Zur Amtshaftung in Brandenburg wegen Beschädigung eines Kfz durch herabstürzenden Ast eines von einem Pilz befallenen Baums

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15. Januar 2019 – 2 U 49/17

Zur Amtshaftung in Brandenburg wegen Beschädigung eines Kfz durch herabstürzenden Ast eines von einem Pilz befallenen Baums

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 28.09.2017 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 4 O 305/16, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt,

1. an die Klägerin 2.071 € zuzüglich Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.051 € seit dem 03.11.2015 und aus 20 € seit dem 27.08.2016 zu zahlen;

2. zur Freistellung der Klägerin Schadensermittlungskosten in Höhe von weiteren 587,15 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.08.2016 an die Firma G… zu zahlen;

3. zur Freistellung der Klägerin vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 334,75 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.08.2016 zu zahlen an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, … zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 24 % und die Beklagte zu 76 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe
I.

1
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nach einem Astabbruch geltend.

2
Sie ist Eigentümerin des Pkw Mercedes-Benz mit dem Kennzeichen B-UW 839. Am 10.09.2015 parkte der Zeuge U… W… das Fahrzeug am Fahrbahnrand der Straße … in W… . Neben der Straße befinden sich ein Gehweg und Straßenbäume. An diesem Tag brach von einer Linde ein großer, schwerer und weit verzweigter Ast von mehreren Metern Länge und einem Durchmesser von ca. 50 cm und stürzte auf die Motorhaube des geparkten Pkws. An diesem Tag gab es einzelne Windböen.

3
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe den Baumbestand nicht mehrmals im Jahr kontrolliert. Sonst hätte sie erkennen können, dass die Linde eine erhebliche Beschädigung der Baumstruktur aufgewiesen habe. Der heruntergebrochene Ast habe handtellergroße Beschädigungen, vermutlich von einem Specht, gezeigt. Zudem hafteten dem Stamm großflächige Baumpilzwucherungen an; direkt unter dem Astansatz, d. h. unmittelbar unter der Bruchstelle, seien Baumpilze vorhanden gewesen und der Stamm stark mit Rankpflanzen überwuchert. Die Beklagte habe die erforderliche Sichtprüfung nicht oder nicht im erforderlichen Maße durchgeführt. Denn sonst hätte sie weitere Schutzmaßnahmen einleiten müssen, die den Astabbruch vermieden hätten. Durch den Bruch sei das Fahrzeug der Klägerin beschädigt worden. Das in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten habe einen Wiederbeschaffungswert von 2.200 € bei einer Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen aufgewiesen. Das Fahrzeug sei in einer Werkstatt repariert worden. Der Schaden ermittle sich aus dem

4
– Wiederbeschaffungswert von 2.200 €
– der Nutzungsausfallentschädigung von 14 Tagen a 50 € = 700 €‘
– der Kostenpauschale von 25 €

5
sowie der Freistellung von den Sachverständigenkosten i.H.v. 587,15 € und den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

6
Die Beklagte hat vorgetragen, der Zeuge D… habe im März/April 2015 sowie am 30.07.2015 eine Sichtprüfung vorgenommen und keine Schäden am Baum, auch keinen Pilzbefall festgestellt. Totholz habe sie bereits im April 2015 von einer Fachfirma beseitigen lassen. Eine Amtspflichtverletzung liege daher nicht vor.

7
Die Schadensberechnung sei zu beanstanden. Die Klägerin könne nicht den Wiederbeschaffungswert geltend machen, wenn sie kein Ersatzfahrzeug beschafft oder dieses nicht hat reparieren lassen. Insoweit käme auch der Ansatz des Nutzungsausfalls nicht in Betracht. Eine Kostenpauschale sei hier schon im Grundsatz nicht anzusetzen.

