Zum Wegfall der Zahlungspflicht des Handynutzers bei Auftreten von hohen Internetkosten infolge fehlender Aufklärung über Flatrates

LG Potsdam, Urteil vom 21. August 2012 – 4 O 55/12

Zum Wegfall der Zahlungspflicht des Handynutzers bei Auftreten von hohen Internetkosten infolge fehlender Aufklärung über Flatrates

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist Telekommunikationsdienstleisterin und macht gegen die Beklagte einen vertraglichen Vergütungsanspruch für geleistete Dienste und Schadensersatz geltend.

Am 28. März 2006 schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der AGB einen Telekommunikationsdienstvertrag für die Rufnummer …….. Nach der Preisliste hatte die Beklagte vertraglich vereinbarte Gebühren zu zahlen, die sich aus einem monatlichen Grundpreis und weiteren – in der Preisliste für einzelne Leistungsfelder jeweils gesondert aufgeführten – nutzungsabhängigen Gebühren zusammensetzen. Die Rechnungen der Beklagte wiesen in der Folgezeit durchgängig Rechnungsbeträge von ca. 30,00 €/Monat aus.

Nach dem Neuerwerb eines internetfähigen Smartphones rief die Beklagte am 07.06.2012 bei der Klägerin an, die als Folge des Anrufs der Beklagten am selben Tag eine E-Mail mit denjenigen Zugangsdaten übersandte, die für die Herstellung einer Internetverbindung mit dem neuen Gerät erforderlich waren. Beginnend am 14.06.2010 berechnete die Klägerin der Beklagten (im Monat Juni noch anteilig) für die Nutzung des Internets einen Pauschalbetrag in Höhe von monatlich 10,00 € als sogenannte „Handy Internet Flat“. Für den Zeitraum vom 09.06. bis 14.06.2010 hatte die Klägerin aber bereits diverse Internetzugriffe der Beklagten verbrauchsabhängig als sogenannte „GPRS/UMTS“-Units erfasst, die sie auf der Basis ihrer allgemeinen Preisliste mit insgesamt 5.169,36 € abrechnete. Wegen der Aufschlüsselung der Einzelverbindungen wird auf den technischen Prüfbericht zur Rechnung vom 30.06.2010 verwiesen (Anl. K 2; Bl. 27 f.).

Am 14.06.2010, also am selben Tag, an dem sie die Internet-Flatrate für die Beklagte einrichtete, löste die Klägerin wegen des nach ihrer Berechnung seit dem 09.06.2010 aufgelaufenen Betrages von mehr als 5.160,00 € eine dann bis Ende September 2010 fortwirkende Sperrung der SIM-Karte der Beklagten aus, wodurch die Inanspruchnahme von weiteren Dienstleistungen unmöglich war. Am 14.06.2010 kam es außerdem noch zu einem Telefongespräch zwischen den Parteien, dessen Inhalt streitig ist.

Die Klägerin stellte insgesamt die nachfolgenden – von der Beklagten nicht bezahlten – Beträge in Rechnung:

Rechnung vom 31.06.2010: 5.203,46 €Rechnung vom 31.07.2010: 36,50 €Rechnung vom 31.08.2010: 36,50 €Rechnung vom 30.09.2010: 33,00 €Nach vorheriger Mahnung kündigte die Klägerin am 27.09.2010 das Vertragsverhältnis fristlos. Neben den aufgeführten Rechnungsbeträgen fordert die Klägerin den Ausgleich einer Schadensersatzpauschale in Höhe von 143,91 €, sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 459,40 € und außergerichtlich entstandene Auskunftskosten in Höhe von 0,55 €.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe am 07.06.2010 angerufen, um die Zugangsdaten für das Internet zu erfragen. Eine Flatrate für die Internetnutzung sei von der Beklagten nicht angesprochen und daher auch nicht eingerichtet worden; dazu sei es erst in dem weiteren Telefonat vom 14.07.2010 gekommen, was dann zur unverzüglichen Freischaltung der Flatrate geführt habe. Die Grundlage der von ihr ermittelten Rechnungsbeträge, nämlich der abgerechnete Preis von 0,006 € brutto je Kilobyte, sei für derartige Datenverbindungen im Abrechnungszeitraum Juni 2010 angemessen und üblich gewesen.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Verantwortlichkeit habe sich nach dem Gespräch vom 07.06.2010 auf die Übermittlung der Zugangsdaten beschränkt. Die Frage einer Flatratebuchung sei für die Nutzung des Internets nicht zwingend erforderlich und müsse wie die gesamte Auswahl der vereinbarten Tarife von jedem Kunden selbst ermittelt und entschieden werden. Durch Vorlage des technischen Prüfprotokolls und durch die Zertifizierung gemäß § 45 g TKG gelte im Übrigen die in § 45 i III 1 TKG geregelte Beweislastumkehr; die Beklagte als Kundin habe daher die Unrichtigkeit der Verbindungspreisberechnung zu beweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.453,37 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 5.309,46 € seit dem 01.11.2010, auf 143,91 € seit Rechtshängigkeit sowie 20,00 € vorgerichtliche Mahnkosten und 459,40 € Verzugsschaden und 0,55 € Auskunftskosten zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie habe schon im Rahmen des Anrufs am 07.06.2010 um die Einrichtung der am 14.06.2010 freigeschalteten Internet-Flatrate gebeten. Der weitere Anruf am 14.06.2010 sei lediglich erfolgt, weil sie die zwischenzeitliche Kartensperrung bemerkt und sich nach dem Grund dafür habe erkundigen wollen.

