Zur Anrechnung einer Steuerrückerstattung bei Hartz IV-Bezug

SG Berlin, Urteil vom 15.04.2011 – S 82 AS 37663/10

Erhält der Empfänger von Hartz IV eine Steuerrückerstattung, so ist diese bis auf einen Freibetrag anzurechnen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung einer Steuerrückerstattung als Einkommen im Monat August 2009.

Die Klägerin bezieht seit 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Mit Bewilligungsbescheid vom 17. März 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 7. Juni 2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld II für den Zeitraum von April bis August 2009.

Am 20. August 2009 wurde dem Konto der Klägerin eine Steuererstattung aus überzahlter Einkommensteuer für das Jahr 2007 in Höhe von 459,86 EUR gutgeschrieben. Die Klägerin verwendete das Geld für Anschaffungen für eine Kur.

Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 18. Januar 2010 hob der Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2010 die der Klägerin für August 2009 bewilligten Leistungen teilweise in Höhe von 429,86 EUR auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Der hiergegen am 18. März 2010 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2010 zurückgewiesen. Darin verweist der Beklagte darauf, dass die Steuererstattung unter Anrechnung eines Freibetrages von 30,00 EUR als Einkommen auf den Bedarf der Klägerin im Monat August anzurechnen ist. Mit der am 14. Dezember 2010 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, dass es sich bei der Steuererstattung um Vermögen handele und der Gleichheitsgrundsatz verletzt sei, da auch eine Anrechnung auf den Arbeitslosengeld I-Bezug nicht erfolge. Ferner habe sie das Geld für Anschaffungen für ihre Kur ausgegeben, so dass sie ohne das Geld für die notwendigen Anschaffungen ein Darlehen vom Beklagten hätte erhalten müssen. Schließlich rügt sie die Anrechnung unrichtiger Freibeträge. Die Klägerin beantragt,den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vom Beklagten in Kopie übersandte Leistungsakte verwiesen, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid 24. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung zuvor bewilligter Leistungen ist § 48 Abs. 1 SGB X, wobei § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III klarstellt, dass die Aufhebung nicht im Ermessen des Beklagten steht, sondern verpflichtend ist. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen eine für die Leistungsgewährung wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X ist ein Verwaltungsakt zudem mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.

Mit Gutschrift der Steuerrückerstattung im August 2010 war die Klägerin in geringerem Maße bedürftig, da der Geldbetrag nach § 11 SGB II als Einkommen auf ihren Bedarf im Monat August 2010 anzurechnen ist.

Nach einhelliger Rechtsprechung beider Senate des Bundessozialgerichts, von denen abzuweichen die Kammer keinen Anlass sieht, stellt eine nach Antragstellung zugeflossene Einkommenssteuerrückerstattung Einkommen und kein Vermögen dar. Das BSG führt in der Entscheidung vom 30. September 2008, B 4 AS 29/07 R dazu aus:

“Bei der nach Antragstellung im Bedarfszeitraum zugeflossenen Einkommensteuererstattung handelt es sich um berücksichtigungsfähiges Einkommen iS des § 11 SGB II und nicht Vermögen iS des § 12 SGB II. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert, …. Als Vermögen sind nach § 12 Abs 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Eine Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen erfolgt durch das SGB II selbst nicht. Nach der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG (Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R), der sich der erkennende Senat anschließt, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (BVerwG Urteile vom 18.2.1999 – 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296 ff; 18.2.1999 – 5 C 14/98 = NJW 1999, 3137) . Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung. Es wird auch im SGB II ausschließlich auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert abgestellt. Von der Regelung des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen ist im Falle der Einkommensteuererstattung daher auch nicht deswegen abzuweichen, weil es sich um Einkommen handelt, das zu einem früheren Zeitpunkt fällig gewesen wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine andere steuerrechtliche Disposition getroffen hätte. Die Steuererstattung gehört nicht zu den bereits erlangten Einkünften, mit denen Vermögen angespart wurde (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 30.9.2008 – B 4 AS 57/07 R zu Zinseinkünften aus einem Sparguthaben). Mit dem BVerwG ist vielmehr davon auszugehen, dass der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig (und zinslos) „angespart“, sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten hat (BVerwGE 108, 296) . Gerade die fehlende Verzinsung des nicht ausgezahlten Einkommens zeigt, dass es sich bei der Steuererstattung nicht um „Vermögensaufbau“ handelt. Zudem zeigen die steuerrechtlichen Dispositionsmöglichkeiten, sei es durch Eintragung eines Freibetrags oder durch die Wahl einer anderen Steuerklasse, dass die Steuererstattung auch kein Rückfluss von Vermögen ist. Der Erstattungsbetrag bleibt, was er bei einer anderen Wahl der Steuerklasse gewesen wäre, Einkommen.“

Mit Urteilen vom 16. Dezember 2008, Az B 4 AS 48/07 R sowie vom 28. Oktober 2009, Az B 14 AS 64/08, haben beide mit der Klärung von Rechtsfragen des SGB II befasste Senate des BSG diese Rechtsauffassung bestätigt. Nach Ansicht der Kammer ist eine etwaig andere steuerrechtliche Bewertung der Rückerstattungsposition nicht relevant. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Klägerin (erst) mit Zufluss der Steuergutschrift diese Mittel zur Deckung ihres Lebensbedarfs einsetzen konnten. Dass die zeitliche Unterscheidung sich am Antragszeitpunkt festmacht und damit durchaus Gestaltungsspielraum besteht, ist nicht zu beanstanden. Bei jeder rechtlichen Bewertung tatsächlicher Verhältnisse ist an bestimmte Handlungszeitpunkte anzuknüpfen, so dass – wenn die Handlungen in der Disposition des Begünstigten stehen – die Handlungszeitpunkte zu Gunsten des Begünstigten beeinflusst werden können. Insoweit unterscheidet sich das Sozialrecht von anderen Rechtsgebieten nicht. Darüber hinaus vermag die Kammer die Verletzung einer schützenswerten Eigentumsposition nicht zu erkennen.

Ebenso ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung mit Beziehern von Arbeitslosengeld I nicht zu erkennen. Arbeitslosengeld I beruht auf Versicherungsleistungen des Leistungsbeziehers. Arbeitslosengeld II wird unabhängig von einem geleisteten Eigenbetrag aus Steuermitteln erbracht, so dass die Anrechnung von Mitteln, die zur Deckung des Lebensbedarfs eingesetzt werden können, gerechtfertigt ist.

Unbeachtlich ist der Einwand der Klägerin, sie hätten für die notwendigen Aufwendungen für die Kur ein Darlehen erhalten müssen, wenn sie die Steuererstattung nicht hätte einsetzen können. Denn auch das Darlehen hätte Sie – wie nunmehr in den Erstattungsbetrag – zurückzahlen müssen. Im Übrigen ist die Aufhebung auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht (lediglich) ein Freibetrag in Höhe von 30,00 EUR zu. Der Freibetrag von 100,00 EUR ist nur auf Erwerbseinkommen anzurechnen. Die Steuerrückerstattung gestellt keinen Erwerbseinkommen dar. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid, denen zu folgen ist, verwiesen, § 136 Abs. 3 SGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das vollständige Unterliegen der Klägerin.

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nicht zu. Der Berufungsstreitwert gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG von 750,00 EUR ist nicht erreicht. Ferner betrifft die Klage keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr, § 144 Abs. 1 S. 2 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung lagen nicht vor, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch von obergerichtlicher Rechtsprechung abgewichen wurde, § 144 Abs. 2 SGG.

Dieser Beitrag wurde unter Sozialrecht abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.