8
Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen D… mit dem am 28.09.2017 verkündeten, der Klägerin am 9.10.2017 zugestellten Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei von einer ordnungsgemäßen Baumschau auszugehen. Der Zeuge habe die Sichtprüfung vorgenommen und keine Schäden, die eine weitergehende Prüfung erfordert hätten, festgestellt. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedürfe es nicht, nachdem der Zeuge bekundet habe, dass der auf den Fotos erkennbare Pilz nicht vorhanden gewesen sei und sich auch innerhalb von 24 Stunden bilden könne. Auf das Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

9
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 08.11.2017. Mit der innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 11.01.2018 eingegangenen Begründung führt sie aus, das Landgericht habe zu Unrecht von einem Sachverständigengutachten abgesehen. Der Zeuge sei kein Sachverständiger. Es könne deshalb nicht von einem Pilzwachstum innerhalb von 24 Stunden ausgegangen werden. Zudem seien jetzt Zeugen bekannt geworden, die bestätigen könnten, dass die Baumpilze bereits seit mehreren Jahren vorhanden gewesen seien.

10
Die Klägerin beantragt,

11
unter Abänderung der Entscheidung des Landgerichts Potsdam vom 28.09.2017 – Az. 4 O 305/16 – die Beklagte zu verurteilen,

12
1. an sie 2.925 € zuzüglich Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.900 € seit dem 03.11.2015 und aus 25 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

13
2. zur Freistellung der Klägerin Schadensermittlungskosten in Höhe von weiteren 587,15 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Firma G… zu zahlen.

14
3. zur Freistellung der Klägerin vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 413,64 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, … zu zahlen.

15
Die Beklagte beantragt,

16
die Berufung zurückzuweisen.

17
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und weist darauf hin, dass die volle Beweislast für die Pflichtverletzung, den Schaden und die Kausalität bei der Klägerin liege. Diesen Beweis habe sie nicht geführt.

18
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil sowie die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Öbv. Dipl.-Gartenbauingenieur J… B… vom 31.08.2018 sowie seine Anhörung am 11.12.2018 verwiesen.

II.

1.

19
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Mit der Rüge, das Landgericht habe die rechtlichen Grundsätze verkannt und über streitige Tatsachen keinen Beweis erhoben, stützt die Klägerin die Berufung sowohl auf eine Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO) als auch auf eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung.

2.

20
Sie hat auch in der Sache zum überwiegenden Teil Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte in Höhe von 2.658,15 € sowie entsprechender Rechtsverfolgungskosten aus § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG, § 9 Abs. 4, § 10 Abs. 1 BbgStrG. Im Übrigen ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

2.1

21
Unstreitig ist durch einen Astabbruch von einem Straßenbaum am 10.09.2015 das Fahrzeug der Klägerin beschädigt worden. Die Beklagte ist für die eingetretenen Schäden verantwortlich, denn sie hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.

22
Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass der Verkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Bäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen hat, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand zumutbar sind. Dazu genügt in der Regel eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung, bezogen auf die Gesundheit des Baumes (OLG Hamm, NJW-RR 2003, 968). Straßenbäume sind grundsätzlich ein (OLG Köln, Urteil vom 29.7.2010 – I-7 U 31/10, 7 U 31/10 -, Rn. 14, juris) bis zwei Mal im Jahr – einmal in unbelaubtem und einmal in belaubtem Zustand – einer Sichtkontrolle vom Boden aus zu unterziehen (Senat, Urteil vom 1.7.2008 – 2 U 30/06; OLG München, Urteil vom 7.8.2008 – 1 U 5171/07, zitiert nach juris Rn. 37; offengelassen in BGH, NJW 2004, 1381), wenn nicht besondere Umstände im Einzelfall eine häufigere oder andersartige Kontrolle gebieten. Eingehendere Untersuchungsmaßnahmen an Bäumen sind nur dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die der Erfahrung nach auf eine besondere Gefährdung durch den Straßenbaum hinweisen. Solche Anzeichen sind etwa eine spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall, hohes Alter des Baumes, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung und sein statischer Aufbau (vgl. schon BGH, Urteil vom 21.1.1965, Az.: III ZR 217/63, Rn. 13, aber auch Urteil vom 2.7.2004, Az.: V ZR 33/04, Rn. 13; jeweils zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 31.10.2014 – 11 U 57/13 -, zitiert nach juris; so auch OLG Köln, Urteil vom 27.8.2015 – 7 U 119/14; OLG Dresden, Urteil vom 6.3.2013 – 1 U 987/12, 1 U 0987/12 -, Rn. 42, juris). Bei der Kontrolle können sich die Sicherungspflichtigen im Regelfall an der vom F… e.V. entwickelten Baumkontrollrichtlinie (F…-Richtlinie) orientieren, welche von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. bspw. OLG Köln, Urteil vom 29.7.2010, Az.: 7 U 31/10) als Orientierungshilfe anerkannt wird. Hierbei sind insbesondere das Alter und etwaige Vorschädigungen des Baumes sowie die Verkehrsbedeutung des angrenzenden Bereichs in Betracht zu ziehen.