Die Beklagte ist der Ansicht, selbst ausgehend von den Behauptungen der Klägerin zu den Inhalten der beiden Telefonate habe die Klägerin jedenfalls eine vertragliche Nebenpflicht gerichtet auf Information und Warnung verletzt, weil ihr die bisherige Handynutzung ohne Internet bekannt gewesen sei, und sie auf die Möglichkeit der von ihr angebotenen Flatrate und die Gefahren hoher Kosten einer verbrauchsabhängigen Internetnutzung auch ungefragt habe hinweisen müssen. Auch habe die Klägerin einen auffälligen Rechnungsanstieg überwachen und rechtzeitig unterbunden müssen, was technisch auch durch automatisierte Vorgänge möglich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze nebst den Anlagen verwiesen.

Gründe

II.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Allerdings bestand zwischen den Parteien für die streitgegenständliche Zeit zwischen Juni und September 2010 unstreitig ein nach Maßgabe der §§ 312 b, 611 BGB zustande gekommener Dienstvertrag über Telekommunikationsleistungen. Hinsichtlich der bis zum 14. Juni 2010 abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets steht der Klägerin aber der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu, weil insoweit keine vertragliche Einigung über eine nutzungsabhängige Abrechnung zu dem von der Klägerin angesetzten Tarif (0,006 €/Kb) zustande gekommen ist.

Wollte man die telefonisch am 07.06.2010 getroffenen Absprachen anders würdigen und annehmen, dass dadurch die Konditionen einer mehr als 4 Jahre zuvor übermittelten Preisliste in Geltung hätten gesetzt werden können, so stünde einem Zahlungsanspruch der Klägerin die Einrede unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen.

In dem anschließenden Zeitraum ab dem 14.06.2010 ist die Beklagte gemäß § 326 Abs. 1 BGB von einer grundsätzlich bestehenden Zahlungspflicht frei geworden. Die Klägerin hatte während dieser Zeit die SIM-Karte der Beklagten zu Unrecht – nämlich unter Hinweis auf tatsächlich nicht bestehende Zahlungsrückstände – gesperrt. Die insoweit in Rede stehende (und mit den nutzungsunabhängigen Grundgebühren und Flatrates zu vergütende) bloße Verfügbarkeit des Telekommunikationsangebotes hat den Charakter eines Fixgeschäftes, bei dem für alle Zeiträume, in denen der Dienst wegen der Kartensperrung nicht tatsächlich verfügbar war, die entsprechende Leistung der Klägerin mit dem Zeitablauf jeweils endgültig unmöglich geworden ist. Die Klägerin ist insoweit von ihren Leistungspflichten befreit worden (§ 275 BGB), hat aber auch etwaige Ansprüche auf die vereinbarte Gegenleistung verloren (§ 326 Abs. 1 BGB).

Im Einzelnen:

1.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr abgerechneten nutzungsabhängigen Vergütungen im Zeitraum zwischen dem 09.06.2010 und dem 14.06.2010. Es fehlt bereits an der Darlegung einer entsprechenden Vergütungsabrede, was als anspruchsbegründende Tatsache der prozessualen Darlegungslast der Klägerin unterfällt. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Klägerin bestreitet, dass am 07.06.2010 die von der Beklagten behauptete Flatrate telefonisch erörtert und ggf. vereinbart worden ist, denn bevor die Beklagte eine Vergütungsabrede für die streitgegenständliche Forderung ggf. erfolgreich in Zweifel ziehen müsste, hätte die Klägerin ihrerseits die Grundlagen für die von ihr verfolgte Zahlungsanspruch darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Daran fehlt es.

