verteilt worden. – Wegen der aufgetretenen Warendifferenz ist der Kläger von der Spedition W. mit Rechnung vom 6. August 2012 in Höhe von 429,10 EUR in Anspruch genommen worden (Anlage K8 und K9, hier Blatt 63 f), nachdem diese ihrem Auftraggeber gegenüber im Juli 2012 durch Verrechnung entsprechende Zahlung geleistet hatte (Anlage K7, hier Blatt 62)…
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Der Kläger behauptet, W. fordere von ihm nach wie vor den finanziellen Ausgleich des Palettenkontos im Umfang von 395 Paletten je 12,00 EUR. Ergänzend führt der Kläger aus, der vorgelegte Packmittelkontoauszug sei nicht vollständig. In ihm seien vielmehr nur die Palettentauschvorgänge aufgeführt, die vom Beklagten fehlerhaft durchgeführt worden seien. Die Aussage des Kontoauszuges sei eindeutig. Entweder habe der Beklagte die Paletten unterschlagen oder er habe es absichtlich versäumt, die Palettenscheine auszufüllen bzw. die dafür erforderlichen Unterschriften einzuholen und die Scheine dann abzugeben.
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Auch bei den fehlenden 20 Kartons mit den Bügel-Bikinis, die in B. gefehlt hätten, müsse man davon ausgehen, dass der Beklagte diese für eigene Zwecke verwendet habe. Zumindest treffe ihn die Darlegungslast für den Verbleib der Kartons, da sie in seiner Obhut abhandengekommen seien. Der Beklagte müsse aber auch dann haften, wenn man zu seinen Gunsten annehme, er habe sich bei Übernahme der Ware zu Lasten des Klägers verzählt, da es zu seinen Arbeitsaufgaben gehöre, richtig zu zählen.
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In den Entscheidungsgründen heißt es, dass die hier im Streit stehenden Forderungen dem Kläger nicht zustünden. Aufgrund des Packmittelauszuges könne nicht festgestellt werden, ob der Beklagte Pflichtwidrigkeiten begangen habe, die ihn schadensersatzpflichtig machen würden. Jedenfalls habe der Kläger ein erhebliches Mitverschulden, das zu einem völligen Ausschluss der Haftung des Beklagten führen könne. Der Kläger habe in der Startphase der Einführung der Palettenscheine besonders die Pflicht gehabt, die korrekte Handhabung zu beobachten und gegebenenfalls steuernd einzugreifen.
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Auch eine Haftung wegen der Warendifferenz über 20 Kartons Bügel-Bikini sei nicht schlüssig vorgetragen. Die Differenz könnte durch einen Diebstahl des Beklagten entstanden sein. Ebenso gut ist jedoch möglich, dass lediglich an der Be- oder Entladestation falsch gezählt worden sei. Schließlich sei die Klage in diesem Punkt schon deshalb unschlüssig, weil der Kläger nicht bestritten habe, dass es sich um soweit um ein versichertes Ereignis gehandelt habe und er auch Ausgleich von einer Versicherung von den Schaden bekommen könnte.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger insoweit Berufung eingelegt, als er unterlegen ist. Das Gericht habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Es hätte den Beklagten persönlich anhören müssen. Der Beklagte sei bereits vor der Weihnachtsfeier über die konkrete Verfahrensweise mit den Paletten belehrt worden. Nur der Beklagte habe Einfluss auf die Führung des Palettenkontos gehabt. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet, das Palettenkonto für seine Mitarbeiter auszugleichen. Aus dem Packmittelkontoauszug der W. Spedition AG vom 09.02.2011 ergäben sich vollständig die nicht ausgeglichenen Palettenbewegungsvorgänge für den geltend gemachten Zeitraum. Hiermit habe sich das Arbeitsgericht nicht auseinander gesetzt.
20
Hinsichtlich der Bügel-Bikini habe der Beklagte unterzeichnet, dass er die Kartons erhalten habe. Dann müsse er sich auch zu dem Verbleich äußern können. Selbst wenn an der Entladestelle falsch gezählt worden sei, wäre hierfür der Beklagte verantwortlich. Die Inanspruchnahme einer Versicherung sei nicht erfolgt und sei auch nicht möglich.
21
Der Kläger beantragt:
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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.05.2013 – 3 Ca 1528/12 – abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger – über den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 210,00 EUR hinaus – weitere 5.505,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2012 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
25
Der Beklagte tritt der angefochtenen Entscheidung bei.
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Hinsicht des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, die Klage in dem hier in Rede stehenden Umfang abgewiesen. Zu den Angriffen der Berufung gilt Folgendes:
1.
28
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz des Betrages, der ihm von der W. Spedition wegen fehlender Paletten in Rechnung gestellt worden ist. Aus dem Packmittelkontoauszug und den damit zusammenhängenden Beweisantritten lässt sich nur schließen, welche Palettenbewegungen der W. Spedition von den jeweiligen Kunden mitgeteilt worden sind. Aus dem Packmittelkontoauszug selbst ergibt sich nicht, welche Palettenbewegungen tatsächlich stattgefunden haben. Auch die genannten Zeugen können hierzu nichts erklären. Der Beklagte ist ebenso nicht in der Lage, sich hierzu zu erklären. Nach dem von dem Kläger eingeführten System sollte der Beklagte nicht im Besitz von Palettenscheinen verbleiben, die ihn in die Lage versetzt hätten, später noch zu den Palettenbewegungen substantiiert Stellung zu nehmen.
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Im Übrigen ist es für das Gericht unerklärlich, warum der Kläger – wenn er auf seinen eigenen Vortrag vertraut hat – nicht bereits nach den Palettenbewegungen im November 2011 deutlicher reagiert hat. Wenn der Beklagte am 01. und 02.12.2012 insgesamt 87 Paletten aufgenommen und lediglich vier Paletten abgegeben hat (Seite 2 des Schriftsatzes des Klägers vom 19.02.2013), so stellt sich die Frage, warum der Kläger nicht bereits nach Erhalt des monatlichen Packmittelkontoauszuges den Kläger auf diese Differenz angesprochen und Ersatz gefordert hat. Dies wertet auch das Landesarbeitsgericht als ein so erhebliches Mitverschulden des Klägers, dass eine Haftung wegen fahrlässigen Verhaltens des Beklagten ausscheidet. Anhaltspunkte auf ein vorsätzliches Verhalten des Beklagten sind nicht mit ausreichender Sicherheit erkennbar.
2.
30
Dem Kläger steht auch kein Schadensersatz hinsichtlich der fehlenden 20 Kartons Bügel-Bikini zu. Das Gericht geht hierbei davon aus, dass der Beklagte tatsächlich am 27.04.2012 die Ladung mit 115 Kartons übernommen hat und dass bei der Ablieferungsstelle eine Fehlmenge von 20 Kartons festgestellt worden ist.
31
Das Gericht hat sich vom Beklagten die Vorgänge bei der Be- und Entladung schildern lassen. Ein Zählfehler, dem nur leichte Fahrlässigkeit zugrunde liegt, ist hier nicht auszuschließen. Bereits das Arbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass an der Beladestelle eine Palette aufgelöst und deren Kartons auf die anderen Paletten verteilt worden seien. Aus den Gesamtumständen ergibt sich kein Verschuldensgrad, der nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung eine Haftung des Beklagten begründen könnte (vgl. grundsätzlich hierzu: LAG Rheinland-Pfalz vom 14.08.2013, 8 Sa 136/13; zitiert über juris).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO.
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Zur Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand kein Anlass.