23
Den der Klägerin obliegende Nachweis der Amtspflichtverletzung, mithin, dass bei der zumutbaren Überwachung des Straßenbaums eine Schädigung entdeckt worden wäre (vgl. OLG Celle, Urteil vom 12.7.2012, Az.: 8 U 61/12, Rn. 30, zitiert nach juris) und in dessen Folge weitere Maßnahmen zum Schutze des Straßenverkehrs eingeleitet und die Schädigung des Eigentums der Klägerin verhindert worden wäre, ist – entgegen dem angefochtenen Urteil – geführt.

24
An dem Baum war unstreitig bereits Totholz festgestellt und im April 2015 beseitigt worden. Zwar genügt allein das Vorhandensein von Totholz noch nicht für eine über die Sichtprüfung hinausgehende Prüfungspflicht. Totholz ist ein Defektsymptom, das auf verschiedenste Ursachen zurückgeführt werden kann und in erster Linie lediglich zur Beseitigung verpflichtet (vgl. dazu Senat, Urteil vom 12.02.2000, Az. 2 U 37/01; Urteil OLG Köln vom 29.7.2010 (I-7 U 31/10, 7 U 31/10 -, Rn. 14, juris Urteil OLG Hamm vom 15.4.2010, 6 U 160/09, I-6 U 160/09 -, Rn. 23, juris). Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Öbv. Dipl.-Gartenbauingenieur J… B… sind aber weitere, im Rahmen einer Sichtprüfung erkennbare Symptome hinzugetreten, die Maßnahmen über die alleinige Sichtprüfung hinaus erforderten. Dieser hat in seinem Gutachten vom 31.08.2018 ausgeführt, es könne mit Sicherheit festgestellt werden, dass der auch auf den vorgelegten Fotos Blatt 14 und 19 der Gerichtsakten, Blatt 13 des Gutachtens erkennbare Pilzfruchtkörper mehr als 1 Jahr – wahrscheinlich eher 3 Jahre – am Stamm vorhanden war. Dies begründet er nachvollziehbar mit den Wachstumsphasen und der Größe des Fruchtkörpers. Somit war der Pilz bereits bei der Baumschau im Juli 2015 vorhanden und – wie der Sachverständige in seiner Anhörung noch einmal nachvollziehbar bekräftigt hat und sich i.Ü. zwanglos aus den Fotos ergibt, bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Baumschau vom Boden aus erkennbar. Dem steht die Aussage des Zeugen D… nicht entgegen. Zwar kann seine Aussage, der Zunderschwammpilz könne innerhalb von 24 Stunden entstehen, im Grundsatz zutreffen. Dies gilt aber nach dem Sachverständigen nicht für die auf den Fotos erkennbare Größe/Schichtung. Dass der Zeuge die Defekte subjektiv nicht wahrgenommen hat, mag zutreffen. Dass sie objektiv nicht vorhanden und auch nicht erkennbar waren, kann der Aussage insbesondere mit Blick auf die vorliegenden Fotos hingegen nicht entnommen werden. Dass der weiter behauptete und aus den Fotos erkennbare Spechtanhieb zum Zeitpunkt der Baumschau durch abgestorbene Efeuranken verdeckt gewesen sein könnte, bleibt im Weiteren ohne Belang.