Der für einen Zeitraum von nur 5 Tagen zwischen dem 09. und dem 14. Juni abgerechnete Betrag von mehr als 5.100,00 € muss als auffällig bezeichnet werden und entfällt – ausweislich des Prüfberichts der Klägerin (Anl. K 2; Bl. 27 f.) – dem überwiegenden Anteil nach (nämlich für fast 4.780,00 €) auf nur zwei Internet-Nutzungen der Beklagten, die mit 11:40 Uhr bzw. 15:37 Uhr am 13. Juni 2010 erfasst wurden. Die Berechnung dieser Vorgänge mit den von der Klägerin angesetzten nutzungsabhängigen Tarifen würde voraussetzen, dass diese Tarife für diese Leistungen zwischen den Parteien vereinbart worden sind. Dies hat die Klägerin aber – auch nach den ausdrücklichen gerichtlichen Hinweisen vom 30.03.2012 – nicht dargelegt.

a) Der unbestritten gebliebene Verweis auf den Vertragsschluss vom März 2006 und die dabei vereinbarten AGB nebst beigefügter Preisliste beantwortet die Frage nach einer tragfähigen Grundlage für die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche nicht. Gegenstand dieses Vertrages waren diejenigen Leistungen über eine Internet-Verbindung, die die Klägerin im vorliegenden Verfahren vergütet haben möchte, unstreitig nicht. Die Klägerin selbst trägt vor, dass der Gegenstand des 2006 geschlossenen Vertrages sich darauf beschränkte, mit einem „Mobilfunkgerät im E-Plus-Funknetz zu telefonieren“.

Selbst wenn also bei dieser Gelegenheit die Beklagte von der Klägerin auch die Preisliste (Anl. K 3; Bl. 31 f.) erhalten hat, haben die Parteien damit keinen Vertrag über die Erbringung von Leistungen zur „Nutzung von GPRS/UMTS für Internet-Mobil“ geschlossen, und dementsprechend bei dieser Gelegenheit auch nicht eine Vergütung für solche Leistungen mit 0,006 €/Kb vereinbart. Unbestritten hat die Beklagte zwischen 2006 und Juni 2010 zu keiner Zeit Leistungen im Zusammenhang mit der Nutzung des Internet in Anspruch genommen, und sie war dazu auch gar nicht in die Lage versetzt. Die nun von der Klägerin abgerechnete Internet-Nutzung machte vielmehr technisch eine eigenständige Freischaltung durch die Klägerin und rechtsgeschäftlich eigenständige Vereinbarung erforderlich. Beides ist mit dem von der Beklagten ausgehenden Telefonat am 07.06.2010 und der am selben Tag von der Klägerin versandten E-Mail mit den Verbindungsdaten und der zugleich technisch herbeigeführten Freischaltung dann auch umgesetzt worden.

Anlässlich dieses Vertragsschlusses am 07.06.2010 hat aber die Klägerin selbst nicht behauptet, hinsichtlich der in Aussicht genommenen Tarife einen Hinweis auf geltende AGB oder auf eine Preisliste gegeben zu haben, geschweige denn entsprechende vorformulierte Bedingungen zugänglich gemacht zu haben. Die Beklagte hatte in dem Telefonat also keinerlei Anlass, davon auszugehen, dass eine ihr vor fast viereinhalb Jahren übersandte Preisliste aus dem Jahr 2005 von der Klägerin herangezogen werden sollte, um für die am 07.06.2010 erstmals nachgefragten und im Rechtsverhältnis der Parteien vollkommen neuen Leistungen nutzungsabhängige 0,006 €/Kb in Rechnung zu stellen.

Es erscheint bereits generell zweifelhaft, dass überhaupt ein allgemeiner Verweis auf eine 5 Jahre alte Preisliste eine Vergütungsvereinbarung unter diesen Umständen hätte herbeiführen können, nachdem diese Liste mangels entsprechender Nutzung gerade zu den Internet-Leistungen bis dahin keinerlei Relevanz zwischen den Parteien besessen hatte. In jedem Fall aber wäre ein entsprechender Hinweis klar und unmissverständlich erforderlich gewesen, er ist aber – wie auch der Text der E-Mail der Klägerin (Anl. K 6; Bl. 101) zeigt – nicht erfolgt.

b) Die von der Klägerin angesetzten Preise sind auch nicht ohne eine ausdrückliche Erwähnung im Sinne einer „üblichen Vergütung“ (§ 612 Abs. 2 BGB) als vereinbart anzusehen. Als eine in diesem Sinne „übliche“ Vergütung kann der Dienstleister unter Umständen dasjenige Entgelt als vereinbart ansehen, das für die in Rede stehende Leistung „…an dem betreffenden Ort mit Rücksicht mit Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Dienstberechtigten gewöhnlich gewährt…“ wird (vgl. m.w.N. Palandt; Rz. 8 zu § 612 BGB). Diese Voraussetzungen sind aber – was gerichtsbekannt ist – hinsichtlich der von der Klägerin angesetzten nutzungsabhängigen Konditionen keineswegs erfüllt. Es dürfte kein Zufall sein, dass die von der Klägerin herangezogene Preisliste inzwischen 7 Jahre alt ist und damit aus einer Zeit stammt, als Smartphones mit einer den Verhältnissen im Jahre 2010 vergleichbaren Internet-Nutzung noch nicht entwickelt bzw. verbreitet waren. Zur Zeit der Erstellung der Preisliste (2005) und zur Zeit des ersten Vertragsschlusses der Parteien (2006) hat es keine verbreitete Hardware gegeben, die flächendeckend in der Lage gewesen wäre, etwa Spielfilme oder andere Medien mit einem vergleichsweise riesenhaften Datenvolumen auf einem mobilen Gerät wiederzugeben. Genau die beiden Vorgänge, die sich am 13.06.2010 ereignet und zu der abgerechneten Vergütung von mehr als 4.700,00 € geführt haben, waren in den Jahren 2005 und 2006 für einen privaten Nutzer, der den persönlichen Verhältnissen nach mit der Beklagten vergleichbar wäre, nicht möglich.

Die 2005 von der Klägerin in ihre Liste eingestellten Preise sind auch im Zuge der technischen Entwicklung und der allgemeinen Verbreitung internetfähiger Mobilgeräte bis zum Jahr 2010 nicht einfach beibehalten und fortgeschrieben worden. Stattdessen hat sich am Markt als „üblich“ genau das entwickelt, was die Beklagte verlangt und was die Klägerin ab dem 14.06.2010 auch unstreitig eingerichtet hat, nämliche die Vereinbarung einer von unterschiedlich angebotenen Flatrates.