25
Die auffällige Belaubung und der Pilzfruchtkörper hätten eine eingehende Untersuchung erfordert. Dabei hätte die Beklagte die Defektanzeichen, wie zum Beispiel den hohlen Klang feststellen können. Mit dem Sachverständigen geht der Senat weiter davon aus, dass durch geeignete Sicherungsmaßnahmen der Ausbruch des Stämmlings hätte vermieden werden können.

26
Für die Kausalität zwischen der pflichtwidrig unterlassenen Kontrolle, die über die Sichtprüfung hinausgeht und dem Baumsturz ist die Klägerin im Grundsatz ebenfalls darlegungs- und beweisbelastet. Auch dieser Nachweis ist ihr gelungen. Die behauptete Baumschau am 30.07.2015 und das schädigende Ereignis am 10.09.2015 liegen zeitlich eng zusammen. Die Gründe des Bruches – Baumzersetzung – und der Umstand, dass der Astabbruch bei einzelnen nicht starken Windböen abgebrochen ist, sprechen ebenfalls für einen kausalen Sachzusammenhang.

27
Damit besteht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch der Klägerin.

3.

28
Der Anspruch der Klägerin besteht in der Wiederherstellung der zerstörten Sachen. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Ersatzanspruch auf Zahlung von Geld gerichtet.

3.1

29
Der geltend gemacht Wertersatz für das Kraftfahrzeug ist auf den Nettobetrag beschränkt.

30
Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der im Gegenzug nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufrieden gibt. Entscheidet sich der Geschädigte für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht (zusätzlich) ersatzfähig. Der Geschädigte muss sich vielmehr an der gewählten Art der Schadensabrechnung festhalten lassen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – VI ZR 146/16 -, Rn. 7, juris).

31
Die Klägerin hat sich hier für die fiktive Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungswertes entschieden. Substantiierter Vortrag und Beweisantritt zur tatsächlichen Wiederbeschaffung, Reparatur in einer Werkstatt oder der tatsächlichen Eigenreparatur entsprechend den sachverständigen Feststellungen fehlt. Rechnet sie jedoch den Wiederbeschaffungswert fiktiv ab, so ist der Anspruch zwar ebenfalls auf den vollen Wiederbeschaffungsbetrag – Wiederbeschaffungswert abzüglich des erzielten oder erzielbaren Restwerts – gerichtet. Die Mehrwertsteuer darf sie gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB jedoch nur geltend machen, wenn und soweit diese bei der Wiederherstellung angefallen ist (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 102). Der Sachverständige ist bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes offenbar von der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG ausgegangen. Ein entsprechender Anhalt dafür findet sich auf Seite 2 des vorgelegten Gutachtens. Der Senat geht mangels weitergehenden Vortrags der Klägerin aber auch aufgrund des fehlenden Bestreitens der Beklagten deshalb im Rahmen der Schadensschätzung (§ 287 ZPO) davon aus, dass die Besteuerung im Gebrauchtwagenmarkt bei einer (hypothetischen) Ersatzbeschaffung differenzbesteuert erfolgt (vgl. Zum Ganzen BGH, Urteil vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15 -, Rn. 12 – 14, juris). Damit ist ein Umsatzsteueranteil in Höhe von 2,4 % enthalten. Der Schaden der Klägerin errechnet sich somit aus einem Brutto-Wiederbeschaffungswert abzgl. Brutto-Restwert von 2.100 €. Abzüglich des Umsatzsteueranteils von 49 € ergibt sich folglich der Netto-Wiederbeschaffungsaufwand von 2.051 €.