Die Klägerin selbst bietet unter dem Markennamen „BASE“ massenweise Telekommunikationsverträge an, bei welchen der Kunde durch einfache Mitteilung verschiedene Flatrates buchen und wieder abbestellen kann. Diese Vereinbarungen sind in der Sache praktisch nicht von besonderen „Voraussetzungen“ (etwa bestimmten Vermögensverhältnissen oder einem speziellen Nutzerprofil) abhängig, und sie lassen sich ohne nennenswerten Vorlauf oder Übergangszeiten sozusagen „augenblicklich“ wechseln. Diese Vorgehensweise wird – was ebenfalls gerichtsbekannt ist – für die Klägerin seit mehreren Jahren als besonderer Vorzug ihres Leistungsspektrums massiv beworben und soll für die potentiellen Kunden also ein besonderer Anreiz sein, einen solchen Vertrag gerade bei diesem Anbieter abzuschließen. Vor diesem Hintergrund kann keine Rede davon sein, dass die zulasten der Beklagten in Ansatz gebrachte Abrechnung „pro Kb“ zur Zeit des hier in Rede stehenden Vertragsschlusses im Juni 2010 „üblich“ gewesen wäre. Auch das Ausmaß der – um es nochmals zu betonen: sachlich praktisch voraussetzungslosen – Differenzen zwischen den zahlreich bei der Klägerin zur Verfügung stehenden Flatrates und der hier geltend gemachten nutzungsabhängigen Berechnung belegt, dass es keinerlei schutzwürdige Erwägungen auf Seiten der Klägerin für die Annahme geben kann, wenn der neue Kunde keine besonderen Tarife wünsche und anspreche, werde er wohl den „allgemeinen Tarif“ nutzen wollen. Wenn einerseits nach diesem „allgemeinen Tarif“ ein Kunde durch zwei isolierte Nutzungen eine Vergütung von 4.780,00 € auslösen kann, während er andererseits für einen kompletten Monat mit einer beliebigen Anzahl vergleichbarer Nutzungen einen Festbetrag von 10,00 € entrichtet, stellt sich die Wahl zwischen diesen Optionen nicht als eine für die Klägerin „offene Frage“ dar. Für einen Privatnutzer wie die Beklagte, die sich zudem in Sachen Internet-Nutzung bei der Klägerin als eine Neukundin meldet, die ausweislich der bei der Klägerin bekannten Vertragsdaten über keine eigenen Erfahrungen mit diesem Medium verfügt, steht im Ausgangspunkt unabweisbar zu vermuten, dass diese Kundin keine anderen Konditionen, als die „für jedermann“ sofort verfügbare Internet-Flatrate vereinbaren möchte. Die anderslautende Argumentation der Klägerin, es sei für sie ja ohne klare Vorgaben des Kunden nicht erkennbar, ob dieser nicht vielleicht deshalb nur verbrauchsabhängig abrechnen möchte, weil er damit auch die Chance wahrt, weniger als die „teure Flatrate“ von 10,00 € monatlich zu zahlen, ist abwegig. Es deutet auf ein erstaunliches Zeichen extremer wirtschaftlicher Unvernunft hin, wenn ein Internetnutzer auf die Unwägbarkeiten der für dieses Medium kennzeichnenden spontanen Möglichkeiten des Medien- und Informationskonsums dadurch reagiert, dass er sich die Chance auf einen monatlichen Rechnungsbetrag unterhalb von 10,00 € sichert, indem er zugleich das Risiko in Kauf nimmt, infolge eines einmalig im Monat „online“ getroffenen Spontanentschlusses den 500-fachen Betrag der Flatrate zu schulden (nämlich z.B. 5.000,00 €). Eine solche Wahl könnte nur dann als nachvollziehbar gelten, wenn der neue Internetkunde vollständig orientiert und zu einer streng limitierten Nutzung dieser Leistung „nur im allergrößten Ausnahmefall“ entschlossen wäre. Dafür, dass ein solcher Fall bei der Beklagten vorliegen könnte, sprach im Juni 2010 nichts. Die Beklagte war als der Klägerin als Kundin jüngeren Alters und als regelmäßige Nutzerin ihres (bisherigen) Handys bereits seit Jahren bekannt; sie hatte soeben mit einem wirtschaftlichen Aufwand, der ein Vielfaches der Internet-Flatrate von 10,00 € betragen hatte, ihre Nutzungsmöglichkeiten im Bereich der Hardware technisch erweitert, so dass nichts dafür sprach, die Beklagte werde zwar ein Smartphone anschaffen und das Internet freischalten lassen, dann aber keineswegs nennenswerten Gebrauch davon machen wollen.

Dass also die Beklagte abseits der Werbeanpreisungen der Klägerin und zahlreicher anderer Anbieter nicht die leicht zu finanzierende Pauschallösung, sondern eine nutzungsabhängige Abrechnung „per Kb“ als „üblich“ für möglich halten würde, durfte die Klägerin keineswegs annehmen. Wenn sie es nicht als selbstverständlich voraussetzen wollte, dass auch diese Neukundin anstelle exorbitanter Kostenrisiken womöglich die voraussetzungslos angebotene und beworbene Flatrate nutzen wollte, so musste sie dies zum Gegenstand eines klarstellenden Aufklärung machen und der Beklagten eine verantwortliche Entscheidung ermöglichen.

c) Auch der Hinweis der Klägerin auf einen anderslautenden Beweis des ersten Anscheins, der sich aus der Vermutung der Richtigkeit von Rechnungen eines Kommunikationsdienstleisters ergeben soll, verfängt nicht. Ein solcher Anscheinsbeweis knüpft an die technisch automatisierte Gebührenerfassung an und betrifft – wie die Klägerin wohl auch selbst nicht verkennt – die in § 45 i Abs. 3 TKG angesprochenen Zusammenhänge. Vorliegend steht aber gerade nicht die technische Erfassung der abgerechneten Leistungen in Zweifel, sondern die Einzelheiten der am 07.06.2010 vereinbarten Vertragsinhalte. Diesbezüglich verbleibt es außerhalb des TKG bei dem allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der eine vertragliche Vergütung beansprucht, die rechtsverbindliche Geltung der dafür herangezogenen Parameter beweisen muss.

2.

Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass sich auch bei Unterstellung der rechtsgeschäftlichen Annahmen der Klägerin letztlich der Zahlungsanspruch nicht ergäbe. Würde man – entgegen den obigen Annahmen – ohne inhaltliche Differenzierungen zwischen den seit 2006 und den seit Juni 2010 erbrachten Leistungen einheitlich einen „Vertrag unter Geltung der Preisliste von 2005“ als geschlossen ansehen, so unterfiele es allerdings der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten, die dann „abweichende“ Vereinbarung einer Flatrate darzutun. Unabhängig von der Aufklärung der genauen Inhalte des konkret am 07.06.2010 geführten Telefonats zwischen der Beklagten und der Klägerin würde aber der Zahlungsanspruch der Klägerin nicht bestehen. Falls nämlich die Beklagte eine Flatrate ansprach, musste die Klägerin diesem Begehren sogleich am 07.06.2010 entsprechen, nicht aber erst ab dem 14.06.2010. Sofern aber die Beklagte eine Flatrate nicht von sich aus ansprach, musste die Klägerin darauf zu sprechen kommen und einen warnenden Hinweis dahingehend erteilen, dass eine Flatrate von 10,00 € monatlich die ansonsten durchaus möglichen Kostenrisiken einer Internetnutzung wirksam begrenzen konnte. Die Klägerin behauptet aber selbst nicht, eine solche Aufklärung geleistet bzw. die erforderliche ausdrückliche Erörterung der Vergütungskonditionen am 07.06.2010 geführt zu haben. Ohne eine solche Erörterung und ohne die erst dadurch zu gewinnende Gewissheit, dass die Beklagte als Neukundin um die Kostenrisiken wusste und eine verantwortliche Entscheidung dazu getroffen hatte, durfte die Klägerin entsprechende Leistungen nicht freischalten.

Der Beklagten stünde also – wenn grundsätzlich eine Vergütungspflicht wegen der Geltung der Preisliste anzunehmen wäre – gegen die Klägerin ein Anspruch auf Schadensersatz in gleicher Höhe wegen Verletzung der genannten Warn-, Hinweis-, und Schutzpflichten zu. Es ist mit Recht anerkannt, dass in einem Dauerschuldverhältnis, in dem regelmäßig kurzfristige Leistungen und Geldzahlungen ausgetauscht werden, die vertragliche Nebenpflicht beider Vertragspartner gemäß § 241 II BGB besteht, Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils zu nehmen. Aus den bereits ausführlich unter lit. 1 b) dargestellten Gründen durfte die Beklagte auch ungefragt eine entsprechende Aufklärung erwarten, bevor sie den Risiken einer Freischaltung des Internet ohne Flatrate ausgesetzt wurde. Das Gericht schließt sich in diesem Punkt ausdrücklich den entsprechenden Erwägungen der Entscheidungen des LG Münster (AZ.: 6 S 93/10 vom 18.01.2011) und des LG Saarbrücken (AZ.: 10 S 12/12 vom 09.03.2012) an.

3.

Die Klägerin hat auch abseits der nutzungsabhängig verlangten Entgelte keinen Anspruch auf Zahlung der Rechnungsbeträge der Rechnungen vom 31.07.2010 (36,50 €), vom 31.08.2010 (36,50 €) und vom 30.09.2010 (33,00 €). Sie hat in diesen Abrechnungszeiträumen ihre Hauptleistungspflicht nach § 611 BGB, das Erbringen der versprochenen Dienste, unberechtigt nicht erbracht, denn die zum Anlass für die Sperrung der Dienste genommenen Zahlungsrückstände der Beklagten waren tatsächlich am 14.06.2010 nicht begründet (s.o.). Indem die geschuldete Bereitstellung für die Klägerin nicht „rückwirkend“ erfolgen kann, sondern diese Leistung mit jedem verstrichenen Zeitraum für die Vergangenheit dauerhaft unmöglich wird, hat die Klägerin alle für eine solche nutzungsunabhängigen Leistungen vereinbarten Entgeltansprüche nach § 326 Abs. 1 BGB verloren. Die Verantwortung für die unberechtigte Sperrung der SIM-Karte liegt allein im Einfluss- und Risikobereich der Klägerin, die auf der Grundlage einer unzutreffenden Rechtsauffassung unumkehrbare Fakten geschaffen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708, 711 ZPO.

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