3.2

32
Eine Nutzungsausfallentschädigung steht ihr nicht zu. Die Nutzung eines Fahrzeugs muss dem Geschädigten unfallbedingt tatsächlich entzogen sein. Daran fehlt es, wenn er das Fahrzeug unrepariert weiternutzt oder es schon vor Ablauf der prognostizierten Reparaturdauer zurückerhält. Auch wer seine Wiederherstellungskosten fiktiv abrechnet, kann nicht etwa für die gedachte Dauer der Reparatur Nutzungsentschädigung verlangen, sondern nur für die infolge der Wiederherstellung (z.B.) tatsächlich angefallene Ausfallzeit. Sie erfordert daher einen Reparaturnachweis, d.h. der Geschädigte, der etwa eine Eigenreparatur vornimmt, muss sowohl die (teilweise) Wiederherstellung als auch deren Dauer konkret darlegen und ggf. nachweisen. Obergrenze der entschädigungsfähigen Nutzungsausfallzeit bildet hier stets die prognostizierte Reparaturdauer in einer Fachwerkstatt (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 212). Entsprechender Vortrag der Klägerin, in welcher Zeit das Fahrzeug trotz Reparatur nicht zur Verfügung stand, liegt nicht vor und wäre nun auch als verspätet zurückzuweisen.

3.3

33
Die Sachverständigenkosten sind wie geltend gemacht erstattungsfähig. Bei Sachschäden erfolgt die Einschaltung eines privaten Sachverständigen in den allermeisten Fällen zur vorprozessualen Begutachtung des Unfallschadens. Zu diesem Zweck darf der Geschädigte grundsätzlich einen Sachverständigen seines Vertrauens beauftragen (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 224).

3.4

34
Ferner ist eine Kostenpauschale zu erstatten. Soweit hinsichtlich solcher Kosten bei der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden regelmäßig von näherem Vortrag abgesehen wird und die Rechtsprechung dem Geschädigten eine Auslagenpauschale zuerkennt, auch wenn Anknüpfungstatsachen hierfür im konkreten Einzelfall nicht dargetan sind, ist dies dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Regulierung von Verkehrsunfällen um ein Massengeschäft handelt (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 14/76, VersR 1978, 278, 280 und Senatsbeschluss vom 18. November 2008 – VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338 Rn. 17), bei dem dem Gesichtspunkt der Praktikabilität besonderes Gewicht zukommt. Eine generelle Anerkennung einer solchen Pauschale für sämtliche Schadensfälle ohne nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen – etwa auch im Rahmen der vertraglichen Haftung – gibt es in der Rechtsprechung nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 2005 – I-15 U 44/05, juris Rn. 26 f.) und ist angesichts der unterschiedlichen Abläufe bei der jeweiligen Schadensabwicklung auch nicht gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 08. Mai 2012 – VI ZR 37/11 -, Rn. 11, juris). Allerdings ist in der nachfolgenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zwanglos immer auch eine Pauschale – ohne weitere Begründung – gewährt worden. Da es sich hier auch um einen Kraftfahrzeugschaden handelt, kann im Rahmen des § 278 ZPO eine Pauschale in Höhe von 20 € in Ansatz gebracht werden.

3.5

35
Das unter 3.3 Genannte gilt auch für die Rechtsanwaltskosten, die auch der Höhe nach nicht beanstandet werden. Der für die Gebühr maßgeblich Gegenstandswert (§ 13 RVG) bestimmt sich allerdings nach der objektiv berechtigten Forderungshöhe; soweit der Geschädigte den Anwalt (auch) zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, ist dies dem Schädiger nicht zuzurechnen (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 237). Bei einer berechtigten Gesamtforderung von 2.658,15 € ermittelt sich ein vorgerichtlicher Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten der Klägerin von 334,75 € (1,3 Gebühren zzgl. Pauschale von 20 € und Mehrwertsteuer).

3.6

36
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 291, 288 Abs. 1 BGB.

4.

37
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

38
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Das Urteil hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung.

Dieser Beitrag wurde unter Zivilrecht abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.